Wie Unternehmen dank Blockchain bald in Echtzeit geprüft werden können

6 Minuten Lesezeit 27 September 2016
Von EY Reporting

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6 Minuten Lesezeit 27 September 2016

Die Blockchain-Technologie wird Finanztransaktionen und damit die Welt der Unternehmensberichterstattung grundlegend verändern. Welche Folgen wird dies für die Finanzbranche, für Finanzabteilungen und für Prüfgesellschaften haben?

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Transaktionen automatisch ausgeführt und in Echtzeit verifiziert werden. Eine Welt, in der Derivatekontrakte per Computer ausgeführt werden. Wird dieses Szenario dank Blockchain bald Wirklichkeit?

Blockchain ist vor allem als dezentrale Datenbanktechnologie der digitalen Währung Bitcoin bekannt. Es gibt jedoch weitere Anwendungsbereiche, in denen Daten sicher übertragen werden müssen: Bezahlprozesse, Wahlvorgänge, Vertragsabwicklungen, digitale Dokumentunterzeichnungen, verifizierbare Prüfprotokolle sowie die Registrierung digitaler Vermögenswerte wie Aktien, Anleihen und Immobilien. Vor allem in der transaktionsbasierten Finanzbranche sind die Möglichkeiten vielfältig. Doch Blockchain ist für jede Branche relevant.

In bestimmten Branchen könnte die Technologie sogar neue Geschäftsmodelle schaffen, indem sie das Wachstum sogenannter Dezentralisierter Autonomer Organisationen (DAO) fördert. DAO sind virtuelle Organisationen, die mithilfe von Computerprogrammen gesteuert werden. Verträge werden automatisch ausgeführt und zum Beispiel Geld oder sonstige Vermögenswerte übertragen.

Im ersten Quartal 2016 wurden 1,1 Mrd. US-Dollar an Beteiligungskapital in Bitcoin und Blockchain-Start-ups investiert, berichtet die auf digitale Währungen spezialisierte Nachrichtenseite CoinDesk in ihrem ersten Q1 2016 State of Blockchain-Bericht.

„Blockchain ist die zweite Generation des Internets“, sagt Alex Tapscott, CEO der Beratungsfirma Northwest Passage Ventures und Ko-Autor des Buchs Blockchain Revolution. „Die Technologie wird großen Einfluss nicht nur auf die Finanzbranche, sondern auf die gesamte Geschäftswelt und die Gesellschaft im Allgemeinen haben. Zum ersten Mal in der Geschichte müssen sich Parteien weder kennen noch vertrauen, um miteinander Geschäfte zu machen.“

Automatisierte Prozesse

Mit künstlicher Intelligenz könnten Finanzteams in Zukunft dezentrale Datenbanken nutzen, um eine Reihe von Prozessen zu automatisieren: von Zahlungen über Devisengeschäfte bis hin zu Steuererklärungen. Um noch effizienter zu werden, könnten Finanzabteilungen einen Teil ihrer Routineaufgaben – wenn nicht sogar alle – an DAO auslagern.

In der Zukunft wird jedes Unternehmen eine Blockchain-Strategie brauchen.
Alex Tapscott,
CEO der Beratungsfirma Northwest Passage Ventures und Ko-Autor des Buchs Blockchain Revolution

Da die in dezentralen Datenbanken gespeicherten Daten von mehreren Parteien authentifiziert und laufend aktualisiert werden, können Finanzteams Berichte in Echtzeit an die Unternehmensführung und an externe Prüfer liefern. Gleichzeitig wird auch die Zusammenarbeit mit Steuerbehörden effizienter.

Folgen für die Wirtschaftsprüfung

Blockchain kann demnach starken Einfluss auf Unternehmensprüfungen haben. Alex Tapscott meint dazu: „Wenn in einem Unternehmen jede Transaktion automatisch als unveränderlicher Datensatz in einem dezentralen Register gespeichert wird, … könnte man Wirtschaftsprüfungen in Echtzeit durchführen, da alle Transaktionsdaten an einem Ort festgehalten wurden.“

„Ich kann mir gut vorstellen, dass Echtzeitprüfungen die Zukunft sind“, sagt Zukunftsforscher Rohit Talwar, Ko-Autor von The Future of Business. „Wirtschaftsprüfer werden Blockchain-Module zur Verfügung stellen, ihre Prüfung in Echtzeit durchführen und Auffälligkeiten erkennen. Menschen werden nur bei Bedarf genauer nachsehen, nämlich nur dann, wenn die Software nicht weiterweiß.“ Blockchain könne zudem Stichprobentests überflüssig machen, da jede einzelne Transaktion geprüft werden kann.

