6 Minuten Lesezeit 11 Juni 2021
Idyllische Landschaft in den Alpen mit blühenden Wiesen im Frühling

Nachhaltige Vergabe: das „grüne“ öffentliche Beschaffungswesen

Das Green Public Procurement als wichtiges Instrument zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen

Die Beschaffung von Leistungen durch öffentliche Auftraggeber hat im Zuge von Vergabeverfahren zu erfolgen. Darunter fallen die Vergabe von öffentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen. Auch das öffentliche Vergabewesen wurde in den letzten Jahren vermehrt zu einem wichtigen Instrument, um dem rasant fortschreitenden Klimawandel entgegenzuwirken. Besonders in puncto Nachhaltigkeit gewinnt das Vergaberecht immer mehr an Bedeutung. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die gesetzlichen Grundlagen sowie über die Implementierung nachhaltiger Elemente in die grüne Vergabepraxis.

Was bedeutet Nachhaltigkeit?

Das Prinzip der Nachhaltigkeit formulierte Hans Carl von Carlowitz bereits vor über 300 Jahren. Aufgrund einer drohenden Holzverknappung in der Waldwirtschaft forderte er damals, dass nur so viele Bäume gefällt werden dürfen, wie in absehbarer Zeit auf natürliche Weise wieder nachwachsen können (Carlowitz, Sylvicultura Oeconomica oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht [1713]). Für den Begriff der Nachhaltigkeit (engl. sustainability) gibt es keine allgemeingültige Definition. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Summe von zahlreichen Definitionsansätzen, die die grundlegenden Elemente der Nachhaltigkeit berücksichtigen. Diese Elemente setzen sich aus ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten zusammen (sog. Drei-Säulen-Modell). Unter Nachhaltigkeit ist demzufolge ein ökologisches und ökonomisches Handeln zu verstehen, das gegenwärtigen und zukünftigen Generationen vergleichbare oder bessere Lebensbedingungen sichern soll (vgl. Aachener Stiftung Kathy Beys, Lexikon der Nachhaltigkeit | Definitionen | Nachhaltigkeit Definition [2015]).

EU Green Deal und nationale Entwicklung im Bereich Nachhaltigkeit

In den letzten Jahren gewann das Thema Nachhaltigkeit auf allen Ebenen an Bedeutung und es entwickelte sich zu einem gemeinsamen politischen Ziel. Insbesondere das öffentliche Beschaffungswesen nimmt im Zuge der Umsetzung dieser Ziele eine zentrale Rolle ein.

Durch den von der Europäischen Kommission 2019 vorgeschlagenen Green Deal soll die Wirtschaft des EU-Binnenmarktes nachhaltig umgestaltet werden. Die Ziele des Green Deal umfassen unter anderem die Reduktion der Treibhausgasemissionen und die Schaffung eines klimaneutralen Europas bis zum Jahr 2050 (vgl. Europäische Kommission, Ein europäischer Grüner Deal | EU-Kommission (europa.eu) [03.05.2021]). Auf EU-Ebene macht die öffentliche Auftragsvergabe jährlich rund 14 Prozent des BIP aus, weshalb das öffentliche Auftragswesen ein wichtiges Instrument für die Umgestaltung in Richtung Nachhaltigkeit ist (vgl. Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Aktionsplan nachhaltige öffentliche Beschaffung – Jahresbericht 2019/2020, 19).

Auch in Österreich wird das öffentliche Beschaffungswesen als wichtiges Instrument für eine nachhaltige Entwicklung herangezogen. Die österreichische Bundesregierung hat in ihrem aktuellen Regierungsprogramm 2020–2024 das Thema der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung stark hervorgehoben und sich damit für mehr Nachhaltigkeit im Vergaberecht ausgesprochen (vgl. Regierungsprogramm 2020–2024 der Republik Österreich „Aus Verantwortung für Österreich“). „Nachhaltige und innovationsfreundliche Beschaffung“ soll laut Regierungsprogramm zum Standard etabliert werden. Dabei wird ausgeführt, dass „die Bundesregierung das Vergaberecht als wichtiges Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels“ nutzt und dass dazu „das Bestbieterprinzip um verbindliche ökologische Kriterien für die angebotenen Produkte und Dienstleistungen zu erweitern“ ist. Weiters wird die Überarbeitung und Aktualisierung des Aktionsplans für nachhaltige öffentliche Beschaffung“, dessen Anwendung für Beschaffungsvorgänge verbindlich ist, angeführt. Ein Nebeneffekt der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung ist die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand, um auch die Gesellschaft zu einem nachhaltigeren Lebensstil anzuregen.

