52 Minuten Lesezeit 26 Juli 2021
Frau mit einem Smartphone in der Hand vor Wolkenkratzern

Wie die Finanzfunktion vom Kostenfaktor zum Werttreiber wird

Datenanalyse und Künstliche Intelligenz transformieren die Finanzfunktion, der CFO wird zum strategischen Werttreiber.

Überblick

  • Stakeholder erwarten Informationen mittlerweile in Echtzeit. Daten werden zum Wettbewerbsvorteil. Aus Daten wird Wissen, aus Wissen wird Wert geschaffen.
  • Der künftige Finanzbereich präsentiert sich als Kombination aus funktionalen, prozessbezogenen und agilen Organisationselementen.
  • Bei der Gestaltung der neuen Finanzrealität ist es wichtig, die Herausforderungen der Branche und die Unternehmensstrategie zu verstehen.

Das globale Marktumfeld ist volatil und von immer neuen Disruptionen geprägt. Nicht nur das operative Geschäft von Unternehmen ist dadurch gefordert. Die Finanzfunktion steht ebenfalls vor einer fundamentalen Neuausrichtung und damit auch die Rolle des Chief Financial Officer (CFO).

Die Auslöser der Veränderungen sind vielschichtig: Transaktionale und repetitive Abläufe in der Finanzbuchhaltung werden digitalisiert und automatisiert. Die Organisation wird flexibler, sie richtet ihre Abläufe darauf aus, sich dem permanent verändernden Umfeld schnell anzupassen. In der Berichterstattung gewinnen längerfristige Betrachtungen an Bedeutung, um die Informationsbedürfnisse der verschiedenen Stakeholder, von Kunden über Investoren bis zu Mitarbeitern, zu erfüllen. Große Datenmengen schaffen neue Erkenntnisse für Unternehmen. Sie ermöglichen genauere Prognosen und die Simulation von Szenarien, um datengetriebene und damit faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. 

Der bisherige Schwerpunkt des CFO liegt in der Bereitstellung eines ordnungsgemäßen, transparenten und verlässlichen Finanzmanagements. Diese Rolle wird deutlich erweitert. Der Finanzvorstand wird zum strategischen Partner der Geschäftsführung, er ist zunehmend für die Wertsteigerung und finanzwirtschaftliche Performance verantwortlich. Als „Co-Pilot des Business“ stellt er nicht nur die Finanzfunktionen im Unternehmen auf den Prüfstand. Er muss auch seine eigene Rolle überdenken und neu definieren.

Folgende fünf Aspekte stehen bei den notwendigen Veränderungen im Vordergrund:

Agile Business Finance Function : Der oftmals rein funktional organisierte Finanzbereich muss agiler und flexibler werden. So kann er in einem volatilen Marktumfeld schnell und unbürokratisch zur Lösungsfindung bei ständigen Veränderungen (neue Geschäftsmodelle, verändertes Kundenverhalten, anorganisches Wachstum, etc.) beitragen.

Trusted Accounting : Rechnungslegungsprozesse eignen sich aufgrund ihres klaren regulatorischen Umfelds und den definierten Outputs optimal zur Digitalisierung. Im transaktionalen Bereich werden immer weniger Aufgaben manuell bearbeitet, stattdessen übernehmen digitale Lösungen. Das schafft Raum für neue wertschöpfende Aufgaben. Sie ergeben sich zum Beispiel aus deutlich erweiterten Kapitalmarktanforderungen wie dem ESG-Reporting (Berücksichtigung von Umwelt-, sozialen und Governance-Fragen), dem Embankment Project for Inclusive Capitalism (eine Initiative mit dem Ziel, die Ungleichheit in der Gesellschaft zu reduzieren) aber auch aus neuen Informationsbedürfnissen unterschiedlicher Stakeholder.

Value Performance Management : Der effektive Einsatz von Ressourcen, Budgetierung und Überwachung sowie viele zeitintensive Reportinganforderungen werden auch im Performance-Management zunehmend digitalisiert. Das Business kann dadurch weitgehend mit Hilfe von digitalen Assistenten und Dashboards eigenständig und in Echtzeit arbeiten. Das bisherige Performance-Management-Team kann das operative Geschäft mit komplexen Datenanalysen und Simulationen unterstützen, um auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen zu können.

Agile Corporate Finance & Portfolio : Die klassischen Konzernzentralen stehen in vielen Unternehmen auf dem Prüfstand. Während die derzeitigen Strukturen stark auf „Silos“ aus Experten ausgerichtet ist, verlangt ein modernes Organisationskonzept schnelle Lösungen für eine Vielzahl wiederkehrender Herausforderungen: Kauf oder Verkauf von Unternehmensteilen, Asset Deals, Management von Ökosystemen und Outsourcing. Auch die Neuausrichtung der operativen Abläufe und ein häufigerer Wandel der Konzernstrategie stellen erhebliche Anforderungen an den Finanzbereich (Steuermodell, Finanzierung, Risiko, etc.). Zwar können die bestehenden Strukturen viele dieser neuen Herausforderungen lösen, doch in neuen, agilen Organisationsformen lassen sie sich ungleich besser abbilden. 

Lean Enterprise Platform : Durch Shared Services (zentrale Dienstleistungen für mehrere Unternehmenseinheiten), Sparprogramme und Restrukturierungen haben Unternehmen ein erhebliches Maß an Effizienz geschaffen. In einem stabilen Umfeld führen diese Maßnahmen zu optimalen Profitabilitätskennzahlen, es bestehen jedoch wenig oder keine Kapazitäten für operative Anpassungen an die Konzernstrategie oder komplexe Projekte. Shared Services sollten daher zu einer Transformationsplattform weiterentwickelt werden, um die Konzepte der Konzernleitung in Landesgesellschaften und Geschäftsbereichen umzusetzen. Dabei verlassen Shared Services die klassischen, transaktionalen Dienstleistungen, sie stellen stattdessen komplexes Wissen wie Analytics, Prozessoptimierung oder Integrations- bzw. Carve-out-Know-how bereit.

Diese Veränderungen werden in den folgenden Kapiteln dargestellt, verbunden mit Handlungsempfehlungen  für den Wandel zur neuen, erweiterten Rolle der Finanzfunktion.

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Kapitel 1

Digitalisierung und vernetztes Wissen als Werttreiber

Die Finanzfunktion wird zum zentralen Datenknoten, der sich mit dem gesamten Unternehmen vernetzt.

Der Finanzbereich ist in Unternehmen traditionell eine faktenbasierte Funktion. Rechnungslegung, Finanzmanagement, Budgetierung oder Compliance-Fragen sind in erster Linie prozessorientierte, arbeitsintensive Aufgaben. Doch seit einigen Jahren werden die klassischen Tätigkeiten zunehmend digitalisiert und automatisiert. Die dadurch freigesetzten Ressourcen schaffen Spielraum für strategische Fragen. Der Finanzvorstand kann noch deutlicher zur Performance beitragen.

Die Digitalisierung schafft außerdem die Möglichkeit, die einzelnen Unternehmensbereiche stärker zu vernetzen und ihr „Inselwissen“ systematisch zusammenzuführen. Die Rolle der Finanzabteilung liegt darin, das nötige Daten- und Informationsmanagement zu liefern, die Bereiche zu vernetzen, ihre Informationen zu analysieren. Den Finanzvorstand versetzt das in die Lage, sich quasi auf Knopfdruck einen genauen Überblick über die geschäftliche Situation des Unternehmens zu verschaffen und mögliche Auswirkungen auf EBITDA, Working Capital und Cashflow zu modellieren. Die Daten lassen sich nutzen für Prognosen und Budgetplanungen sowie Wirkungs- und Szenarioanalysen, auf deren Basis fundierte Geschäftsentscheidungen getroffen werden können.

Enge Kooperation mit dem gesamten Unternehmen

Eine wichtige Voraussetzung ist das „Business Partnering“ mit verschiedenen Bereichen im Unternehmen. Während in klassischen Bereichen der Finanzfunktion, etwa Compliance, Berichts- oder Risikomanagement, bereits ein hoher Grad an Zusammenarbeit besteht, stellt das Business Partnering den Geschäftsbereichen neue Services zur Verfügung, die über die funktionalen Bereiche hinausgehen. Das Finanzwesen hat den Vorteil, dass es mit den monetarisierten Daten, die beim CFO zusammenlaufen, übergreifende Zusammenhänge analysieren und mit Hilfe moderner Analytics aufeinander abstimmen kann. Beispiele reichen von der Strategie über den Vertrieb bis zum Marketing und den operativen Bereichen. Werteflüsse werden optimiert und Risiken offengelegt, die sich den einzelnen funktionalen Bereichen nicht immer erschließen.

Zusätzlich zu den optimierten Funktionseinheiten wird durch das aktive Management der Werteflüsse eine neue Wertschöpfungsstufe erschlossen. Die Finanzabteilung und der CFO werden zur strategischen Kraft, die konzernübergreifend Mehrwert schafft.

