10 Minuten Lesezeit 17 Dezember 2019
Gruppe Sportlerinnen beim Stretching

Wieso eine fitte Steuerfunktion wie ein gesunder Körper funktioniert

Von Kate Barton

EY Global Vice Chair – Tax

Helping organizations develop smart tax strategies. Passionate about diversity, women in business and tax tech.

10 Minuten Lesezeit 17 Dezember 2019

Weltweit setzen Behörden verstärkt auf Near- oder Realtime-Bewertung. Wie können Unternehmen für die digitale Steuerfunktion trainieren?

Die heutige Welt ist ausgesprochen gesundheitsbewusst. Auch für die Steuerfunktion sollten wir sicherstellen, dass sie einen Fitnesstest durchläuft und einen Plan verfolgt, um Ausdauer für das aufzubauen, was kommt. In unserer zunehmend vernetzten Weltwirtschaft hat fast jedes Unternehmen die Leiden und Schmerzen des digitalen Wandels erlebt.

Die Welt der Steuern ist davon nicht verschont geblieben, zumal die Behörden die Art und Weise, wie Steuern erhoben und eingezogen werden, ändern. Die Steuerbehörden möchten, dass ihre Gesetze durchgesetzt werden, und sind besorgt, nicht ihren gerechten Anteil an Steuern zu erhalten. Darüber hinaus nutzen Steuerbehörden Technologien auf neue und unterschiedliche Weise, um ihre Inkasso-Aktivitäten zu verbessern.

Da die Datenübertragung immer einfacher und schneller funktioniert, erhöhen sich Art und Umfang der Informationen, die mit den Steuerbehörden ausgetauscht werden müssen. Unterdessen haben die Behörden die Anforderungen an die Steuertransparenz weltweit verschärft: Mehr Offenlegungen der Bankkonten von Einzelpersonen, Berichte, die die Geschäftstätigkeit und länderspezifisch gezahlte Steuern erläutern, und eine detailliertere Bilanzierung von Transfer Pricing sind nur einige Beispiele hierfür.

In immer mehr Ländern verlangen die Steuerbehörden keine Steuererklärung mehr. Stattdessen verwenden sie die erhaltenen Echtzeitdaten, um die Steuer zu beurteilen. Der Steuerzahler muss der Bewertung dann schnell zustimmen – oder ihr widersprechen. 

All dies führt dazu, dass Unternehmen innehalten und sich die Frage stellen: Ist unsere Steuerfunktion fit genug für das, was vor ihr liegt?

Aufholjagd

Die Steuerbehörden haben viel in die Modernisierung ihrer Systeme investiert und führen fortschrittliche Analysen der unerschöpflichen Datensätze durch, die sie sammeln. Die Compliance selbst schreitet voran und die Wirtschaftsprüfung folgt. Cheryl Belles, Leiterin der digitalen Steuerverwaltung, sagt: „Wir erleben eine grundlegende Veränderung – von einem Umfeld der Regulierung und Durchsetzung, das traditionell auf Outputs in Form von Steuererklärungen ausgerichtet ist, hin zu einem, das sich zunehmend auf die Inputs konzentriert – auf die Daten selbst.“

Viele Unternehmen strampeln sich ab, um aufzuholen. Wenn sie sich selbst nicht sicher sind, was ihre eigenen Daten aussagen, laufen sie Gefahr, dass Regierungen zu einer anderen oder falschen Interpretation gelangen. Die Regierung gibt jetzt als Erstes vor, was ein Unternehmen schuldet – im Gegensatz zu dem Unternehmen, das seine Schätzung der Steuerlast über eine Steuererklärung vorlegt. Das Unternehmen muss nun die Echtzeitbewertung akzeptieren oder sehr schnell widerlegen, um zu zeigen, wo sie falsch ist. Das ist eine große Veränderung!

Da Finanz- und andere Geschäftsdaten immer schneller an die Steuerbehörden gemeldet werden, wird es für die Steuerabteilung entscheidend, mit den wichtigsten Stakeholdern zusammenzuarbeiten und sich außerdem mit dem Business, der Lieferkette und der Kundenschnittstelle des Unternehmens abzustimmen.

Dadurch, dass Steuerdaten in allen Geschäftseinheiten sichtbarer und kritischer verwaltet werden, benötigt die Steuerabteilung auch eine stärkere Beziehung zur IT-Funktion des Unternehmens. Die Konfiguration des Enterprise-Resource-Planning-Systems (ERP) eines Unternehmens ist steuerlich relevant – und wird in einer digitalen Inkassowelt noch wichtiger. So sind beispielsweise 70 Prozent der Unternehmen auf der ganzen Welt mit SAP ausgestattet. Unternehmen müssen bis 2025 auf S/4HANA umsteigen, was für die meisten eine große Herausforderung wird. 

