Ist Kollaboration die neue Innovation?

Von Paul Brody

EY Global Innovation Leader ─ Blockchain

Leader of blockchain technology. Proficient in mobile technologies, business strategy and internet of things.

7 Minuten Lesezeit 1 November 2016

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Viele Unternehmen haben bereits verstanden, dass Kollaboration mindestens genauso wichtig ist wie Wettbewerb.

Das Wesen der Wirtschaft besteht im Wettbewerb. Es geht um das Überleben des Stärkeren – so lautet zumindest die traditionelle Sichtweise.

Doch die vergangenen Jahre haben gezeigt, an welche Grenzen Unternehmen mit dieser Denkweise stoßen: „Traditionelle Geschäftsmodelle basierten auf dem Nullsummenspiel und auf der ‚Wir gegen die‘-Mentalität“, sagt Jeff Wong, EY Global Chief Innovation Officer. „Die meisten Wirtschaftsmodelle und Fallstudien beruhten auf dem Konzept: Ein kleiner Wettbewerber nimmt einem großen Marktteilnehmer Marktanteile ab – oder das große Unternehmen drängt das kleine vom Markt.“

„Zwar werden viele Unternehmen immer noch so geführt, doch wir sind überzeugt, dass sich die Zeiten geändert haben. Wer heute gewinnen will, muss eine andere Frage stellen: Können wir nicht auch gemeinsam erfolgreich sein?“

Es geht nicht darum, unternehmerische Grundprinzipien über Bord zu werfen. Vielmehr merken immer mehr Unternehmen in Zeiten der digitalen Disruption und der Branchenkonvergenz, dass sie zusammenarbeiten müssen, um ihre Fähigkeiten und Vermögenswerte zu bewahren und um sich die nötige Unterstützung zu sichern, die sie brauchen. Insbesondere können Unternehmen Innovationen nur sehr schwer alleine erfolgreich entwickeln.

Natürlich ist Zusammenarbeit zwischen Unternehmen nichts Neues. Aber im heutigen Geschäftsumfeld, das sich immer stärker beschleunigt, ändert sich die Art des Zusammenarbeitens. Immer mehr Unternehmen entdecken neue, immer kreativere und fluide Wege der Kollaboration.

Neue Kollaborationsformen für eine neue Welt

Wir stehen am Beginn des goldenen Zeitalters rasanter Business Innovation. Doch gerade die immer kürzeren Innovationszyklen führen dazu, dass klassische Partnerschaftsmodelle wie M&A oder Joint Ventures oft zu langsam, zu teuer und zu schwerfällig sind, um mit dem Markt mithalten zu können.

Fusionen und Übernahmen setzen außerdem voraus, dass ein Unternehmen genug Ressourcen hat, um ein anderes zu übernehmen. Das bedeutet auch sorgsame, zeitintensive Verhandlungen sowie Dokumentationspflichten. Joint Ventures sind zwar weniger komplex, verlangen aber eine exakte Planung bezüglich der Erlöse und der künftigen Kostenverteilung.

Natürlich wird es weiterhin Übernahmen und Joint Ventures geben, und sie sind eine gute Lösung für viele unternehmerische Herausforderungen. Eine Untersuchung der Economist Intelligence Unit (EIU) mit Unterstützung durch EY ergab, dass fast ein Viertel der Unternehmen bereits M&A und Joint Ventures genutzt haben, um der Disruption zu begegnen oder sie selbst voranzutreiben.

Als Antwort auf den derzeitigen geschäftlichen Druck und die rasanten Veränderungen wenden sich immer mehr Unternehmen dabei aber agileren und fließenden Partnerschaften zu:

  • Laut EIU-Bericht schloss fast ein Drittel der befragten Firmen bereits eine strategische Allianz mit einem Branchenunternehmen. Jede Vierte ging zudem eine Partnerschaft mit einem branchenfremden Unternehmen ein.
  • Im Finanzsektor bildete etwa ein Drittel aller Firmen eine strategische Allianz mit Wettbewerbern und Angreifern, um disruptiven Kräften zu begegnen, fand die EIU-Studie heraus. Die Zusammenarbeit mit FinTech-Firmen kann Banken helfen, die digitale Innovation voranzutreiben.
  • Diese Ergebnisse werden gestützt durch EY-Studien: Die Digital Deal Economy Study von EY zu den künftigen Absichten bei Allianzen ergab, dass ein Drittel (32 Prozent) aller Führungskräfte aus dem nicht technologischen Bereich innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre Allianzen und Partnerschaften plant oder umsetzen will, um die eigenen Transformationsziele zu erreichen.