Business Partnering setzt voraus, dass der CFO mit dem Geschäftsmodell bis ins Detail vertraut ist und die Werteflüsse in ein Steuerungsmodell überführt hat. Nur so ist er in der Lage, Informationen zu den möglichen kurz-, mittel- und langfristigen finanziellen Folgen von Entscheidungen und deren Risiken aufzubereiten. Im ersten Schritt empfiehlt es sich, eine einheitliche Werteflusslogik, Bewertungsmethoden, Tools und Performance-Indikatoren im Unternehmen zu schaffen.

Die Digitalisierung des Konzern-Finanzwesens gelingt dann optimal, wenn die Finanzfunktion und das Unternehmen gemeinsam an einem Strang ziehen.
Michael Kamsteeg
CFO und Vorstandsmitglied der GASAG AG, Berlin

Damit das Modell funktioniert, müssen der Finanzvorstand und sein Team den operativen Bereichen klar darstellen können, welchen Mehrwert eine werteflussübergreifende Steuerung und Optimierung der einzelnen Unternehmensbereiche mit sich bringt. Hier stoßen zwei Sichten aufeinander: jene der funktionalen Einheiten, die aus Sicht ihres Fachbereichs bereits einen hohen Grad an Optimierung geschafft haben, und jene der Verantwortlichen, für die es nicht selbstverständlich ist, Daten und Einblicke aus ihren Bereichen teilen. 

Unternehmenskultur gerät in den Fokus

Michael Kamsteeg, CFO und Vorstandsmitglied der GASAG AG in Berlin, fordert eine konsequente „Kultur des Teilens, der Transparenz, der Zusammenarbeit, des Vertrauens und des gemeinsamen Verständnisses der strategischen, operativen und finanziellen Ziele des Unternehmens“. Die Transformation der Finanzfunktion impliziert damit auch eine Transformation der Unternehmenskultur.

Die Unternehmenskultur, speziell in der Finanzfunktion, wandelt sich immer stärker hin zu datenbasierten Entscheidungen, die durch das Controlling in Form des Business Partnerings ermöglicht werden. Die eigentliche Herausforderung, aber auch das Erfolgsrezept dieses Modells, ist die Übersetzung von Datenanalysen in operativen Mehrwert.

In einer EY-Umfrage unter Unternehmen, die datenbasiertes Business Partnering einsetzen, konnten 48 Prozent im vorangegangenen Jahr EBITDA-Zuwächse von mehr als fünf Prozent verzeichnen. In Unternehmen, in denen es kein Business Partnering mit der Finanzabteilung gab, lag der Wert lediglich bei 22 Prozent (Quelle: EY Partnering for Performance, 2013).

Um die neuen Aufgaben bewältigen zu können, ist eine umfängliche Digitalisierung erforderlich. Das Internet der Dinge, Künstliche Intelligenz (KI), Cloud Computing, Robotik und Analysetools gehören zu den Technologien, die in der Bereitstellung und Analyse von Echtzeitdaten eine wichtige Rolle spielen. Ihr Einsatz sorgt im Unternehmen zunehmend für eine Disruption der Entscheidungsfindung, aus Bauchgefühl werden Datenmodelle und Szenarioanalysen. Hierdurch lassen sich Geschäftsmodelle simulieren, neugestalten und weitere Ertragsquellen erschließen. 

Technologie beeinflusst Erwartungen der Stakeholder an die Finanzfunktion

Der CFO und sein Team werden zunehmend neue Erwartungen der Stakeholder erfüllen müssen. Dazu gehören unter anderem eine bessere Prognosegenauigkeit, zusätzliche Informationsanforderungen und die Simulation von komplexen Entscheidungen. Zusätzlich erwarten sie mehr Flexibilität, passgenaue Services und Informationen in Echtzeit. Dieser Herausforderung muss sich das Unternehmen gegenüber externen Kunden ebenso stellen, wie es die Finanzfunktion kontinuierlich in ihrem internen Angebot tut. 

Die Digitalisierung verspricht auch eine Reihe von Kostenvorteilen. Diese Einsparungen können zum Beispiel für Investitionen genutzt werden, um die neuen Anforderungen von Stakeholdern, Investoren und Aufsichtsbehörden mit Hilfe digitaler Services zu erfüllen. Entsprechend wichtig ist es, bei der digitalen Transformation alle Bereiche mit einzubeziehen, um die Schritte effizient zu gestalten.

Die enge digitale Verzahnung des Finanzwesens mit den operativen Abläufen des Unternehmens macht es erforderlich, neu aufkommende Aspekte des Geschäftsmodells frühzeitig zu verstehen und das Finanzwesen an ihnen auszurichten. Für interne Prozesse gilt das genau wie für Verkauf, Vertrieb, Kunden-, Lieferanten- und Stakeholdermanagement.

Unternehmen müssen sich der Transformation stellen oder sie gehen unter. Die Bedeutung der Finanzfunktion für diese „binäre“ Entscheidung folgt daraus, dass hier Daten aus allen Unternehmensbereichen zusammenfließen und das Controlling übergreifende Werteflüsse analysieren, aufbereiten und dem Business zurückspielen kann. In den einzelnen Bereichen ermöglichen sie Entscheidungen, die die Performance und den Wert des Unternehmens steigern. 

Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Finanzfunktion neben klassisch funktional organisierten Bereichen wie Steuern, Treasury etc. auch agile Strukturen aufbaut, um komplexe Herausforderungen effizient und effektiv lösen zu können.

Die Finanzabteilung der Zukunft ist daher schlank und agil. Sie kann Weisungs-, Durchsetzungs- und bei Bedarf Leitungsfunktionen übernehmen. Diese Entwicklungen ändern die Rolle des Finanzvorstandes grundlegend. Aus dem Zahlenmenschen wird ein werteflussorientierter Stratege, eine Führungspersönlichkeit, die sich mit Märkten und Geschäftsmodellen sowie deren Werttreibern bestens auskennen muss.

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Kapitel 2

Finanzwelt der Zukunft: Agile Business Finance Function

Expertenwissen behält Bedeutung, doch im Finanzteam ist zunehmend Agilität gefragt.

Von der monatlichen und quartalsweisen Berichterstattung zur Analyse in Echtzeit, von der Bewertung historischer Daten zur Prognose künftiger Entwicklungen, von der Kontrolle zum umfassenden Sicherungskonzept – so verschiebt sich derzeit der Schwerpunkt der Finanzfunktion. Für das Finanzteam bedeutet das eine radikale Neuorientierung. Während bisher Compliance, eine funktionale Organisation und der Fokus auf Prozesse im Vordergrund standen, rücken jetzt Agilität, Lösungsorientierung und Prognosegenauigkeit in den Vordergrund. 

Traditionelle Leistungen wie „Planung und Budgetierung“, „Abschlusserstellung“ oder „Transaktionsverarbeitung“ profitieren von einer klaren Aufgabenverteilung unter Experten. In der neuen Realität sind neben diesen Spezialisten auch Generalisten gefragt, die sich rasch in ganz unterschiedliche Zusammenhänge einarbeiten können. Diese Fähigkeit wird wichtiger in einem Umfeld, das häufig mit VUKA umschrieben wird, kurz für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Gelegentliche, schrittweise Anpassungen sind hier nicht ausreichend, vielmehr müssen Unternehmen ihr Geschäftsmodell permanent anpassen, teilweise gar neu erfinden. Auch für die Finanzfunktion bedeutet das, vertrautes Terrain zu verlassen und sich in agilen Teams im Unternehmen zusammenzuschließen, um die komplexen Herausforderungen zu bestehen. 

Informationsbedarf in Echtzeit

Besonders der Faktor Geschwindigkeit gewinnt weiter an Bedeutung. Traditionell besteht die Aufgabe des Finanzressorts darin, allen Stakeholder zuverlässige Informationen bereitzustellen. Doch wo es bisher genügte, das Finanzergebnis an Stichtagen zu erklären, Abweichungen in der Unternehmensperformance transparent zu machen und einen begrenzten Ausblick auf die künftige Geschäftsentwicklung zu geben, erwarten Stakeholder diese Informationen zuzüglich einer Reihe von weiteren Daten (ESG, Erklärungen zu immateriellen Werten, etc.) mittlerweile in Echtzeit. 

Digitale Tools unterstützen die neuen Anforderungen mittels vollautomatisierter Prozesse, bei denen Daten ohne wesentliches menschliches Zutun erhoben und verarbeitet werden. Unternehmen stoßen dabei auf die Herausforderung, dass viele der benötigten Daten bisher aufwändig erhoben werden müssen, menschlicher Bewertung unterliegen und unterschiedlich verarbeitet werden. Eine weitgehende Automatisierung der Datenerfassung und -auswertung wird jedoch durch neue technologische Lösungen wie Internet of Things (IoT), Digital Twins, Smart Contracts und Sensorik zunehmend möglich. Die Verarbeitung und Bewertung der Daten kann durch den Einsatz von KI und Algorithmen objektiviert und standardisiert werden. Im Ergebnis führen vollautomatisierte Prozesse zu Echtzeitverarbeitung, standardisierten und damit vergleichbaren Daten. Sie bilden die Voraussetzung für Analytics, Simulation und datenbasierten Entscheidungen.

