13 Minuten Lesezeit 22 Jänner 2020
Antikes Gebäude

Die Neuerfindung des öffentlichen Sektors?

Autoren
Christoph Harreither

Partner, Wirtschaftsprüfer und Leiter Government & Public Sektor | Österreich

Hat sich beruflich dem öffentlichen Sektor verschrieben. Stellt sich privat anderen Herausforderungen: Ultramarathons durch die entlegensten Gebiete der Erde – von der Wüste Gobi bis zur Antarktis.

Christian Horak

Partner, Government and Public Services, Strategy and Transactions, EY-Parthenon | Österreich

Ist seit über 25 Jahren mit Leib und Seele Unternehmensberater und hat sich ganz der Arbeit mit gemeinnützigen und öffentlichen Organisationen verschrieben.

13 Minuten Lesezeit 22 Jänner 2020

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Der große Umbruch hat auch den öffentlichen Sektor voll erfasst. Die politischen Entwicklungen sind heute weniger kalkulierbar denn je. Das zeigen nicht zuletzt die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten oder der „Brexit“.

Mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union muss sich das Wirtschaftsgefüge im Wirtschaftsraum neu ordnen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten und deren exportorientierte Unternehmen blicken mit Argusaugen auf die Fortschritte der hochkomplexen Verhandlungen. In Österreich bedeutet der Ausgang der Nationalratswahl eine Neuvermessung des öffentlichen Sektors und der Verwaltung. Zusätzlich zu politischen Weichenstellungen ziehen Digitalisierung, Effizienzdruck, verändertes Bürgerverhalten in Richtung Open Government oder neue Arbeitswelten die Notwendigkeit eines strukturellen und technologischen Wandels nach sich.

Effizienzdruck wächst: „Einfacher – schneller – besser“

Der Druck auf die öffentliche Hand, Effizienz zu steigern und Ausgaben zu reduzieren, ist größer als je zuvor. Der öffentliche Sektor muss gleichzeitig dem Imperativ „Einfacher – schneller – besser“ folgen und seine Leistungen in unverminderter Qualität erbringen. Besonders deutlich zeigt sich dieser schwierige Spagat beim Thema Pensionen: In vielen Ländern sinken die staatlichen Einnahmen, während gleichzeitig die Bevölkerung altert und das Pensionssystem ins Wanken bringt.

In Österreich muss der Staat jährlich für mehr als ein Fünftel der Pensionszahlungen aufkommen. 2016 betrugen die Gesamtaufwendungen der Pensionsversicherungen fast 41 Milliarden Euro. Pensionsversicherte leisteten dafür einen Beitrag von 32 Milliarden Euro, die Differenz von rund 9 Milliarden Euro deckte der österreichische Staat ab – mit Steuergeldern. Die Alterung der Gesellschaft wird zur Belastungsprobe: Während 1975 auf 1.000 aktive Beitragszahler erst 504 Pensionisten fielen, waren es 2016 schon 597. Weitere Steuererhöhungen sind kaum zu rechtfertigen. Österreich liegt bei der Steuer- und Abgabenlast auf Arbeitseinkommen schon jetzt im Spitzenfeld der OECD-Länder, eine Abgabenquote von 47,1 Prozent für alleinstehende Durchschnittsverdiener bedeutete 2016 Rang sechs. Statt der Einnahmen- rückt daher die Ausgabenseite in den Fokus: Effizienzsteigerungen sind überlebenswichtig für das System. Dafür braucht es neue Parameter in der politischen Steuerung. Die Implementierung der Wirkungsorientierung ist dabei einer der umfangreichsten Change-Prozesse. Mit dem wirkungsorientierten Management ändern sich die Steuermittel: weg von der Ressourcensteuerung, hin zu einer stärkeren Orientierung an vorgegebenen Ergebnissen.

Strukturtransformationen und Verwaltungsreformen stehen schon heute auf der Tagesordnung. Die Schwerpunkte heißen Verwaltungsinnovation oder Qualitäts- und Wissensmanagement. Insbesondere dadurch soll es gelingen, den öffentlichen Sektor weiterzuentwickeln. Auch Verwaltungswettbewerbe und der Austausch von Best Practices tragen dazu bei. Um diesen Prozess zu beschleunigen, müssen neue, bahnbrechende Technologien wie Blockchain, Automatisierung von Prozessen oder der Einsatz von Robotics angenommen und implementiert werden.

