6 Minuten Lesezeit 14 Oktober 2019
Frau benutzt digitalen Touch Monitor

„S/4HANA bietet die Chance, die eigenen Geschäftsprozesse neu zu gestalten“

Von Goran Gulis

Leiter des Bereichs Strategische Allianzen | Deutschland, Schweiz, Österreich

Ist Innovationstreiber und Technologie-Enthusiast. Setzt sich leidenschaftlich für das Denken und Handeln in Ökosystemen, die Mehrwerte von Partnerschaften und den Erfolgstreiber "Innovation" ein.

6 Minuten Lesezeit 14 Oktober 2019

Die Umstellung auf den neuen SAP-Software-Standard für die Ressourcenplanung birgt für Unternehmen Herausforderungen, aber auch Chancen.

EY: Wenn neue Systeme eingeführt werden, bringt das immer auch Vorbehalte mit sich. Nun stellt SAP sein ERP-System (Enterprise Resource Planning) für Unternehmen auf S/4HANA um. Warum braucht es aus Ihrer Sicht als SAP Business Development Leader bei EY überhaupt diese vierte Produktgeneration der Unternehmenssoftware?

Goran Gulis: Das Vorgängersystem R/3 wurde in den 1990er-Jahren eingeführt. Die meisten Unternehmen haben seitdem angefangen, nicht mehr den SAP-Standard zu nutzen, sondern eigene Workflows und Prozesse in R/3 abzubilden. Sie haben beispielsweise Zusatzmodule für einige Branchen eingeführt. Dadurch gibt es bei vielen Unternehmen eine hochgradig individualisierte und komplizierte R/3-Landschaft.

Mit S/4HANA wird vieles zurück auf den Kern gebracht. Das System wird einfacher und schlanker. Bis spätestens 2025 muss jedes Unternehmen, das SAP nutzt und weiter nutzen möchte, auf SAP S/4HANA migrieren. Der Umzug bietet eine Chance, die eigenen Geschäftsprozesse zu überdenken und auf aktuelle Marktentwicklungen und die Digitalisierung zu reagieren.

Mit S/4HANA wird vieles zurück auf den Kern gebracht. Das System wird einfacher und schlanker. Die Einführung bietet Unternehmen die Chance, sich neu aufzustellen.

Warum ist das aus unternehmensstrategischer Sicht wichtig?

Es geht um eine tiefgreifende Transformation, die ein großes Innovations- und Verbesserungspotenzial mit sich bringt. Standardprozesse werden nicht einfach nur angepasst oder optimiert, sondern ganze Geschäftsmodelle werden transformiert.

S/4HANA unterstützt Innovationen im Unternehmen effektiver als früher – zusammen mit Angeboten wie SAP Leonardo und seiner Integration von Technologien wie Machine Learning, Analytics und Blockchain – und hilft gleichzeitig dabei, die Abläufe und die Produktivität zu verbessern.

Mit Blick unter die Haube: Was genau ist neu an S/4HANA?

Die neue Plattform vereinfacht alte und komplizierte Prozesse, auch in der Darstellung. Das System nutzt eine HANA-Technologie, kurz für „High Performance Analytic Appliance“. Damit können große Datenmengen schnell und in Echtzeit direkt im Arbeitsspeicher verarbeitet werden, ohne dass zunächst auf eine Festplatte zurückgegriffen wird. Software und Hardware sind dabei auf die Performance abgestimmt. R/3 funktionierte bisher mit relationalen Datenbanken wie SQL-Servern oder Oracle.

Die HANA-Technologie hat Vorteile: Man könnte beispielsweise zu jeder Sekunde eine Konzernkonsolidierung für kurzfristige Finanzprognosen durchführen, weil alle Daten im Speicher immer vorgehalten werden. Das war früher nicht möglich – schon gar nicht unter der sogenannten Fiori-Oberfläche mit Kacheldarstellung. Außerdem wird das System benutzerfreundlicher. Bisher wurde die Darstellungsform der Daten bei SAP häufig kritisiert, jetzt ist sie mit derjenigen von Endverbraucher-Apps im Consumerbereich vergleichbar.

Weil S/4HANA technologisch anders funktioniert, ist auch die Migration kein einfaches Upgrade-Projekt.

Es gibt also eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten für einen besseren Überblick. Um dort hinzukommen: Welche Ansätze gibt es bei der Überführung der bestehenden Systeme?

Weil S/4HANA technologisch anders funktioniert, ist auch die Migration kein einfaches Upgrade-Projekt. Sie wirkt sich auf die gesamte IT-Architektur aus, denn die Vereinfachungen beim Datenmodell und die Innovationen bei den Prozessen müssen bei einer Migration berücksichtigt und erst einmal erschlossen werden.

Des Weiteren stellt sich die Frage, ob man mit dem „Greenfield“- oder mit dem „Brownfield“-Ansatz nach S/4HANA migriert – also Systeme komplett neu aufsetzt oder bestehende Systeme nur überführt – und wie man mit den über die Jahre entstandenen Eigenentwicklungen in den SAP-Systemen umgeht.

Welche Auswirkungen hätte denn eine Migration nach dem Brownfield-Ansatz?

