Die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt ist schon lange kein einseitiges Unterfangen mehr, sondern ein Geben und Nehmen – Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen müssen umso mehr an einem Strang ziehen, um das Unternehmen in einem sich permanent volatilen Markt nach vorne zu bringen bzw. auch Teilausfälle durch neue Geschäftsmodelle zu stabiliseren. Inzwischen haben die Mitarbeitenden auf der ganzen Welt großen Einfluss auf den globalen Arbeitsmarkt gewonnen, wie aus der EY-Umfrage „Work Reimagined 2022“ hervorgeht: Mehr als vier von zehn (43 %) befragte Arbeitnehmer:innen bestätigen, dass sie in den nächsten zwölf Monaten wahrscheinlich kündigen werden – vor allem aufgrund des Wunsches nach einer höheren Gesamtvergütung, besseren transparenten und nachhaltigen Karrieremöglichkeiten und Flexibilität bei steigender Inflation, einem schrumpfenden Arbeitsmarkt und einer Zunahme von Arbeitsplätzen, die flexible Arbeitszeiten anbieten.
Für die Studie wurden mehr als 1.500 Unternehmensleiter:innen und über 17.000 Arbeitnehmer:innen in 22 Ländern und 26 Branchen befragt.
Gehalt als Treiber für Jobwechsel
„Die Corona-Pandemie hat den Arbeitsmarkt nachhaltig geprägt: Ein großes Spektrum an Sorgen – von Auftragsreduktion und wirtschaftlichen Einbußen auf Arbeitgeberseite bis hin zu Angst vor Stellenabbau und Jobverlust auf Arbeitnehmerseite – hat die vergangenen Jahre beeinflusst. Doch mit diesem großen Umdenken wurde auch ein Wandel der beruflichen Wünsche angestoßen, denn viele hatten nun mehr Zeit, sich damit zu befassen, was sie sich für ihr Arbeitsleben wünschen, welche Bedürfnisse der Job erfüllen und auch, wie viel Raum er im Alltag in Anspruch nehmen soll“, analysiert Regina Karner, Leiterin People Advisory Services und Partnerin bei EY, „Alle Wege führen in Richtung New Work“.
Für viele Arbeitgeber:innen ist es seit Jahren schwer die notwendige Menge an qualifizierten Mitarbeiter:innen zu finden um den Anforderungen im Geschäftsleben standhalten zu können und es wird auch immer schwieriger diese auch zu halten. Die Hauptmotivation für Arbeitnehmer:innen, die sich zur Zeit gedanklich um einen neuen Arbeitsplatz bemühen, ist der Wunsch nach einer höheren Vergütung. Angesichts der Rekordinflation in vielen Ländern der Welt gibt mehr als ein Drittel derjenigen, die eine neue Stelle suchen (35 %), an, dass eine Gehaltserhöhung ihr Hauptziel ist, ein Viertel (25 %) strebt eine berufliche inhaltliche Weiterentwicklung an. 42 Prozent der befragten Arbeitnehmer:innen sind sich einig, dass Gehaltserhöhungen der Schlüssel zur Bekämpfung der Personalfluktuation sind – aber nur 18 Prozent auf Arbeitgeberseite stimmen dem zu.
Für 85 Prozent der Unternehmer:innen ist es wichtig, eine Strategie zur Anpassung von Talenten und Fähigkeiten an den künftigen Geschäftsbedarf zu haben. Drei Viertel (74 %) sind bereit, Mitarbeitende aus anderen Ländern einzustellen und Remote Working zu ermöglich, sofern die Skills passen. Etwas mehr als ein Fünftel der befragten Arbeitgeber (21 %) ist der Meinung, dass die Weiterbildungsmöglichkeiten und das Schärfen der Fähigkeiten dazu beitragen, die Fluktuation zu verringern. „Arbeitnehmer:innen auf der ganzen Welt fühlen sich ermächtigt, ihren Arbeitsplatz zu verlassen, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Da viele Arbeitgeber:innen zunehmend flexible Arbeitsmodelle anbieten, ist eine höhere Bezahlung nun die größte Motivation für einen Arbeitsplatzwechsel, insbesondere angesichts der steigenden Inflation und der unbesetzten Stellen“, führt Karner aus.