Digitale Verwaltung – zwischen Robotics und Cyberrisiken

Der Metatrend Digitalisierung – Stichworte Big Data, E-Government – durchdringt den gesamten öffentlichen Sektor.Die Nutzung digitaler Technologien zur Vereinfachung und Automatisierung von Verwaltungsprozessen bietet bisher ungeahnte Möglichkeiten. Österreich gehört bei diesen Entwicklungen zu den Vorreitern: Im Digitalisierungsindex 2017 der EU-Kommission belegt Österreich im Bereich E-Government den fünften Platz unter 28 EU-Ländern. Gerade im Vergleich zu den skandinavischen und baltischen Ländern gibt es aber noch Luft nach oben. Spielentscheidend wird sein, ob die Digitalisierung auf der Ebene der Services verharrt oder ob die heimischen Verwaltungseinrichtungen nachhaltige Digitalisierungsstrategien entwickeln und umsetzen können. Momentan hat nur jede dritte Einrichtung einen solchen „Masterplan“, wie die von Contrast EY, der Strategieberatungsmarke von EY Österreich, erstellte Studie „Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung in Österreich 2017“ zeigt.

Speziell durch Robotics, also den Einsatz künstlicher Intelligenz, können Prozesse bei zentralen Tätigkeiten wie Personalverwaltung, Finanzverwaltung, IT und Beschaffung automatisiert und damit effizienter als bisher gestaltet werden. Fördervergabe, Schulplatzzuteilung, Einhaltung von Baustandards, Passanträge, Immigrationsanträge, Steuerrückzahlungen und Gewerbeanmeldungen sind nur einige Prozesse, die durch Robotics vereinfacht werden könnten. Die Kehrseite der Medaille: Die Einsparungsmaßnahmen durch Robotics können den Verlust von Arbeitsplätzen nach sich ziehen. Das macht rechtzeitiges Gegensteuern, zum Beispiel durch Umschulungen der betroffenen Mitarbeiter, notwendig.

Neben den vielen positiven Aspekten gewinnen bei zunehmender Vernetzung auch Risiken wie Cyberattacken oder Datendiebstahl an Bedeutung. Gerade bei hochsensiblen öffentlichen Daten muss die Datensicherheit jederzeit gewährleistet sein. Gezielte Cyberangriffe auf die Infrastruktur globaler Städte sind längst Realität – eine Erweiterung der Abhängigkeit von digital gesteuerten Elementen zum Erhalt der Infrastruktur könnte demnach weitreichende Folgen heben. Mit der im Mai 2018 europaweit in Kraft tretenden Datenschutz-Grundverordnung erhöhen sich Anforderungen und finanzielle Risiken. Bei Verfehlungen im Datenschutz kann die Behörde drastische Bußgelder verhängen, die in Millionenhöhe gehen können. Die öffentliche Verwaltung muss technisch aufrüsten und vor allem die eigenen Mitarbeiter schulen und sensibilisieren, um gegen Cyberangriffe und Datendiebstahl bestehen zu können.

Smart Cities: Wie klug ist die Infrastruktur von morgen?

Die Modernisierung der Infrastruktur ist eine Top-Priorität für die öffentliche Verwaltung. Die Kluft zwischen tatsächlichen und benötigten Investitionen in die Infrastruktur liegt weltweit jährlich bei rund einer Trillion Dollar. Diese Lücke gilt es zu schließen. Die Vorzeichen sind vielversprechend: Das anhaltende Niedrigzinsumfeld befeuert Investitionen. Die Erneuerung von Straßen, Schienen, Brücken oder Flughäfen schafft Jobs und hat den Vorteil einer langfristig enger verbundenen Wirtschaft. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur wird entscheidend für den Wohlstand in Österreich sein. Die EU-Kommission bescheinigt Österreich in ihrem Digitalisierungsindex 2017 Aufholbedarf bei der Digitalisierung, im Europavergleich rangiert Österreich auf dem zehnten Platz.

Der Bereich Infrastruktur wird bereits jetzt stark vom technologischen Wandel beeinflusst. „Smart Cities“ fasst als Modewort zusammen, was unser Zusammenleben in der Zukunft nachhaltig verändern wird. Die intelligente, vernetzte Stadt zielt darauf ab, das Leben der Bewohner effizienter, komfortabler und umweltfreundlicher zu gestalten. Dazu zählen beispielsweise der effiziente Einsatz von Ressourcen und Energie durch die Implementierung von Smart Metering oder der Versuch, Energie aus U-Bahn-Bremskraft zu gewinnen. In vielen Städten wurden bereits Pilotprojekte gestartet. Sie verdeutlichen, wie vielfältig die Chancen einer Smart City sind: Mülltonnen senden Signale, sobald sie entleert werden müssen. Die Bezahlung läuft bargeldlos über Gesichtserkennung. Smarte Straßenlaternen finden freie Parkplätze und lotsen Autofahrer dorthin. Was noch vor wenigen Jahren Science Fiction war, wird heute bereits in Smart Cities umgesetzt. EY ist Mitglied des Smart Cities Council (SCC), des weltgrößten Smart-City-Netzwerks, und unterstützt Regierungen bzw. die öffentliche Hand bei der Weiterentwicklung intelligenter Städte.

