6 Minuten Lesezeit 27 September 2021
Silhouette eines Mannes, der eine karierte Flagge schwenkt

Banken, Corona und Kredite: Warum nun Vorsicht angesagt ist

Autoren
Michael Berndt

Partner Business Consulting, EY Consulting GmbH | Deutschland

Co-Leiter der Credit-Management-Solution. Bringt mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Prüfung und Beratung von Banken und Finanzdienstleistern mit und hat mehrere Jahre Erfahrung im Kreditgeschäft.

Gorden Mantell

Partner Business Consulting, Financial Services, EY Consulting GmbH | Deutschland

Ist Co-Leiter der Credit Management Solution und verantwortlich für das Credit Excellence Centre.

6 Minuten Lesezeit 27 September 2021

Deutsche Geldinstitute bereiten sich auf mehr Kreditausfälle vor. Mit dem Verkauf von NPL und digitalen Prozessen wollen sie vorsorgen.

Überblick

  • Was die Banken für 2022 als Folge der Corona-Pandemie erwarten. 
  • Wie sich die Institute auf höhere Ausfallrisiken einstellen. 
  • Warum Corona eine Chance zur Transformation ist.

Die Banken in Deutschland beschäftigen sich stärker mit den Folgen der Corona-Pandemie für ihr Geschäft als mit dem Wettbewerb durch FinTechs und neue Marktentwicklungen wie Kryptowährungen. Infolge von Covid-19 erwartet eine ganze Reihe von Geldinstituten sowohl sinkende Erträge als auch mehr Kreditausfälle. Das sind zentrale Ergebnisse der „Kreditmarktstudie 2021“, für die EY 100 Kreditmanager von Banken und Sparkassen befragt hat. Sie sehen die Branche vor einer doppelten Herausforderung: Erstens, die potenziell steigende Zahl notleidender Kredite zu managen und zweitens, die digitale Transformation voranzubringen. Diesen Kraftakt wollen die meisten Institute alleine schaffen. Noch hat jedoch die Bewältigung der Corona-Pandemie Vorrang. 

Deren ganzes Ausmaß wird nach Einschätzung von drei Viertel der befragten Banker erst im zweiten Halbjahr 2022 sichtbar. Dann gingen immer mehr Privathaushalte und Unternehmen in die Insolvenz, lautet die Annahme. Der Lackmustest dürfte die Rückzahlung der staatlichen Corona-Finanzierungshilfen sein. Die ersten Kredite sind im kommenden Jahr fällig, wenn die tilgungsfreie Anlaufzeit endet. Fließen die Förderkredite planmäßig zurück, sollte die Sorge der Geldinstitute um Ausfallrisiken langsam weichen. Zunächst aber gehen sie davon aus, dass lediglich ein Teil der Hilfen zurückgezahlt wird.

Insolvenzen

78 %

der Banken rechnen damit, dass 2022 die Zahl der Schuldner zunimmt, die ihre Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen.

Diese Einschätzung spiegelt sich in der Risikovorsorge wider. Die Institute sind auf Sicherheit bedacht und haben bereits Puffer geschaffen, um ein mögliches Durchschlagen von Kreditausfällen auf ihre Bücher abzufedern. Sie haben aber trotz Corona derzeit vergleichsweise wenige notleidende Kredite (Non-Performing Loans, NPL) im Bestand. Die NPL-Quote von 1,3 Prozent ist die niedrigste in Europa. In Erwartung einer steigenden Quote, halten es jedoch 90 Prozent der Kreditmanager für notwendig, stärker vorzusorgen.

checkered flag

Download: Kreditmarktstudie 2021

Banken rechnen in Folge der Corona-Pandemie mit Ertragseinbußen und Kreditausfällen.

