FinTechs sind Hauptakteure in Europas Open-API-Wirtschaft
Da die Akzeptanz von FinTechs europaweit gestiegen ist, haben sie an Größe, Umfang und Komplexität zugenommen. FinTechs haben sich von kleinen Rebellen der Branche zu wichtigen und ernst zu nehmenden Konkurrenten entwickelt – oft mit einer europaweiten oder globalen Reichweite. Einige europäische Digitalbanken haben auf regionalen und globalen Märkten erheblich an Zugkraft gewonnen und ziehen seit ihrer Einführung vor wenigen Jahren Millionen Kunden an.
Die etablierten Banken und Versicherer Europas schauen angesichts dieses neuen Wettbewerbs nicht tatenlos zu. In Anerkennung der mächtigen Rolle, die FinTechs bei der Verbesserung des Kundenerlebnisses spielen können, haben sie die Entwicklung ihrer eigenen FinTech-Angebote intensiviert. Sie haben sich außerdem mit FinTechs in Ökosystemen zusammengetan.
Einer der wichtigsten Antriebe für das rasante Wachstum von FinTechs in Europa ist die Verbreitung von Banking 4.0, das gemäß der überarbeiteten Zahlungsdiensterichtlinie der Europäischen Union, bekannt als PSD 2, vorgeschrieben ist. Durch die Richtlinie sind Banken verpflichtet, Open API (Application Programming Interface), also offene Schnittstellen zur Programmierung von Anwendungen, einzurichten. Damit können Kunden ihre Daten nahtlos mit Drittanbietern, einschließlich FinTechs, austauschen, die ihnen möglicherweise bessere und kostengünstigere Dienstleistungen anbieten können. Mit der Zustimmung des Kunden können FinTechs und andere lizenzierte Akteure auf Kontodaten zugreifen und Zahlungen veranlassen. In der Umfrage gaben 46 Prozent der FinTech-Anwender an, dass sie bereit wären, ihre Bankdaten mit anderen Organisationen im Austausch für bessere Angebote zu teilen.
PSD 2 hat den Innovationstrieb in der gesamten europäischen Finanzlandschaft befeuert und den Aufstieg sogenannter Super-Apps vorangetrieben, die Versicherungen, Vermögensverwaltung und Banking auf einer Plattform kombinieren können. FinTechs können hinter den Kulissen eine entscheidende Rolle für die Funktionalität der Super-Apps spielen, indem sie die API-Integration und Datenaggregation zwischen Banken und Drittanbietern erleichtern.
Finanzunternehmen schließen sich in Ökosystemen zusammen
Da FinTechs weiter Einfluss auf die Finanzindustrie in Europa nehmen werden, erwarten wir, dass Anbieter aller Größenordnungen zu Ökosystemen verschmelzen. Die Digitalbanken, Aggregatoren und Finanzmanagement-Apps bieten inzwischen vermehrt Marktplatzmodelle an, über die Kunden – sowohl Verbraucher als auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – Zugang zu Drittanbietern von Krediten, Investments, Versicherungen, Hypotheken, Finanzierungen, Renten und mehr erhalten.
Für Teilnehmer an europäischen Finanzökosystemen sehen wir zwei wichtige Geschäftsmodelle:
- Produktspezialist: In diesem Modell nutzt eine Bank, ein Versicherer oder ein Asset-Manager Daten und Analysen, manchmal auch von anderen Teilnehmern des Ökosystems, um gezielt Produkte an Verbraucher zu vermarkten.
- B2B-Anbieter: Einige FinTechs sind auf die schnelle Entwicklung neuer Produkte mithilfe digitaler Technik spezialisiert, die sie manchmal binnen weniger Wochen auf den Markt bringen, aber nicht direkt an die Verbraucher verkaufen. Sie setzen bei der Vermarktung ihrer Produkte auf andere Akteure im Ökosystem, häufig auf etablierte Banken und Versicherer. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Banking as a Service und Insurance as a Service.
Integrieren etablierte Unternehmen und FinTechs diese beiden Geschäftsmodelle in ein florierendes Ökosystem, können sie effizient Produkte entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Verbrauchern und KMU ausgerichtet sind. Mit Open API können Banken und Versicherer Ökosystem-Plattformen nutzen, um ihren Kunden nahtlos Zugang zu Dienstleistungen anderer Anbieter zu verschaffen. Damit erweitern sie ihr Angebot und behalten gleichzeitig die primäre Kontrolle über die Kundenbeziehung. FinTechs, die eine beträchtliche Anzahl von Kunden gewinnen konnten, nutzen diese wiederum, um weitere Anbieter für ihre Ökosysteme zu gewinnen.
