5 Minuten Lesezeit 25 Juli 2022
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Sistierung der steuerlichen Amtshilfe gegenüber Russland

5 Minuten Lesezeit 25 Juli 2022

Das Bundesgericht sistiert mit Verfügung vom 31. Mai 2022 (2C_219/2022) ein laufendes Amtshilfeverfahren gegenüber Russland.

Überblick:
  • Die Sistierung des Amtshilfeverfahrens gilt vorerst bis Ende September 2022. Der Entscheid des Bundesgerichts wird mit der Rechtsunsicherheit aufgrund der militärischen Intervention der Russischen Föderation in der Ukraine begründet.

Zum Sachverhalt

Am 30. Oktober 2018 richtete die zuständige russische Behörde basierend auf dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und der Russischen Föderation ein Gesuch um internationale Amtshilfe in Steuersachen an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV). Die russische Behörde ersuchte dabei insbesondere um eine Reihe von Informationen über Bankkonten, um die wirtschaftliche Berechtigung von Dividendenzahlungen überprüfen zu können.

Die ESTV entsprach dem Amtshilfeersuchen und verfügte die Übermittlung der Informationen an die ersuchende Behörde. Die betroffenen Personen erhoben Beschwerde gegen die Verfügung der ESTV, welche jedoch vom Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 21. Februar 2022 abgewiesen wurde.

Daraufhin gelangten die betroffenen Personen an das Bundesgericht. In ihrer Beschwerde machten sie geltend, die Übermittlung von Informationen an die Russische Föderation stelle im aktuellen Kontext des Krieges in der Ukraine eine Verletzung des ordre public dar, womit keine Amtshilfe geleistet werden könne. Ferner beantragten die Beschwerdeführer, dass das Verfahren vor Bundesgericht bis zum Ende des Krieges in der Ukraine zu sistieren sei.

Erwägungen des Bundesgerichts

Zum Sachverhalt bietet das Bundesgericht einen Abriss über die international und national ergriffenen Sanktionen gegenüber der Russischen Föderation und weist darauf hin, dass die Schweiz gegenüber der Russischen Föderation basierend auf mehreren Entscheiden des Bundesstrafgerichts momentan keine Rechtshilfe in Strafsachen leistet. Das Eidgenössische Finanzdepartement hat sich jedoch bisher nicht dazu geäussert, ob der Ukraine-Konflikt eine Auswirkung auf die Amtshilfe in Steuersachen zeitigt. Offenbar hat die Bundesverwaltung diesbezüglich auch vor Bundesgericht keinen Antrag gestellt.

In seinen Erwägungen hält das Bundesgericht fest, dass ein Antrag auf Sistierung des Verfahrens nur geprüft werden muss, wenn auf das Rechtsmittel einzutreten ist. Bei Verfahren betreffend die Amtshilfe in Steuersachen ist eine Beschwerde vor Bundesgericht nur zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder wenn es sich aus anderen Gründen um einen besonders bedeutenden Fall handelt, etwa wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist. Gemäss Auffassung des Bundesgerichts stellt die Frage, ob der Russischen Föderation vor dem Hintergrund des Konflikts Amtshilfe gewährt werden kann, sowohl eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung als auch einen besonders bedeutenden Fall dar, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.

In einem weiteren Schritt prüfte das Bundesgericht sodann, ob die Voraussetzungen einer Sistierung gegeben sind. Dazu führt es aus, dass im Bereich der internationalen Amtshilfe in Steuersachen eine Verpflichtung zur zügigen Durchführung eines Verfahrens besteht. Demnach müssen für die Aussetzung bzw. die Sistierung eines internationalen Amtshilfeverfahrens ausserordentliche Umstände vorliegen. Weiter hält das Gericht fest, dass bei einem Antrag auf Sistierung die Interessen der Parteien im Einzelfall abzuwägen sind. Dabei ist bei der steuerlichen Amtshilfe insbesondere das Interesse der Schweiz an der korrekten Durchführung der Amtshilfe zu berücksichtigen. Zudem sind gemäss Gericht die Bundesbehörden dazu gehalten ihr Handeln insofern abzustimmen, dass ein kohärenter Auftritt sowie eine gewisse Einheitlichkeit der Rechtsordnung gewährleistet ist und unverständliche Widersprüche vermieden werden.

Im vorliegenden Verfahren war nicht zuletzt entscheidend, dass die Begünstigten der vom Amtshilfegesuch betroffenen Bankkonten natürliche Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in der Ukraine sind. Weiter verweist das Gericht darauf, dass die Schweiz Mitglied verschiedener internationaler Organisationen ist, welche die Russische Föderation aufgrund der Situation in der Ukraine ausgeschlossen oder deren Stimmrecht ausgesetzt haben. Zudem wurde in Erwägung gezogen, dass gemäss Entscheiden des Bundesstrafgerichts die Schweiz aktuell keine Rechtshilfe in Strafverfahren an Russland leistet. Schliesslich ist es aus Sicht des Bundesgerichts noch verfrüht, um einen abschliessenden Entscheid zu fällen. Vielmehr soll eine Sistierung des Verfahrens erlauben, die weitere Entwicklung in der Ukraine im Entscheid zu berücksichtigen.

Insgesamt sieht das Bundesgericht deshalb die Voraussetzungen für eine Sistierung als erfüllt an. Es setzt demnach das Verfahren – in Anlehnung an die Frist für den automatischen Informationsaustausch, welcher im September stattfindet - bis zum 30. September 2022 aus.

Würdigung

Mit seinem Entscheid gewährt das Bundesgericht eine der wenigen Ausnahmen von den Grundsätzen im Amtshilfeverfahren. Dies ist umso mehr erstaunlich, da das Bundesgericht der internationalen Amtshilfe in Steuersachen einen hohen Stellenwert beimisst. Vorliegend dürfte jedoch die aussergewöhnliche Situation mit dem Ukraine-Konflikt dazu geführt haben, dass das Gericht zum aktuellen Zeitpunkt einer steuerlichen Amtshilfe nicht zustimmen konnte. Andererseits scheute es sich offenbar noch, die Amtshilfe in Steuersachen analog der Rechtshilfe in Strafsachen einzustellen. Infolgedessen hat das Bundesgericht das Verfahren für rund vier Monate sistiert und wird anfangs Oktober unter Berücksichtigung der Umstände zu diesem Zeitpunkt prüfen, ob das Verfahren weitergeführt oder abermals sistiert werden soll. Zudem darf man gespannt sein, wie das Gericht in der Sache selbst entscheiden und ob es die Übermittlung von Informationen an die Russische Föderation aufgrund einer Verletzung gegen den ordre public untersagen wird.

Fazit

Auch wenn sich die ESTV bisher noch nicht öffentlich zum Entscheid geäussert hat ist davon auszugehen, dass sie die bei ihr hängigen Amtshilfeverfahren gegenüber der Russischen Föderation ebenfalls bis zum 30. September 2022 sistieren wird.

Der Entscheid ist schliesslich vor der ausserordentlichen Situation im Ukraine-Konflikt zu sehen. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich deshalb die Amtshilfepraxis der Schweiz in Bezug auf andere Staaten verändern wird.

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