Doch die Technologie bietet Unternehmen die Möglichkeit sicherzustellen, dass ihr Unternehmenssystem so konfiguriert ist, dass die Steuerfunktion die steigende Zahl steuerlicher Verwaltungsvorgänge bewältigen kann, die weltweit digitalisiert werden. „Es ist wichtig, dass Unternehmen eine vertrauenswürdige Daten- und Technologiestrategie entwickeln, die die heutige Compliance, Berichterstellung, Planung und Audit-Verteidigung effizient vorantreibt“, sagt Dave Helmer, EY Global Tax and Finance Operate Leader, und fügt hinzu, dass diese Strategie auch für kontinuierliche technologische und regulatorische Veränderungen „zukunftssicher“ sein müsse.

Unternehmen seien nach wie vor mit komplexen Altsystemen belastet, sagt Albert Lee aus Hongkong, globaler Co-Leader EY Tax Tech Transformation Service. „Die ordnungsgemäße Integration der Steuern ist eine der größten Herausforderungen für Unternehmen. Je integrierter, desto genauer und effizienter wird die Besteuerung sein“, sagt er. „Investitionen zur Verbesserung werden oft in kundenorientierten Systeme oder in Bereichen getätigt, in denen die Vorschriften dies erfordern. Jetzt ist die Zeit reif, denn immer mehr Steuerbehörden werden digital.“

Die digitale Revolution hat den Unternehmen auch eine neue Verantwortung gegenüber den Verbrauchern übertragen. Von Unternehmen wird jetzt erwartet, dass sie kundenbezogene Daten sammeln, schützen und in einigen Fällen den Steuerbehörden zur Verfügung stellen.

Das ist eine knifflige Gratwanderung, denn Unternehmen sind zu Recht vorsichtig, wenn es darum geht, wirtschaftlich sensible Informationen an Dritte weiterzugeben. Steuerbehörden wiederum fordern immer mehr Informationen an. Es ist wichtig, zuerst die Regeln zu verstehen und dann Kundenportale und andere Systeme zu entwickeln, die diesen Anforderungen entsprechen.

Ein frischer Ansatz

Um diese drängenden Probleme anzugehen, stellen viele Unternehmen fest, dass sie ihre steuerlichen Betriebsmodelle verändern müssen, indem sie in die richtigen Mitarbeiter, Prozesse und Technologien investieren. Dies wurde in einer von EY durchgeführten Umfrage, Reimagining the Future of Tax and Finance, deutlich. 84 Prozent der über 1.700 Befragten gaben an, dass sie derzeit Änderungen an ihren Steuer- und Finanzzielbetriebsmodellen vornehmen.

Helmer hält es bei der Umgestaltung dieser Modelle für entscheidend, dass sich das Unternehmen erst auf eine einheitliche Sichtweise einigt, die Risiko, Wert und Kosten abwägt. Sind die Prioritäten abgestimmt, kann das Unternehmen die Aktivitäten auswählen, bei denen es einen hohen Grad an Einfluss und Kontrolle haben muss und somit „best in class“ sein kann. Anschließend werden diejenigen Aktivitäten definiert, bei denen es „best in cost“ sein und die Aktivitäten mit dem höchsten Grad an Effizienz liefern sollte.

Bislang orientierten sich Steuerabteilungen traditionell an der Vergangenheit. Sie erstellten Steuererklärungen auf der Grundlage der Aktivitäten des Vorjahres, glichen Erträge und Aufwendungen ab, nahmen Anreize und Gutschriften in Anspruch und bei Bedarf Korrekturen vor. Die eingereichte Steuererklärung war im wahrsten Sinne des Wortes ein Rückblick.

