5 Minuten Lesezeit 10 März 2020
Industriekräne im Smog

Wie Kapitalgeber die Dekarbonisierung der Wirtschaft vorantreiben

Von Nicole Richter

Leiterin Climate Change and Sustainability Services & Co-Leiterin EYCarbon, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Ist passionierte Verfechterin nachhaltigen Unternehmertums. Setzt sich für Transparenz im Berichtswesen ein.

5 Minuten Lesezeit 10 März 2020

Die Jugend demonstriert für mehr Klimaschutz. Jetzt ziehen die Investoren nach und fordern von Unternehmen zukunftsfähige Strategien.

Manchmal kommt die Hilfe von unerwarteter Seite. Seit Monaten fordert die Jugend Freitag für Freitag mehr Klimaschutz ein und verlangt einen radikalen Kurswechsel von Politik und Wirtschaft. Dass dieser Wechsel auch in der Herzkammer des Kapitals auf der Agenda steht, liest sich wie eine Ironie der Geschichte. Werden ausgerechnet die Hüter des Shareholder-Value zu Verbündeten der Stakeholder?

Rückblickend wird es vielleicht der Brandbrief des Blackrock-Chefs Larry Fink sein, welcher der drängenden Dekarbonisierung der Wirtschaft den entscheidenden Durchschlag gegeben hat. Die Botschaft des weltweit größten Finanzinvestors an die Unternehmenswelt ist unmissverständlich: Transform- or die!
Die Wirtschaft gerät damit von zwei Seiten unter Druck- einmal durch die immer strengere politische Regulierung, dann durch den Druck der Kapitalanleger, welche die Transformation hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft stärker einfordern. Und dies nicht nur in Form jährlicher Berichterstattung, sondern als Bestandteil einer fundamentalen Risikostrategie. 

Das Ziel ist die Dekarbonisierung.

Strategien für die Zukunft finden

Vor besonderer Herausforderung stehen energieintensive Geschäftsmodelle-Unternehmen, die besonders viel Energie in ihrer gesamten Wertschöpfungskette einsetzen. Gerade diese Branchen müssen Transformationspfade konzipieren – und zwar frühzeitig, da der Weg deutlich länger ist. Spätestens dann wird deutlich: Vor dem Hintergrund politisch vereinbarter Reduktionsziele ist eine Effizienzsteigerung allein nicht hinreichend. Am Ende muss der Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. 

Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung gesetzlicher Standards oder externer Reduktionsverpflichtungen. Es geht vielmehr um einen ganzheitlichen Ansatz, wie das jeweilige Geschäftsmodell langfristig bestehen und weiterentwickelt werden kann – und zwar ohne das Klima zu belasten. Gibt es plausible Strategien, wie der Beitrag zum Klimaschutz aussieht? Wie wird der Pfad dorthin beschrieben und wie die Umsetzung überprüft? Wann wird das Ziel der Klimaneutralität erreicht? Wer diese Fragen nicht beantworten kann, wird es schwer haben, Investoren noch zu überzeugen.

Der Klimawandel ist für die langfristigen Aussichten von Unternehmen zu einem entscheidenden Faktor geworden. (…) Schon bald – und früher als von den meisten erwartet – wird es zu einer erheblichen Umverteilung von Kapital kommen.
Larry Fink
Vorstandsvorsitzender Blackrock

Anlagestrategien werden neu justiert

Larry Finks Ruf wird nicht ungehört verhallen. Er wird auf den Hauptversammlungen der Unternehmen gehört werden – und dabei die mahnenden Stimmen der Jugend verstärken. Und Blackrock ist nicht allein: Auch die französische BNP Paribas AM und La Francaise oder die norwegische DNB verfolgen diesen Ansatz schon länger. Mit Blackrock wird er nun aber wirkungsvoller und nicht ohne Folgen bleiben. Investoren werden künftig stärker darauf achten, ob Unternehmen den Weg zur Dekarbonisierung glaubwürdig beschreiten – oder eben nicht. 

Die Neuausrichtung der Investoren trifft auf ein Umfeld, in dem Klimaschutz und Nachhaltigkeit auf verschiedenen Ebenen neu bewertet werden. Einige aktuelle Beispiele:

  • Beteiligungen: Mehr als 20 führende deutsche Kapitalgeber – darunter Earlybird, Holtzbrinck Ventures, Rocket Internet oder Tengelmann Ventures – haben sich zusammengeschlossen und auf eine Klausel für Nachhaltigkeit verständigt. Diese Klausel wird verbindlich zwischen Investoren und Unternehmen verankert und verpflichtet alle neu finanzierten Unternehmen zu mehr Klimaschutzmaßnahmen.
  • International: Das Network for Greening the Financial System (NGFS) setzt sich seit 2017 dafür ein, globale Finanzströme zu nutzen, um ein kohlenstoffarmes Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Das weltweite Netzwerk besteht aus Zentralbanken und Aufsichtsbehörden.
  • Finanzmarkt: „Green Bonds“ und „ESG-Bonds“ (Environment, Social, Governance) werden nach der Einschätzung der Ratingagentur Moody‘s künftig sehr stark wachsen. Dabei wird allein für die strengeren „Green Bonds“ in 2020 ein Anstieg auf 300 Milliarden US-Dollar erwartet.

Viele Akteure arbeiten aktiv für einen ambitionierten Klimaschutz. Dies ist der Rahmen, in dem die großen institutionellen Anleger Klimaschutz als Teil der Risikostrategie neu gewichten. Eine wirkungsvolle Dynamik entsteht – mit hoher Relevanz für alle Branchen. 

Was tun? 5 Bausteine einer Dekarbonisierungsstrategie

Es gibt kein Patentrezept. Neben branchenspezifischen Aspekten geht es jedoch um zentrale Bausteine einer glaubwürdigen Dekarbonisierungsstrategie:

  • Entwicklung von Zielen und Strategien zur Dekarbonisierung
  • Definition von Meilensteinen und belastbaren Pfaden zur Klimaneutralität
  • Transparenz durch neutrales Monitoring
  • Rechtzeitige Nachjustierung bei erkennbaren Pfadabweichungen
  • Glaubwürdige Berichterstattung und aktive Kommunikation

Die Entwicklung und Umsetzung einer glaubwürdigen Dekarbonisierungsstrategie wird zum Prüfstein für Stakeholder – aber auch für Shareholder. Insbesondere die umworbenen Nachwuchstalente interessieren sich nicht nur für Profit und Verlust, sondern auch dafür, wofür ein Unternehmen steht und wie es das vertritt. 

Warum eine plausible Strategie zur Dekarbonisierung zwingend ist

Die großen Finanzinvestoren bewerten Klimarisiken zunehmend als Anlagerisiken. Diese Verschiebung der Bewertungsmaßstäbe gewinnt an Dynamik und wird für die Wettbewerbssituation in allen betroffenen Märkten relevant

In einer Welt, in der CO2 einen Preis erhält, Klimaschutz von Investoren ernst genommen wird und junge Menschen sich genau überlegen, welchen Arbeitgeber sie wählen, führt kein Weg an einer plausiblen Dekarbonisierungsstrategie vorbei. Wer heute noch versucht abzutauchen, hat bereits verloren.

Fazit

Die Jugend demonstriert seit Monaten für mehr Klimaschutz. Jetzt ziehen Großinvestoren nach und fordern von Unternehmen einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Unternehmen brauchen zukunftsfeste Strategien, die Marktanteile sichern und das Klima schützen.

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Von Nicole Richter

Leiterin Climate Change and Sustainability Services & Co-Leiterin EYCarbon, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Ist passionierte Verfechterin nachhaltigen Unternehmertums. Setzt sich für Transparenz im Berichtswesen ein.