Schlanke Lösungen ersetzen detaillierte Expertise

Neue Technik allein genügt indes nicht. Auch die Aufbauorganisation muss angepasst werden. Die heutige funktionale Organisationsstruktur, die auf der Optimierung von transaktionalen Abläufen aufsetzt, verliert zunehmend an Bedeutung, wenn transaktionale Tätigkeiten vollständig automatisiert werden können. 

In der neuen Welt berührungsloser Prozesse und Self-Service-Portale für die Berichterstattung sinkt der Bedarf für die transaktionsbezogene Organisationsstruktur. Angesichts permanenter Disruption und ständiger Innovation verschiebt sich der Fokus vom Produkt auf den Kunden, Daten werden zum Wettbewerbsvorteil. Statt funktionaler Abläufe sind funktionsübergreifende Expertenteams notwendig, die schlanke und schnelle Lösungen für komplexe Herausforderungen bereitstellen können.

Eine Digitalisierung der Finanzfunktion schließt auch Veränderungen innerhalb der Finanzfunktion, ihrer Prozesslandschaft und nicht zuletzt ihrer Mitarbeiter ein. Das muss alles Hand in Hand gehen.
Peter David
CFO SAP SE and Global Head of Finance Infrastructure bei SAP

Allerdings ist Agilität ist keine Patentlösung. Sie sorgt aber dafür, dass Teams flexibler auf Veränderungen reagieren, schneller Innovationen umsetzen und dank größerer Freiräume und Herausforderungen Top-Talente angezogen werden. Bei der Umsetzung können Unternehmen den Grad der Agilität am Transformationsbedarf ausrichten. Ändern sich das Geschäftsmodell und das Marktumfeld nur geringfügig, können agile Elemente wie etwa das Entwicklungstool „Scrum“ im Rahmen von Projekten genutzt werden. Steht der Konzern jedoch vor der Herausforderung, dass das bestehende Geschäftsmodell sich drastisch ändert (etwa bei der Umstellung vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb in der Autoindustrie), sind weitergehende agile Konzepte notwendig, um die komplexen Herausforderungen aus den unterschiedlichen Geschäfts-, Finanz-, Produktionsperspektiven integriert zu lösen. Mitunter führt dies dazu, dass nicht nur einzelne Bereiche, sondern die gesamte Konzernstruktur auf ihr agiles Potenzial untersucht und neu ausgerichtet wird. Die Finanzfunktion ist dabei vor allem gefordert, die notwendigen Talente und Expertise in die agilen Teams einzubringen, parallel aber auch das Tagesgeschäft unverändert zu bedienen.

Die Neuausrichtung der Konzernorganisation führt daher für eine unterstützende Funktion wie dem Finanzbereich oftmals zu einer Kombination aus funktionalen, prozessbezogenen und agilen Organisationselementen. Sie ist auch als Schwarm-Organisation bekannt und berücksichtigt, dass agile Arbeitsformen nicht für jeden Arbeitnehmer und nicht für jede Aufgabe passen.

Entscheidende Schnittstellen zum agilen Finanzteam

Die Anforderungen an eine höhere Agilität – Folgen des VUKA-Umfelds – betreffen längst nicht nur die Finanzfunktion, sondern gelten praktisch für alle Bereiche des Unternehmens. Vor allem in vier Bereichen ist aber eine enge Einbindung des Finanzteams wichtig:

  1. Business Innovation: Neue Geschäftsmodelle entstehen immer schneller, doch Profitabilität, steuerrechtliche und regulatorische Anforderungen und die Frage der Finanzierung bleiben entscheidend. Die Finanzfunktion muss den Weg von der Idee zum Produkt, zur Marge und zum Wachstum mitgestalten. 
  2. Corporate Portfolio Management: Integrations- oder Carve-out-Projekte für einzelne Vermögenswerte oder ganze Geschäftsbereiche erfordern einen integrierten Überblick über die Performance des Portfolios, die Korrelation zum Kundenwert sowie die Eingliederung und die Abspaltung von Unternehmensbereichen. Agile Teams gewinnen von Deal zu Deal an Erfahrung. Sie steuern das Portfolio und behalten dabei finanzielle Folgen von Portfolio-Transaktionen genauso im Blick wie die nötige Nähe zu den Kunden.
  3. Berührungslose Prozesse: Die Einführung von End-to-End Prozessen verlangt die Abschaffung funktionaler Silos. Diese Transformation dürfte einige Jahre in Anspruch nehmen, doch agile, funktionsübergreifende Prozessteams reduzieren den Diskussionsbedarf zwischen Abteilungen und konzentrieren sich auf die effizienteste, prozessorientierte Lösung. Funktionale Eigeninteressen lassen sie außen vor.
  4. Werteflüsse: Steuerungsmodelle wie EVA, SHV, ROCE, etc. übersetzen schon heute die Leistung der einzelnen Funktionen in funktionsübergreifende Werteflüsse. Die Erstellung einer klaren Steuerungslogik ist im Zeitalter der Datenanalyse besonders wichtig, da sie den Schwerpunkt der Analysen strukturiert und mit der einheitlichen Steuerungslogik die Basis für eine gemeinsame, datenbasierte Sprache im Unternehmen schafft. In der Praxis findet man jedoch oftmals hochgradig fragmentierte Steuerungsmodelle, die sich meist auf Finanzkennzahlen und einige Geschäftskennzahlen begrenzen. Agile Teams aus Finanz- und Unternehmensfunktionen identifizieren die Werteflüsse, analysieren und optimieren sie. Im Ergebnis wird Technologie die Finanzfunktion in die Lage versetzen, aus Daten neue, funktionsübergreifende Erkenntnisse zu generieren und diese in greifbare Wertschöpfung zu überführen.

Während die Anforderungen an die Finanzfunktion bisher weitgehend unabhängig vom Wirtschaftssektor waren, spielen Branche und Unternehmen zunehmend eine Rolle, um einen Mehrwert für die strategischen und operativen Einheiten des Unternehmens anhand von Werteflüssen und Datenanalysen bereitzustellen. Es ist daher bei der Gestaltung der neuen Finanzfunktion unabdingbar, die Herausforderungen der Branche und die Unternehmensstrategie zu verstehen und in die Auf- und Ablauforganisation des Finanzbereichs zu übersetzen. Eine Finanzfunktion mit generischen Services ohne weitergehende Ausrichtung an die Werteflüsse und Anforderungen des Unternehmens ist ein guter Indikator dafür, dass in der Finanzfunktion noch erhebliches Transformationspotenzial besteht.

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Kapitel 3

Finanzwelt der Zukunft: Trusted Accounting

Digitale Technologie und neue Informationsstränge helfen, das Vertrauen der Stakeholder zu gewinnen.

Verlässliche, vertrauenswürdige Finanzinformationen für Stakeholder bereitzustellen, ist die wesentliche Aufgabe des Rechnungswesens. Diese Definition gilt weiter, doch die Art, wie dieses Vertrauen erzeugt wird, ändert sich ebenso wie die Informationen, die dafür geeignet sind und die Geschwindigkeit, in der sie verfügbar sein müssen.

Die Berichterstattung über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage erfolgt nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, die Qualität der Rechnungslegung wird durch interne Kontrollen sowie die Abschlussprüfung sichergestellt.

Die Digitalisierung ermöglicht drei wesentliche Änderungen:

  • Erstens werden interne, oft manuelle Kontrollen zunehmend durch technologische Kontrollen ersetzt.
  • Zweitens kann die bisher hauptsächlich erläuternde, rückwärts gerichtete Berichterstattung durch Prognosen aus komplexen Simulationsmodellen ersetzt werden. Das „bisher Erreichte“ zählt damit weniger als das „künftig Mögliche“. Unverändert gilt die Regel, dass Stakeholdern eine qualitative Darstellung des „künftig Möglichen“ nicht ausreicht, sondern sie quantitative Analysen erwarten. Langfristige Werttreiber erhalten einen deutlich höheren Stellenwert. Dazu zählen auch Informationen außerhalb des Finanzbereichs, beispielsweise zur grünen Lieferkette, zum gesellschaftlichen Nutzen oder zur Innovationskraft des Unternehmens. Sie entscheiden mit darüber, wie gut es einem Unternehmen gelingt, Kapitalanleger, Kunden und künftige Mitarbeiter von sich zu überzeugen.
  • Drittens ermöglicht die Digitalisierung, die Entwicklung des Unternehmenswertes in Echtzeit statt in Quartalen oder Jahresscheiben darzustellen. Entscheidend ist dabei, dass die Inputdaten ebenfalls in Echtzeit zur Verfügung stehen (Zinskurven, Kostenarten, Kundenvertragsdaten, etc.). 