Solche hochflexiblen Allianzen, die wir „Industrial Mash-ups“ nennen, sind auf dem Vormarsch, und sie helfen Unternehmen dabei, der Disruption besser zu begegnen und sie proaktiv zu nutzen.

Kollaboration im digitalen Markt

In einem Industrial Mash-up teilt ein Unternehmen einen Vorteil oder Fähigkeiten mit einem Partner oder mit mehreren, sodass neue Chancen für alle entstehen – und zwar ohne dass das jeweilige Unternehmen dabei beeinträchtigt würde, seine Vorteile weiterhin am Markt auszuspielen. Die Beteiligten können rascher neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln, indem sie Bestandteile aller Netzwerkpartner nutzen und zusammenfügen.

Im Gegensatz zu M&A und Joint Ventures beruhen Mash-ups auf simplen Kooperationsvereinbarungen, für die man nicht notwendigerweise finanzielle Konditionen im Detail aushandeln muss. Es geht vorrangig darum, beiden Seiten Vorteile zu verschaffen, indem sie Ressourcen effektiv teilen und nutzen. Mash-ups zwingen die Beteiligten nicht, ihre Zielvereinbarungen abzustimmen, und erfordern auch keine komplexen Integrationsbemühungen, wie sie etwa nach Übernahmen nötig sind.

Laut der Digital Deal Economy Study von EY werden diese Kooperationen, die auf einem Markt, der zunehmend von den Kräften der digitalen Disruption getrieben wird, immer beliebter werden: 58 Prozent der Unternehmen, die bisher ihre Daten, geistiges Eigentum oder andere Werte noch nicht vollständig ausschöpfen, gaben an, strategische Allianzen eingehen zu wollen, um diese Ressourcen zu Geld machen zu können.

Die Sharing-Ökonomie

Die Allianz zwischen Apple und IBM, zweier ehemaliger Kontrahenten, zeigt: Das Teilen strategischer Vorteile kann eine übermächtige Wettbewerbsposition schaffen. Apple hat dazu sein Wissen über die Kundenbedürfnisse, gepaart mit IBMs Einfluss auf die IT-Abteilungen. Ähnlich nutzen Cisco Systems und Ericsson ihre Expertise, um vereint bessere Netzwerklösungen für den sich schnell verändernden Telekommunikationsmarkt zu bieten und künftigen Disruptoren einen Schritt voraus zu sein.

Für Jeff Liu, Global Coordinating Partner bei GE Digital-EY Industrial Internet, „basiert die Sharing-Ökonomie auf der Idee, dass man neue Wertschöpfung betreiben kann, indem man Werte von den zugrunde liegenden physischen Objekten trennt. Man kann sein Auto auch nutzen, um eine Transportleistung anzubieten, oder die eigene Wohnung zur Gästebewirtung – weil es Unternehmen gibt, die dafür im Internet eine einfach zu bedienende, automatisierte Transaktionsumgebung geschaffen haben. Das ermöglicht neue Nutzungsbedingungen abseits klassischer Mietverträge.“

Zusammenarbeit ist unerlässlich

Ohne Kollaboration geht es nicht Die größten Innovationen sind heute nicht mehr nur von branchenspezifischem Wissen abhängig und von Kundenbeziehungen. Sondern sie beruhen auch auf der Expertise in Analytics, Cloud Services, drahtloser Konnektivität, Software und Sicherheit. Nur wenige Unternehmen besitzen all diese Fähigkeiten unter einem Dach.

