7 Minuten Lesezeit 16 September 2022
Kaukasisches Ehepaar klettert Fels hinauf

Warum alternative juristische Dienstleister auf dem Vormarsch sind

Von Cornelius Grossmann

EY Global Law Leader

Global Law Leader. Passionate about integrity and diversity. Father of five. Fond of classical music.

7 Minuten Lesezeit 16 September 2022

Cornelius Grossmann, EY Global Law Leader, und Eric Laughlin, EY Global Legal Managed Services Leader, über Alternative Legal Service Providers (ALSPs) und neue Betriebsmodelle für Rechtsabteilungen.

Sowohl die EY Law Practices als auch – vor ihrer Übernahme – die Thomson Reuters Legal Managed Services haben Umfragen durchgeführt, in denen die Nutzung von ALSPs durch interne Rechtsabteilungen untersucht wurde. Welche Ergebnisse stechen für Sie hervor?

Cornelius Grossmann: Am „Reimagining the Legal Function Report 2019“ war eine Reihe von Schlüsselthemen faszinierend, aber eines der wichtigsten Ergebnisse war das gestiegene Interesse an ALSPs. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass bereits 33 Prozent der Unternehmen viele Prozesse der Rechtsfunktion auslagern, weitere 41 Prozent würden es in Erwägung ziehen. Das deutet darauf hin, dass ein beträchtlicher Anteil der internen juristischen Funktionen eine Modernisierung ihrer Tätigkeit anstrebt.

Eric Laughlin: Das wird durch die Ergebnisse des Thomson-Reuters-Reports „Alternative Legal Services Providers 2019“ bekräftigt. Sie zeigen, dass Rechtsabteilungen von US-Unternehmen ALSPs mehr und in vielfältigerer Weise nutzen. In einigen Fällen haben diese Unternehmen bereits die Prognosen für die Nutzung von ALSPs im Jahr 2021 übertroffen, die sie im vorigen Bericht von 2017 angegeben hatten.

Es ist daher vermutlich keine Überraschung, dass mit diesem gestiegenen Interesse die Einnahmen von ALSPs von 8,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 auf rund 10,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017 angestiegen sind.

Wodurch wird Ihrer Meinung nach dieser Wandel forciert?

CG: Es gibt einige zusammenhängende Schlüsselfaktoren, die Unternehmen dazu veranlassen, den Einsatz von ALSPs in Betracht zu ziehen. Bemerkenswert ist unter anderem der Kostendruck – die Notwendigkeit, „mit weniger mehr zu erreichen“. 82 Prozent der Befragten planen, die Kosten für die Rechtsabteilung in den nächsten 24 Monaten zu senken.

Es besteht außerdem die Sorge, dass Rechtsabteilungen Schwierigkeiten haben, Talente bestmöglich zu nutzen, denn mehr als ein Viertel der Gesamtarbeitszeit wird für die Durchführung von Routine- und geringwertigen Aufgaben aufgewendet. Das war bei größeren Rechtsabteilungen noch stärker der Fall.

EL: Zusätzlich zu den Kosteneinsparungen, die wahrscheinlich immer eine treibende Kraft sein werden, werden Unternehmen auch von anderen wichtigen Vorteilen der ALSPs angezogen. Sowohl 2017 als auch 2019 stellte der Thomson-Reuters-Report fest, dass Rechtsabteilungen und Anwaltskanzleien den Zugang zu spezialisiertem Fachwissen als Hauptgrund für den Einsatz von ALSPs nennen, zusammen mit der Notwendigkeit, Ressourcen effizienter und strategischer zu nutzen.

Wie genau werden ALSPs von den Rechtsabteilungen der Unternehmen genutzt?

CG: Das ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich, aber Unternehmen tendieren derzeit dazu, eine Reihe rechtlicher Aktivitäten outzusourcen, etwa das Contract-Lifecycle-Management (CLM), die Verwaltung von Rechtspersonen und Compliance, Dokumentenprüfung, Due Diligence, Unterstützung bei Rechtsstreitigkeiten und Untersuchungen sowie Regulierungsarbeit.

EL: Es ist ebenso erwähnenswert, dass die Einbeziehung neuer Technologien in das Serviceangebot ganz oben auf der Tagesordnung der ALSPs steht, besonders weil die raschen Veränderungen in der Technologie dazu führen, dass immer mehr Unternehmen Rat bei der Technologieauswahl suchen. ALSPs sehen Technologien auch als Katalysator, um in der Wertschöpfungskette von Rechtsdienstleistungen aufzusteigen. Im jüngsten Bericht nannten sie Tools für Vertragsmanagement und Prozessabbildung als die am häufigsten verwendeten Technologien.

