15 Minuten Lesezeit 7 Mai 2019
Orchesterstühle in einem leeren Konzertsaal

Fünf Möglichkeiten, die Kontrolle des Aufsichtsrats über die Unternehmenskultur zu verbessern

Autoren
Dr. Robert Link

Partner Assurance, Professional Practice Group, Leiter EY Center for Board Matters, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Als leidenschaftlicher Triathlet weiß er, dass es wichtig ist, gut vorbereitet zu sein und das Ziel stets im Blick zu behalten. Dr. Robert Link ist verheiratet und hat einen Sohn.

Joe Dettmann, PhD

Partner, People Advisory Services, Ernst & Young LLP

Builder of transformative leaders, company cultures and modern work environments. Dad to three future leaders and husband to one amazing woman. Brother, son, friend, runner and creator.

15 Minuten Lesezeit 7 Mai 2019

Weitere Materialien

  • Five ways to enhance board oversight of culture (pdf)

Die Unternehmenskultur hat auf der Aufsichtsratsagenda eine immer höhere Priorität. In diesem Beitrag finden sie Anregungen, wie Aufsichtsräte als Sparringspartner das Management in Bezug auf die Unternehmenskultur unterstützen können.

Unternehmenskultur wird definiert als die impliziten, ungeschriebenen Regeln, die Erwartungen an das Verhalten der Menschen hervorrufen. Sie spiegelt sich in dem wider, was Menschen tatsächlich jeden Tag tun, was gefeiert, was betont und was übersehen wird. Unternehmenskultur ist auch, wie Unternehmen Werte durch Menschen schaffen und schützen.

Die immateriellen Vermögenswerte eines Unternehmens, zu denen Mitarbeiter und Kultur gehören, machen heute 52 % des Marktwerts eines Unternehmens aus. Für einige Unternehmen können es sogar 90 % sein. 1  Dies ist mehr als zu irgendeinem Zeitpunkt in der modernen Geschichte und wird sich höchstwahrscheinlich beschleunigen. Im heutigen Informationszeitalter wird der Unternehmenswert nicht wie in der Industriezeit durch materielle Vermögenswerte, wie Anlagen und Maschinen, definiert, sondern durch das Humankapital. Es ist klarer denn je, dass die Talente eines Unternehmens und die Unternehmenskultur, die die Entfaltung von Begabungen ermöglicht, Quellen für eine quantifizierbare Differenzierung zum Wettbewerb sind.

Aus diesen Gründen wird die Kontrolle der Unternehmenskultur durch den Aufsichtsrat immer wichtiger – und das zu Recht. Das Aufsichtsgremium spielt eine kritische Rolle bei verschiedenen Dimensionen, die die Kultur in einem Unternehmen prägen. Die Verantwortung für die Definition der richtigen Kultur für das Unternehmen und deren Einbettung in das Tagesgeschäft liegt bei der Unternehmensleitung, aber der Aufsichtsrat muss die Unternehmensleitung überwachen und dafür zur Rechenschaft ziehen, wie sie die Kultur definiert, ausrichtet (nach Zweck und Strategie), verkörpert und darüber berichtet.

Regulierungsbehörden und Investoren auf der ganzen Welt sind daran interessiert, wie Unternehmen die Talentstrategie und Unternehmenskultur besser nutzen können, um den langfristigen Erfolg zu beschleunigen und die Rentabilität zu verbessern. So verlangen beispielsweise die jüngsten Änderungen des britischen Corporate-Governance Kodex, dass Überwachungs- und Leitungsgremien die Kultur bewerten, und die Überarbeitungen des japanischen und des niederländischen Corporate-Governance-Kodex unterstreichen die Bedeutung der Definition, Messung und Überwachung der Unternehmenskultur. Das Embankment Project for Inclusive Capitalism (EPIC) identifizierte die Schlüsselfaktoren Talente und Unternehmenskultur als langfristige Werttreiber. Einflussreiche institutionelle Investoren beziehen den Zweck eines Unternehmens , seine Kultur und das Human-Capital-Management in ihre globalen Prioritäten für Engagements ein. 2

