6 Minuten Lesezeit 28 September 2018
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Der Interbankenzins IBOR wird abgeschafft: Zehn Dinge, die Sie wissen sollten

Die bevorstehende Abschaffung des Interbankenzinses IBOR – kurz für Interbank Offered Rate – bedeutet große Veränderungen für Finanzdienstleister, aber nur wenige von ihnen sind darauf vorbereitet.

Mehr als 40 Jahre lang gehörten IBORs, insbesondere der Londoner LIBOR, zum Tagesgeschäft globaler Finanzmärkte. Sie setzten die Benchmark, um Raten für unbesicherte Finanzierungen festzulegen, und schufen damit eine wichtige Grundlage für den weltweiten Handel mit Finanzprodukten: von Anleihen und Krediten über Derivate bis hin zu hypothekenbesicherten Wertpapieren.

Aber dieses vertraute System wird nun von Grund auf verändert.

Eine Serie von Skandalen besiegelte das Schicksal der einst so bedeutenden IBORs. 2012 wurden mehrere Banken beschuldigt, während der Finanzkrise ihre IBOR-Angaben manipuliert zu haben. Infolgedessen übertrug die britische Finanzaufsichtsbehörde die Kontrolle über die Referenzzinsen an die von ihr beaufsichtigte Intercontinental Exchange Benchmark Administration (IBA).

Obwohl die IBA versuchte, den IBOR zu stärken, verlor er wegen des rückgängigen Geschäfts mit unbesicherten Verbindlichkeiten an Bedeutung. Der 3-Monats-LIBOR auf Dollarbasis, der am häufigsten verwendet wird, beruht auf Transaktionen im Wert von weniger als einer Milliarde Dollar pro Tag.

Bis Ende 2021 planen sowohl Großbritannien als auch die USA ein Ende des IBOR zugunsten neuer Benchmarks, der sogenannten alternativen Referenzzinssätze (ARRs). Zahlreiche Länder wollen sich ihnen anschließen.

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Kapitel 1

Wie die IBOR-Abschaffung die globalen Finanzmärkte verändern wird

Obwohl IBORs und ARRs sich unterscheiden, werden auch nach 2021 Verbindlichkeiten und Derivate weiterhin den IBOR abbilden, und das in Höhe mehrerer Billionen Dollar.

Der Wechsel von IBORs zu ARRs bringt für die globalen Finanzmärkte zwei entscheidende Konsequenzen mit sich:

  • Altverträge werden zu einer Herausforderung. Denn auch wenn Unternehmen den IBOR nun nicht mehr verwenden, werden auch nach dessen Ende im Jahr 2021 Verbindlichkeiten und Derivate weiterhin den IBOR abbilden, und das in Höhe mehrerer Billiarden Dollar.
  • ARRs und IBORs unterscheiden sich grundlegend voneinander. Kein ARR entspricht einem IBOR, denn sie sind unterschiedlich strukturiert. IBORs stützen unbesicherte und ungedeckte Kredite und basieren überwiegend auf Einschätzungen von Experten, während ARRs sich auf tatsächliche Transaktionen und Besicherungen stützen.

Diese Unterschiede werden mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich durch ARRs Risikoprofile und Bewertungen für Finanzaufträge in Billionenhöhe ändern. Um diesen Unsicherheiten entgegenzuwirken, sollten Unternehmen bereits vor der Umstellung angemessene Margen für ARRs kalkulieren. Das erfordert eine Neujustierung zahlreicher Finanz- und Risikomodelle.

Die Umstellung erfordert große Anstrengungen und bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich, sowohl für Finanzdienstleister als auch für Marktteilnehmer mit umfangreicher Erfahrung.

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Kapitel 2

Die Herausforderungen der IBOR-Umstellung

Vieles bleibt unklar, aber untätige Stakeholder riskieren, dass sich die Probleme für Unternehmen zuspitzen, wenn sie auf ARRs umstellen.

Unzureichende Vorbereitungen könnten dazu führen, dass die Schwankungen am Markt stärker ausfallen. EY hat für sie die zehn kritischsten Punkte bei der AAR-Umstellung herausgearbeitet:

1. Regulatorische Unsicherheiten

Regulierungsbehörden sehen den Wechsel als freiwillige Initiative, die aus der Branche heraus entstanden ist. Das Fehlen verlässlicher Regelungen könnten die Umsetzung verlangsamen, da Banken sich entscheiden könnten, erst einmal abzuwarten. Dieses Abwarten könnte dazu führen, dass noch mehr Bestandsverträge aufgebaut werden und die Umstellung noch komplexer wird.

2. Upgrades bei Prozessen und Technologie

IBOR ist in Prozesse von Unternehmen ebenso eingebettet wie in Preis- und Risikomodelle, Datenmodelle und Anwendungen. Unternehmen sollten diese Referenzierungen identifizieren und herausfinden, welche möglichen Folgen die Umstellung für sie haben wird. Beispielsweise basieren sogenannte FTP-Prozesse zur Festsetzung von Geldtransferpreisen auf dem LIBOR.

3. Neuausrichtung von Modellen

IBORs sind Näherungswerte für allgemeine Zinssatzrisiken und dienen als Abzinsungsfaktor bei Bewertungen sowie für Finanz- und Risikomodelle. Nach der Umstellung auf ARR werden viele dieser Modelle grundlegend überarbeitet und neu bewertet werden müssen. Zusätzliche Risiken ergeben sich daraus, dass die Umstellung weder chronologisch noch gleichzeitig für alle Produkte und Verträge stattfindet.

