- Mehr als 90 Prozent des Finanzierungsvolumens für Start-ups in Österreich gehen an rein männlich besetzte Gründungsteams
- Gesamtwert der Investitionen in österreichische Start-ups im ersten Halbjahr steigt im Vergleich zum Rekordjahr 2021 nochmals um 67 Prozent
- Nur bei 16 Prozent der Finanzierungsrunden ist zumindest eine Frau im Founding Team vertreten - bei den Neugründungen liegt der Anteil der Female Start-ups in Österreich hingegen bei 36 Prozent
- Start-up-Finanzierungsmarkt ist stark männlich dominiert: Mehr als neun von zehn in Österreich investierte Euros gehen an rein männliche Gründungsteams
- Nur 12 der 174 Gründer:innen mit Investment im ersten Halbjahr 2022 sind Frauen
Wien, 20. September 2022. Trotz des stark eingetrübten Marktumfelds aufgrund von steigenden Zinsen, wirtschaftlichen Unsicherheiten, Inflation und einer drohenden Rezession erhielten österreichische Start-ups im ersten Halbjahr 2022 mehr frisches Kapital als je zuvor. Mit insgesamt 881 Millionen Euro wurde das Volumen des Vorjahreszeitraums um 67 Prozent überschritten.
Das in heimische Start-ups investierte Rekordvolumen an Risikokapital kommt aber nach wie vor fast ausschließlich rein männlich zusammengesetzten Gründungsteams zugute: Bei 63 von 75 Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr 2022 bestanden die Gründungsteams nur aus Männern – das entspricht 84 Prozent. Bei zwölf Finanzierungsrunden bestanden die Founding Teams aus männlichen und weiblichen Gründer:innen (16 %). Für ein rein weiblich besetztes Führungsteam gab es im ersten Halbjahr 2022 kein Kapital.
Damit erhalten Female Start-ups, also Jungunternehmen mit mindestens einer Frau im Gründungsteam, unterdurchschnittlich viele Investments: Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie des WU Gründungszentrums im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft zeigt, werden 36 Prozent aller Start-ups in Österreich von Frauen oder mit Co-Founderinnen gegründet - das ist der höchste Wert in der EU. Demgegenüber stehen aber nur 16 Prozent Female Start-ups mit einem Investment im ersten Halbjahr 2022.
Noch größer ist das Ungleichgewicht beim Finanzierungsvolumen: Mehr als 90 Prozent des investierten Kapitals flossen in Start-ups und Scale-ups, bei denen das Founding Team nur aus Männern besteht. Das liegt knapp über dem langfristigen Durchschnitt von 88 Prozent zwischen 2010 und 2021.
Das sind die Ergebnisse des Female Funding Index 1/2022 von Female Founders und der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Berücksichtigt wurden Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt.
„Der Venture-Capital-Markt ist nach wie vor überwiegend ein ‚Boys Club‘. Mehr als neun von zehn investierten Euros gingen 2022 an rein männlich besetzte Gründungsteams. Dieses Ungleichgewicht hat sich in den letzten Jahren nicht maßgeblich geändert: Nach wie vor liegt der Anteil an Gründerinnen bei nicht einmal einem Fünftel, bei Investorinnen sogar noch niedriger. Wie viele Studien zeigen, investieren männliche Investoren vor allem in männliche Gründer. Diese Zahlen unterstreichen, wie wichtig Initiativen für Female Entrepreneurship in Österreich sind“, so Florian Haas, Head of Start-up bei EY Österreich.
„Leider zeigt sich das massive Ungleichgewicht in der Finanzierung von rein männlichen bzw. gemischten und rein weiblichen Gründungsteams auch in Österreich ganz deutlich. Ich würde mir wünschen, dass sich der hohe Anteil an weiblichen (Co-)Gründerinnen, den wir in Österreich verzeichnen, auch sehr bald in den Finanzierungsrunden widerspiegelt. Mittlerweile sollten nämlich auch männliche Investoren erkannt haben, dass Diversität mit unternehmerischem Erfolg einher geht – immerhin sind gender-diverse Teams 20 Prozent profitabler und nachweislich resilienter. Zwei Faktoren, die besonders in Zeiten von Krisen essenziell sind“, so Lisa-Marie Fassl, Co-Founder und CEO von Female Founders.
Nur sieben Prozent der Gründer:innen von Start-ups mit Investment sind Frauen
Insgesamt schlossen 72 Start-ups mit 174 Gründer:innen im ersten Halbjahr zumindest eine Finanzierungsrunde ab. Nur zwölf dieser 174 Gründer:innen und damit jede:r 14. Gründer:in war weiblich. Damit liegt der Anteil an Gründer:innen mit einer Investitionsrunde mit sieben Prozent deutlich unter dem jährlichen Durchschnitt von Gründer:innen mit rund 17 Prozent. Am höchsten ist der Frauenanteil in den Gründerteams in den Sektoren AgTech (17 %) und Mobility (14 %). In sieben der 13 untersuchten Sektoren sind keine Frauen in den jeweiligen Gründerteams.
„Österreich hat EU-weit den höchsten Anteil an Start-ups mit mindestens einer Gründerin. Gerade in den letzten Jahren gab es hier sehr positive Entwicklungen in Richtung einer stärkeren Gender Diversity und mehr Female Entrepreneurship. Allerdings gilt nach wie vor: Je höher die Wachstumsphase und je höher das Finanzierungsvolumen, desto geringer wird der Frauenanteil. Die Rekordinvestments gehen auf das Konto von rein männlich zusammengesetzten Führungsteams. Ein Grund dafür ist auch die extreme Männerdominanz bei Business Angels und Venture Capitalists mit jeweils rund 90 Prozent – das gilt international genauso wie in Europa. Es ist wichtig, hier eine positive Spirale in Gang zu setzen: Wenn Gründerinnen Finanzierungen bekommen und einen erfolgreichen Exit machen, erhöht das den Anteil an weiblichen Kapitalgeberinnen, was wiederum die Chance für Investments für Gründerinnen erhöht“, so Haas.
„Wir erleben bereits jetzt einen Paradigmenwechsel in der Finanzierung von Start-ups: Bewertungen sinken, Investmententscheidungen werden fakten-basierter und bewusster getroffen. Man könnte überspitzt sagen, dass das Investmentverhalten von Angels bis VCs nachhaltiger wird. Das bringt hoffentlich zwei positive Effekte mit sich. Erstens: Die Geschäftsmodelle von diversen oder weiblichen Teams, die oft eine Verbindung von Impact und Wachstum vereinen, werden für Kapitalgeber:innen attraktiver. Zweitens: Frauen, die die finanziellen Mittel für Direktinvestments oder Investments in VC-Fonds haben, beginnen in diese Assetklasse zu investieren. Beide Entwicklungen würden unserem Ökosystem und den Akteur:innen in vielerlei Hinsicht sehr gut tun, weshalb es schön wäre, wenn man diese von staatlicher Seite durch sinnvolle Maßnahmen beschleunigen würde“, sagt Fassl.