5 Minuten Lesezeit 18 Juni 2019
Geschäftsmänner auf dem Balkon

Was die Anzeigepflicht für Steuergestaltungen konkret bedeutet

Von Henrik Ahlers

Managing Partner Tax | Deutschland, Schweiz, Österreich

Ist engagierter Steuerberater und Rechtsanwalt mit Blick für Lösungen und Mut zur Veränderung. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt er in Hannover.

5 Minuten Lesezeit 18 Juni 2019

Die neue EU-Anzeigepflicht für grenzübertretende Steuergestaltungen soll in Kraft treten, obwohl sie erhebliche Mängel aufweist.

Wenn es darum geht, die Kontrolle über das Steuersubstrat zu verschärfen und unternehmerische Gestaltungsspielräume einzuschränken, sind die Finanzminister der Europäischen Union (EU) schnell einer Meinung. Nur neun Monate, nachdem die EU-Kommission einen Entwurf vorgelegt hatte, einigte sich der Ministerrat im März 2018 auf eine europäische Anzeigepflicht für Steuergestaltungen. Steuerberater und Steuerpflichtige sollen Informationen über Gestaltungen abliefern, die aus Sicht der Finanzminister verdächtig sein könnten. Diese wollen frühzeitig über zwar legale, aber politisch nicht gewollte Aktivitäten informiert werden, um Besteuerungsregeln gegebenenfalls nachzujustieren. 

Damit nehmen die Meldepflichten und Kontrollmaßnahmen immer mehr zu: Nach Country-by-Country Reporting (CbCR), Finanzkonten-Informationsaustausch, Geldwäsche, Datenschutzgrundverordnung und Transparenzregister kommt jetzt die Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, der eine weitere Meldepflicht für nationale Gestaltungen innerhalb Deutschlands folgen könnte. 

Nach Country-by-Country Reporting (CbCR), Finanzkonten-Informationsaustausch, Geldwäsche, Datenschutzgrundverordnung und Transparenzregister kommt jetzt die Anzeigepflicht für EU-Steuergestaltungen.

Woran erkennt man eine meldepflichtige Gestaltung?

Schon das Rekordtempo der EU-Finanzminister droht die Wirtschaft zu belasten. Hauptproblem ist die unklare Ausgestaltung. Denn woran man eine meldepflichtige Gestaltung erkennt, haben die Finanzminister nicht genau definiert. Da man auf der Suche nach bislang unbekannten Tricks ist, soll eine Reihe von Kennzeichen – sogenannten „Hallmarks“ – die guten von den schlechten Gestaltungen unterscheiden. Die einzige wirkliche Präzisierung besteht im ausschließlichen Fokus auf grenzüberschreitende Gestaltungen. Rein nationale Sachverhalte bleiben unterhalb des EU-Radars.

Trotzdem dürften bei den Finanzbehörden viele Meldungen eingehen, da die Hallmarks sehr weit gefasst sind. Zu den anzeigepflichtigen, grenzüberschreitenden Gestaltungen gehören zum Beispiel der Erwerb von Verlustgesellschaften mit anschließender Änderung der Haupttätigkeit,  die Nutzung eines präferenziellen Steuerregimes oder Transaktionen mit schwer zu bewertenden, immateriellen Wirtschaftsgütern. Einige Hallmarks greifen nur dann, wenn zusätzlich ein Main Benefit-Test erfüllt wird: Der Hauptvorteil einer Gestaltung muss steuerlicher Art sein.

Kaum Klarheit

Die wenig detaillierten Ausführungen der EU-Richtlinie sind kaum geeignet, in der Unternehmenspraxis für Klarheit zu sorgen. Nicht umsonst gibt es in Ländern, die schon Anzeigepflichten kennen, umfassende Verwaltungsanweisungen, um die Systeme praxistauglich zu machen. In Großbritannien zum Beispiel erläutert die Steuerbehörde auf 184 Seiten haarklein, wie das dortige DOTAS-System (Disclosure of Tax Avoidance Schemes) anzuwenden ist. Zu den Mängeln der EU-Richtlinie zählen zudem zahlreiche Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Sprachfassungen. 

Bereits 20 Tage nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt und damit seit dem 25. Juni 2018 sind anzeigepflichtige Gestaltungen aufzuzeichnen. Denn die EU hat festgelegt, dass alle ab diesem Datum umgesetzten, anzeigepflichtigen Gestaltungen bis zum 31. August 2020 nachgemeldet werden müssen.

Eine weitere Krux an der Geschichte: Die Richtlinie wird ungewöhnlich schnell scharf geschaltet. Bereits 20 Tage nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt und damit seit dem 25. Juni 2018 sind anzeigepflichtige Gestaltungen aufzuzeichnen. Denn die EU hat festgelegt, dass alle ab diesem Datum umgesetzten, anzeigepflichtigen Gestaltungen bis zum 31. August 2020 nachgemeldet werden müssen. Erst ab Juli 2020 müssen die Meldungen sofort bzw. innerhalb von 30 Tagen erfolgen. Wenn Steuerberater und Steuerpflichtige gesetzestreu nachmelden wollen, müssen sie ihre tägliche Arbeit schon seit Sommer 2018 genau durchleuchten und umfassende Dokumentationen anlegen.