Vier Beispiele aus dem Accounting zeigen vereinfacht, wie Technologie das Rechnungswesen, aber auch das Vertrauen verbessern kann.

  • Bewertung von fertigen Erzeugnissen: Die Übergabe fertiger Erzeugnisse an Händler oder Endkunden birgt erhebliche Bewertungsrisiken (Wertminderung durch Logistikschäden, zu späte Lieferung, etc.). Bisher werden die Wertminderung und der Grad der Vertragserfüllung meist bei der Abnahme durch den Empfänger bestimmt. Liegen objektive oder subjektiv wahrgenommene Minderungen vor, folgt oft ein aufwendiger Dialog zwischen Produzent, Logistiker und Empfänger. Dieser Prozess kann durch die Kombination von Sensorikdaten und Blockchain-Technologie häufig vollständig automatisiert werden. Die Vertragskonditionen werden in Smart Contracts auf Basis der Blockchain erfasst, die Vertragsbedingungen sind als „Wenn-dann-Algorithmen“ abgebildet. Im genannten Beispiel könnte bei Vertragsabschluss festgelegt werden, wie hoch die Temperatur im Container sein darf, welcher Neigungswinkel das Paket haben darf oder welche Daten das Fahrzeug-Managementsystem enthalten muss. In Echtzeit kann der Smart Contract diese Daten allerdings nicht erfassen. Daher werden Sensoren (z. B. ein Wärmesensor im Container) und andere digitale Quellen (z. B. Empfangszeit, GPS Signal, etc.) mit dem Smart Contract verbunden. Sie bündeln die relevanten Daten in der Blockchain, die von allen Parteien jederzeit eingesehen werden kann. Kommt es beim Transport zu einer Wertminderung des Guts, würde der Smart Contract entsprechend eine Kaufpreisminderung sowie eine Forderung des Produzenten gegenüber dem Logistikunternehmen errechnen. Im Rechnungswesen lassen sich die Smart-Contract-Daten automatisch als Forderungen, Verbindlichkeiten und Wertberichtigungen buchen.
  • Wertminderung von Anlagevermögen: Für eine Wertminderung wird bisher der betroffene Gegenstand in Augenschein genommen, doch häufig bleiben Verluste unerkannt. Wenn zum Beispiel eine Windkraftanlage durch Vogelschlag beschädigt wird, ist der Einfluss auf die Stromproduktion möglicherweise nicht sichtbar und wird daher nicht im künftigen Cashflow abgebildet. Inzwischen lässt sich die Funktionsfähigkeit der Anlage mit Sensoren messen. Kommt es zur Beschädigung eines Rotorblattes und zu Produktivitätseinbußen, berechnet ein digitaler Zwilling – ein virtuelles Modell des Vermögensgegenstands – den Liquiditätseffekt, benachrichtigt das Unternehmen und schlägt eine Reparatur vor. Je nach Entscheidung wird eine Rückstellung oder eine Wertminderung gebucht.
  • Zuordnung von Lizenzgebühren: Auch hier kommen Smart Contracts zum Einsatz und machen Lizenzgebühren nachvollziehbar, etwa bei der Zuordnung von Erträgen zwischen mehreren Spieleentwicklern. Wird ein Online-Spiel gekauft, ordnet der Smart Contract den Umsatz in Echtzeit zu, die Entwickler erfahren den Namen des Lizenznehmers, die Preise und weitere relevante Informationen. In der Buchhaltung werden Forderungen und Verbindlichkeiten automatisch gebucht. Theoretisch ließe sich sogar die Bewertung des Spiels als immaterieller Vermögenswert durch einen digitalen Abgleich der geplanten Cashflows mit tatsächlichen Cashflows aus den Lizenzgebühren automatisieren.
  • Rückstellungen für wiederkehrende Vorfälle: Rechtsfälle können eine regelmäßige Begleiterscheinung der Geschäftstätigkeit sein. KI kann zunehmend über semantische Analysen und Mustererkennung Ähnlichkeiten zu früheren Fällen feststellen, die damals geltend gemachten Aufwendungen erfassen und daraus einen objektivierten Rückstellungsbetrag ermitteln. Sollte der vorgeschlagene Betrag sich als falsch herausstellen, lernt das System durch manuelle Anpassungen von den Mitarbeitern der Buchhaltung, künftig die Berechnung anders durchzuführen.

Cybersicherheit wird Accounting-Thema

Je weiter das durch Technologiekonzepte geschaffene Vertrauen wächst, umso mehr wird es das menschliche Ermessen ersetzen. Kontrollen zur Vermeidung von regelwidrigem Verhalten verlieren an Bedeutung, da die Maschinen mit ihren Buchhaltungsentscheidungen keine finanziellen oder politischen Interessen verfolgen. Dafür gewinnen Cybersicherheit, das Erkennen von Betrugsmustern, die Programmierung von Algorithmen und Technologiemanagement an Bedeutung. Es wird nicht mehr genügen, Rechnungslegungsstandards und -kontrollen zu verstehen, das Rechnungswesen muss sich zunehmend mit Datenanalyse, Programmierung und digitalen Lösungen auskennen. 

Technologie wird auch wichtiger, weil die Anforderungen der unterschiedlichen Stakeholder an die publizierten Informationen des Rechnungswesens steigen. Während der Fokus lange fast ausschließlich auf dem Erreichen von Finanzkennzahlen lag, ermöglicht die Technologie Berichte über die nicht-finanzielle Informationen, die das Vertrauen der Stakeholder in das Unternehmen weiter verbessern.

Ein Beispiel für Vertrauensbildung durch erweiterte Berichterstattung ist das „Embankment Project for Inclusive Capitalism“ (EPIC), initiiert von der Coalition for Inclusive Capitalism und EY. Das Konzept berücksichtigt immaterielle Vermögenswerte wie geistiges Eigentum, Mitarbeiter, Markenwert, Innovationskraft, aber auch gesellschaftliche und ökologische Einflüsse eines Unternehmens in der externen Berichterstattung. EPIC beruht auf freiwilligen Angaben, die dem Kapitalmarkt und anderen Stakeholdern ermöglichen sollen, den langfristigen Wertbeitrag eines Unternehmens und damit seinen tatsächlichen Markt- und Gesellschaftswert zu ermitteln.

Unternehmensbewertung berücksichtigt langfristige Perspektiven

Finanzanalysten, Investmentgesellschaften und öffentliche Einrichtungen fragen neben finanzwirtschaftlichen Informationen zunehmend nach Daten zu ökologischen, sozialen und Governance-Aspekten (ESG). Sie beschäftigen sich darüber hinaus immer mehr mit weitergehenden Informationen zu Geschäftsmodellen (wie etwa im Wettbewerb zwischen den Autobauern Tesla und Daimler), Innovationskraft (Apple versus Samsung), Mitarbeiterqualifikationen (Google versus Amazon Web Services.). Ein Unternehmen mit hervorragenden Finanzkennzahlen wird oft nicht unbedingt besser bewertet als ein Unternehmen mit starker Kundenbasis oder einem Pool herausragender wissenschaftlicher Mitarbeiter. Nicht-finanzielle Informationen rücken zunehmend in den Fokus der Unternehmensbewertung und haben maßgebliche Auswirkungen auf den Aktienkurs und den Unternehmenswert, aber auch auf das öffentliche Ansehen einer Organisation.

Folgende Schlüsselfaktoren treiben die Umstellung zu einer langfristigen Wertbetrachtung:

  • Neue Formen der Wertschöpfung: Unser System der Finanzberichterstattung entstand im Industriezeitalter, Bilanzen bildeten hauptsächlich Sachanlagen ab. In der wissensbasierten Wirtschaft bestimmen dagegen immaterielle Werte (Innovationskraft, Marktpotenziale, neue Geschäftsmodelle, Fähigkeit der Datenmonetarisierung, etc.) den Unternehmenswert. Diese Werte und Leistungen sind nicht Gegenstand des klassischen Jahresabschlusses, auch der Lagebericht bietet hierzu nur ein eingeschränktes Bild. Stakeholdern fehlen Informationen, um die künftige Wertschöpfung einzuschätzen. Investoren und Aktionäre müssen daher eigenständig Analysen von öffentlich zugänglichen Informationen durchführen, um das Potenzial des Unternehmens einschätzen zu können. Diese Erwartungslücke birgt Chancen und Risiken. Einerseits kann das Unternehmen durch höhere Transparenz Marktwert und Image verbessern. Andererseits bergen sie das Risiko, dass externe Analysen Sachverhalte aufdecken, mit denen das Unternehmen dann konfrontiert wird. Möglich machen derartige Analysen technischer Fortschritt und die immer geringeren Barrieren für eine umfangreiche Datenanalyse mit Hilfe von Cloud und KI. Mittelfristig entstehen für Unternehmen erhebliche Bewertungsrisiken aus öffentlich zugänglichen Daten, wenn sie diese Informationen nicht proaktiv selbst analysieren und den Stakeholdern bereitstellen. 
  • Vertrauen in Institutionen sinkt: Seit der Finanzkrise ist das Vertrauen in Wirtschaft und Unternehmen noch nicht vollständig wiederhergestellt. Mangelnde Transparenz in der Berichterstattung trägt zur Zurückhaltung bei. Die Finanzberichterstattung ist stark auf kurzfristige finanzielle Performance fokussiert. Mangelnde Standards ermöglichen Unternehmen nur eingeschränkt und nicht immer in vergleichbarer Form über ihre langfristige Wertschöpfung zu berichten. 
  • Datenmenge steigt: Durch die erhebliche Menge an verfügbaren Informationen gewinnen Unternehmen einen besseren Überblick über ihre Werttreiber, etwa die eigene Kultur oder der „Wert“ der Mitarbeiter (Anzahl der Mitarbeiter mit einem Abschluss von Eliteuniversitäten, Anzahl von Top-Forschern, etc.). Doch sie drohen auch die Deutungshoheit über die Zahlen zu verlieren, wenn Stakeholder neben dem Geschäftsbericht auf zahlreiche weitere Quellen zurückgreifen.

