In den letzten Jahren erzielten Investor:innen in Europa eine höhere Rendite als in allen anderen Weltregionen.
Das erste Halbjahr fiel dabei sogar noch etwas stärker aus als das zweite: 45 Milliarden Euro standen 43 Milliarden Euro gegenüber. Insgesamt 88 Milliarden Euro Risikokapital sind sehr erfreulich und ein vielversprechendes Signal für die anstehende erfolgreiche Transformation der Wirtschaft. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt in Europa und verglichen zu anderen Regionen wie Nordamerika oder Asien ist es aber noch immer viel zu wenig.
Die drei größten Start-up-Finanzierungen des Jahres fielen in das erste Halbjahr: Die britische Tiermedizin-Gruppe IVC Evidensia sammelte knapp 3,5 Milliarden Euro ein. Auf Platz zwei landete Northvolt, 2,28 Milliarden Euro wurden in das Batterie-Start-up aus Schweden investiert. Der dritte Rang ging an die Constellation Automotive Group aus Großbritannien, 1,15 Milliarden Euro konnte der Online-Gebrauchtwagenhändler über Investor:innen gewinnen. Die größte Transaktion in Österreich war eine Finanzspritze von 226 Millionen Euro für das FinTech Bitpanda, das mit einer weiteren Finanzierungsrunde in der Höhe von 141 Millionen Euro neben Rang 1 auch Rang 3 belegt. Auf Platz 2 rangiert das EduTech-Unternehmen GoStudent mit einer Finanzierungsrunde in der Höhe von 205 Millionen Euro.
London bleibt Start-up-Hauptstadt Europas
Die Start-up-Hauptstadt Europas bleibt mit 1.557 Finanzierungsrunden London: Die britische Metropole liegt mit Abstand auf Platz eins bei der Zahl der Deals und verzeichnet allein fast genauso viele Finanzierungsrunden wie die nächstplatzierten Städte Berlin, Paris, Barcelona, Zürich und Stockholm zusammen. Diese kommen insgesamt auf 1.564 Deals. Zusammengerechnet wurden in London, Berlin und Paris drei von zehn europäischen Startup-Deals abgewickelt.
Beim Volumen der Investitionen zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Finanzierungsrunden: Auch hier liegt London mit Abstand vorne, die Finanzierungssumme hat sich um Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Mit rund 20,3 Milliarden Euro wurde dort mehr Risikokapital in Start-ups investiert als in Berlin (10,5 Milliarden Euro) und Paris (9,3 Milliarden Euro) zusammen. Wien schafft es mit einem Volumen von rund 1,1 Milliarden Euro in diesem Ranking auf Platz 13.
Die drei Top-Standorte konnten dabei 2021 deutliche Zuwächse erzielen, besonders erfolgreich war Berlin. Hier schlägt für das vergangene Jahr ein Plus von 243 Prozent zu Buche. Paris liegt mit 130 Prozent Zuwachs auf Platz zwei, London mit einem Plus von 93 Prozent auf dem dritten Rang. Wien konnte im Vergleich zu 2020 sogar einen Zuwachs von 515 Prozent verzeichnen.
Österreich mit Rekord bei Volumen und Rückgang bei Finanzierungsrunden
Österreich konnte 2021 auf der Erfolgswelle des europäischen Start-up-Ökosystems mitsurfen und erzielte mit rund 1,24 Milliarden Euro einen neuen Rekord bei Finanzierungsvolumen – das entspricht fast einer Verfünffachung im Vergleich zum bisherigen Rekordjahr 2020. Bei der Anzahl der Finanzierungsrunden gab es hingegen einen Rückgang von 145 auf 130. Österreich ist damit der einzige Top-15-Start-up-Standort in Europa, wo 2021 weniger Finanzierungsrunden verzeichnet wurden als im Vorjahr.
Die Anzahl der Finanzierungsrunden in Österreich hat sich 2021 damit antizyklisch zum europäischen Trend entwickelt. Während es an allen Top-Standorten mehr Finanzierungsrunden als im Vorjahr gab, ist hierzulande ein Rückgang zu verzeichnen. Das hängt einerseits mit einem sprunghaften Anstieg 2020 zusammen, wo auch bedingt durch den Ausbruch der Pandemie und die Unsicherheit manche liquiditätssichernde Finanzierungsrunden getätigt wurden. Andererseits war 2021 in Österreich klar zu sehen, dass vor allem größere Runden mit Fokus auf Skalierung abgeschlossen wurden und im frühphasigen Bereich, in dem Österreich traditionell eigentlich sehr gut aufgestellt war, weniger Aktivität zu beobachten war. So erfreulich es ist, dass die Finanzierungsrunden in Österreich größer werden, so wichtig ist auch, dass es weiterhin auch abseits der Förderprogramme von FFG und AWS genügend Anschubfinanzierungen für heimische Start-ups gibt.
Während Österreich bei der Anzahl der Finanzierungsrunden im Vorjahr noch Rang 9 belegt hat, resultierte der Rückgang auch in einem Abrutschen auf Platz 15. Beim durchschnittlichen Finanzierungsvolumen pro Runde verbesserte sich Österreich hingegen deutlich von Rang 16 auf 11.
Österreichs Start-up-Ökosystem braucht klare standort-strategische Entscheidungen
Durch die positive Entwicklung im vergangenen Jahr klopft das österreichische Start-up-Ökosystem bei einigen Kriterien an die Top-10 der attraktivsten Standorte für innovative Jungunternehmen an.
Wir haben 2021 gesehen, dass Österreich das Potenzial hat, einer der Top-Standorte für Start-ups in Europa zu sein.
Die Erfolge dürfen aber nicht in allgemeiner Zufriedenheit resultieren, sondern müssen als Ansporn gesehen werden, endlich die seit vielen Jahren diskutierten und geforderten Verbesserungen der Rahmenbedingungen in Angriff zu nehmen. Wir stehen am Scheideweg: Wollen wir ein Top-Standort für Gründertum und Innovation werden oder nehmen wir weiter in Kauf, dass Start-ups in vielen Fällen nicht wegen, sondern trotz der Rahmenbedingungen Erfolg haben.
Dafür ist ein Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Bildung mit einer ambitionierten Zielsetzung notwendig. Wenn wir nachhaltig ein attraktiver Start-up-Hub sein wollen, braucht es dazu eine klare Strategie, schnelle Entscheidungen und eine entschlossene Umsetzung. Dringend notwendige Weichenstellungen wie eine attraktivere Gesellschaftsform, Möglichkeiten einer echten Beteiligung von Mitarbeiter:innen am Unternehmen oder eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte dürfen nicht in den Mühlen der Bürokratie versanden oder durch Klientelpolitik dominiert sein, sondern müssen im Sinne der Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich konsequent und zum Wohle der Gründerinnen und Gründer umgesetzt werden. Schweden zeigt seit Jahren vor, wie auch kleinere Standorte mit der richtigen Strategie und gemeinsamer Umsetzung Spitze sein können.
Fazit
2021 war sowohl bei der Anzahl der Finanzierungsrunden als auch beim investieren Volumen ein Rekordjahr für Europas Start-ups. Österreich konnte auf dieser Erfolgswelle mitsurfen und ebenfalls eine neue Höchstmarke beim Finanzierungsvolumen erzielen. Diese Erfolge müssen als Ansporn dienen, die seit vielen Jahren diskutierten Verbesserungen der Rahmenbedingungen in Angriff zu nehmen. Österreich hat das Potenzial für einen Top-Start-up-Hub in Europa – dieses Potenzial gilt es zu nutzen.