Nationale Rechtsgrundlage fehlt

Doch das gleicht einem Stochern im Trüben, weil bis auf Weiteres eine nationale Rechtsgrundlage fehlt und damit viele Detailvorschriften, die die unklare Richtlinie präzisieren. Eine Transformation in deutsches Recht muss bis Ende 2019 erfolgen. Das hindert die EU-Finanzminister aber nicht daran, schon jetzt für Fehlverhalten Sanktionen anzudrohen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind. Die genaue Ausgestaltung der Sanktionen obliegt den Mitgliedstaaten und steht noch nicht fest. Schon eine Steuerersparnis von wenigen Euro kann anzeigepflichtig sein.

Da Anwälte und Steuerberater in Deutschland berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten unterliegen, können sie die Gestaltungen nicht mitsamt Namen der Steuerpflichtigen melden, wie von der EU gefordert. Damit würde in Deutschland die Anzeigepflicht eigentlich auf den Steuerpflichtigen übergehen. Um dies weitgehend zu vermeiden, hat sich die deutsche Finanzverwaltung ein abgestuftes Verfahren ausgedacht. Sofern ein Intermediär eingebunden ist, soll er Intermediär auch im Fall einer Verschwiegenheitspflicht alle nicht-nutzerbezogenen Informationen, die nicht Gegenstand der Verschwiegenheitspflicht sind, selbst an die Finanzverwaltung melden. Entbindet der Steuerpflichtige den Intermediär von seiner Verschwiegenheitspflicht, soll dieser sogar alle Daten selbst melden. Ohne Entbindung muss er alle weiteren Daten zumindest dem Steuerpflichtigen zur Verfügung stellen, damit dieser die Daten unkompliziert an die Finanzbehörden melden kann. Steuerpflichtige sind jedoch immer dann meldepflichtig, wenn sie selbst eine Gestaltung ersinnen (In-House-Gestaltung), die unter die Hallmarks fällt, oder wenn ausschließlich Drittstaaten-Intermediäre eingebunden sind. Eine Mindestaufgriffsgrenze gibt es nicht. Schon eine Steuerersparnis von wenigen Euro kann anzeigepflichtig sein. Betroffen sind grundsätzlich alle Steuerarten außer Mehrwertsteuer, Verbrauchsteuern und Zölle, für die andere EU-Regeln zur Verwaltungszusammenarbeit greifen. Allerdings können die EU-Staaten die Anzeigepflicht in Eigenregie ausweiten. In Polen ist z.B. auch die Mehrwertsteuer erfasst. Entsprechende Gestaltungen sind aber nur in Polen meldepflichtig und die Daten werden nicht ausgetauscht.

Umfassende Datensätze binnen 30 Tagen

Viel Zeit zum Nachdenken bleibt Steuergestaltern nicht. Gemeldet werden muss innerhalb von 30 Tagen, nachdem eine grenzüberschreitende Gestaltung zur Nutzung bereitgestellt oder mit der Umsetzung begonnen wurde. In dieser knappen Zeit gilt es, einen umfassenden Datensatz zusammenzutragen. Die Finanzbehörden interessieren sich neben Informationen zu allen betroffenen Steuerpflichtigen bzw. Unternehmen für eine genaue Modellbeschreibung inklusive des Umfangs der Steuerersparnis. Zwischen den EU-Staaten werden die gesammelten Daten dann regelmäßig ausgetauscht. 

Die neue Anzeigepflicht wird nicht nur Steuerpflichtige und ihre Berater mit erheblicher Bürokratie belasten. Auch die Finanzverwaltung steht vor der Herausforderung, die absehbare Datenflut zu bewältigen.

Da überrascht es, dass ausgerechnet die deutschen Länder-Finanzminister, die stets über die hohe Belastung ihrer Beamten klagen, noch eine Schippe drauflegen wollen. Parallel zur EU-Richtlinie haben sie eigene Pläne für eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen entwickelt und davon auch den Bundesfinanzminister überzeugt. Ihr Ziel: Steuerpflichtige müssen nicht nur grenzüberschreitende, sondern auch rein nationale Gestaltungen melden. Ob diese zusätzliche Anzeigepflicht im gleichen Atemzug mit der EU-Anzeigepflicht eingeführt wird, ist allerdings noch nicht entschieden. Die Union hat in der GroKo schon zum Jahresanfang ihren Widerspruch eingelegt. Bislang ist noch keine abschließende Entscheidung gefallen.

Fazit

Die neue EU-Anzeigepflicht für grenzübertretende Steuergestaltungen soll in Kraft treten, obwohl sie erhebliche Mängel aufweist: Zu erwarten sind weitere Belastungen für die Wirtschaft; für Berater und Behörden bedeutend mehr Bürokratie. Deutschland wird möglicherweise zusätzlich eine Meldepflicht für rein nationale Steuergestaltungen durchsetzen.

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