Während das in den vergangenen Jahrzehnten dominierende Konzept des Shareholder Value auf vierteljährliche oder noch häufigere Verbesserungen der finanziellen Performance setzte, erstreckt sich der Informationsbedarf der Stakeholder zunehmend auf die Entwicklung in der ferneren Zukunft. Unternehmen, denen die Darstellung ihrer künftigen Entwicklung mit Hilfe fundierter Datenmodellen gelingt, werden besseren Zugang zu Kapital haben. Zudem ermöglicht diese Neuorientierung eine stärkere Fokussierung auf Innovationskraft, Kundenbeziehungen und gesellschaftlichen Wertbeitrag, da das Management den Fokus nicht vorrangig auf kurzfristige Gewinnoptimierung legt. So kann das Unternehmen besser in nachhaltige Geschäftsmodelle und Top-Mitarbeiter investieren, um hierdurch eine höhere Marktbewertung zu erreichen. 

Zusätzliche fachliche Anforderungen an Rechnungslegung

Bei der Umstellung von der „Berichterstattung über die Vergangenheit“ zu „zuverlässigen Prognosen für die Zukunft“ bedarf es geschäftlicher Daten und unstrukturierter Informationen aus neuen Technologien. Informationen der ersten Gruppe können dank Blockchain, IoT und Processing-in-Memory weitgehend automatisiert zur Verfügung gestellt werden. Ergänzt werden sie durch öffentlich verfügbare Informationen aus traditionellen Medien, Social Media und von Ratingagenturen. Das Finanzwesen muss mittels KI, Mustererkennung, Analyseverfahren und Data Science daraus relevante Erkenntnisse ziehen und sie in Informationen zum Long Term Value umwandeln. 

Noch ist die Übersetzung von relevanten Daten in Unternehmenswerte nicht vollständig durch Standards und allgemeinen Konsens definiert. Es ist jedoch absehbar, dass das Rechnungswesen der Zukunft erhebliche Auswirkungen auf die fachlichen Anforderungen und den Personalbedarf haben. Die Mitarbeiter werden sich auszeichnen durch Qualifikationen in Datenanalyse und digitalen Lösungen sowie der Fähigkeit, sich vom „Informationsbereitsteller“ zum „Informationsmanager“ zu entwickeln.

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Kapitel 4

Finanzwelt der Zukunft: Value Performance Management

Digitalisierung optimiert die Planung, Performance Manager rücken näher an die Geschäftseinheiten.

Planung, Budgetierung und Forecasting (PBF) gehören zu den klassischen Aufgaben des Performance Managements und sind neben der eigentlichen Performancemessung in Form von Abweichungsanalysen die Hauptinstrumente, um aus Daten der Vergangenheit Erkenntnisse und künftige Maßnahmen abzuleiten.

Der wesentliche Mehrwert des PBF liegt darin, dass alle Beteiligten sich intensiv mit Zielen, benötigten Ressourcen und ihrer bisherigen Performance auseinandersetzen. Doch oft stellen sich schon nach kurzer Zeit erhebliche Abweichungen von Planung und Realität ein. Die Planung und daraus abgeleitete Budgets und Ziele bleiben nur so lange relevant, wie sich zugrundeliegende Annahmen und Parameter nicht wesentlich ändern. Diese Stabilität ist jedoch in der VUKA-Umgebung nur noch für sehr wenig Produkte und Geschäftsfelder gegeben. Aus der Vergangenheit lässt sich daher nur noch eingeschränkt ableiten, wie sich das Geschäft in den nächsten Monaten entwickeln wird. Auch im Performance Management ist ein grundlegender Wandel notwendig. Statt „Know it all“ steht „Learn it all“ im Vordergrund, Analyse-Tools und digitale Enabler schaffen die notwendige Flexibilität, um sich ständig neu an das veränderte Umfeld anzupassen.

Entscheidende Interpretation durch Performance Manager

Mit PBF sammelt das Performance Management Top-down- und Bottom-up-Informationen, für eine ganzheitliche Sicht auf die geplante Entwicklung, benötigte Ressourcen und mögliche Ergebnisse. Während die bisherige Erhebung der PBF-Werte oft von persönlichen Erfahrungen und Motiven bestimmt wurde, verbessern inzwischen komplexe Datenanalysen und Simulationen zunehmend die Budgetierung und Prognosegenauigkeit. Bei einer durch komplexe Datenanalyse und Simulation erstellten PBF kommt dem Performance Manager die entscheidende Aufgabe zu, Erkenntnisse zu interpretieren, verifizieren und einen Mehrwert für die strategischen und operativen Entscheidungen zu schaffen.

Problematisch ist, dass die Datenanalyse oft in einzelnen Bereichen individuell durchgeführt wird. Diese können so bei gleichen Sachverhalten zu abweichenden Ergebnissen kommen. Mitunter kann das sogar die einheitliche Konzernsprache zu Finanzkennzahlen gefährden, da individuelle Analysen diese zunehmend ersetzen, sie für andere Beteiligte aber nur eingeschränkt nachvollziehbar sind.

Werteflüssen und Steuerungsmodellen kommt im analytischen Zeitalter eine zentrale Bedeutung zu. Sie schaffen den Rahmen, um die Datenanalyse zu strukturieren. Das Steuerungsmodell verbindet die Werttreiber von funktionalen und divisionalen Bereichen und schafft so „Connected Insights“, in das Unternehmen.

Das Konzept der Steuerungsmodelle ist nicht neu, da es praktisch schwer umzusetzen ist, stieß es bisher aber an Grenzen. Die Digitalisierung überwindet viele der Barrieren, da mit ihrer Hilfe Echtzeitdaten in großen Mengen erfasst, analysiert und ausgewertet werden können. Auch die Datenqualität wird verbessert, vollautomatisierte Prozesse bei der Erfassung und Verarbeitung führen zu standardisierten, homogenen Daten. Cloud, In Memory und KI ermöglichen dann die massenhafte Analyse und Simulation von Werteflüssen. 

Das Ende des Silodenkens und andere Treiber der Transformation 

Für ein modernes Controlling ist ein Ende des Silodenkens im Konzern, sowohl regional als auch divisional, ein wichtiger Schritt. So lässt sich schnell und lösungsorientiert auf evolutionäre und disruptive Änderungen des Geschäftsumfelds reagieren.

Keine Silos mehr: Das Controlling wird regional und divisional aufgebrochen, um schnell und lösungsorientiert auf Veränderungen des Geschäftsumfelds zu reagieren.

Wesentliche weitere Treiber für die Veränderung des Controllings sind:

  1. Die zunehmende Bedeutung von zukunftsorientierten Zahlen im externen Rechnungswesen. IFRS und US-GAAP stellen stärker auf den Fair Value ab, so muss das Controlling viele Informationen für das externe Rechnungswesen bereitstellen (beispielsweise Cashflow-Prognosen für die Werthaltigkeitsprüfung). Klassisch ist das kein Aufgabenbereich des Controllings, daher stellt sich die Frage, ob derartige Tätigkeiten und Ressourcen nicht in das externe Rechnungswesen integriert werden sollten. 
  2. Das Performance Management entwickelt sich weiter. Zu den Reportingaufgaben kommt die Rolle des konzernübergreifend agierenden „Business Partners“. Ein Business Partner kann aber nur Mehrwert für die funktionalen und divisionalen Bereiche bieten, wenn er Erkenntnisse bereitstellen kann, die den einzelnen Bereichen nicht vorliegen und die dort auch nicht ohne weiteres erstellt werden können. Die Verbindung von Business Partnering mit zentraler und bereichsübergreifender Datenanalyse ist daher zentral, um die Werteflüsse des Gesamtunternehmens zu analysieren und mit den einzelnen Bereichen abzustimmen. Dafür benötigen Controller vermehrt Kompetenz in Datenarchitektur und -analyse.
  3. Vertrieb, Marketing, Produktion, Logistik oder Personal setzen häufig ein eigenes Performance Management auf, ausgerichtet auf ihre Abteilung. Doch eine solche Schattenorganisation führt dazu, dass nicht alle Daten und Analysen umfassend geteilt werden. Connected Insights gehen verloren, Strategien werden nicht übergreifend sondern in Fragmenten umgesetzt. Schattenteams sollten daher in das zentrale Value Performance Management umgegliedert werden. 
  4. Das Performance Management ist oft nach Regionen und Geschäftsbereichen aufgeteilt, einer komplexen Analytik und der Optimierung der Werteflüsse steht diese Aufteilung aber entgegen. Die Zusammenarbeit auf Konzernebenen, über Geschäfts- und regionale Einheiten hinweg, schafft deutlich bessere Wettbewerbsvoraussetzungen. Eine integrierte Sicht auf den Wertefluss des Unternehmens gelingt am besten mit der Zentralisierung von Daten und Analysen.