Darüber hinaus gab etwa ein Viertel der befragten ALSPs an, Technologien zu verwenden, die ein Element der Künstlichen Intelligenz (KI) beinhalten. Ein weiteres Drittel war dabei, das Potenzial von KI zu evaluieren. Die Erfahrung zeigt, dass sich gerade dieser hochmoderne Aspekt für die interne Rechtsabteilung als sehr attraktiv erweist.

Haben Sie also den Eindruck, dass Unternehmen ALSPs anders sehen als früher?

EL: Historisch wurde der ALSP-Markt als im Entstehen begriffen und als ein Schuss vor den Bug des traditionellen Rechtsmodells betrachtet. In den vergangenen Jahren ist der Markt erheblich gereift – Unternehmen wie EY haben seit 15 Jahren Prozesse verfeinert und Kunden haben gelernt, dem Modell zu vertrauen.

In den USA hat sich die Einstellung gegenüber ALSPs – insbesondere Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit und der Arbeitsqualität – in den vergangenen zwei Jahren geändert. Die Bedenken nehmen ab, da Unternehmen und Anwaltskanzleien empfänglicher für die Vorteile von ALSPs werden. Infolgedessen ermutigen immer mehr Unternehmen ihre externen Berater, das Potenzial von ALSPs zu nutzen. Und immer mehr Anwaltskanzleien nutzen ALSPs, um ihr Geschäft zu differenzieren, zu skalieren und zu erweitern und um Kundenbeziehungen zu pflegen.

Welche Prognosen haben die Umfragen ergeben? Wird sich die verstärkte Nutzung von ALSPs fortsetzen?

EL: Die befragten ALSPs erwarten ein durchschnittliches Wachstum von 24 Prozent pro Jahr. Die Studie unterstützt diese hohe Wachstumserwartung. Die Zahl der Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen von Unternehmen, die mit einem Anstieg ihrer Ausgaben für ALSPs rechnen, ist weitaus höher als die Zahl derjenigen, die einen Rückgang erwarten.

Die Umfrage hat gezeigt, dass die Unternehmen bereits jetzt ihre eigenen Vorhersagen darüber, wie häufig sie ALSPs nutzen würden, übertreffen und dass sich dieser Trend wohl fortsetzen wird. 25 Prozent der Rechtsabteilungen von US-Unternehmen geben an, dass sie in den nächsten fünf Jahren mehr für ALSPs ausgeben werden – vor zwei Jahren waren es nur 16 Prozent.

Was sind Ihrer Ansicht nach die strategischen Vorteile der ALSP-Nutzung?

EL: Wie bereits erwähnt ist die Einführung von Technologien ein wichtiges Merkmal von ALSPs. Technologiebasierte Dienste erlauben es ihnen, einen höheren Wert zu bieten und andere, komplexere Aufgaben zu übernehmen. Die ALSPs tragen auch die Last der Technologieauswahl und ihrer Bereitstellung mit, während die Rechtsabteilungen die Vorteile nutzen können. ALSPs verlassen sich bei der Auswahl der besten Tools für ihre Kunden oft auf die Technologie von Drittanbietern; andere entwickeln proprietäre Systeme auf der Suche nach einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil.

CG: Rechtsabteilungen sind keine Inseln – sie sind Teil des Unternehmens und seiner umfassenden Prozesse. Sie können eine entscheidende Rolle dabei spielen, Unternehmen beim Erreichen ihrer strategischen Ziele zu unterstützen, indem sie etwa rechtliche Daten in verwertbare Geschäftsdaten verwandeln. Wenn ALSPs zur Optimierung der Geschäftsabläufe beitragen können, sollten sie selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden.

Die Erfahrung zeigt, dass es ein Wettbewerbsvorteil sein kann, die richtigen Leute am richtigen Ort zu haben, um die am besten geeignete Arbeit im Rahmen eines übergreifenden rechtlichen Geschäftsmodells auszuführen – im Gegensatz zu einer Betrachtung von Projekt zu Projekt. Unternehmen, die das erkennen, haben möglicherweise denen etwas voraus, die das nicht erkennen.

Werden die General Counsels von den Ergebnissen der Umfragen überrascht sein?

CG: Größere Unternehmen haben oft das Gefühl, dass sie die Dinge besser und günstiger erledigen können als externe Rechtsberater. Es kann einige Zeit dauern, bis die General Counsels erkennen, dass sie mit anderen vertrauenswürdigen Partnern zusammenarbeiten können, um einen wertvollen, vorhersehbaren Rechtsbeistand zu erhalten, ohne dass sie Spitzenkanzleisätze auf Zeitbasis bezahlen müssen.