Green Public Procurement (GPP) – Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung

Neben den im Vergaberecht allgemein geltenden Grundsätzen (z. B. Bietergleichbehandlung, Nichtdiskriminierung) gilt im Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018) auch der Grundsatz der Umweltgerechtheit. Dieser in § 20 Abs. 5 BVergG 2018 normierte Grundsatz für die ökologische Beschaffung führt im Vergabefahren zu einer verpflichtenden Bedachtnahme auf die „Umweltgerechtheit der Leistung“. Dem Grundsatz der Umweltgerechtheit kann nach § 20 Abs. 5 BVergG 2018 durch die Berücksichtigung ökologischer Aspekte bei der Beschreibung der Leistung“, durch die „Festlegung der technischen Spezifikationen“, die „Festlegung konkreter Zuschlagskriterien“ oder die „Festlegung von Bedingungen im Leistungsvertrag“ in den Vergabeunterlagen entsprochen werden. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Bestimmung einen horizontalen Ansatz, wodurch dem öffentlichen Auftraggeber eine Berücksichtigung der nachhaltigen Aspekte in den unterschiedlichen Vergabephasen ermöglicht wird (vgl. Heid/Hofbauer, Die Nachhaltigkeit in der öffentlichen Vergabe: Das Green Public Procurement, RPA 2021, 7). Der EuGH entwickelte in seiner Rechtsprechung vier Nachhaltigkeitskriterien, damit das Streben nach einem nachhaltigen Vergabewesen nicht zu einer Minderung der anderen gesetzlichen Vergabebestimmungen führt. Dabei definiert er verpflichtend einzuhaltende Regeln für öffentliche Auftraggeber: Die Kriterien der Nachhaltigkeit müssen erstens mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen, dürfen zweitens dem öffentlichen Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen, müssen drittens hinreichend bekannt gemacht werden und haben viertens alle wesentlichen Grundsätze des Unionsrechts zu beachten (vgl. EuGH 17.09.2002, C-513/99 Concordia Bus Finnland).

In der „grünen“ Vergabepraxis kann die Berücksichtigung der Umweltgerechtheit an mehreren Stellen erfolgen. Die dafür verfügbaren Steuerungsinstrumente sind die Beschreibung der Leistung, die Festlegung von technischen Spezifikationen, Eignungs- und Auswahlkriterien, die Festlegung konkreter Zuschlagskriterien und Auflagen für die Auftragsausführung.

Die Nachhaltigkeitskriterien können laut den Erläuterungen zu § 20 Abs. 5 BVergG 2018 am besten in den Leistungsanforderungen beschrieben werden (vgl. ErlRV 69 BlgNr 26. GP, 53). Um eine nachhaltige Vergabe zu gewährleisten, muss ein nachhaltiger Leistungsgegenstand ausgeschrieben werden. Dementsprechend liegt die größte Verantwortung für eine nachhaltige Vergabe beim Auftraggeber. Die Nachhaltigkeitsanforderungen müssen sich dabei immer auf die zu erbringende Leistung beziehen und überprüft werden können. Ist eine Überprüfung nicht möglich, ist eine ausschreibungskonforme Angebotslegung und eine nachfolgende Erbringung der Leistung nicht nachvollziehbar (vgl. Arztmann/Reisner, Green Public Procurement. Nachhaltigkeit in der Vergabe, NR 2021, 46). Die Überprüfbarkeit kann durch eine Spezifikation der Leistung gewährleistet werden, indem der Auftraggeber auf umweltbezogene technische Normen und Gütezeichen zurückgreift (vgl. Heid/Kurz in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergabrecht4 [2015], Rz. 1198). Der Umstand, dass nur ein Marktteilnehmer die an die Leistung geknüpften Anforderungen der Nachhaltigkeit erfüllen kann, schadet nicht, wenn die Anforderungen sachlich begründet werden, dem Auftraggeber dadurch keine unbeschränkte Entscheidungsfreiheit zukommt und die Anforderungen im Zusammenhang mit der Leistungserbringung stehen (vgl. Arztmann/Reisner, NR 2021, 46).

