Ein Porträtfoto von Joris Gröflin
Die Krise ist ein Erinnerungsruf an alle, global zu denken.

Joris Gröflin

Joris Gröflin ist seit 2019 Chief Financial Officer und Mitglied der Konzernleitung der Axpo Holding AG, die für über drei Millionen Menschen und mehrere tausend Unternehmen in der Schweiz und in über 30 Ländern Europas zuverlässig Energie produziert, handelt und verteilt. Zuvor war Joris Gröflin bei der Rieter Holding AG in Winterthur in der Funktion als Chief Financial Officer und Mitglied der Konzernleitung tätig. Er verfügt über einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre mit Spezialisierung auf Finanzen und Kapitalmärkte (lic. oec. HSG) sowie einen CEMS Master für internationales Management der Universitäten St. Gallen und Rotterdam.

7 minute read

  • Facebook
  • LinkedIn
  • X (formerly Twitter)
Mit dem Überwinden der akuten Phase der COVID-19-Krise beginnt unsere Reise zu einer neuen Normalität. EY hat verschiedene Vordenker und Entscheidungsträger gebeten, Bilanz zu ziehen und ihre Erkenntnisse über die nächsten Schritte auszutauschen. Joris Gröflin, CFO der Axpo Holding AG, blickt auf die vergangenen Monate zurück und erklärt, wieso das lokale und das globale Denken mehr denn je ein gegenseitiges Wechselspiel sein sollten und welch entscheidende Rolle die Mitarbeitenden in einer Krise spielen.
Wie beschreiben Sie die aktuelle Situation?

Nach wie vor sind wir in einer Sondersituation. Wir haben noch nicht alle Freiheiten zurück, die wir vor der Pandemie hatten. Solange das so ist, herrscht für mich kein Normalzustand.

Mit welchen Herausforderungen hatten Sie, Ihre Mitarbeitenden und die Axpo in den letzten Monaten besonders zu kämpfen?

Rein von den Vorbereitungen her waren wir gut aufgestellt – die Axpo verfügte über Pandemiepläne und hatte verschiedene Szenarien durchdacht. Auch hatten wir erst gerade unser Business Continuity Management upgedatet. Das heisst, wir wussten, auf welche Schlüsselprozesse wir uns in einer solchen Situation fokussieren müssen. Das gab uns natürlich Geschwindigkeit, um gezielt Massnahmen entwickeln zu können. Der tatsächliche Schritt in das virtuelle Arbeiten, das für einen Grossteil der Mitarbeitenden galt, war hingegen eine Herausforderung – für das Unternehmen wie auch für die Mitarbeitenden, insbesondere für jene, die gleichzeitig auch noch mit dem Homeschooling der Kinder konfrontiert waren. Das hat den einen oder anderen doch recht in Anspruch genommen und das war auch für mich persönlich eine Umstellung. Mittlerweile haben sich die Leute aber organisieren und ihre Tage strukturieren können.

Wie hat sich die Art zu arbeiten bei der Axpo verändert?

Heute haben wir zwei Gruppen von Mitarbeitern: Jene, die physisch vor Ort sein müssen, um die Anlagen zu betreiben, und jene, die virtuell arbeiten können. Zugleich hat sich die Arbeitsweise intensiviert. Zum einen hat sich die Geschwindigkeit erhöht, wie man Veränderungen bewegen und auslösen, aber auch umsetzen kann, zum anderen, wie schnell man interagieren kann. Und natürlich sind wir mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Kundengespräche und Kundenakquise etwa funktionieren nur über das persönliche Gespräch. Da braucht es jetzt innovative Ansätze, wie man auf die Kunden zugeht. Auch die Logistik und Planung für den Betrieb der Kraftwerke sowie die Revisionen der Kernkraftwerke stellen uns unter den aktuellen Bedingungen vor grosse Herausforderungen. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie das funktioniert – eine absolute Meisterleistung.

Welche krisenbezogenen Fragen stehen heute ganz oben auf der Tagesordnung?

Nach wie vor haben der sichere Betrieb der Kraftwerke und der Netzinfrastruktur sowie der Schutz der Mitarbeitenden oberste Priorität. Das heisst aber auch, dass wir das Unternehmen in dieser Situation und auch in Zukunft wirtschaftlich möglichst erfolgreich betreiben wollen.

Nach wie vor haben der sichere Betrieb der Kraftwerke und der Netzinfrastruktur sowie der Schutz der Mitarbeitenden oberste Priorität.
Joris Gröflin
CFO der Axpo Holding AG
Man sagt, in jeder Krise liegt auch eine Chance. Sehen Sie das auch so?

Klar, jede Krise zwingt einen, Themen zu hinterfragen und zu verändern. Eine Krise erlaubt, Veränderungen schneller voranzutreiben, weil die Leute auch offen sind, sich zu verändern. Wenn es einen klaren Grund für die Veränderung gibt, kann man auch sehr viel bewirken. Das sehen wir gerade sehr schön am Beispiel der neuen Art der Zusammenarbeit. Die Virtualisierung der Zusammenarbeit sehe ich als Chance, die wir packen und weitertreiben müssen. Zudem ist vielen bewusst geworden, dass es sich auf die wirklich wichtigen Aspekte zu fokussieren gilt. Das hilft einerseits das Profil zu schärfen, andererseits auch in den Diskussionen.