Eine klare Aufgabenteilung zwischen der IT und dem Finanzressort hilft, schnelle Lösungen und Erfolge bei der Monetarisierung von Daten zu erzielen. Unterteilt werden können die Schritte „Daten zu Erkenntnissen“, die durch Technik (KI, In Memory, Hadoop, etc.) erzielt werden und „Erkenntnisse zu Mehrwert“, die durch eine Übersetzung der Erkenntnisse aus Daten in operative Lösungen erzielt werden. Während der erste Schritt in den Aufgabenbereich der IT fällt, gehört der zweite zu den Aufgaben des Controlling-Business-Partners. Für die Einhaltung von Datenstandards und die Digitalisierung von End-to-End-Prozessen kommen auch zentrale Einheiten wie Shared Services oder Center of Expertise in Frage. Im Ergebnis führt das datengetriebene Controlling dazu, dass sich die Aufgabenbereiche auch innerhalb des Bereichs neu ausrichten müssen. 

Veränderte Ausrichtung des Strategic Performance Managements

Das strategische Controlling hat die Aufgabe, die Konzernstrategie in operative Ziele, Budgets und Steuerungskennzahlen zu übersetzen. Ihm kommt auch die Deutungshoheit über die Methoden, das Reporting, die Auf- und Ablaufstrukturen und die genutzten Applikationen zu. Diese vielfältigen Funktionen werden häufig durch zentrale Center of Expertise wahrgenommen. Deren Kernaufgabe ist das Festlegen eines Steuerungsmodells, auf dem eine Performance-Management-Plattform aufgebaut wird, um den operativen Einheiten Zugang zu Echtzeitreports zu ermöglichen und sie als Business Partner in der datenbasierten Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Während sich die Rolle des strategischen Controllings kaum ändert, führt die Digitalisierung bei Business und Financial Performance Management zu erheblichen Änderungen. 

Business und Financial Performance Management im Wandel

Die Unterscheidung zwischen „Financial“ und „Business“ Performance Management wird im Datenzeitalter immer wichtiger. Das klassische Financial Performance Management berichtet über bereits erreichte und damit nicht mehr veränderbare Ergebnisse, es schafft damit Transparenz über die Ursachen. Dagegen hat das Business Performance Management die Aufgabe, Werteflüsse positiv zu beeinflussen, bevor sie sich in den Finanzen niederschlagen.

Für die faktenbasierte Entscheidungsfindung und die Optimierung der Werteflüsse ist ein tiefes Verständnis von Geschäfts- und unstrukturierten externen Daten notwendig. Zusätzliche Komplexität entsteht dadurch, dass einerseits Datenarchitekten und -wissenschaftler oft kein ausgeprägtes Verständnis über das operative Geschäft haben. Anderseits verfügt das operative Geschäft nicht über die notwendigen Data-Science-Kenntnisse, um Erkenntnisse zu schaffen, die über Basisanalysen hinausgehen. Einfach zu lösen ist das Problem nicht. Es gilt die Devise: „The war for talent is over, talent has won.“ Oder anders gesagt: „Die nötigen Experten sind rar, insbesondere in den Bereichen Data Science und KI. Um einige der wenigen Experten für das Controlling zu gewinnen, müssen Firmen vermehrt zentrale Daten- und Analyseteams an hochpreisigen, attraktiven Standorten aufbauen. 

Ein anderes Bild ergibt sich beim Financial Performance Management, das für Planung, Budgetierung und Forecasting zuständig ist. Die Digitalisierung macht auch hier Kenntnisse in KI und Analytics nötig, sie werden eingesetzt, um die oft wenig präzise menschliche Planung, Budgetierung und Forecasting durch Daten- und KI-basierte Modelle und Algorithmen zu ersetzen. Technik ist hier dem menschlichen Ansatz in der Regel überlegen, da sie mit Hilfe von unaggregierten Daten und der Simulation von Szenarien genauere Werte und Prognosen erstellen kann. Die Ablösung durch die Digitalisierung erfolgt aber nicht von heute auf morgen. In der Übergangsphase werden die finanzwirtschaftlichen Controller benötigt, um relevante Daten festzulegen, Prognosen zu prüfen und fehlerhafte Korrelationen zu bereinigen. Statt eines radikalen Schnitts erfolgt eine graduelle Ablösung.

Rahmenbedingungen für den Aufbau der umfassenden Datenanalyse

Für die Auswertung von Daten und die Steuerung von Prozessen setzen immer mehr Unternehmen auf eine „Analytics Engine“. Das Konzept „Big Data“, die Auswertung großer Datenmengen mit Hilfe von technischer Unterstützung, existiert bereits seit einigen Jahren. Mit sinkenden Kosten der Technologie bei steigenden Einsatzmöglichkeiten sind über die Anforderungen aus dem integrierten Steuerungsmodell hinaus weitere Einsatzgebiete für Analytics denkbar. In Frage kommen beispielsweise das Long Term Value Reporting im Bereich Trusted Accounting, der Aufbau von Customer Lifetime Value Steuerungsmodellen oder Tax Analytics für Corporate Finance.

Vor dem Aufbau einer Analytics Engine ist eine klare Definition des Einsatzbereiches entscheidend. Je nach Anforderungen kommen Data Integration Layer, Data Lakes, Softwarelösungen und ähnliches zum Einsatz. Die Hauptaufgabe besteht jedoch im Design des Datenmodells. KI arbeitet dann effizient, wenn Daten unaggregiert in großer Anzahl, möglichst über mehrere Jahre und in Echtzeit verfügbar sind. Zu viele irrelevante Datenquellen führen eher dazu, dass der Aufwand zur Bereinigung von steuerungsirrelevanten Korrelationen deutlich steigt. Der hohe Anspruch einer vollständigen Datenharmonisierung ist in der Praxis oft kaum zu erreichen oder der Mehrwert steht nicht im Verhältnis zum Aufwand. Wenn zum Beispiel ein Datenfeld für die Steuerung, das Reporting und die Analyse irrelevant ist, so schaffen Standardisierung und Harmonisierung kaum Mehrwert.

Standardisierung der Daten vs. Agilität

Die Selektion der relevanten Daten ist zentral und sollte in Abstimmung mit den Fachbereichen erfolgen. Datenmodelle können graduell erweitert werden, um den wachsenden Ansprüchen der operativen Bereiche zu genügen. Datendesign und Datenmodell müssen daher kontinuierlich gepflegt werden. Im VUKA-Umfeld ist dies umso wichtiger, da regionale Werttreiber, Unternehmenstransaktionen und Geschäftsmodelle, die sich mitunter drastisch wandeln, einen hohen Grad an Flexibilität erfordern.

Ein Kompromiss in diesem Interessenkonflikt ist die Nutzung semantischer Data Integration Layers, bei denen ähnliche Sachverhalte virtuell in vergleichbare Modelle überführt werden. Eine andere Option ist die Standardisierung kritischer Auswertungen und Analysen, bei der die Fachbereiche festlegen, welche Daten unbedingt vereinheitlicht werden sollen.

Für den erfolgreichen Einsatz datenbasierter Analysen ist neben ihrer inhaltlichen Gestaltung vor allem das Nutzererlebnis erfolgskritisch. Die schier endlosen Möglichkeiten an Analysen, Drill-Down-Funktionalitäten und Dashboards machen das eigenständige Analysieren für die Geschäftsbereiche nicht unbedingt leicht zugänglich. Es lohnt sich daher, die Darstellung der Ergebnisse und den Zugang so ansprechend zu gestalten, dass jeder sie gern und umfassend nutzt. Die Verbindung der angepassten Aufgabenbereiche mit dem integrierten Steuerungsmodell ist dabei ausschlaggebend, um die erhebliche Menge an Informationen und Daten für die Ansprüche des einzelnen Anwenders zu reduzieren und nutzbar zu machen. 