4. Mangelnde Liquidität

Meilensteine bei den Umstellungsplänen werden Markteinführung und Liquidität in ARR-Derivaten sein. Da die Umstellung bei Cash-Produkten vermutlich länger dauern wird als bei Derivaten, wird auch die Nachfrage nach ARR-Derivaten, die mögliche Zinsrisiken von Krediten und anderen Cash-Produkten absichern sollen, auf sich warten lassen. Ein weiterer Dämpfer für die Nachfrage könnte sein, dass ARRs derzeit noch nicht als geeignete Benchmark für Sicherheitsgeschäfte gelten.

5. Nachverhandlung bestehender Verträge

Die Umstellung könnte Nachverhandlungen von Langzeitverträgen notwendig machen. Während es bei Derivaten meist Standardverträge gibt, die aktualisiert werden könnten, sind Cash-Produkte für Unternehmens- oder Privatkunden wenig standardisiert. Darüber hinaus benötigen Verträge Ausweichformulierungen, um die Risiken der IBOR-Abschaffung einzubeziehen.

6. Schlichtungsverfahren

Die Umstellung auf ARR könnte es auch notwendig machen, Margen neu zu verhandeln, beispielsweise Kreditaufschläge oder Laufzeitprämien. Entwickeln Banken eigene Ansätze zur Neuberechnung von Margen für Instrumente mit variablen Zinssätzen, könnte sich die Umstellung für ihre Geschäftspartner negativ auswirken – das wiederum könnte Rechtsstreitigkeiten und Rufschädigungen nach sich ziehen.

7. Mangelnde globale Koordination

Während IBORs ähnliche Zinssätze für beide Schritte von Devisenswaps anlegen, nutzen ARRs für jeden Schritt einen anderen Referenzzinssatz. Dies könnte in währungsübergreifenden Swap-Märkten eine Vielzahl an Herausforderungen mit sich bringen. Hinzu kommt die fehlende zeitliche Abstimmung bei der Umstellung oder bei der Veröffentlichung täglicher ARRs für die wichtigsten Währungen.

8. Neue Rechnungslegungsvorschriften 

Das Financial Accounting Standards Board (FASB) erließ kürzlich neue Regelungen für Derivate und Sicherungsgeschäfte. Zudem machte es Vorschläge für Ergänzungen zu ASC 815, die als neue Benchmark den Zinssatz SOFR vorsehen. Ähnliche Regelungen wird es auch in anderen Ländern brauchen. Banken werden sicherstellen müssen, dass ARR-basierte Instrumente, Verträge und Derivate, die IBOR-basierte Verträge ersetzen sollen, in den Rechnungslegungsvorschriften als geeignete Absicherung anerkannt werden.

9. Fehlen festgelegter Zinssätze

Die meisten ARRs werden anfangs nur Übernachtzinssätze sein. Das bedeutet, dass Zinssätze mit Transaktionen im Derivativmarkt abgeglichen werden müssen. Damit der Wechsel für Cash-Produkte zeitgerecht und reibungslos vonstattengeht, muss die Festlegung von ARR-Zinssätzen beschleunigt werden.

10. Unsichere Zukunft

Einige Aufsichtsbehörden, Zinssatzverwalter und Marktteilnehmer haben angedeutet, der IBOR könne auch über 2021 hinaus für ausgewählte Währungen und Laufzeiten angewendet werden. Dieser Mangel an Klarheit ist ein entscheidendes Hindernis für die schnelle Umstellung und könnte durch unterschiedliche Referenzsätze sogar zu einer Fragmentierung der Liquidität bei Derivaten führen.

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Kapitel 3

So bereiten Sie sich auf die Umstellung vor

Auch wenn viele Unternehmen über die Auswirkungen der IBOR-Umstellung besorgt sind, haben nur wenige damit begonnen, sich auf das Jahr 2021 vorzubereiten.

IBORs sind an den Finanzmärkten weit verbreitet, die Umstellung auf ARR stellt darum einen bedeutenden unternehmensweiten Wandel dar. 2021 mag weit entfernt scheinen, aber Banken sollten jetzt mit der Umstellung beginnen und das Thema weit oben auf die Agenda von Geschäftsführung und Aufsichtsräten setzen.

Bislang sieht es so aus, dass viele Betroffene nicht ausreichend vorbereitet sind und die für eine derart komplexe Umstellung notwendigen Planungen noch nicht angelaufen sind.

In einer weltweiten Umfrage der International Swaps and Derivates Association (ISDA) vom Juni 2018 gaben 87 Prozent der Befragten an, dass ihnen die Abhängigkeit ihres Unternehmens vom IBOR Sorgen bereite. Aber nur elf Prozent gaben an, bereits Budgets für die Umstellung bereitgestellt zu haben; nur zwölf Prozent arbeiteten bereits an ersten Umsetzungsplänen. Diese Strategie des Abwartens birgt große Risiken.

Ob Unternehmen diesen Meilenstein erreichen, wird stark davon abhängen, wie gut sie sich im Vorfeld vorbereiten.

Um Sie bei der Vorbereitung auf die Nach-IBOR-Welt zu unterstützen, haben wir sieben Schritte erarbeitet, die dabei helfen, den Übergang reibungsloser zu gestalten.

Fazit

Der IBOR wird 2021 abgeschafft und macht Platz für die ARRs. Viele Stakeholder sind darauf noch nicht vorbereitet und sollten sobald wie möglich damit beginnen, Vorbereitungen für die Umstellung zu treffen.