Big-Tech-Akteure wollen ein Stück vom Kuchen
Etablierte Finanzakteure und erfolgreiche FinTechs sind allerdings nicht die einzigen, die ein Stück des aufblühenden europäischen Ökosystems erhaschen möchten. Marktplätze des Online-Einzelhandels, die über große Erfahrung in der Sammlung und Analyse von Kundendaten verfügen, haben sich ins Getümmel geworfen. Beispielsweise kann ein Einzelhandelsmarktplatz nicht nur eine Plattform für Online-Zahlungen bieten, sondern auch Finanzierungen für Händler und Verbraucher. Zudem können Basis-Versicherungsprodukte wie Garantien für Geräte und andere Produkte angeboten werden.
Die Umfrage zeigt, dass europäische Verbraucher für die Idee empfänglich sind, dass nichtfinanzielle Akteure Finanzprodukte anbieten. So sind beispielsweise 47 Prozent der irischen Verbraucher bereit, eine Partnerschaft zwischen einem Finanzinstitut und einem Nicht-Finanzdienstleistungsunternehmen in Betracht zu ziehen, damit dieses Dienstleistungen wie Bankgeschäfte, Kreditaufnahmen, Zahlungen, Versicherungen und Investitionen erbringen kann.
Das zweiseitige Ökosystem ist ein Ansatz, den die Finanzunternehmen in Europa zunehmend verfolgen. Im Einzelhandel verbindet es Produkte und Dienstleistungen für Händler und Verbraucher. Im Bankwesen dient ein zweiseitiges System sowohl den Kapitalgebern als auch den Kapitalnutzern.
Im Umfeld offener Programmierschnittstellen werden wahrscheinlich weitere Akteure, die nicht aus dem Finanzsektor sind, versuchen, ihren Platz zu finden und von der Entwicklung zu profitieren. Im Zuge des Wandels der Branchen werden sie finanzielle Komponenten in ihr eigenes Ökosystem integrieren wollen. Die Automobilhersteller wissen zum Beispiel, dass ihr Nutzenversprechen in zehn Jahren dank Entwicklungen wie Elektromobilität, autonomem Fahren und Carsharing gänzlich anders aussehen wird. Diese Unternehmen haben begonnen, Ökosysteme rund um Mobilitätsideen im weiter gefassten Sinne zu schaffen. Dazu gehören Taxibestelldienste, Carsharing, E-Scooter und Reisedienste.
All diese Aktivitäten müssen bezahlt, finanziert und versichert werden. Als Teilhabende des Ökosystems werden Banken, Versicherer und FinTechs einige dieser Dienstleistungen anbieten können, sofern sie über die entsprechenden APIs verfügen, aber sie werden keine Kontrolle über die Kundenschnittstelle haben; die liegt bei den Autoherstellern und Einzelhändlern.
Die Zukunft wird Europa mehr disruptiven Wandel durch FinTechs bringen
Mit Blick auf die Zukunft erwarten wir, dass FinTechs die europäische Finanzlandschaft weiterhin herausfordern und beeinflussen werden. Nur wenige dürften jedoch die Masse der größten Akteure erreichen. In einer fließenden Open-API-Wirtschaft ist es eine Herausforderung, eine große Anzahl Kunden zu gewinnen und zu halten. Einige FinTechs werden versuchen, bestimmte Größenordnungen zu erreichen, indem sie Partnerschaften bilden oder fusionieren. Dieser Trend hat bereits begonnen. Viele FinTechs, die als B2C-Aufrührer beginnen, werden sich wahrscheinlich zu B2B-Akteuren entwickeln und sich als Anbieter von Dienstleistungen für größere Teilnehmer des Ökosystems neu positionieren.
Diese B2B-FinTechs werden eine entscheidende Rolle beim digitalen Wandel spielen, weil sie den langsameren, etablierten Unternehmen hochmoderne Dienstleistungen anbieten. Allein in Deutschland bestehen bereits mehr als 500 Partnerschaftsabkommen zwischen FinTechs und etablierten Unternehmen, europaweit sind es Tausende – Tendenz steigend. Damit etablierte Banken und Versicherer für ihre Kunden relevant bleiben, müssen sie schnell und kontinuierlich innovativ sein. Dafür brauchen sie FinTechs.
Erfahren Sie mehr zum Thema im Video von Christopher Schmitz, EY EMEIA Fintech Leader.