„2023 wurden lediglich zwei Transaktionen mit chinesischer Beteiligung in Österreich verzeichnet, was die Positionierung des Landes als eher sekundäres Ziel für chinesische Investorengruppen unterstreicht. Dieser Trend spiegelt die generelle Abnahme von M&A-Aktivitäten chinesischer Firmen in Europa wider. Trotz vereinzelter positiver Entwicklungen in Ländern wie Italien und der Schweiz herrscht die strategische Zurückhaltung chinesischer Unternehmen in Europa vor. Das ist vor allem auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in China sowie die Priorisierung der Konsolidierung eigener Geschäftsbereiche vor Expansion durch M&A zurückzuführen“, so Eva-Maria Berchtold, Partnerin und Leiterin der Strategie- und Transaktionsberatung bei EY Österreich.
Die COVID-19-Pandemie führte zu bedeutenden Beschränkungen bei der Ein- und Ausreise aus China sowie bei den M&A-Transaktionen. Trotz der Hoffnungen auf einen Aufschwung nach der Aufhebung der pandemiebedingten Maßnahmen blieb dieser erwartete Effekt aus. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass chinesische Firmen in zahlreichen europäischen Staaten erheblichen politischen Hindernissen gegenüberstehen. Die Hürden für ausländische Beteiligungen – gerade in bestimmten kritischen Branchen – sind inzwischen vielfach so hoch, dass schon in einem frühen Stadium von einer Übernahme abgesehen wird – selbst, wenn sie strategisch sinnvoll wäre.
„Die Pandemie hat zweifellos die Landschaft der internationalen Geschäftsbeziehungen verändert, und die Erholung verläuft anders als erwartet. Die zunehmenden regulatorischen Hürden, die wir heute in Europa sehen, erfordern von den Unternehmen eine neue Herangehensweise an internationale Partnerschaften und Investitionen, die über traditionelle M&A-Aktivitäten hinausgeht“, meint Eva-Maria Berchtold.
Chinesen kaufen weniger Industrie-, aber mehr High Tech-Unternehmen
Im vergangenen Jahr gab es europaweit erneut mehr Unternehmensübernahmen und -beteiligungen im High Tech-Segment, wozu in erster Linie Software- und Halbleiter-Unternehmen zählen, als in klassischen Industriebranchen: Die Zahl der Übernahmen von High Tech-Unternehmen sank allerdings von 32 auf 26, gleichzeitig ging die Zahl der übernommenen Industrieunternehmen von 25 auf 24 zurück. Im Gesundheitsbereich gab es europaweit 14 Transaktionen – hierzu zählt auch einer der beiden Deals in Österreich. Es handelte sich hier um die piur Imaging GmbH, ein MedTech-Unternehmen im Bereich der bildgebenden (Ultraschall-)Diagnostik, das von einer chinesischen Investorengruppe akquiriert wurde.
Die andere Übernahme in Österreich ist dem Bereich Consumer Products zuzuordnen: Hutchinson Drei erwarb die educom GmbH, einem Handy- und Internettarifanbieter mit Bildungsrabatten für Schüler:innen und deren Eltern.
Deutschland vor Großbritannien Top-Ziel in Europa
Nachdem 2021 und 2022 europaweit die meisten Transaktionen chinesischer Investor:innen in Großbritannien gezählt wurden, war 2023 Deutschland mit 28 Transaktionen wieder das Hauptziel chinesischer Unternehmen. Großbritannien verzeichnet hingegen derzeit offenbar einen deutlichen Attraktivitätsverlust: Nach 35 Zukäufen im Jahr 2021 sank die Zahl der Deals im Jahr 2022 auf 27 und im Jahr 2023 sogar auf 17. Italien folgt knapp dahinter mit 15 Transaktionen – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr, als nur sechs italienische Unternehmen von chinesischen Unternehmen gekauft wurden. Deutlich rückläufig war im Jahr 2023 das Transaktionsgeschehen in Frankreich – von 17 auf neun Übernahmen – und in Spanien: von acht auf drei Transaktionen. Das meiste Geld aus China floss 2023 jedoch in die Niederlande: Die beiden größten Transaktionen fanden im vergangenen Jahr in den Niederlanden statt, wodurch die Niederlande im Ranking nach Transaktionswert wie schon im Vorjahr an der Spitze stehen und insgesamt 1,169 Millionen US-Dollar lukrieren konnten.
Ausblick: Großes Interesse, relativ wenige Transaktionen
„Auch unter den derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen verliert das Interesse chinesischer Investor:innen an strategischen Partnerschaften in Europa nicht an Bedeutung, wobei der Fokus in Österreich und anderen Teilen Europas eher auf kleineren Deals liegt. Zudem planen chinesische Automobil- und Batteriehersteller, in den nächsten Jahren erhebliche Summen in Europa zu investieren, allerdings durch Greenfield-Investitionen zum Aufbau neuer Produktionsstätten, statt durch M&A-Transaktionen. Die strategische Ausrichtung und das langfristige Engagement in Schlüsselindustrien bleiben ein zentraler Fokus für chinesische Akteur:innen, was zukünftige Marktchancen in Europa eröffnen könnte“, schließt Eva-Maria Berchtold.