Heute möchten die Steuerbehörden aufgrund ihrer eigenen digitalen Transformation mehr Informationen in Echtzeit. So verlangen beispielsweise immer mehr Regierungen eine elektronische Rechnungsstellung und detaillierte Hauptbuchdaten – ein Trend, der sich immer weiter ausbreiten wird. Belles sagt: „Der Trend zur elektronischen Rechnungsstellung ist tatsächlich die Grundlage für die Bemühungen der Regierung, vollständig digital zu werden. Sobald die Steuerbehörden die komplette Übersicht über alle Transaktionen haben, benötigen sie keine Steuererklärung mehr, um festzustellen, wie hoch die Steuerschuld ist.“

Die lateinamerikanischen Länder sind bei diesem Ansatz Vorreiter, andere Länder folgen ihrem Beispiel. So hat beispielsweise Brasilien die Anzahl regelmäßiger Datenübermittlungen, die ein Unternehmen einreichen muss, in den vergangenen fünf Jahren rapide erhöht. Inzwischen ist ein Unternehmen zu 29 Einreichungen verpflichtet, viele davon monatlich. In Mexiko wiederum müssen Unternehmen Informationen in digitaler Form aufbewahren, damit die Behörden bei Bedarf darauf zugreifen können.

In der digitalen Welt braucht jedes Unternehmen einen Plan für den Umgang mit neuen Technologien für seine Steuerfunktion. Wird das Unternehmen eine eigene Plattform aufbauen oder mit einer Firma kooperieren und Mitglied einer mandantenfähigen Technologieplattform sein? Diese wichtige Entscheidung sollte sorgfältig überlegt werden.

Die Rolle von KI und anderen hochmodernen Technologien

Unternehmen entwickeln ihre eigenen digitalen Tools, um die sich verlagernden Steuerrisiken zu bewältigen – und auch damit Steuerteams der Führungsriege zeigen können, wie sich Steuern auf umfassendere Geschäftsentscheidungen auswirken – oder auswirken sollten. Insbesondere Künstliche Intelligenz (KI) hilft den Steuerfunktionen, den steigenden Anforderungen an Transparenz und Berichtspflichten gerecht zu werden und ihre eigenen Prozesse und Effizienzsteigerungen zu verbessern, was zu Kosteneinsparungen führt.

„Der wahre Wert der KI für Steuern ist die Kombination von fundierter Steuerexpertise mit der Technologie, um ein innovatives Ergebnis mit größerer Genauigkeit und höherer Skalierbarkeit zu erzielen. Expertise oder Technologie allein würden das nicht schaffen“, erklärt Richard Clough, Global Chief Data Officer im Bereich Tax.

„Die KI-Fähigkeiten werden auf die Verbesserung der allgemeinen ,Fitness‘ der Daten ausgerichtet, die die Steuerabteilung benötigt. So wird eine genauere Steueranalyse der Chancen und Risiken im riesigen Pool der von den Steuerbehörden benötigten Geschäftsdaten möglich sein“, sagt Clough. Dies wird den Steuerdirektoren helfen, die Datenbedürfnisse ihrer Funktion dem Management besser zu verdeutlichen und das Verständnis für die wichtige Rolle, die die Steuerfunktion bei strategischen Entscheidungen spielen kann, zu verbessern. Denn neue Geschäftsmöglichkeiten werden zunehmend aus steuerlicher Sicht untersucht werden müssen.

Der exponentielle Anstieg des Datenvolumens und die signifikante Verkürzung der verfügbaren Zeit für die Datenanalyse aufgrund von Echtzeitbewertungen durch die Regierungen führen zu einer Veränderung der Geschäftsprozesse und Werkzeuge, die bei der Erhebung und Analyse von Steuerdaten eingesetzt werden. Manuelle Techniken sind nicht mehr ausreichend – KI verbessert die menschliche Seite, indem sie erste Entscheidungen zur Klassifizierung trifft und Ausreißer identifiziert. Die Selbstbewertungsfunktionen von KI ermöglichen den Steuerfachleuten gezieltere Überprüfungen.

Unternehmen sollten jede Gelegenheit nutzen, um die Sicherheit und Genauigkeit der Daten zu verbessern, die sie den Steuer- oder anderen Regierungsbehörden zur Verfügung stellen. Sie sollten auch verstehen, wie Steuerbehörden ihre Daten analysieren und verwenden – und über die gleichen Analysefunktionen verfügen wie diese Behörden.

Mit KI können Unternehmen ihre Compliance verbessern, ihre Ansätze ändern und rationalisieren oder neue Aktivitäten aufnehmen, die bisher nicht möglich waren.

„Individuelle KI-Tools können einen erheblichen Mehrwert bieten, wenn sie bei spezifischen Herausforderungen angewendet werden“, sagt Clough. „Die Vorteile von KI zeigen sich jedoch am deutlichsten, wenn mehrere KI-Technologien zusammengeführt werden, um eine ganzheitliche Lösung für ein breiteres Geschäftsfeld zu bieten.“

Eine 360-Grad-Ansicht

Die Transformation der Steuerfunktion ermöglicht es Unternehmen, innovative Ansätze zu entwickeln, die die Steuerfunktion mit allen Geschäftsprozessen verbinden und Mehrwert schaffen.