Homeoffice als Fixbestandteil
Während flexible Arbeitsregelungen laut der letztjährigen Umfrage bei weitem die wichtigsten Faktoren für den Wechsel von Arbeitnehmer:innen waren, ist dieser Punkt nun auf Platz Zwei gerutscht. „Die Pandemie hat vielen Unternehmen gezeigt, dass sich flexible Arbeitsweisen gut in den Alltag integrieren lassen – sowohl seitens der technischen Infrakstruktur als auch zwischenmenschlich“, so die Expertin. Jeder Fünfte (19 %) wünscht sich von einem neuen Arbeitsplatz Flexibilität bei der Fernarbeit, während 17 Prozent sagen, dass „Well-being“-Programme, also Wohlfühlinitiativen und gesundheitsfördernde Initiativen, sie zu einem Wechsel bewegen würden.
Trotz der anhaltenden Verlagerung hin zu flexiblen Arbeitsmodellen gibt heute immer noch über ein Fünftel (22 %) der befragten Arbeitgeber:innen an, dass die Mitarbeitenden idalerweiser an fünf Tagen in der Woche im Büro arbeiten sollen. Die Sichtweise der Angestellen ist hier eine andere: Acht von zehn Mitarbeiter:innen (80 %) wünschen sich, mindestens zwei Tage pro Woche von zu Hause aus zu arbeiten.
Veränderte Ansichten über Kultur und Produktivität
Selbst dann, wenn die Unternehmenskultur relativ positiv beurteilt wird, besteht oftmals der Wunsch, den Job zu wechseln: Die Zahl der Arbeitnehmer:innen, die seit Pandemiebeginn eine Verbesserung der Unternehmenskultur beobachtet haben, ist von 48 Prozent auf 61 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist das Vertrauen der Arbeitgeber:innen in ihre eigene Unternehmenskultur von 77 Prozent auf 57 Prozent gesunken: Während die Arbeitnehmenden glauben, dass neue Arbeitsmethoden und -prozesse die Produktivität erhöht haben, wird das Vertrauen der Unternehmen in ihre eigene derzeitige Produktivität durch die steigende Fluktuation untergraben.
Betrachtet man die verschiedenen Altersgruppen in den untersuchten Ländern, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter:innen der Generation Z und Millennials in den USA ihren Arbeitsplatz in diesem Jahr kündigen, am größten (53 %), während in den verschiedenen Sektoren diejenigen, die in der Technologie- und Hardwarebranche tätig sind, am ehesten bereit sind zu gehen (60 %).
Kultur- und Produktivitätsschub durch neue Arbeitsformen
Der Gruppe von „optimistischen“ Arbeitgeber:innen (32 %) gelingt es, sowohl die Unternehmenskultur als auch ihre Produktivität zu verbessern – allen voran durch die Sicherstellung, dass deren Führungskräfte ein gemeinsames Verständnis von Unternehmensthemen, externen Praktiken und Strategien haben (94 %). Weitere Faktoren, die von dieser Gruppe von Unternehmen als Triebfedern für ihren Erfolg genannt werden, sind hybride Arbeitsformen (90 %), Investitionen in die Ausstattung des Standorts (39 %), die Verbesserung der Technologie am Arbeitsplatz (45 %) und die Stärkung der Eigenverantwortung und Autonomie der Mitarbeitenden (44 %).
„Der Arbeitsmarkt hat sich schon vor dem Jahr 2020 von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt – dieser Trend wird sich auch langfristig nicht ändern. Im Gegenteil, er wird sich noch durch externe Umstände weiter verstärken. Alle Unternehmen müssen die veränderte Ausgangslage und deren Auswirkungen jetzt rasch verstehen und umdenken, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern und junge Nachwuchstalente an sich zu binden“, erklärt Oliver Suchocki, Leiter HR-Consulting und Associate Partner im Bereich People Advisory Services bei EY: „Der Blick der Talente wurde maßgeblich verändert, daher ist es notwendig in den Unternehmen selbst Ihre alten Strukturen und teilweise auch Business Modelle – Stichworte Nachhaltigkeit, Sinnstiftung und Entwicklungsmöglichkeiten – aufzubrechen und neu zu denken. Nur durch eine Vernetzung der Führungskräfte mit einer operativen HR-Abteilung können sich Unternehmen zu Talentmagneten transformieren. Schlussendlich ist das Talentemanagement nun auch Kernthema des CEOs geworden".