Eine Krise erlaubt, Veränderungen schneller voranzutreiben, weil die Leute auch offen sind, sich zu verändern.
Joris Gröflin
CFO der Axpo Holding AG
Welche konkreten Chancen eröffneten sich in den letzten Monaten für die Axpo?

Der Stellenwert einer sicheren Energie- und Stromversorgung ist in das Bewusstsein einer breiteren Bevölkerungsschicht gerückt. Gleichzeitig sehen wir, dass globale Themen auch Auswirkungen auf die Schweiz haben können. Denkt man jetzt an die Aspekte, die mit der ganzen Klimawandeldiskussion und der CO2-Reduktion vor uns liegen, dann ist das sicher auch eine Chance für die Axpo, um im Bereich der erneuerbaren Energien vorzupreschen, aber auch um CO2-armen Strom produzieren und vermarkten zu können. Hier sehen wir uns gut positioniert.

Wird die Krise die Transformation der Axpo beschleunigen?

Die Axpo ist bereits auf einem sehr dynamischen Pfad, die ganze Branche ist auf einem dynamischen Pfad. Die Krise hat zusätzlich einiges akzentuiert. Wir haben Effekte gesehen, die einerseits Chancen bieten, andererseits aber auch Herausforderungen darstellen. Im Retail beispielsweise haben wir auf der einen Seite zwar mehr potenzielle Zahlungsschwierigkeiten bei Kunden, auf der anderen Seite eröffnet das günstige Strompreisumfeld auch Chancen, Kunden zu akquirieren – ein Wechselspiel von positiven und negativen Faktoren sozusagen. Es ist noch zu früh zu sagen, wie dies die Transformation des Geschäftes beschleunigen wird. Auf jeden Fall ist es für uns eine Chance, weil die Axpo sowohl im In- wie auch im Ausland so aufgestellt ist, dass wir schnell reagieren und auch schnell Opportunitäten suchen und wahrnehmen können.

Wie wird die neue Realität aussehen?

Es wird ein Schärfen der globalen Zusammenhänge geben. Vielen ist bewusst geworden, dass es globale Effekte gibt, die man nicht alleine lokal kontrollieren kann, gleichzeitig braucht man aber genau die lokale Kontrolle, um eben reagieren zu können. Wir haben also ein Stück weit einen Widerspruch. Und dieser wird durchaus Auswirkungen haben, etwa auf die Lieferketten. Ganz bestimmt verändern wird sich die Art der Zusammenarbeit. Ich glaube nicht, dass wir diesbezüglich zum Status von vor der Pandemie zurückgehen sollten, weil es einfach weniger effizient ist.

Vielen ist bewusst geworden, dass es globale Effekte gibt, die man nicht alleine lokal kontrollieren kann, gleichzeitig braucht man aber genau die lokale Kontrolle, um eben reagieren zu können.
Joris Gröflin
CFO der Axpo Holding AG
Welche Lehren ziehen Sie bisher aus der Krise?

Die Krise hat gezeigt, wie wichtig globales Denken ist. Wer zu stark nur lokal denkt, kann sehr schnell überrollt werden von etwas, das global passiert. Die Krise ist also ein Erinnerungsruf an alle, auch an uns, dass wir den Fokus wirklich auch auf dem globalen Umfeld haben müssen und versuchen sollten, zu verstehen, was läuft – nicht nur bis zur Schweizer Grenze, sondern auch ausserhalb. Zudem zeigte die Pandemie die Wichtigkeit einer zuverlässigen Energie- und Stromversorgung. Gleichzeitig wird die Energieversorgung in Zukunft in Europa und auch in der Schweiz einen entscheidenden Beitrag leisten müssen, um den CO2-Ausstoss zu senken beziehungsweise niedrig zu halten. Als Axpo möchten wir hier unsere Chancen wahrnehmen.

Welchen Ratschlag geben Sie Unternehmen für eine nächste Krise?

Ich denke, es ist wichtig, sich nach einer Krise selbst kritisch zu reflektieren. Nur so sieht man, wo man gut vorbereitet war, wo nicht und wie gut man mit der Krise umgegangen ist. Eine wichtige Erkenntnis ist auch der Zusammenhalt der Mitarbeitenden. Wenn alle am gleichen Strick ziehen und etwas erreichen und umsetzen wollen, dann geht es. Das hat nichts mit der Grösse oder mit dem Vorbereitungsgrad des Unternehmens zu tun, sondern damit, dass die Mitarbeitenden verstehen, wieso sie etwas machen. So können sie die Veränderung akzeptieren und das Unternehmen gemeinsam bewegen. Am Schluss sind es die Mitarbeitenden, die ein Unternehmen voranbringen. Genau darin unterscheidet sich ein erfolgreiches von einem nicht erfolgreichen Unternehmen.

Wenn alle am gleichen Strick ziehen und etwas erreichen und umsetzen wollen, dann geht es.
Joris Gröflin
CFO der Axpo Holding AG

Are you our next interview partner?

The New Normal Magazine is open for thought leaders and decision makers.

Contact us