Die Notwendigkeit zur Kollaboration brachte auch Julian Jenkins von GSK zum Ausdruck, als er vor der Economist Intelligence Unit zum Thema Disruption sprach: „Wir denken nicht, dass wir alles allein lösen können. Deshalb schauen wir uns andere Pharmaunternehmen an – und sogar andere Branchen. Vor vier oder fünf Jahren haben wir das noch nicht oft getan. Aber mittlerweile machen wir es sehr häufig.“

Anscheinend haben große Industrieunternehmen erkannt, dass es unumgänglich ist umzuschwenken – weg von einem Businessmodell, das rein auf Kontrolle beruht, hin zu einem Modell, dessen Basis die Kollaboration ist. Häufiger könnten Unternehmen auch darüber nachdenken, künftig nicht nur mit einem oder zwei Partnern zusammenzuarbeiten, sondern sich mit mehreren Unternehmen zusammenzuschließen.

Neuer Wert aus alten Assets

Kombiniert man technologische und branchenspezifische Assets miteinander, kann daraus in vielen Branchen eine wahre Produktivitätsrevolution erwachsen. Mash-ups bieten gerade anlagenintensiven Branchen unmittelbare Chancen, neue Einkommensquellen aus Vermögenswerten zu erschließen, die bisher noch oft ungenutzt bleiben. Es ist wie bei Autos, die 96 Prozent des Tages unbenutzt herumstehen, viele Industrieanlagen werden ebenso wenig ausgenutzt. Diesen Ausnutzungsgrad können Industrial Mash-ups erheblich steigern – um 50 Prozent, 100 oder mehr.

Handschlag zwischen tätowierter Hand und Hand ohne Tätowierung

Wert schaffen mit neuen Fähigkeiten

Zusätzlich zur Produktivitätssteigerung durch das Teilen von Assets können Branchen-Mash-ups Unternehmen auch helfen, völlig neue Kompetenzen auszubilden. Auf der Basis von Application Programming Interfaces (APIs), die den Zugang zu Softwareapplikationen und Tools ermöglichen, lassen sich neue hybride Geschäftsmodelle erschließen. Solche B2B-Sharing-Plattformen schaffen neue Möglichkeiten, indem sie nutzerfreundliche Märkte für Ressourcen entstehen lassen, die zuvor nur durch den Besitz bestimmter Objekte zugänglich waren oder durch Langzeitmiete.

Ist ein Mash-up das Richtige für Ihr Unternehmen?

Branchen-Mash-ups verschaffen jenen Unternehmen, die künftig die Herausforderung der Kollaboration annehmen, einen neuzeitlichen Zugang zu neuen Geschäftsabschlüssen. Mash-ups sind die Beschleunigungsspur auf dem Weg zu Innovation und Wachstum, gleichzeitig bedeuten sie kleinere Risiken und Kosten. Die digitale Zukunft – angetrieben von Cloud Services, Smart Mobility, Social Media und Big Data Analytics – verlangt nach dieser Ausrichtung und dieser Agilität und wird sie auch belohnen.

In der heutigen Unternehmenslandschaft müssen sich Firmen entweder schnell anpassen – oder sie werden abgehängt. Deshalb können Branchen-Mash-ups ein Schlüsseltreiber für künftigen Erfolg sein und Unternehmen helfen, mit der halsbrecherischen Geschwindigkeit moderner Innovation Schritt zu halten.

Aber passt ein Mash-up auch zu Ihrer Firma? Seine Lebensfähigkeit hängt von einigen Schlüsselfaktoren ab. Folgende Fragen sollten Sie sich stellen:

  • Haben wir ungenutzte Vermögenswerte oder Kapazitäten, die anderen Unternehmen nutzen könnten?
  • Haben wir genug Inhouse-Expertise für Innovationen innerhalb und außerhalb unseres Marktes?
  • Könnten wir mit Partnerschaften neue Möglichkeiten der Wertschöpfung schaffen?
  • Kennen wir Unternehmen, die keine direkten Wettbewerber sind, deren Ziele zu unseren passen?
  • Können wir eine oder mehrere Allianzen gebrauchen?

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Fazit

Mit Branchen-Mash-ups sind Unternehmen auf der Überholspur in Richtung schnelle Innovation – bei gleichzeitig wenig Risiko. Aber nicht für jedes Unternehmen sind sie immer die beste Option.

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