5 Minuten Lesezeit 27 Jänner 2020
Frau in der Produktion

Ist der Fachkräftemangel die größte Bedrohung für den österreichischen Mittelstand?

Von Erich Lehner

Managing Partner Markets, Programm Partner EY Entrepreneur Of The Year I Österreich

Erich Lehner verantwortet die serviceübergreifende Zusammenarbeit. Seine unternehmerisch geprägten Wurzeln zusammen mit seiner Berufserfahrung bilden die Basis seines ganzheitlichen Beratungsansatzes.

5 Minuten Lesezeit 27 Jänner 2020

Für die heimischen Unternehmen sind Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitern aktuell bei weitem das größte Risiko. 

So wie im Vorjahr sehen 69 Prozent den Fachkräftemangel als größte Gefahr für die Entwicklung des eigenen Betriebs, weit vor einem drohenden wirtschaftlichen Abschwung (43 %) und zunehmendem Wettbewerb (38 %).

Den Unternehmen fällt es weiterhin schwer, geeignete Fachkräfte zu finden: Der Anteil der Betriebe, die laut eigener Aussage große Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften haben, liegt wie in den letzten beiden Jahren bei über einem Viertel – 2015 waren es noch 15 Prozent. Nur einer von hundert Betrieben gibt auf der anderen Seite an, keine Schwierigkeiten bei der Rekrutierung geeigneter Fachkräfte zu haben.

Unternehmen investieren in Wachstum trotz eingetrübter Konjukturaussichten

Die Beschäftigungsdynamik in Österreich entwickelt sich auch 2020 trotz sich eintrübender Konjunktur deutlich positiv. Mehr als jedes vierte Unternehmen in Österreich (28 %) plant aktuell zusätzliche Mitarbeiter einzustellen, während nur sieben Prozent der Befragten Stellenstreichungen planen. Gegenüber den beiden Vorjahren mit Hochkonjunktur lässt die Beschäftigungsdynamik damit nur leicht nach. Die meisten neuen Stellen wollen Unternehmen im Burgenland bzw. Vorarlberg (je 34 %) und Tirol (31 %) schaffen.

Obwohl sich die Konjunkturaussichten eintrüben und heimische Unternehmen nicht mehr ganz so zuversichtlich auf die Wirtschaftsentwicklung blicken, sind die Auftragsbücher gut gefüllt und die Unternehmen investieren in Wachstum.

Wie schon im Vorjahr bremst die Situation auf dem Arbeitsmarkt die Wachstumspläne von Österreichs Betrieben. Regional herrscht in Österreich teilweise Vollbeschäftigung, gut ausgebildete Fachkräfte können sich ihren Arbeitgeber längst aussuchen. Aber gerade kleinere Unternehmen, die mit bekannteren Mitbewerbern um Arbeitskräfte buhlen, können viele Stellen oft nur mühsam oder gar nicht besetzen. 

Fachkräftemangel verursacht bei 36 Prozent der Unternehmen Umsatzeinbußen

Die angespannte Situation am Arbeitsmarkt macht nicht nur den Personalabteilungen zu schaffen – sie kostet die Unternehmen insgesamt viel Geld. 36 Prozent der Unternehmen – und damit fast so viele wie im Vorjahr (40 %) – verlieren aufgrund des Fachkräftemangels Umsatz. Bei fast jedem Zehnten (9 %) sinkt der Jahresumsatz deshalb sogar um mehr als fünf Prozent. Besonders gravierend sind die Folgen des Fachkräftemangels in der Immobilienbranche und im Tourismus, wo jeweils 44 Prozent Umsatzeinbußen beklagen. In der Transport- und Logistikbranche verliert mehr als jedes fünfte Unternehmen sogar mehr als fünf Prozent seines Jahresumsatzes.

Meiste unbesetzte Stellen im IT- und Technikbereich

Zahlreiche Firmen in Österreich müssen Stellen infolge des Fachkräftemangels unbesetzt lassen. Das betrifft insbesondere den technischen Bereich der Produktion: Jedes vierte Unternehmen (26 %) lässt in diesem Bereich Positionen unbesetzt. Im IT-Bereich müssen 15 Prozent Stellen offenlassen. 