Darüber hinaus erkennt das Committee of Sponsoring Organizations (COSO) in seiner jüngsten Aktualisierung des Enterprise Risk Management (ERM) Frameworks die grundlegende Rolle an, die die Kultur im ERM spielt.  Die COSO-Aktualisierung sieht vor, dass Überwachungs- und Leitungsgremien die Unternehmenskultur in die Diskussionen über Strategie und Risiko einbeziehen sollten. Es wird ferner vorgeschlagen, zu überprüfen, ob die Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlichen Werten und Verhalten ein Risiko für die Erreichung der Unternehmensziele darstellen kann, und ob eine angemessene Überwachung existiert, die es Überwachungs- und Leitungsgremien ermöglicht, kulturelle Probleme in Echtzeit zu identifizieren und darauf zu reagieren. 3

  • Werte vs. Kultur

    Von Werten zu sprechen ist eine Sache. Sie täglich zu leben, jenseits von Richtlinien, Verfahren und Kontrollen, ist eine andere.

    Jedes Unternehmen hat eine einzigartige Kultur, die auf seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und dem Erbe, das es in Zukunft hinterlassen möchte, basiert. Während Werte die grundlegenden Ideale und Überzeugungen sind, die eine Organisation leiten, besteht die Kultur eines Unternehmens aus Tausenden von alltäglichen Entscheidungen und Verhaltensweisen, die sich zu sozialen Normen zusammenfügen.

    Die Werte bleiben in der Regel über die Zeit hinweg konsistent, aber die Kultur sollte sich weiterentwickeln und mit der Mission und Strategie des Unternehmens in Einklang stehen. Ungeschriebene Regeln leiten das Verhalten. Die erklärte Kultur muss das Unternehmen authentisch widerspiegeln und klar anleiten, wie die Mitarbeiter ihre persönlichen und kollektiven Ziele verwirklichen können (d.h. die Strategie des Unternehmens erreichen). Worte zählen - Verhaltensweisen zählen jedoch mehr.

Die Talent-Agenda zu beschleunigen und die Unternehmenskultur als strategisches Kapital zu aktivieren, sollte daher eine der obersten Prioritäten auf der Board Agenda sein.4

Es gibt fünf entscheidende Möglichkeiten, mit denen Aufsichtsräte die Unternehmenskultur steuern und das Management bei der Realisierung des Wertes der Unternehmenskultur zu unterstützen können. 

1. Überwachung der Definition und Ausrichtung der Unternehmenskultur auf die Strategie

Viele Führungskräfte kämpfen damit, die Unternehmenskultur zu definieren und in die Praxis umsetzen, die für ihr Unternehmen geeignet ist. Eine Kultur, die klar auf den Zweck und die Strategie eines Unternehmens ausgerichtet ist, ermöglicht und beschleunigt diese Strategie. Wenn diese Ausrichtung nicht vorhanden ist, kann die Kultur das Unternehmen zermürben. Es ist schwierig, neue Dinge mit alten Arbeitsweisen zu erreichen. In einem ersten Schritt sollten Führungskräfte kulturelle Eigenschaften definieren, die notwendig sind, um sowohl zu erkennen, was die Strategie erfordert, als auch ihre Mitarbeiter einzubeziehen. 

Wenn Unternehmen ein Konzept für ihren Zweck, ihre Vision, ihre Mission und ihre Strategie entwickeln, sollten sie die kulturellen Eigenschaften berücksichtigen, die zur Erreichung der allgemeinen strategischen Ziele des Unternehmens erforderlich sind. Fordert die Strategie, dass Qualität an erster Stelle steht und Präzision geschätzt wird? Oder geht es darum, den Kunden an die erste Stelle zu setzen und die lokalen Führungskräfte zu befähigen, die Reaktion auf Kundenwünsche zu optimieren? Oder liegt die Priorität darin, Innovationen und die Ausbreitung disruptiver Ideen zu fördern? Doch wie lässt sich das bei den alltäglichen Entscheidungen und Verhaltensweisen im Unternehmen umsetzen?

Führungskräfte wollen, dass ihr Unternehmen in allem großartig ist. Die Strategie eines Unternehmens erfordert aber eine spezifische Ausrichtung im Markt (zum Beispiel als Innovator, als beste Marke oder als Vorreiter in Sachen Effizienz). Das Management sollte die Kultur genau daran ausrichten und bewusst gestalten. Dies wird dazu beitragen, Entscheidungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen, zum Beispiel welche Mitarbeiter eingestellt, welche Arbeitsplatzrichtlinien und -prozesse eingeführt werden und welches Verhalten belohnt wird.

Fünf Kultur-Archetypen: Modernisierung der DNA des Unternehmens

Die Forschung zeigt, dass Unternehmen in der Regel in einen von fünf Kultur-Archetypen fallen. Damit wird definiert, wer sie sind. Angesichts der hohen Bedeutung von Innovation in der heutigen Zeit des Umbruchs, um langfristige Werte zu kreieren, konzentrieren sich viele Führungskräfte darauf, die Risikobereitschaft darauf auszurichten, eine innovative Unternehmenskultur zu entwickeln. Das Bewusstsein für diese Archetypen kann Mitgliedern von Überwachungsgremien dabei helfen bessere Fragen dahin gehend zu stellen, wie das Management die Unternehmenskultur definiert und fördert, die am besten zum Unternehmen passt.

  • Innovation: Wir sind innovativ.

Wir denken unternehmerisch, konzentrieren uns auf die Antizipation der Marktbedürfnisse, fördern und erkennen Ideen und unterstützen umsichtig Risiken.

  • Marke: Wir bauen und schützen unsere Marke .

Wir bauen eine starke Bindung und Stolz auf unsere Produkte und Dienstleistungen auf. Gleichzeitig arbeiten wir mit Integrität und Respekt.

  • Kunde: Bei uns dreht sich alles um den Kunden.

Wir richten alles, was wir tun, auf den Kunden aus, sind beziehungsorientiert und befähigen unsere Mitarbeiter vor Ort, den Erfolg zu steigern.

  • Effizienz: Wir sind effizient.

Wir optimieren und sind durch eine formale Struktur, definierte Rollen und eine effektive unternehmensweite Koordination produktiv.  

  • Qualität: Wir konzentrieren uns in erster Linie auf Qualität.

Wir streben nach Präzision und Exzellenz durch kontinuierliche Verbesserung, Zusammenarbeit und eine langfristige Perspektive.

Die Aufsichtsräte spielen eine zentrale Rolle bei der Überwachung, ob die Managementteams ihre Unternehmenskultur im Kontext ihrer Strategie definiert haben. Die Unternehmenskultur sollte nicht nur gut klingen, sondern tatsächlich zu den aktuellen Ambitionen des Unternehmens passen. Das Management sollte in der Lage sein, die gewünschte Kultur des Unternehmens, eventuell vorhandene Lücken und die Art und Weise, wie die Lücken geschlossen werden, zu artikulieren. Der Aufsichtsrat sollte überwachen, wie das Management die Kultur und Strategie definiert und harmonisiert und damit dazu beitragen, dass die Modernisierung und Weiterentwicklung der Unternehmenskultur stets eine hohe Priorität hat. . 

2. Verantwortlichkeit für die Art und Weise schaffen, wie Kultur kommuniziert und gelebt wird – intern und gegenüber externen Interessengruppen

Jeder im Unternehmen trägt zur Kultur bei. Jede Person ist dafür verantwortlich, wie sie oder er sich jeden Tag zeigt. Manchmal reicht ein Ereignis oder eine Person aus, um die Harmonie zu stören, eine Welle von Kündigungen hervorzurufen, Kundenbeziehungen zu schädigen oder den Aktienkurs zu beeinflussen. Unternehmen sollten die erwünschten Verhaltensweisen klar identifizieren, die Leistung anhand dieser Verhaltensweisen steuern und sie durch Anreizstrukturen verstärken. Sie sollten sich auch der Herausforderungen beim Aufbau einer kohärenten, „grenzenlosen“ Kultur in einer globalen Organisation bewusst sein und diese Herausforderungen bewältigen, wenn gewünschte kulturelle Eigenschaften mit lokalen Normen in Konflikt stehen (z. B. in einem Land das Wort ergreifen, in dem Hierarchie und Höflichkeit herrschen) und Sprachbarrieren die Herausforderungen verschärfen können. Ebenso wichtig ist es, dass Führungskräfte auf jeder Ebene „den Tone at the Top festsetzen“, indem sie das gewünschte Verhalten vorleben. Es gibt also ein System von Verhaltensweisen in einem Unternehmen, welches sicherstellen soll, dass das richtige Verhalten gelebt wird. Wenn das System schwach oder defekt ist, können manchmal ungesunde, abweichende Verhaltensweisen hervorgerufen werden. 

Der Aufsichtsrat kann eine Rolle bei der Unterstützung dieses Systems spielen, u. a. durch die Anpassung der Vorstandsvergütung, einschließlich deren Leistungskennzahlen, an die Verhaltensweisen/Unternehmenskultur, die das Unternehmen benötigt. Die Aufsichtsräte sollten diskutieren, wie sich die aktuellen Anreizstrukturen auf das Verhalten auswirken könnten und welche Änderungen erforderlich sein könnten, um die Anreizstrukturen an das gewünschte Verhalten anzupassen. Kulturelle Indikatoren in die Leistungskennzahlen einzubeziehen kann auch dazu beitragen, dem Vorstand einen Anreiz zu geben, Werte und Verhaltensweisen im gesamten Unternehmen zu verankern.

Führungskräfte auf allen Ebenen sollten „den Tone at the Top setzen“, indem sie das gewünschte Verhalten modellieren. Der Aufsichtsrat sollte auch regelmäßig bewerten, wie der CEO und andere Führungskräfte das gewünschte Verhalten gestalten und die gewünschte Unternehmenskultur an das Organisation kommunizieren.

Der Aufsichtsrat sollte auch regelmäßig bewerten, wie der CEO und andere Führungskräfte das gewünschte Verhalten gestalten und die gewünschte Unternehmenskultur an das Organisation kommunizieren. Verstärken Inhalt und Ton der Trainingsmaterialien und der internen Kommunikation konsequent die gewünschten kulturellen Werte und Verhaltensweisen? Wie kommuniziert das Management, was ein inakzeptables Verhalten gegenüber den Mitarbeitern ist? Wie reagiert die Unternehmensleitung auf Verstöße gegen die festgelegten Werte des Unternehmens? Überschreitungen können ein Anlass sein, die Kultur des Unternehmens in die richtige Richtung zu lenken. Hunderte von kleinen Veränderungen im Laufe der Zeit prägen die Unternehmenskultur. Dieser Prozess sollte durch den Vorstand und die Führungskräften geleitet werden, unter Aufsicht des Aufsichtsrats.

Die Zuständigkeiten des Aufsichtsrats in den Bereichen Nachfolgeplanung und Vergütung geben ihm sinnvolle Möglichkeiten die Unternehmenskultur zu gestalten. Unternehmensführung letztlich nicht die Werte des Unternehmens widerspiegelt, muss der Aufsichtsrat möglicherweise Veränderungen vornehmen, um die kulturelle Fitness des Unternehmens zu verbessern. 

Da Investoren, Regulierungsbehörden und andere wichtige Interessengruppen der Unternehmenskultur eine immer größere Aufmerksamkeit schenken, ist es außerdem wichtig, dass Aufsichtsräte verstehen, wie die Unternehmenskultur nach außen kommuniziert wird. Dazu gehören Details über die Arbeitsweise der Führungsgremien und darüber, wie sie die Aufsicht über die Kultur ausüben. Die Kommunikation sollte den Interessengruppen das Vertrauen geben, dass die Kultur klar definiert und so gestaltet ist, dass sie an Strategie und Zweck angepasst ist, und dass die Systeme, die die richtigen Verhaltensweisen verstärken, genau festgelegt und aktuell sind. 

 3. Überwachen, wie Kultur und Talentkennzahlen gemessen werden und sich einen Überblick verschaffen

Eine funktionierende Überwachung der Unternehmenskultur erfordert, dass Aufsichtsräte die Kennzahlen verstehen, die am besten die Gesundheit und Stärke der Unternehmenskultur widerspiegeln. Kultur ist messbar; es gibt viele Möglichkeiten, sie direkt und/oder indirekt zu messen. Die COSO-Aktualisierung aus dem Jahr 2017 weist darauf hin, dass die Berichterstattung über die Unternehmenskultur an den Aufsichtsrat auch Analysen kultureller Trends, ein Benchmarking mit anderen Einheiten oder Standards, Lessons-Learned-Analysen, Überprüfungen von Verhaltenstrends und Umfragen zu Risikoeinstellungen und Risikobewusstsein umfassen kann. EPIC empfiehlt, dass Vorstand bzw. Aufsichtsrat die verschiedenen Dimensionen der Unternehmenskultur wie Ethik und Integrität, Übereinstimmung mit Zielen und Werten, gute Beispiele, Leistung und Rechenschaftspflicht sowie Integration aktiv steuern bzw. überwachen und die Unternehmen darüber berichten sollen.5

Unternehmen beginnen mit der Durchführung kultureller Bewertungen. Zusätzlich zu diesen Einschätzungen sollten Aufsichtsräte aus so vielen Quellen wie möglich und von verschiedenen Ebenen des Unternehmens Daten über die Kultur des Unternehmens erheben. Kunden und Mitarbeiter sind hierbei zentrale Datenquellen. Customer Net Promoter Scores, Daten aus regelmäßigen Umfragen zur Unternehmenskultur und Mitarbeiterbefragungen, Social-Media-Scans, Employer Review Sites und andere Messungen können den Überwachungs- und Leitungsgremien Einblicke in die Gesundheit und Stärke der Unternehmenskultur geben. Die gesammelten Daten sind im Zusammenhang mit dem Zweck und der Strategie des Unternehmens zu interpretieren. 

Daten im Zusammenhang mit Richtlinien, Prozessen und dem Risikomanagement des Unternehmens sind ebenfalls wertvoll. Dazu gehören Daten der Whistleblower-Hotline, Social-Media-Audits, Ergebnisse von Compliance-Schulungen sowie aktuelle Rechtsstreitigkeiten. Weitere Informationsquellen sind das operative Geschäft (z. B. Corporate Responsibility Policy, Entscheidungsstrukturen) und Finanzkennzahlen (bspw. Marktanteil und Aktionärsrendite). 

Talent und Kultur

52 %

Prozentsatz des Marktwerts eines Unternehmens, der sich aus immateriellen Vermögenswerten zusammensetzt

Die meisten dieser Daten sind bereits innerhalb des Unternehmens oder extern vorhanden, und die Fortschritte in Analytik und Technologie machen es für Unternehmen einfacher als erwartet, sie zu sammeln, zu nutzen und daraus zu lernen. Die Datenanalyse kann dem Vorstand bzw. Aufsichtsrat helfen einen ganzheitlichen Blick auf die Kultur des Unternehmens zu werfen und sollten Teil der Gesamtanalyse sein, um weitere Sicherungs- und Aufsichtsbemühungen voranzutreiben.  

Weitere Zusammenhänge und Diskussionen mit dem Management können erforderlich sein, um zu verstehen, wie diese Daten die Strategie, das Geschäftsmodell und die Entwicklung der Unternehmenskultur beeinflussen.  Als Best Practice haben sich eine regelmäßige Berichterstattung und Interaktion mit dem Chief Human Resources Officer (CHRO) etabliert, da diese eine gewichtige Rolle bei der Überwachung der Kultur- und Talentziele des Unternehmens und bei der Bewertung der Gesamtrendite von Investitionen in Mitarbeiter spielen. 

Es ist entscheidend, dass Aufsichtsräte ein tiefes Verständnis der Stärken der aktuellen Unternehmenskultur, der vorhandenen Lücken und der Wege, die es braucht, um diese zu schließen, haben. Ein tiefes Verständnis ist der Schlüssel für eine funktionierende Aufsicht über die Unternehmenskultur und wird zunehmend von führenden institutionellen Investoren erwartet. Sie glauben, dass Überwachungs- und Leitungsgremien in der Lage sein sollten zu artikulieren, wo sich das Unternehmen auf seinem Kulturpfad befindet.6

4. Überwachen, ob der beabsichtigte Kulturwandel im Einklang mit der Strategie steht

Die Kultur muss sich verändern, wenn sich die Strategie ändert. Betrachten Sie ein Unternehmen, das sich bislang auf Effizienz konzentriert hat und sich nun auf Innovationen fokussiert. Die Strategien für die Rekrutierung von Mitarbeitern, die Betriebs- und Anreizstrukturen dieses Unternehmens, seine gesamte DNA wurden auf formalen Strukturen und definierten Rollen aufgebaut. Aber jetzt hängt der Erfolg davon ab, eine unternehmerische, agile Haltung einzunehmen und den Mitarbeitern Autonomie und kreative Freiheit zu währen. Damit dieser Wandel gelingt, müssen täglich neue Arbeitsweisen und neue Einstellungen und Verhaltensweisen am Arbeitsplatz gelebt werden.  