Aus den Antworten auf die EY-Umfrage geht klar hervor, dass die Rechtsabteilungen an einem kritischen Punkt angelangt sind. Daher kann es für die General Counsels von Vorteil sein, auf breiter Ebene nach Ideen für die Neugestaltung der Abteilung zu suchen. Dazu können auch ALSPs gehören.

Welche Maßnahmen sollten Rechtsabteilungen ergreifen, ob sie nun bereits ALSPs in Anspruch nehmen oder nicht?

CG: Angesichts der eingegangenen Antworten und der Trends, die sich im „Reimagining the Legal Function Report 2019“ abzeichneten, wird davon ausgegangen, dass Vorstände und Führungskräfte spezifische Maßnahmen in Betracht ziehen könnten, um die Zweckmäßigkeit ihrer Rechtsabteilungen zu gewährleisten.

Dazu gehört, die rechtliche Funktion neben andere Abteilungen zu stellen, wenn die Geschäftsleitung über die Ableitung strategischer Werte spricht, und die Beteiligung an unternehmensweiten Transformationsinitiativen zu verstärken. Dazu gehört es auch, die Rechtsabteilung zu einer einzigen digitalen Betriebsplattform umzugestalten, damit zu beginnen, alle Daten, zu denen eine Rechtsabteilung Zugang hat, zu sammeln und auszuwerten und zu erkennen, dass Mitarbeiter effektiver eingesetzt werden müssen. Außerdem sollten alternative Anbieter und operatives Denken eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass die Rechtsfunktion einen maximalen strategischen Wert für das Unternehmen insgesamt bietet.

Es war aufschlussreich, dass trotz des gestiegenen Interesses an und der Nutzung von ALSPs nach wie vor 26 Prozent der Befragten angaben, dass sie Outsourcing nicht in Betracht ziehen würden. Die EY-Teams fragten diese Unternehmen nach ihren Modernisierungsstrategien, um der steigenden Nachfrage in Zukunft gerecht zu werden.

Steuern wir auf eine „neue Normalität“ für die Rechtsfunktion von Unternehmen zu?

CG: Es gibt sicherlich deutliche Hinweise darauf, dass die interne Rechtsabteilung stark zur Nutzung von ALSPs tendiert. Es gibt eindeutige Beweggründe wie den Zugang zu spezialisiertem Know-how, Kosteneinsparungen und Einsatz von Talenten. Die Umfragen aber auch gezeigt, dass die Notwendigkeit, die Rechtsfunktion zu modernisieren, in einem größeren Zusammenhang zu sehen ist. Es ist auch erforderlich, durch den Einsatz von Technologien und Daten Innovationen durchzuführen und in einem sich verändernden regulatorischen Umfeld anpassungsfähig zu sein.

In den Umfragen gab es Unterschiede nach Regionen, Sektoren und Unternehmensgrößen, daher gibt es natürlich nicht den einen Ansatz, der sich für alle geeignet. Aber es scheint sicher, dass die interne Rechtsfunktion in fünf Jahren ganz anders aussehen wird.

EL: Unternehmen halten womöglich kurz inne, wenn sie merken, dass die Vorteile der Auslagerung bestimmter rechtlicher Aufgaben die durch die Rechtsabteilung zu erreichenden Effizienzgewinne in voller Höhe ausschöpfen. Wir haben festgestellt, dass kurzfristige Effizienzinitiativen den strategischen Wert, den die Rechtsfunktion für das Unternehmen im Allgemeinen bieten kann, nicht erschließen können, ohne dass das Betriebsmodell überdacht wird.

Wenn man sich genau ansieht, wie sowohl Anwaltskanzleien als auch Rechtsabteilungen von Unternehmen ALSPs nutzen, wird deutlich, dass sich ALSPs in der Wertschöpfungskette nach oben arbeiten.

Die Studie wurde von Thomson Reuters, dem Rechtszentrum für Ethik und Rechtsberufe der Georgetown University, der University of Oxford Saïd Business School und dem britischen Rechtsforschungsunternehmen Acritas durchgeführt. EY ist zwar nicht an der Studie beteiligt, hat jedoch die Erlaubnis, die Studie und die zugrunde liegenden Daten im Rahmen der Akquisition von Pangea3 Legal Managed Services von Thomson Reuters zu verwenden.

Fazit

Es findet eine deutliche Verschiebung hin zur Nutzung von ALSPs statt, die von spezialisiertem Know-how, Kosteneinsparungen, regulatorischen Entwicklungen und der Notwendigkeit von Innovationen getrieben wird.

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Von Cornelius Grossmann

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