Case Study: Analytics setzen Geschäftsmodelle unter Druck

Erweiterte Aufgabenfelder der Finanzabteilung, engere Anbindung an alle Unternehmensbereiche, die Verbuchung gesellschaftlicher Auswirkungen der Geschäftstätigkeit – auf Finanzvorstände und ihre Teams kommt eine Menge zu. Dabei bleibt die Frage nicht aus, welche Geschwindigkeit bei dieser Umstellung sinnvoll ist.

Das folgende erdachte Beispiel zeigt, dass keine Zeit zu verlieren ist. Und auch, dass sich die Umstellung in vielerlei Hinsicht lohnen kann.

Ausgangslage: Selbstdarstellung entspricht nicht der Realität

Commodity Corp. (CC) ist ein global agierender Rohstofflieferant für die Konsumgüterindustrie. Lebensmittelindustrie, Kosmetikhersteller und Nährstoffproduzenten gehören zu den Abnehmern. Mit privaten Endkunden hat CC dagegen nicht zu tun, der Name ist den meisten Konsumenten unbekannt. Immer wieder gerät das Unternehmen wegen meist regional begrenzter Skandale in die Schlagzeilen. Kinderarbeit, Rassismus und Mobbing gehören genauso dazu wie illegale Rodungen im Regenwald, Trinkwasserverseuchung in Kanada oder Lebensmittelskandale in China.

Dank einer hohen Abhängigkeit der Geschäftskunden von dem vergleichsweise günstigen Lieferanten sowie der mangelnden globalen Transparenz der Skandale, haben ein Großteil der Kunden von CC wenig bis gar keine Konsequenzen gezogen. Mit erstklassigen Anwälten und dem Versprechen, sich zu bessern, konnte CC einen Großteil der Probleme rechtlich lösen, ohne substanziell etwas an seinem Verhalten zu verändern. Wegen der globalen Reichweite und der ganz unterschiedlich gelagerten Probleme behält in der Öffentlichkeit kaum jemand die Übersicht über die Skandalquote. Ohnehin ist CC bei Anlegern geschätzt: Solide Finanzkennzahlen ermöglichen eine günstige Refinanzierung, dank einer stabilen Dividende und zweistelligen Wachstumsraten genießt das Unternehmen am Kapitalmarkt ein hohes Ansehen.

CCs Jahresabschlüsse betonen den Fokus auf Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung, aber auch die Finanzstärke. Intern ist zwar eine Ethik-Kommission aktiv, doch selbst ihr fällt der Überblick über lokale Entscheidungen schwer. Um die Situation im Blick zu behalten, fragt die Kommission quartalsweise Vorkommnisse in den Geschäftsbereichen ab und pflegt sie in Excel-Listen.

Aufgerüttelt durch neue Bedingungen

Aus heiterem Himmel ändert sich die Lage. Die Healthy Earth Foundation (HEF) analysiert seit einigen Jahren Unternehmen auf Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Mehrwert – und vergibt jährlich den Preis „Schwarzes Schaf des Jahres“. Dafür hat die Stiftung stets aufwändig Presseberichte, Meldungen von Umwelt- und Gesundheitsbehörden sowie Grundbücher aus aller Welt ausgewertet und in einem Index zusammengeführt. Doch seit dem laufenden Jahr ist das Verfahren vollständig digitalisiert, liefert nun präzise und oft überraschende Ergebnisse.

Lange war es für externe Beobachter schwierig, die Übersicht über alle Entwicklungen in einem globalen Konzern zu behalten. Doch umfangreiche Datenerhebung und -analyse machen das mittlerweile ohne Probleme möglich.

Wenig überraschend ist dagegen der Spitzenplatz für CC. Scheinbar betroffen verspricht das Management drastische Änderungen, hat intern aber beschlossen, dass ein grundlegender Wandel nicht nötig sei. Die Unternehmensführung ist zuversichtlich, dass die öffentliche Schmach nicht zuletzt wegen der mangelnden Bekanntheit bei Verbrauchern keine Umsatzeffekte haben dürfte. 

Doch es kommt anders. Institutionelle Anleger steigen aus, Kunden aus der Konsumgüterindustrie ziehen sich zurück. Andere knüpfen die weitere Zusammenarbeit an Veränderungen des Geschäftsverhaltens. Schließlich verlässt eine Reihe von leitenden Angestellten das Unternehmen, weil sie mit dem Geschäftsgebaren nicht einverstanden waren.

Der überraschte Vorstandschef beauftragt sein Team, drei Fragen zu klären. Wie ist es HEF gelungen, ein umfassenderes Bild von CC zu zeichnen als es die internen Informationen leisten? Was erklärt das Interesse der Konsumgüterindustrie an ihrem Rohstofflieferanten? Und wie könnte CC sich in Zukunft einen Informationsvorsprung gegenüber den Stakeholdern verschaffen? 

Durchblick, Transparenz, Trendwende

HEF hat die Datenanalyse und den zugehörigen Index vollständig digitalisiert. Informationen fließen in einen Data Lake, werden mit einem Analysesystem strukturiert und ausgewertet. Reichweite und Analysetiefe wurden so erheblich ausgeweitet und Ergebnisse lassen sich in Echtzeit abfragen. Im Fall von CC umfasst der Index alle publizierten Daten, das Lieferanten- und Kundennetzwerk und die geographische Präsenz. Sie werden verknüpft mit Pressemeldungen, amtlichen Einträgen, Beschwerdeverfahren. HEF analysiert so deutlich mehr Informationen als CC selbst.

Die Konsumgüterindustrie ist durch eine technische Neuerung unter Druck. Medien haben den HEF Award zum Anlass genommen, Produkte mit der neuen App „Barcode Check“ zu prüfen. Sie ermöglicht es Verbrauchern, den Barcode der Produkte zu scannen, und verbindet die Zutatenlisten, Testergebnisse und verfügbare Lieferanten- und Herkunftsinformationen. So wird zum Beispiel klar, dass das Fett einer Schokocreme zu 70 Prozent aus ökologisch bedenklichem Palmöl besteht, das komplett aus der Produktion von CC stammt. Auch auf den „Schwarze Schaf Preis“ verweist die App. Dem Druck der Konsumenten können Hersteller nur durch Anpassungen der Lieferkette begegnen.

CC kann einen Image- und Informationsvorsprung erreichen, wenn das Unternehmen die internen Daten mit den Daten der extern vorgenommenen Analysen verbindet. Da den externen Analysten die internen Unternehmensdaten fehlen, kann ein konsequentes Datenmanagement und eine Analyse interner und externer Daten immer zu einem Informationsvorsprung des Unternehmens führen. Während Transparenz ein erster Schritt ist, entsteht ein echter Wandel nur, wenn die Analysen in die unterschiedlichen Geschäftsentscheidungen eingebunden werden. 

Der Vorstand von CC hat dies erkannt und entscheidet sich schließlich für ein integriertes Steuerungsmodell. Es verbindet strategische Steuerungsgrößen direkt mit operativer Analyse. Die Informationsgrundlage wird deutlich um externe Daten ausgeweitet, um die Interessen unterschiedlicher Stakeholder zu bedienen. Die einzelnen Abteilungen und Regionen arbeiten deutlich enger zusammen als früher und Entscheidungen werden anhand ihrer Nachhaltigkeit, Kunden- und Mitarbeiterwirkung sowie Auswirkungen auf das Unternehmensimage untersucht. CC entwickelt sich von einem Shareholder- zu einem Stakeholder-Value-Unternehmen weiter.

(Chapter breaker)
5

Kapitel 5

Finanzwelt der Zukunft: Agile Corporate Finance & Portfolio

Digitalisierung entlastet Treasury, Tax und Compliance – sie übernehmen strategische Verantwortung.

Zentrale Finanzfunktionen wie Risiko- und Compliance-Management, Interne Revision, Mergers und Acquisitions (M&A), Steuern oder Treasury sind wegen ihrer Relevanz für den Gesamtkonzern in der Regel in der Konzernzentrale angesiedelt. Die Zahl der Mitarbeiter in diesen Zentralfunktionen ist meist überschaubar, die Aufgaben beschränken sich auf Spezialthemen, die eine hohe Expertise benötigen. Die Umsetzung von operativen Maßnahmen erfolgt jedoch häufig nicht allein über die Zentralfunktionen (beispielsweise leitet M&A zwar die Integration oder den Carve-out, der Großteil der Tätigkeiten findet jedoch in den Ländern und Segmenten statt).

Zentralfunktionen sind daher in der Regel funktional organisiert. Die jeweiligen Experten arbeiten in ihrer Abteilung und bringen bei Bedarf ihr Fachwissen zu übergreifenden Themen in Workshops und Meetings ein. Bisher verbringen Finanzexperten so im Schnitt 80 Prozent ihrer Zeit innerhalb ihrer Fachabteilung, 20 Prozent als Experten in Workshops.