Die digitale Transformation ist in allen Branchen voll im Gang, speziell Industriebranchen stecken mitten in einem nachhaltigen technologischen Umbruch. Das führt auch zu erheblichen Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt. Traditionelle Arbeitsplätze fallen weg, gerade in den Bereichen der technischen Produktion, IT sowie Forschung und Entwicklung entstehen neue Stellen. Der Arbeitsmarkt hält mit dieser Entwicklung momentan nicht Schritt, was die Vakanzen in genau diesen Bereichen erklärt.

Grundsätzlich gilt aber: Es gibt innerhalb Österreichs keine Branche und keinen Ort mehr, der vom Fachkräftemangel verschont bleibt.

Probleme in allen Bundesländern – starkes Ost-West-Gefälle

Probleme bei der Fachkräftesuche haben Unternehmen in ganz Österreich – unabhängig vom Bundesland. Allerdings zeigen sich erhebliche regionale Unterschiede. Es herrscht ein starkes Ost-West-Gefälle auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Am stärksten spüren Unternehmen in Vorarlberg und Tirol den Fachkräftemangel, während die Lage in Wien und Niederösterreich am wenigsten kritisch ist. Gleichzeitig wollen aber gerade Betriebe aus Vorarlberg und Tirol ihren Personalstand besonders stark erhöhen. Im Westen Österreichs klafft eine erhebliche Lücke auf dem Arbeitsmarkt, die zunehmend größer wird.

Am kritischsten ist der Fachkräftemangel momentan bei Unternehmen in

  • Vorarlberg (35 % haben „große“, 56 % „eher große“ Probleme),
  • Tirol (33 % bzw. 53 %) und
  • in Kärnten (30 % bzw. 51 %).

Am besten ist die Situation noch in Wien – allerdings klagen im bevölkerungsreichsten Bundesland immer noch 14 Prozent über „große“ und weitere 51 Prozent über „eher große“ Schwierigkeiten bei der Fachkräfterekrutierung.

Transport- und Industrieunternehmen fühlen Fachkräftemangel am stärksten

Besonders stark ist der Fachkräftemangel in der Transport- und Logistikbranche sowie in der Industrie (jeweils 91 %) bemerkbar. Auch im Tourismus (87 %) und im Immobilienbereich (86 %) ist es für so gut wie alle österreichischen Unternehmen schwer oder sehr schwer, qualifizierte Mitarbeiter für offene Stellen zu finden. Genau in diesen Branchen sind auch die Umsatzeinbußen besonders stark zu spüren.

Die Branchen, die in den letzten Jahren besonders stark von der guten konjunkturellen Entwicklung profitieren, haben auch besonders große Probleme mit dem eigenen Wachstum Schritt zu halten.

Fazit

Die Weiterentwicklung des österreichischen Bildungssystem ist der entscheidende Hebel für eine erfolgreiche wirtschaftliche Zukunft. Es ist ganz einfach: Wer stehenbleibt, fällt zurück. Die neu formierte Bundesregierung ist gefordert, die hinlänglich bekannten Stellschrauben weiterzudrehen: Investment in digitale Skills, Attraktivierung der sogenannten MINT-Fächer, Stärken der dualen Ausbildung und vor allem die Förderung von unternehmerischem Mut schon im Kinder- und Jugendalter. Die im Regierungsprogramm skizzierte Fachkräfteoffensive spiegelt diese zentralen Schwerpunkte wider – jetzt geht es darum, diese Vorhaben mit Leben zu füllen und konkrete Maßnahmen umzusetzen.

Über diesen Artikel

Von Erich Lehner

Managing Partner Markets, Programm Partner EY Entrepreneur Of The Year I Österreich

Erich Lehner verantwortet die serviceübergreifende Zusammenarbeit. Seine unternehmerisch geprägten Wurzeln zusammen mit seiner Berufserfahrung bilden die Basis seines ganzheitlichen Beratungsansatzes.