Open Government: vom Bürger zum Mitentscheider

All diese Veränderungen brauchen neue Entscheidungsstrukturen. Die Integration von Bürgern in Modernisierungsprozesse ist ein wesentlicher Bestandteil der Verwaltungsinnovation. Unter dem Schlagwort „Open Government“ öffnen sich Regierungen und Verwaltungen gegenüber der Bevölkerung und der Wirtschaft. Durch die Bereitstellung von Daten – Open Data – wird Transparenz gefördert, durch elektronische Teilhabeverfahren die Bürgerbeteiligung gestärkt und so eine stärkere gesellschaftliche Zusammenarbeit forciert. Damit sollen insbesondere die Akzeptanz von und das Vertrauen in politische Maßnahmen gefördert werden. Nicht wenige sehen in Open Government ein Werkzeug für Verwaltungsreform – eine in Österreich schon lange unerfüllte Forderung.

Zudem fördert Open Government die Bürgerbeteiligung. Die Partizipation von Bürgern gewinnt gerade im Kontext von Innovation zunehmend an Bedeutung. International wurden bereits zahlreiche erfolgreiche Pilotprojekte gestartet, in Österreich zum Beispiel GovLab, ein Kooperationsprojekt vom Bundeskanzleramt Österreich und der Donau-Universität Krems: Das Innovationslabor soll es ermöglichen, zentrale Herausforderungen des öffentlichen Sektors in einem offenen und interdisziplinären Experimentierraum zu diskutieren und organisationsübergreifende Lösungsansätze unter Einbindung der jeweils relevanten Stakeholder zu erarbeiten. Auf der ganzen Welt müssen sich politische Entscheidungsträger und Verwaltungsbehörden daher immer öfter die Frage stellen: Wie lässt sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Politik bzw. Verwaltung und Zivilgesellschaft erreichen und wie verhindere ich Missbrauch?

Arbeitswelt im Wandel: Beamte 2.0?

Auch die Erwartungen an die öffentliche Hand als Arbeitgeber wandeln sich. Die Arbeitswelt muss sich nach den Prioritäten der Generationen Y und Z ausrichten. Wer als Arbeitgeber attraktiv sein will, muss autonom gestaltbare Arbeitszeiten, flexible Arbeitsplätze, klare Aufstiegsmöglichkeiten oder ein internationales Umfeld bieten. Der öffentliche Dienst wird nur selten mit diesen Attributen assoziiert. Dort erwarten sich Bewerber vor allem Jobsicherheit, wie jährlich durchgeführte Umfragen zur Attraktivität von Arbeitgebern in Österreich bescheinigen. Dieser Vorteil droht in Zeiten von Effizienzdruck und Digitalisierung von Prozessen abhandenzukommen. Um im Wettstreit um die besten Köpfe nicht auf verlorenem Posten zu stehen, wird kein Weg an einer Reform der Arbeitszeit- und Dienstregelungen im öffentlichen Dienst vorbeiführen.

Fazit

Der disruptive Wandel macht auch vor der Politik und dem öffentlichen Sektor keinen Halt. Vom steigenden Effizienzdruck über Smart Cities bis zum „Beamten 2.0“ helfen wir Ihnen dabei, am Puls der Zeit zu bleiben und die aktuellen Trends umsetzbar zu machen.

Über diesen Artikel

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Christoph Harreither

Partner, Wirtschaftsprüfer und Leiter Government & Public Sektor | Österreich

Hat sich beruflich dem öffentlichen Sektor verschrieben. Stellt sich privat anderen Herausforderungen: Ultramarathons durch die entlegensten Gebiete der Erde – von der Wüste Gobi bis zur Antarktis.

Christian Horak

Partner, Government and Public Services, Strategy and Transactions, EY-Parthenon | Österreich

Ist seit über 25 Jahren mit Leib und Seele Unternehmensberater und hat sich ganz der Arbeit mit gemeinnützigen und öffentlichen Organisationen verschrieben.