Ein Porträtfoto von Sunnie J. Groeneveld
Das Menschliche sollte in allen Entscheiden immer hochgehalten werden.

Sunnie J. Groeneveld

Unternehmerin, Verwaltungsrätin, Autorin und Studiengangsleiterin. Sie ist Gründerin und geschäftsführende Partnerin des Beratungsunternehmens Inspire 925, Mitglied des Verwaltungsrats von fünf mittelgrossen Unternehmen in der Schweiz sowie Studiengangleiterin des Executive MBA Digital Leadership an der HWZ. Zuvor arbeitete sie als erste Geschäftsführerin von digitalswitzerland. Sie ist Autorin des Buches «Inspired at Work» (Versus Verlag), wurde als eine der «Top 100 Women in Business» genannt, erschien in der Liste «Top 50 Who is Who in Digital Switzerland» der Handelszeitung sowie in der Liste «30 under 30» des Forbes Magazins. Sunnie schloss ihr Wirtschaftsstudium an der Universität Yale ab.

7 Lesezeit
21 Juli  2020

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Mit dem Überwinden der akuten Phase der COVID-19-Krise beginnt unsere Reise zu einer neuen Normalität. EY hat verschiedene Vordenker und Entscheidungsträger gebeten, Bilanz zu ziehen und ihre Erkenntnisse über die nächsten Schritte auszutauschen. Sunnie J. Groeneveld, Gründerin und geschäftsführende Partnerin des Beratungsunternehmens Inspire 925, spricht darüber, wie sich das Leben verändert – und auch nicht verändert – hat und warum engere Verbindungen die Unternehmenskultur stärken.
Die neue Normalität hat unseren Alltag erreicht. Wie sah diesbezüglich der gestrige Tag für dich aus?

Ich bin im Homeoffice in den Tag gestartet und hatte dann das Team-Kick-off mit Inspire 925 mit anschliessendem Team-Lunch – beides virtuell. Am Nachmittag führte ich für F15’ ein Interview mit einer Professorin der Columbia Business School. Im Rahmen dieser Sendung, die ich mit dem Forbes Magazin lanciert habe, unterhalte ich mich 15 Minuten lang mit spannenden Persönlichkeiten aus dem digitalen Bereich. Im Anschluss fanden noch ein paar Kundenabsprachen bezüglich verschiedener Projekte von Inspire 925 statt, die das nächste Halbjahr betreffen.

Wie sah so ein typischer Tag vor einem Jahr aus?

Der gleiche Tag hat so in dieser Form nicht existiert. Der Tag fing nicht im Homeoffice an, die Kick-offs mit dem Team und der gemeinsame Lunch fanden nicht virtuell statt. Und für das Format F15’ hätte ich im letzten Jahr aufgrund meiner hohen Auslastung als Keynote-Referentin und Eventmoderatorin keine Kapazität gehabt. Das Projekt konnte ich aus der Krise heraus annehmen, weil sehr viele Referate und Moderationen verschoben oder abgesagt wurden.

Welche Auswirkungen hatte der Lockdown auf dich als Mensch?

Am meisten vermisst habe ich den sozialen Kontakt, ganz klar. Und dann die Möglichkeit, zu reisen, Bekannte im Ausland zu besuchen, über ein verlängertes Wochenende mit Freunden eine Städtereise zu machen. Im März hatte ich den Grossteil meiner Skiferien geplant; die fielen natürlich ins Wasser, ebenso die USA-Reise im Mai. Da man demgegenüber eine positive Erwartungshaltung aufbaut, vermisst man diese Sachen dann auch, wenn sie nicht stattfinden. Dann gilt es zu entscheiden: Fokussiere ich mich auf das, was mir fehlt, oder auf alles, was ich immer noch machen kann? Ich versuchte ziemlich schnell auf die zweite Variante zu schwenken und das hat mich gut durch den Lockdown getragen.

Ich habe mich gefragt, fokussiere ich mich auf das, was mir fehlt, oder auf alles, was ich immer noch machen kann?
Sunnie J. Groeneveld
Founder and Managing Partner of the consultancy Inspire 925
Wie würdest du unser aktuelles Umfeld beschreiben?

Ich glaube, momentan sind wir in einem definierenden Moment. Wir sind uns gesellschaftlich und auch wirtschaftlich noch nicht einig, was die neue Normalität ausmacht. Man ist am Definieren, am Ausloten/Abgrenzen, was die neue Normalität ist, wie viel man von der alten Realität beibehalten möchte, wie viel man ändern will oder muss, was die wirklich zentralen Aspekte der vorangehenden Zeit sind und welche Sachen man für sich nochmals anders oder neu denken möchte.

Schauen wir mal aufs Berufsumfeld. Du bist Verwaltungsrätin in verschiedenen KMUs. Was hat sich da in den letzten drei Monaten abgespielt?