Die Festlegung technischer Spezifikationen definiert die für die Leistung erforderlichen Merkmale und zählt zum Bereich der Leistungsbeschreibung. Der Auftraggeber kann beispielsweise Vorgaben hinsichtlich der Funktionalität, der zu verwendenden Materialien oder Inhaltsstoffe und Produktionsmethoden machen. Die jeweiligen technischen Spezifikationen müssen mit dem Leistungsgegenstand in Zusammenhang stehen und auch verhältnismäßig sein.

Auch bei den Eignungskriterien können nachhaltige Aspekte berücksichtigt werden. Spezielles Wissen, individuelle Fähigkeiten, eine konkrete Betriebsausstattung sowie das Vorhandensein eines Umweltmanagementsystems sind beispielhafte Eignungskriterien, die der Auftraggeber von den Bewerbern verlangen kann. Die Kriterien müssen dem Leistungsgegenstand angemessen sein, im Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen und überprüfbar sein (vgl. Arztmann/Reisner, NR 2021, 47).

Die Zuschlagskriterien sind ein weiterer Bereich, in dem sich Aspekte der Nachhaltigkeit gut formulieren lassen. Hinsichtlich der steigenden Bedeutung nachhaltiger Faktoren wird die Bewertung von Lebenszykluskosten bei der Ermittlung des besten Angebots immer mehr an Relevanz gewinnen. Durch eine sog. Lebenszykluskostenrechnung können Beschaffungsgegenstände (z. B. Produkte oder Güter) unter Berücksichtigung aller wesentlichen Kosten auf deren gesamte Wirtschaftlichkeit verglichen werden. In der Regel zeigt sich erst durch den direkten Vergleich, dass umweltfreundliche Produkte – trotz einer kostenintensiveren Anschaffung – auf Dauer als die wirtschaftlich bessere Option gelten (vgl. Heid/Hofbauer, RPA 2021, 10). Eine reduzierte Abfallmenge, weniger Energieverbrauch oder ein geringerer CO2-Ausstoß sind nur wenige Beispiele dafür, dass die Kosten langfristig geringer ausfallen werden. Obwohl derzeit weder auf unionsrechtlicher noch auf nationaler Ebene ein Lebenszykluskostenmodell (sog LCC- Kostenmodell) verpflichtend vorgegeben wird, enthält § 92 BVergG 2018 allgemeine Vorgaben zur Berechnung von Lebenszykluskosten. Damit soll das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis ermittelt werden können.

Dem Auftraggeber steht darüber hinaus die Möglichkeit offen, Auflagen für die Ausführung des Auftrags festzulegen und diese als Bedingung in den Leistungsvertrag aufzunehmen. Die Anforderungen müssen im Zusammenhang mit der Leistungserbringung stehen, sie müssen vor Vertragsabschluss bekannt gemacht werden und so formuliert sein, dass sie von allen potenziellen Bewerbern bzw. Bietern erfüllt werden können. Eine mögliche Bedingung im Leistungsvertrag wäre die verpflichtende Verwendung wiederverwendbarer Produkte (vgl. Arztmann/Reisner, NR 2021, 48 f.).

Fazit

Zweifellos wird das Thema Nachhaltigkeit auch zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen. Das öffentliche Beschaffungswesen ist eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen den Klimawandel. Wie sich zeigt, stehen der öffentlichen Hand schon heute zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, um das Beschaffungswesen i. S. d. „Green Public Procurement“ (GPP) nachhaltig zu gestalten und sicherzustellen. Vorausschauend ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahrzehnten die öffentliche „grüne“ Vergabe als Vorbild für die Implementierung der Nachhaltigkeit einen großen Stellenwert haben wird, um auch für nachfolgende Generationen vergleichbare oder bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen.