Nach dem pandemiebedingten Einbruch bei den chinesischen Firmenübernahmen in Europa im Jahr 2020 hat sich die Zahl der Transaktionen im Jahr 2021 wieder erhöht: von 132 auf 155. Auch das Transaktionsvolumen stieg: Der Wert der Beteiligungen und Übernahmen hat sich von 1,5 auf 12,4 Milliarden US-Dollar mehr als verachtfacht.
Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY, die M&A-Investitionen chinesischer Unternehmen in Europa untersucht.
„Chinesische Unternehmen bleiben bei ihren Investitionen in Europa insgesamt noch zurückhaltend“, beobachtet Eva-Maria Berchtold, Partnerin und Leiterin der Strategie- und Transaktionsberatung (Strategy and Transactions) bei EY Österreich. „Dazu trägt zum einen nach wie vor die Pandemie bei, die auch 2021 noch zu Beeinträchtigungen führte – auch wegen Eindämmungsmaßnahmen wie Reisebeschränkungen, strengen Quarantäne-Regeln für Personen, die aus dem Ausland nach China reisen und Lockdowns sowohl in Europa als auch in China selbst. Die meisten chinesischen Unternehmen, die schon im Ausland Firmen übernommen haben, haben sich in den letzten Jahren eher damit beschäftigt, die Restrukturierung in Europa voranzutreiben als weiter zu expandieren – besonders in den Sektoren Automobilzulieferer und Maschinenbau.“
Ebenfalls dämpfend wirkten sich nach Berchtolds Einschätzung die inzwischen hohen Hürden für ausländische Beteiligungen gerade in bestimmten kritischen Branchen sowie die zunehmende Konkurrenz durch kapitalstarke Finanzinvestor:innen aus. „Die Kaufpreise auf dem M&A-Markt sind zuletzt stark gestiegen – in einigen Fällen wollten die chinesischen Interessent:innen da nicht mehr mitgehen. Besonders die börsennotierten chinesischen Unternehmen fürchten, mit teuren Zukäufen den eigenen Aktienkurs unter Druck zu setzen“, so Berchtold.
Ein chinesischer Deal in Österreich
Die Investor:innen in China halten sich weiterhin zurück, wie 2020 gab es auch 2021 nur eine chinesische Übernahme in Österreich. Der in Shanghai börsennotierte Spezialist für Möbelkomponenten, Jiecang, übernimmt um rund 79,2 Millionen Euro das Deutschlandsberger Technologieunternehmen Logicdata. Das Unternehmen mit seinen rund 270 Mitarbeiter:innen bleibt eigenständig, es werden 20 Millionen Euro in weiteres Wachstum investiert. 2019 gab es keine Übernahme in Österreich, 2018 haben chinesische Investor:innen drei Unternehmen in Österreich übernommen, 2017 sogar fünf.
Nachlassendes Interesse an Industrieunternehmen
Nach wie vor entfallen auf klassische Industrieunternehmen die meisten Deals – 30 der 155 Transaktionen in Europa fanden im Industrie-Sektor statt.
Allerdings ist deren Zahl rückläufig: 2020 waren europaweit noch 36 Industrietransaktionen gezählt worden. „Nach wie vor besteht bei chinesischen Investor:innen Interesse an europäischen Automobilzulieferern oder Maschinenbauern – allerdings inzwischen eher in den Subsektoren Elektromobilität und Autonomes Fahren“, so Berchtold.
Auf High-Tech-/Softwareunternehmen entfielen im vergangenen Jahr europaweit 27 Transaktionen (Vorjahr: 20). „Wir sehen ein gestiegenes Interesse etwa an Spieleentwicklern und Softwareprogrammierern. Gerade der aktivste chinesischer Investor im vergangenen Jahr, Tencent, hat sich zuletzt in diesem Segment stark engagiert“, beobachtet Berchtold.
Gestiegen ist auch die Zahl der Übernahmen und Beteiligungen im Bereich Gesundheit: von 16 auf 26 Transaktionen. „Der Gesundheitsbereich – ob Pharma, Biotech oder Medizintechnik – wird zunehmend zu einem der wichtigsten Zielsektoren chinesischer Unternehmen, weil es in dieser Sparte einen großen Nachholbedarf in China gibt, insbesondere bei der Forschung und Entwicklung“, sagt Yin Sun, Partnerin und Leiterin der China Business Services bei EY Deutschland.
Großbritannien löst Deutschland als Top-Ziel in Europa ab
Die meisten Transaktionen wurden im vergangenen Jahr in Großbritannien verzeichnet. Mit 36 Übernahmen und Beteiligungen liegt Großbritannien knapp vor Deutschland (35 Transaktionen) und deutlich vor den drittplatzierten Niederlanden (13).
Im Vorjahr war die Reihenfolge an der Spitze noch umgekehrt: 2020 lag Deutschland mit 28 Transaktionen vor Großbritannien mit 21 Deals.
„In dem Maß, wie sich das Interesse chinesischer Investor:innen weg von klassischen Industrieunternehmen hin zu Technologie-, Software- und Medienunternehmen entwickelt, gewinnt der Zielmarkt Großbritannien an Bedeutung“, sagt Berchtold.
Die europaweit größte Investition war im vergangenen Jahr der Verkauf der Haushaltsgeräte-Sparte von Philips an die Investmentfirma Hillhouse Capital mit Sitz in Hong Kong für 4,4 Milliarden US-Dollar.
Die zweitgrößte Transaktion war die Übernahme des britischen Entwicklerstudios Sumo Digital durch Tencent für 1,1 Milliarden US-Dollar, gefolgt von der Übernahme des dänischen Kühlcontainer-Herstellers Maersk Container Industry durch China International Marine Containers für ebenfalls 1,1 Milliarden US-Dollar.