Alle fünf Betriebe hatten bereits vorab Massnahmenpläne mit verschiedenen Stufen. Dazu gab es immer wieder Abstimmungen zwischen der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat. Zum Teil mussten wir ausserordentliche Sitzungen abhalten oder haben mit wöchentlichen Video Calls gearbeitet, um uns untereinander abzustimmen. Zusätzlich prüfte man je nach Betrieb Kreditmöglichkeiten und natürlich war auch Kurzarbeit punktuell ein Thema. Grundsätzlich hat der Verwaltungsrat in dieser Zeit begonnen, sich komplett digital aufzustellen. Das gab es in dieser Form noch in keiner der Firmen zuvor. Auch das Reporting erhöhte sich und die finanziellen Mittel, insbesondere die Liquidität, wurden viel genauer überprüft. Dank dem Zusatzengagement der Mitarbeitenden kamen alle Unternehmen bis jetzt relativ unbeschädigt aus der Krise heraus, natürlich bei dem einen oder anderen mit grösseren Herausforderungen und Umsatzeinbrüchen, aber so, dass wir die schlimmsten Massnahmen, wie etwa Kündigungen, zum Glück noch nicht auslösen mussten.

Der Verwaltungsrat hat begonnen, sich komplett digital aufzustellen. Das gab es in dieser Form noch in keiner der Firmen zuvor.
Sunnie J. Groeneveld
Founder and Managing Partner of the consultancy Inspire 925
Was wird sich bei diesen Unternehmen in den nächsten drei Monaten ändern?

Die erste physische VR-Sitzung habe ich bereits wieder hinter mir. Traktanden durchgehen kann man digital relativ gut, aber die eine oder andere strategische Idee besprechen geht im physischen Zusammentreffen einfach besser. Das Physische wird bleiben, wohl aber nicht in der gesamten Form. Kürzere Einheiten überlegt man, digital zu behalten. Homeoffice wird sicherlich bei allen weiterhin stattfinden und möglicherweise zunehmend in Anspruch genommen werden – vor allem weil es in der Führungskultur nun akzeptierter scheint. Zudem hat man sich jetzt geeinigt, mit welchen digitalen Tools gearbeitet wird; vorher war es teilweise immer noch ein Ausprobieren. Auch hat sich in der Unternehmenskultur der verschiedenen Firmen viel getan. Man ist in ganz vielen Momenten näher bei den Leuten, näher beim Menschen, also nicht beim Mitarbeitenden, der einfach nur eine Facette eines Menschen ist, sondern wirklich beim Menschen selbst. Denn in den vergangenen Monaten hat man bei vielen virtuell zuhause reingeschaut, was mehr Bezug zum Gegenüber gibt.

Differenzierst du Berufliches und Privates heute anders als vor einem Jahr?

Nein. Meine Tätigkeiten verlangten schon immer eine hohe Verfügbarkeit, erlauben aber auch eine grosse Flexibilität. Daher war es bei mir eigentlich schon immer so, dass sehr vieles ineinanderfloss. Ich lebe eine Work-Life-Integration. Für mich wäre es anders gar nicht möglich, einerseits als Verwaltungsrätin tätig zu sein, dann einen Studiengang zu leiten und gleichzeitig noch eine Beratungsfirma zu führen, wenn ich nicht erlauben würde, dass Berufliches und Privates ineinandergreifen. Generell gilt, dass ich gerne sehr viel gebe, gleichzeitig aber auch sehr viel Energie aus meinen Tätigkeiten und meinem privaten Umfeld zurückgewinne. Für mich funktioniert das wunderbar. Wichtig ist aber, sich bewusst zu sein, dass es ein Marathon und kein Sprint ist. Es braucht auch Regenerationszeiten. In irgendeiner Form muss man diese immer wieder einbauen – das ist ganz entscheidend.

Gerade in einer Krise sind sehr viele Ideen auf allen Ebenen der Firma da. Ich würde daher den Aufwand betreiben, genau hinzuhören und zu schauen, wo es jetzt Möglichkeiten gibt.
Sunnie J. Groeneveld
Founder and Managing Partner of the consultancy Inspire 925
Marathon ist ein treffendes Wort. Welche Marathon-Empfehlungen gibst du unseren Leserinnen und Lesern für die kommende Zeit mit auf den Berufsweg?

Erstens, es ist verfehlt, wenn das einzige, was man in dieser Krise macht, Kosteneinsparungen sind. Zweitens, gerade in einer Krise sind sehr viele Ideen da und zwar auf allen Ebenen der Firma. Ich würde daher den Aufwand betreiben, wirklich genau hinzuhören und zu schauen, wo es jetzt Möglichkeiten gibt, Ideen und Projekte, die vorher vielleicht undenkbar gewesen wären, zu realisieren und anzustossen, und offen zu sein für Veränderungen, etwa für die digitale Zusammenarbeit oder Co-Working. Und drittens ist es ganz entscheidend darauf zu achten, wie man die Kultur erhält und stärkt. Das Wertvollste sind am Schluss immer noch die Mitarbeitenden, die sich bemühen, dass es den Firmen trotz der Krise gut geht. Ihr Engagement macht Firmen erfolgreich – mittel- und langfristig. Und zu ihnen sollte man schauen. Das heisst nicht, dass es keine schwierigen Entscheidungen geben wird. Die wird es geben. Der richtige Umgang damit zählt, indem man beispielsweise stets transparent, empathisch und klar kommuniziert. Es kommt vielleicht eine wirtschaftlich herausfordernde Zeit auf uns zu, gerade deshalb sollte man das Menschliche in allen Entscheiden immer hochhalten.

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