Ein neuer CEO, eine Fusion oder eine Übernahme, eine digitale oder funktionale Transformation oder regulatorischer Wandel sind ebenfalls potenzielle Treiber für Veränderungen in der Unternehmenskultur. Der Aufsichtsrat hat dafür zu sorgen, dass die Unternehmensleitung über ausreichende Ressourcen verfügt, um kulturelle Veränderungen zu operationalisieren und zu überwachen.

Vor dem Wechsel zu neuen Arbeitsweisen und einer sich verändernden Unternehmenskultur, müssen Führungskräfte das soziale Netzwerk des Unternehmens verstehen und die „Influencer“ innerhalb des Unternehmens identifizieren. Zusätzlich zu den Führungskräften, die den Tone at the Top vorgeben, ist es wichtig weitere Influencer einzubeziehen. 

Vor dem Wechsel zu neuen Arbeitsweisen und einer sich verändernden Unternehmenskultur, müssen Führungskräfte das soziale Netzwerk des Unternehmens verstehen und die „Influencer“ innerhalb des Unternehmens identifizieren. Zusätzlich zu den Führungskräften, die den Tone at the Top vorgeben, ist es wichtig weitere Influencer einzubeziehen. 

Der Kulturwandel erfordert ein Team, das motiviert ist zusammenzuarbeiten und die Dinge anders anzugehen. Es braucht sowohl Top-down- (z. B. neue Geschäftsmodelle, Leistungssysteme, Vergütungs- bzw. Inzentivierungssysteme und Geschäftsprozesse) als auch Bottom-up-Ansätze (z. B. Entscheidungen und Verhaltensänderungen in lokalen Teams, die im Laufe der Zeit neue Normen schaffen). 

Wenn der Kulturwandel umgesetzt ist, sollte der Aufsichtsrat die Fortschritte in Richtung der gewünschten Kultur überwachen und dem Management helfen herauszufinden, ob die Veränderungen im Unternehmen oberflächlich sind, was sich für die Mitarbeiter unaufrichtig anfühlen könnte oder ob sich der Grundton der Funktionsweise des Unternehmens wirklich verändert. Der Aufsichtsrat sollte den Vorstand dabei unterstützen, die Erwartungen der Stakeholder an den langfristigen Charakter des Kulturwandels zu managen.

5. Herausforderung der Aufsichtsratskultur

Vorstand bzw. Aufsichtsrat setzen den ultimativen „Tone at the Top“ der Unternehmenskultur – nicht nur in der Art und Weise, wie sie die Unternehmenskultur priorisieren bzw. überwachen, sondern auch in der jeweils eigenen Gremienzusammensetzung, Dynamik und Kultur. Spiegelt die Gremienzusammensetzung die gewünschte Vielfalt des Unternehmens wider? Erneuert der Vorstand seine eigene Zusammensetzung, Struktur und Prozesse, um eine stärkere Aufsicht über die Transformation des Unternehmens, die Strategie und das Risiko zu unterstützen? Spiegelt die eigene Kultur des Aufsichtsrats die kulturellen Werte wider, an denen Führungskräfte gemessen werden? 

Die Entscheidungen und die Dynamik des Aufsichtsrats senden eine Botschaft an das Management, an Investoren und an andere wichtige Interessengruppen. Während wir in diesem Jahr unsere Befragung von Investoren durchführten, sagten viele Investoren, dass Vorstand und Aufsichtsrat selbst Talente und kulturelle Ziele widerspiegeln. Sie stellten fest, wie wichtig Vielfalt in der Gremienzusammensetzung ist, um einen Tone at the Top zu setzen, der die integrative Sichtweise des Unternehmens auf Talente umfasst. Einige bezeichneten sogar eine mangelnde Vielfalt in der Gremienbesetzung und den obersten Führungsebenen als Risiko für das Humankapital, insbesondere angesichts der hohen Bedeutung der Unternehmenskultur und des heutigen Kampfes um Talente.7  Es ist wichtig, dass sich Vorstand und Aufsichtsrat selbst kritisch hinterfragen und die gewünschte Kultur modellieren.

Darüber hinaus sollten die Aufsichtsräte sich die Frage stellen, ob sie den Kulturfragen genügend Zeit und Aufmerksamkeit widmen und ob einem der Ausschüsse die Verantwortlichkeit übertragen werden sollte, z. B. indem der Vergütungsausschuss seinen Zuständigkeitsbereich erweitert, um umfassendere Talent-Strategien zu entwickeln und kulturbezogene Angelegenheiten zu diskutieren. Die Aufsichtsräte können erwägen, den CHRO als strategischere Ressource zu nutzen und genauso regelmäßig mit ihm zu kommunizieren und von sich von ihm berichten zu lassen, wie mit dem CFO.