Darüber hinaus denkt Talwar, dass Blockchain und künstliche Intelligenz die Prozesse im Rahmen forensischer Prüfungen grundlegend verändern können. Denn „Echtzeitsysteme erkennen Auffälligkeiten und ungewöhnliche Transaktionsmuster sofort“.

Trotz aller Automatisierung wird es weiterhin versierte Prüfer brauchen, die jeweils passende Prüfstrategien in komplexen Systemen entwickeln. Sie müssen entscheiden, wie detailliert geprüft wird, welche Daten gesammelt und welche Analysen durchgeführt werden. Zudem werden Absicherungs- und Verifizierungsprozesse in diesem Zusammenhang eine noch größere Rolle spielen. Sie müssen beispielsweise sicherstellen, dass eine Organisation, die Daten im dezentralen Register speichert, auch tatsächlich existiert und die Transaktion von wirtschaftlicher Bedeutung ist.

„Die Arbeit von Wirtschaftsprüfern umfasst weit mehr, als Zahlen zusammenzurechnen und die Richtigkeit von Ergebnissen zu überwachen“, sagt Nigel Smart, Professor für Informationssicherheit an der Universität Bristol. „Sie prüfen auch Kontrollmechanismen sowie Notfallpläne, -prozesse, -resilienz und -systeme. Dementsprechend werden sie auch kontrollieren müssen, dass das dezentrale Datenbanksystem korrekt funktioniert.“

Zu schön, um wahr zu sein

Blockchain ist in ihrem Grundprinzip sehr sicher, da jede Transaktion digital signiert wird. Die Signatur gewährleistet, dass nur eine bestimmte Partei die Transaktion gespeichert haben kann. Zudem werden die Daten von der Mehrheit der anderen Nutzer validiert. Wird jedoch die Mehrheit der Nutzer des dezentralen Registers korrupt, könnte die Blockchain versagen. Auch Programmierfehler können zum Problem werden, wie eine Schweizer DAO mit dem Namen „The DAO“ feststellen musste, als sie im Juni 2016 virtuelle Währung im Wert von 50 Mio. US-Dollar verlor, nachdem ein Hacker einen Programmierfehler ausgenutzt hatte. Kein System ist fehlerfrei. Das gilt auch für Blockchain.

Prüfer werden kontrollieren müssen, dass das dezentrale Datenbanksystem korrekt funktioniert.
Professor Nigel Smart,
Universität Bristol

Blockchain hat noch weitere bedeutende Schwachstellen. Zum Beispiel ist das System vergleichsweise langsam, verbraucht viel Energie und ist daher nicht nur teuer, sondern auch nicht unbedingt umweltfreundlich. Zudem ist Datenschutz ein relevantes Thema, denn fremde Nutzer müssen Daten sehen können, um sie zu validieren. Hinzu kommen fehlende Branchenstandards und eine begrenzte Skalierbarkeit.

Angesichts der Chancen und Risiken von Blockchain wundert es nicht, dass sich Regierungen, Zentralbanken und Behörden für die Technologie interessieren. Im Juni 2016 gab die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) bekannt, dass sie darüber berät, ob dezentrale Datenbanktechnologien am Wertpapiermarkt genutzt werden sollten.

Der EY-Blockchain-Experte Paul Brody zum aktuellen Stand der Blockchain-Entwicklung: „Für jede Blockchain-Anwendung im Rechnungs- und Berichtswesen von Unternehmen wird es eine behördliche Genehmigung brauchen. Daher wird sich die Technologie nicht so rasch expandieren.“

In nicht regulierten Bereichen verbreite sich Blockchain jedoch rasant, so Brody, „sowohl für allgemeine IT-Zwecke als auch als Tool zur Zusammenführung von Finanzleistungen und Betriebstechnologien. Mit diesen nicht regulierten Anwendungen werden Unternehmen Vertrauen aufbauen, während sie Blockchain Schritt für Schritt auch in ihren Finanzprozessen implementieren.“

Wir stehen noch am Anfang und beginnen gerade erst zu verstehen, was Blockchain für uns tun kann. Das Langzeitpotenzial der Technologie ist zweifellos enorm: „In Zukunft wird jedes Unternehmen eine Blockchain-Strategie brauchen“, prognostiziert Alex Tapscott. „Wir werden ihre Strukturen wie Tätigkeitsfelder vollständig neu denken.“

Fazit

Die Blockchain-Technologie wird Finanztransaktionen und damit die Welt der Unternehmensberichterstattung grundlegend verändern. Welche Folgen wird dies für die Finanzbranche, für Finanzabteilungen und für Prüfgesellschaften haben?

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