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Die Quote notleidender Kredite nimmt zu 

Die Abwehr möglicher Folgen der Pandemie geschieht auf zwei Ebenen. Auf der einen werden in den nächsten Monaten die Anforderungen an die Bonität der Kreditnehmer steigen. Privatkunden, zum Beispiel Hausbauer, sollen tiefere Einblicke in ihre finanzielle Lage geben. Bei Firmenkunden gewinnen Vertragsklauseln an Gewicht, die zum Einhalten und Berichten von Kennzahlen wie Eigenkapital, Ertrag und Liquidität verpflichten. Mehr Banken als bisher werden die Darlehensvergabe auch mit ökologischen und sozialen Kriterien verknüpfen. Damit entsprechen die Geldhäuser Forderungen der EU-Taxonomie. Nach vorne rückt außerdem die Frage nach höheren Sicherheiten.

NPL

74 %

der befragten Bankmanager rechnen mit einem Anstieg der NPL-Quote von bis zu 20 Prozent.

Auf der anderen Ebene steht die Überlegung der Banken, wie sie ihre eigenen Abläufe auf das erwartete wachsende Volumen an gefährdeten Krediten einstellen. Ein Schritt ist sicherlich die genaue Beobachtung des Kreditbuchs. So lassen sich Probleme früh erkennen. Aber was geschieht mit NPLs im Bestand? Existiert eine Strategie, um deren Volumen zu verringern? Der Druck nimmt zu, dies zu tun. Dafür sorgen unter anderem die regulatorischen Vorgaben der Europäischen Union wie der NPL-Backstop: Seit Ende Juni 2021 müssen Banken der Aufsicht melden, wenn ihre Risikovorsorge eine bestimmte Mindestabdeckung unterschreitet. Regulatorik und der immer wahrscheinlichere Ausfall von Krediten – es besteht doppelter Grund, das Thema NPL-Abbau auf die Agenda zu setzen.

  • Backstop: Eine Bremse für gefährdete Kredite

    2019 hat die Europäische Union ihre Capital Requirements Regulation (CRR) um neue Regeln für Non-Performing Loans erweitert. Seit dem 30. Juni 2021 haben Banken, deren Risikovorsorge für notleidende Kredite die von der CRR vorgegebene Mindestabdeckung nicht erreicht, den Differenzbetrag an die European Banking Authority (EBA) zu melden. Dieser Betrag soll vom harten Kernkapital der Bank abgezogen werden. Diese Backstop genannte Maßnahme soll verhindern, dass Geldinstitute zu viele NPLs in den Büchern haben.

Verkaufen von NPL ist günstiger als halten

In der Diskussion über Lösungswege haben die Institute noch nicht alle Optionen gleichermaßen auf dem Schirm. Knapp zwei Drittel der befragten Manager bevorzugt bislang den klassischen Workflow: Das Problem wird in Kooperation mit dem Kunden angegangen. Dessen Restrukturierung hat Priorität. Dieser Ansatz dürfte mutig sein. Er erfordert sowohl hauseigene Kapazitäten – personell wie technisch – als auch Kompetenzen. Ob beides für die aufwändige Bearbeitung ausreicht, wird die Praxis zeigen. Schon jetzt arbeiten die entsprechenden Abteilungen am Limit. Steigt dann noch die Zahl Covid-19-geschädigter Kreditkunden, wird es ziemlich eng werden mit der Abwicklung, zumal dieser Workflow oft manuell abläuft. 

Auf längere Sicht sollte die Trennung von NPLs sinnvoll sein. Bislang scheuen viele Institute mit Rücksicht auf das Vertrauen ihrer Kunden vor einem Verkauf zurück. Lediglich 22 Prozent der für die Kreditmarktstudie Befragten können sich Portfoliotransaktionen vorstellen. Dennoch sind diese eine Alternative zur individuellen Abwicklung, weil sie unter anderem dazu beitragen, personelle Ressourcen und Aufwand zu sparen. Auch unter diesem Aspekt ist verkaufen günstiger als halten.

Die Banken sind sich einig, dass die digitale NPL-Handelsplattform der EBA eine geringe Bedeutung hat. Sie präferieren Workflows und Restrukturierung.