Kulturelle Ausrichtung von oben nach unten erreichen

Unternehmen jeder Größe, jedes Alters und jeder Risikobereitschaft müssen ihre Kultur aktiv fördern, um sie an die Strategie anzupassen. Der Aufsichtsrat spielt eine entscheidende Rolle bei der Nominierung des richtigen CEO, der die Werte des Unternehmens lebt, bei der Validierung einer definierten Kultur, die eine Strategie ermöglicht, bei der Überwachung, wie diese definierte Kultur gemessen und kommuniziert wird, bis hin zum ultimativen Tone at the Top. Aufsichtsräte können dem Management helfen, die Unternehmenskultur als strategischen Wert zu erkennen, indem sie ihre Aufsicht darüber, wie sich die Kultur in Bezug auf Strategie und Zweck entwickelt, verbessern und für sich selbst und das Management ein höheres Maß an Verantwortlichkeit festlegen. 

Fragen, die das Board zu berücksichtigen hat

  1. Geben Vorstand und Aufsichtsrat an der Spitze den richtigen Ton an und schenken sie der Unternehmenskultur als Schlüsselfaktor für Unternehmenszweck und Strategie genügend Aufmerksamkeit? Verkörpern und reflektieren sie selbst die Werte des Unternehmens?
  2. Wie umfassend und spezifisch hat der Aufsichtsrat mit dem Vorstand die Bedeutung der Kultur diskutiert und dazu beigetragen, die gewünschte Kultur zu definieren? 
  3. Wie erscheint Kultur auf der Aufsichtsratsagenda? Handelt es sich um einen bestimmten Tagesordnungspunkt, der zum Beispiel einmal im Jahr behandelt wird? Oder ist sie in allen Diskussionen und Entscheidungen des Aufsichtsrats eingebettet?
  4. Ist die Unternehmenskultur bewusst im Rahmen der Strategie definiert und gibt es ein gemeinsames Verständnis davon in der gesamten Organisation? Bei multinationalen Unternehmen: Hat das Führungsteam Führungskräfte aus Ländern einbezogen, in denen sprachliche und/oder kulturelle Unterschiede ein Hindernis für die Übernahme der gemeinsamen Unternehmenskultur darstellen könnten?
  5. Kann der Aufsichtsrat die kulturellen Stärken und Lücken des Unternehmens sowie die notwendigen Veränderungen für das bestmögliche Management von Verhaltensrisiken und zur Ausrichtung der Kultur auf die Strategie artikulieren?
  6. Hat der Aufsichtsrat Messmethoden diskutiert, die als Barometer für die kulturelle Fitness gesammelt und überwacht werden könnten? Muss die Berichterstattung des Managements an den Aufsichtsrat angepasst werden, um bessere Daten für die Überlegungen des Aufsichtsrats im Hinblick auf die Kultur zu erhalten ?
  7. Wie berücksichtigt der Aufsichtsrat den potenziellen kulturellen Kontext, der der Erreichung von Key Performance Indicators (KPIs) zugrunde liegt? Wenn beispielsweise alle KPI-Ziele über einen längeren Zeitraum erreicht oder deutlich übertroffen werden, hinterfragt der Aufsichtsrat dann, warum dies so ist? Überprüft der Aufsichtsrat mögliche kulturelle Belastungen, um bestimmte Kennzahlen oder KPIs künstlich „aufrechtzuerhalten“, und wenn ja, berücksichtigt er alle damit verbundenen Risiken? 
  8. Wie gründlich haben der Aufsichtsrat und/oder der Ausschuss die Auswirkungen der Unternehmenskultur auf das Risiko, das Risikomanagement und das Interne Kontrollsystem diskutiert?

Fazit

Aufsichtsräte können dem Management helfen, die Unternehmenskultur als strategischen Wert zu erkennen, indem sie ihre Aufsicht darüber, wie sich die Kultur in Bezug auf Strategie und Zweck entwickelt, verbessern und für sich selbst und das Management ein höheres Maß an Verantwortlichkeit festlegen. Sie sollten auch die Überwachung kultureller Veränderungen im Zusammenhang mit der Strategie übernehmen und die Kultur des Vorstands herausfordern.

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