Dabei verschiebt ein Unternehmen das bestehende alte System in S/4HANA, sodass bestehende Prozesse nur gering beeinträchtigt werden. Doch das bringt leider oft nicht die erhofften Effizienzsteigerungen, weil die Landschaft dieselbe bleibt, ebenso wie die Systemarchitektur. Das ist, wie wenn man sich einen neuen Computer kauft und dann alle Dateien, Cookies, Verläufe und ehemaligen Installationen kopiert. Das neue System wird unnötig langsam. Eigentlich braucht man eine neue Zusammenstellung von Lösungen für die aktuellen Probleme.

Welche Vorteile bringt dem gegenüber der Greenfield-Ansatz?

Die S/4HANA-Neuimplementierung wird auch als Greenfield bezeichnet und ermöglicht die komplette Neukonzeption und Prozessvereinfachung. Dabei geht es darum, auf der Basis bestehender Geschäftsmodelle zunächst in eine Designphase zu gehen. Unter anderem mit Design-Thinking-Methoden wird überprüft, welche dieser Geschäftsmodelle weiter besonders relevant sind und wie diese bestmöglich im System gespiegelt werden können: Anforderungen, bestehende Prozesse etc.

Und dann gibt es noch kombinierte Ansätze, „Bluefield“ genannt. Welche Mischform repräsentieren sie?

Auf der Basis bestehender Informationen aus der alten Systemwelt wird eine neue Landschaft aufgebaut. Automatisierte Scans werten Daten der bisherigen Systemlandschaft aus, bereiten sie auf und überführen sie in das neue System. Drei Ziele gibt es dabei:

  • Zeitersparnis durch einen agilen Ansatz für Design, Konvertierung und den Test von Aktivitäten
  • Kostenersparnis, indem eine große Anzahl der Aufgaben, die normalerweise von Menschen erledigt werden, durch eine intelligente Automatisierung ersetzt oder unterstützt werden
  • geringere Fehleranfälligkeit, weil der Aufwand für Anwender bei den Test- und Validierungsaktivitäten durch Automatisierung erheblich reduziert wird

Unabhängig vom gewählten Ansatz, bei der Bewältigung der Anforderungen rund um die Migration können intelligente digitale Teammitglieder helfen. Wie funktioniert das?

Die Daten müssen für die Transformation harmonisiert und migriert werden, sodass bestehende, benutzerdefinierte Entwicklungen bewertet und eventuell korrigiert werden können. Außerdem sollten die Auswirkungen von Sicherheitsrollen und Prozesskontrollen überprüft werden. All das sind lästige Routinearbeiten, die sich optimieren lassen. Wir arbeiten hier gern mit vier digitalen Teammitgliedern. Mit ihrer Hilfe kann die Migration schneller geschehen, oft innerhalb von Wochen, spätestens in wenigen Monaten.

Vier intelligente Teammitglieder unterstützen die SAP-S/4HANA-Migration: der digitale Leser, der digitale Sprecher, der digitale Denker und der digitale Schreiber.

Zunächst extrahiert ein „digitaler Leser“ die Daten aus den bestehenden SAP-R/3-Instanzen. Ein „digitaler Sprecher“ vergleicht dann, ob Funktionalitäten aus dem alten System auch im neuen System verfügbar sind. Er erstellt Echtzeitstatus-, Leistungs- und Fehlerberichte zu allen Aspekten des Migrations- oder Transformationsprogramms und übergibt Teilprozesse an den „digitalen Denker“. Dieser wiederum bietet den anderen Teammitgliedern begleitend Monitoring und Bewertungsfunktionen zu laufenden Prozessen. Der „digitale Schreiber“ schließlich regelt, wie die Daten in das neue System kommen. Er übernimmt die gesamte Transaktionsverarbeitung, Dateneingabe und Konfigurationserstellung in der neuen S/4HANA-Umgebung.

Warum sind diese „Mitarbeiter“ nur virtuell?

Dieser Ansatz verbindet die alte und die neue Welt, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Aber die Einbettung neuer, intelligenter Technologien wie Robotic Process Automation (RPA), künstlicher Intelligenz (KI) und Process Mining kann die Dauer der S/4HANA-Migration deutlich verkürzen. Derzeit nutzen viele Kunden ein nicht agiles System für R3, allerdings endet schon 2025 die Wartung dafür.

Eine weitere Herausforderung ist, dass es nur wenige qualifizierte Berater gibt und diese meist von großen Konzernen beschäftigt werden. Da hilft es, dass teilautomatisierte Tools detaillierte Informationen liefern, die dokumentieren, welche Prozesse innerhalb der bestehenden SAP-Instanzen durchgeführt werden. Dadurch entfallen zeitaufwendige Interviews und Workshops.

Fazit

Die Umstellung des ERP-Systems auf SAP S/4HANA bietet die Gelegenheit, interne Prozesse umfassend auf den Prüfstand zu stellen. Teilautomatisierte Methoden helfen dabei, Insellösungen im Unternehmen aufzuspüren und in die neue Software zu überführen. Digitale Teammitglieder begleiten die Migration und können sie beschleunigen sowie Fehler und Kosten reduzieren.

Über diesen Artikel

Von Goran Gulis

Leiter des Bereichs Strategische Allianzen | Deutschland, Schweiz, Österreich

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