4 Minuten Lesezeit 24 September 2019
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Ein Compliance-System ist wie ein guter Handwerkskoffer

Von EY Deutschland

Building a better working world

Co-Autoren
4 Minuten Lesezeit 24 September 2019

Compliance-Systeme können Lebensretter sein, jedoch scheuen viele Mittelständler den Aufwand. Andreas Pyrcek erklärt sinnvolle Alternativen.

Korruption, Datenklau oder Kartellverstöße: Warum sind diese Themen insbesondere für mittelständische Unternehmen so wichtig?

Andreas Pyrcek: Mittelständische Unternehmen besitzen häufig eine informelle Vertrauenskultur, die das Verhalten der Mitarbeiter untereinander, gegenüber der Geschäftsführung und gegenüber den Kunden regelt. Diese Vertrauenskultur funktioniert allerdings nur so lange, wie sich jeder daran hält und keiner – absichtlich oder blauäugig – sie verletzt und somit das Unternehmen schädigt.

Wenn beispielsweise ein ITler Daten stiehlt oder ein Vertriebler – ohne es zu wissen – Bestechungsgeschenke vergibt, dann kann dieses Fehlverhalten leicht das ganze Unternehmen erschüttern – auch weil das Unternehmen auf einen solchen Fall nicht vorbereitet ist.

Welche Möglichkeiten hat ein Unternehmen, sich vor Fehlverhalten zu schützen? Reichen Werte wie Integrität und Vertrauen nicht aus?

Integrität und Vertrauen sind sehr wichtig – aber leider reichen diese Werte heute nicht mehr aus. Wenn es keine Definition gibt, was sie in der täglichen Praxis bedeuten, dann entsteht ein Vakuum, in dem jeder das tut, was er für richtig hält. Es muss einen Handlungsrahmen geben, der den Mitarbeitern sagt, was erlaubt ist und was nicht. Dieser Rahmen legt auch fest, wie mit Fragen im berühmten Graubereich umgegangen werden soll.

Wenn es keine Definition gibt, was gewisse Werte in der täglichen Praxis bedeuten, dann entsteht ein Vakuum, in dem jeder das tut, was er für richtig hält.
Andreas Pyrcek
Leiter Compliance und Telecommunication, Media & Entertainment, Technology (TMT), Forensic & Integrity Services

Es ist wie beim Fußball: Es gibt Werte wie fair und unfair. Aber erst die Spielregeln bilden den genau definierten Rahmen, der festlegt, wie das Spiel gespielt werden soll. Solche Compliance-Regeln braucht auch jedes Unternehmen. Zusammen mit dem „Fair Play“ bilden sie ein homogenes System.

Was bedeutet Compliance genau? Und was versteckt sich hinter einem mittelstandsgerechten Compliance-System?

Compliance bedeutet, dass ein Unternehmen einen organisatorischen Rahmen besitzt, der sicherstellt, dass eigene und gesetzliche Bestimmungen eingehalten werden und es regelkonform handelt. Ein Compliance-System gibt den Mitarbeitern klare, nachvollziehbare und pragmatische Richtlinien, wie sie sich in Konfliktsituationen adäquat verhalten. Damit schützt es vor Fehlverhalten und Risiken.

Ein mittelstandsgerechtes Compliance-System ist wie ein maßgeschneiderter Handwerkskoffer, der Regeln und Maßnahmen enthält, die den Mitarbeitern und der Geschäftsführung in kritischen Situationen helfen, sich angemessen zu verhalten. Das geht vom Datendiebstahl und Bilanzfälschungen über unangemessene Geschenke und Einladungen bis hin zu verbotenen Absprachen.

Welche weiteren Vorteile – außer dem Einhalten von Regeln – bietet ein Compliance-System?

Es schützt! Wenn die Geschäftsführung und die Mitarbeiter wissen, wo die Stolperfallen liegen, können sie sich davor in Acht nehmen – und damit eventuell hohe Strafzahlungen oder Marktverbote vermeiden, die für einen Mittelständler im Ernstfall den Knock-out bedeuten können. Nur Mitarbeiter, die wissen, was in Ordnung ist und was nicht, können saubere und vertretbare Geschäfte machen.

Bei vielen Ausschreibungen werden Compliance-Systeme und Verhaltenskodizes eingefordert. Besitzt das Unternehmen kein entsprechendes System, gerät es sofort ins Hintertreffen.
Andreas Pyrcek
Leiter Compliance und Telecommunication, Media & Entertainment, Technology (TMT), Forensic & Integrity Services

Umgekehrt stärkt ein gutes Compliance-System aber auch das Image, die Performance und die Wettbewerbsfähigkeit. Bei vielen Ausschreibungen werden Compliance-Systeme und Verhaltenskodizes eingefordert. Besitzt das Unternehmen kein entsprechendes System, gerät es sofort ins Hintertreffen.

Warum tun sich viele mittelständische Unternehmen mit dem Aufbau eines eigenen Systems immer noch schwer?

Zum Compliance-Management gibt es viele Gerüchte, die aber nicht unbedingt stimmen. So scheuen viele Mittelständler einen zu großen administrativen Aufwand. Sie glauben, dass sie mit einem Compliance-System ihre Flexibilität verlieren, weil alles reguliert wird. Ebenso fürchten sie die Kosten, was zum Teil stimmt. Denn Compliance-Manager sind sehr gefragt und können damit teuer werden. Beides zusammen führt zu einer Abwehrhaltung.

Welchen Tipp haben Sie für einen Mittelständler, der ein Compliance-System aufbauen will?

Wie gesagt: Viele Mittelständler scheuen wegen der erwarteten hohen Kosten und der Administration den Aufbau eines Komplettsystems. Die Alternative besteht darin zu überlegen, welche Compliance-Bestandteile wirklich notwendig sind und wie diese ausgestaltet sein müssen, um dann ein maßgeschneidertes System zu entwickeln, das die definierten Aufgaben genau erfüllt. Das spart Zeit und Kosten und stellt sicher, dass es zu keiner Bürokratisierung kommt. Gleichzeitig kommt der Mittelständler aber in den Genuss aller Vorteile eines Compliance-Systems.

Fazit

Andreas Pyrcek ist Partner bei EY und leitet den Compliance-Bereich der Forensic & Integrity Services. Zusammen mit seinem Team unterstützt er insbesondere mittelständische Unternehmen dabei, maßgeschneiderte Compliance- und Integritätssysteme aufzubauen und Unternehmensdelikten vorzubeugen oder – falls es solche gab – sie aufzudecken. Entsprechend der internationalen Ausrichtung des deutschen Mittelstands arbeitet er Hand in Hand mit seinen Kolleginnen und Kollegen vom internationalen EY-Netzwerk.

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