„Zum Beispiel haben wir ein Unternehmen bei der Bereitstellung eines Datenverknüpfungs-Tools unterstützt. Die erforderlichen Informationen wurden in einen Datenspeicher transformiert und konsolidiert, um so Betriebsabläufe zu beschleunigen“, ergänzt Daren Campbell, Tax Technology and Data Analytics Leader America in einem Video über die Zukunft der Steuer.

„Das hat nicht nur den Prozess der Steuerberichterstattung vereinfacht und den Zeitaufwand reduziert“, sagt Campbell, „es hat dem Unternehmen auch die Möglichkeit gegeben, Analysen einzusetzen, um umfangreiche Datenvisualisierungen zu erstellen. Diese helfen, ineffiziente Prozesse zu identifizieren, Möglichkeiten der Steuerplanung zu erkennen und Steuerrisiken zu verwalten und zu regulieren.“

Die Technologie lässt die Unternehmensplanung auch zunehmend in eine neue Dimension vordringen, indem sie die potenziellen Auswirkungen auf die Steuern hervorhebt. So können beispielsweise erweiterte Analysen, die Daten aus dem gesamten Unternehmen einbeziehen, eine schnelle „Was-wäre-wenn“-Analyse der steuerlichen Auswirkungen jeder Geschäftsentscheidung und jeder Änderung eines Geschäftsmodells ermöglichen und so eine bessere Entscheidungsgrundlage erzeugen. Da derzeit jedes dritte Land der Welt seine Steuergesetze ändert, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen über modernste Tools für die globale Planung von Echtzeitszenarien verfügen.

Mit dem Wandel der Steuerfunktionen können sie nicht nur Risiken besser managen und digitales Vertrauen aufbauen; es wird auch eine kostengünstigere und effizientere Zukunft in der neuen Welt der vernetzten Steuer möglich. Diese Dividenden an das Unternehmen sind wie ein schlankerer, stärkerer Körper, der das Ergebnis richtiger Ernährung und regelmäßiger Bewegung ist. Wie bei jedem Fitnessprogramm ist der erste Schritt der Schlüssel zum Erfolg.

Wie Unternehmen ihre Steuerfunktion digital startklar machen

  • Erwägen Sie Änderungen des steuerlichen Betriebsmodells (Tax Co-Sourcing, Shared Service Center usw.) als Teil einer IT- oder Finanztransformation und entwickeln Sie eine digitale Strategie, die die Koordination neu auftretender Risiken und die Unterstützung des Unternehmens bei gleichzeitiger Steigerung des strategischen Werts berücksichtigt. Eine Roadmap für die Steuertechnologie ist unerlässlich – werden Sie eine erstellen oder kaufen?
  • Stellen Sie sicher, dass Sie über neue Vorschriften zu den Anforderungen an die digitale Berichterstattung – sowohl in Bezug auf den Inhalt als auch auf das Format – auf dem Laufenden bleiben: Sie ändern sich fast täglich. Viele Änderungen werden erhebliche IT-Vorlaufzeiten erfordern. Daher ist es wichtig zu wissen, was in den nächsten 18 bis 24 Monaten zu erwarten ist. Die Enterprise-to-Enterprise-Technologie sollte kollaborativ funktionieren, damit sowohl Frontend-Aufgaben wie Dokumentation, Validierung, Klassifizierung und Überwachung als auch Backend-Verantwortlichkeiten für den Steuerabzug und die Meldung von Steuern nahtlos funktionieren.
  • Achten Sie beim Speichern hochsensibler steuerlicher Daten auf die Einhaltung geltender Standards und Verfahren, die sicherstellen, dass Ihre Steuerdaten korrekt und vollständig sind. Datenkontrollen für alle Daten, die in die Steuerfunktion eingehen, verbessern deren „Fitness“. Wenden Sie Richtlinien und Protokolle in Bezug auf Datenmanagement, Analysen und Steuerrechtsstreite an, die sich an die verändernden Anforderungen von Regierungen und Steuerbehörden anpassen.

Fazit

Die immer einfachere und schnellere Datenübertragung erhöht Art, Umfang und Transparenz der Informationen, die mit den Steuerbehörden geteilt werden müssen. Das stellt Unternehmen vor die Frage, ob ihre Steuerabteilung für die Zukunft gerüstet ist.

Über diesen Artikel

Von Kate Barton

EY Global Vice Chair – Tax

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