Um Transaktionen erfolgreich zu gestalten, implementieren vorausschauende Banken Exit-Prozesse und übernehmen diese in die Risikovorsorgestrategie. Dazu gehört auch die Abwägung, wie die Bank die notleidenden Kredite loswird. Von digitalen NPL-Marktplätzen, auf denen die Darlehen an Investoren verkauft werden, halten deutsche Bankmanager wenig. Es überzeugt sie auch nicht, dass die Europäische Bankenaufsicht (EBA) eine solche Handelsplattform eingerichtet hat. Stattdessen bevorzugen die Geldinstitute den Verkauf von Einzelengagements und Verbriefungen. Klassische Transaktionen sind für komplexe Kredite das Mittel der Wahl. Externe Unterstützung kann helfen, die jeweils passende Option für das Portfolio zu finden.

Corona als Chance zur Transformation 

Mit digitalen Lösungen tut sich die deutsche Kreditwirtschaft noch schwer. Die Skepsis gegenüber NPL-Handelsplattformen ist ein Beispiel dafür. Hier liegt es vermutlich daran, dass die Plattformen nur den Verkauf standardisierter Produkte wie Bau- und Konsumentenkredite ermöglichen. Den Verzicht auf den automatischen Handel bezahlen die Institute mit einem Mehraufwand an Personal. Die Corona-Krise und die steigenden NPL-Quoten können der Digitalisierung in den Banken neuen Schwung geben. Künstliche Intelligenz bietet sich an, um Prozesse rund um die Kreditvergabe und die Bearbeitung von Darlehen stärker zu standardisieren. Von der Automatisierung wird auch das Frühwarnsystem für Problemkredite profitieren.

Automatisierte Prozesse

44 %

der Befragten sehen in der Corona-Krise auch eine Chance.

Bei der digitalen Transformation besteht Nachholbedarf. Als Haupthindernis nennen 40 Prozent der Bankmanager die IT-Infrastruktur. Zwar gehörten Banken zu den ersten Branchen, die Datenverarbeitung nutzten. Die bestehenden Systeme wurden im Laufe der Jahre aber nicht erneuert, sondern lediglich weiterentwickelt. So entstand, vergleichbar einem alten Gebäude, an das immer neue Trakte angebaut wurden, eine unübersichtliche Architektur. Die IT neu aufzusetzen, kostet etwa einen dreistelligen Millionenbetrag. 

Diese Investition parallel zu den erwarteten Corona-bedingten Ertragseinbußen und dem NPL-Boom zu stemmen, dürfte sehr schwierig werden. Immerhin will mehr als die Hälfte der Befragten das Kreditgeschäft transformieren. Der Schwerpunkt liegt auf privaten Baufinanzierungen sowie auf Darlehen für kleine und mittlere Unternehmen. Die meisten Manager wollen den komplexen Prozess Transformation im Alleingang angehen. Zusammen mit Partnern lässt sich eine Transformation schnell und effektiv umsetzen, um so auf dem Weg zur Bank von Morgen zügig voranzukommen.

Fazit

Vorrangig beschäftigt sich die deutsche Kreditwirtschaft mit den Herausforderungen der Covid-19-Krise. Bei digitalen Lösungen, die auch bei der Abarbeitung notleidender Kredite hilfreich sind, gilt es Rückstände aufzuholen. Notwendig sind Systeme, die den Lebenszyklus eines Kredits bis zu einem möglichen Verkauf abbilden. Die Banken sollten diese Aufgaben zusammen mit Partnern lösen und ihre Position am Markt zukunftsgerichtet gestalten.

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Michael Berndt

Partner Business Consulting, EY Consulting GmbH | Deutschland

Co-Leiter der Credit-Management-Solution. Bringt mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Prüfung und Beratung von Banken und Finanzdienstleistern mit und hat mehrere Jahre Erfahrung im Kreditgeschäft.

Gorden Mantell

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Ist Co-Leiter der Credit Management Solution und verantwortlich für das Credit Excellence Centre.