Diese Aufteilung stößt in der VUKA-Welt an Grenzen, da grundlegende Transformationen wie neue Geschäftsmodelle, Digitalisierung oder regelmäßige Asset Deals deutlich zunehmen. Die Nachfrage nach den internen Experten steigt deutlich, aber ihre Einbindung ist zeitintensiv, zudem ist die Abstimmung schwierig, da oft nicht alle Experten alle Meetings wahrnehmen können. Aus dem bisherigen Verhältnis von 80:20 wird zunehmend eines von 20:80. Damit werden auch für den Zentralbereich neue Organisationsmodelle notwendig.

Neue Verhältnisse

20:80

Künftig verbringen Finanzexperten nur noch 20 Prozent ihrer Zeit in der Fachabteilung, den Rest der Zeit vermitteln sie Wissen, etwa in Workshops. Aktuell ist das Verhältnis eher umgekehrt.

Die Abteilungen benötigen integrierte, unbürokratische Beratung aus den Zentralfunktionen. Silos müssen aufgebrochen werden, um schnell komplexe Fragestellungen zu lösen. Experten bleiben gefragt, aber agile Teams bekommen immer mehr Bedeutung in den Konzernzentralen, um Fachwissen aus unterschiedlichen Bereichen zu bündeln und komplexe Probleme zu lösen.

Neuausrichtung der Arbeitswelt

Die Verschiebung der Arbeitsinhalte erfordert auch Anpassungen der Arbeitsplatzstrukturen. Agiles Arbeiten passt schlecht zu kleinen, isolierten Büros, in denen jeder alleine in seinem Fachbereich arbeitet. „Workplace of the Future”-Konzepte ermöglichen es Mitarbeitern dagegen, ihren Arbeitsplatz an immer wieder sich ändernde Aufgaben, Rollen und Organisationsstrukturen anzupassen, um als Team an komplexen Herausforderungen zu arbeiten.

Die funktionale Organisation hat über die Jahre auch dazu geführt, dass Aufgaben weitgehend industrialisiert werden konnten, ihre Abarbeitung immer effizienter wurde und Mitarbeiter eingespart werden konnten. Für ein stabiles Umfeld sind eine hohe Industrialisierung der Abläufe und die Minimierung des Aufwands erstrebenswert. Allerdings stellt sich Unternehmen vermehrt die Frage, ob Probleme industrialisiert mit Standardlösungen beantwortet werden können, oder ob die Veränderung des Konzerns flexiblere Strukturen benötigt. In diesem Fall kann es notwendig sein, einen Teil der Einsparungen aus der Digitalisierung und Industrialisierung in zusätzliche Mitarbeiter und Flächen zu investieren. Der Trend zur „schlanken Zentrale” macht es erforderlich, Routinetätigkeiten weiter zu digitalisieren, damit Investitionen in schlanke, aber agile Modelle möglich sind. 

Grundlegende Transformation des Treasury

Treasury-Abteilungen haben in den vergangenen Jahren die Datennutzung ausgebaut und die Automatisierung vorangetrieben. Eine einheitliche Treasury-Datenbasis schafft Transparenz über Finanzrisiken. Im Cash-Management wurden manuelle Prozesse automatisiert. Zunächst gilt es, die verfügbaren Treasury-Management-Systeme auszureizen.

In modernen Treasury-Funktionen kommt sehr viel stärker KI zum Einsatz, unter anderem in Prognose-Systemen (wie Predictive Cashflow Forecasting), kognitiven Assistenten (systemunterstützte Umsetzung komplexer Hedging-Strategien) und bei der Erkennung von Unregelmäßigkeiten (beispielsweise im Zahlungsverkehr). Der Wertbeitrag des Treasury wird maßgeblich erhöht, zusätzliche Möglichkeiten werden durch Blockchain entstehen (DeFi, Token based Cash Pooling, Blockchain Bonds und ABS sind einige Beispiele), die das Verständnis der Treasury-Funktion maßgeblich verändern werden.

Plattformsysteme ersetzen die monolithischen Treasury-Landschaften, sie schaffen Flexibilität und Geschwindigkeit. Letztlich bleibt Digitalisierung aber auch für das Treasury eine kontinuierliche Optimierung mit Hilfe neuer Werkzeuge. 

Steuerabteilung definiert sich neu

Mit Aufgaben wie Steuererklärungen, steuerlicher Compliance oder Zollmeldungen gehört die Steuerabteilung zu einem der größten Nutzer von Unternehmensdaten. Angesichts des Bedarfs bei der Prüfung von Belegen, Bescheiden und Transaktionen kommen strategische Betrachtungen oft zu kurz. Sie werden jedoch immer wichtiger, um die Steuerfunktion im Einklang mit den Unternehmenszielen zu gestalten und auf den Finanzbereich abzustimmen. 

Die Führungsaufgabe Compliance wird unterstützt durch die Aufbereitung aggregierter Daten. Auf einen Blick ist ersichtlich, was steuerlich relevant ist und wo Handlungsbedarf besteht. Data Lakes, integrierte Datenmodelle und darauf aufbauende Tax Analytics zur Visualisierung und Interpretation halten verstärkt Einzug in die Steuerabteilungen. KI bekommt ebenfalls eine wichtige Rolle, um Sachverhalte automatisch zu erkennen und steuerlich zu würdigen. Nur bei komplexen Fällen kommen Mitarbeiter für die Bearbeitung zum Einsatz. 

Bei der Einführung und Nutzung dieser Technologien gewinnen IT- und Prozesskenntnisse an Bedeutung. Auch die Kommunikationsfähigkeit wird wichtiger, wenn die Steuerfunktion zum strategischen Business Partner wird. Neben der Steueroptimierung über Ländergrenzen hinweg bietet das künftige Modell die Chance, strategische Beiträge für das Unternehmen zu leisten, etwa im Risikomanagement (einschließlich der steuerlichen Reputation) oder bei der frühzeitigen steuerlichen Beratung von M&A-Transaktionen.

Neben der Erwartung, dass die Steuerabteilung künftig aktiv zum Erfolg des Unternehmens beiträgt, treiben weitere Trends die Transformation voran: 

  • Steuerverwaltungstools werden wichtiger, um auf Änderungen des regulatorischen oder gesetzlichen Rahmens zu reagieren. Der Brexit, die Regeln zur Vermeidung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung der OECD (Base Erosion and Profit Shifting) und die Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken der EU (Anti Tax Avoidance Directive) sind Beispiele aus jüngerer Zeit. Unternehmen müssen immer mehr vertrauliche Informationen gegenüber den Steuerbehörden offenlegen, die diese durch Informationen von Lieferanten und Kunden ergänzen. Sie erwarten Meldungen auch immer schneller. Spanien hat bereits ein System zur unmittelbaren Übermittlung von Informationen zur Umsatzsteuer eingeführt, andere Staaten werden nachziehen. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre technischen Systeme in der Lage sind, die Anforderungen der Behörden zu erfüllen. 
  • Nicht nur die Anforderungen der Behörden steigen. Auch politische Akteure, Investoren, Kunden und die breite Öffentlichkeit erwarten Transparenz und soziale Verantwortung. Von den Medien werden Steuervergehen immer häufiger aufgegriffen. 
  • Die Gig Economy schafft Herausforderungen. So wirft die Entwicklung eines Produktes in einem Land mit elektronischer Übermittlung zur Herstellung in einem anderen Staat die Frage auf, wo welche Steuern anfallen. Mitarbeiter, Selbstständige, befristet Beschäftigte und Leiharbeiter arbeiten von verschiedenen Standorten aus am selben Projekt und fordern so Steuersysteme und Beschäftigungsmodelle heraus. 

Risikomanagement stellt sich breiter auf

Affären wie die gefälschten Emissionsdaten von Fahrzeugen, die Drosselung der Leistungsfähigkeit älterer Mobiltelefone, Missbrauch von Kundendaten und Preisabsprachen gehen mit erheblichen Reputationsrisiken einher und haben dafür gesorgt, dass dem Risikomanagement in Vorstand und Aufsichtsrat immer höhere Priorität eingeräumt wird. 

Die VUKA-Realität erfordert auch hier eine feste Einbindung in das operative Geschäft. Sinnvoll ist daher eine neue Corporate-Governance-Struktur auf drei Ebenen. Horizontal werden die Risikomanager in einem Team integriert, das alle Geschäftsbereiche unterstützt. Vertikal arbeitet das Risikomanagement von der Unternehmensleitung bis zum Fertigungsbereich. Außerdem wird die Risikofunktion in den Geschäftsbetrieb integriert, zur laufenden Beurteilung. 

Besondere Aufmerksamkeit gilt künftig dem Risiko von Fehlentscheidungen der Unternehmensführung. Dafür ist die Einbindung auch in hochrangige Entscheidungsabläufe notwendig. Damit das gelingt, muss sich das Bewusstsein der Abteilung wandeln. Kontrolle und Richtlinien werden ersetzt durch Problemlösung und Kooperation mit allen Abteilungen. Das schafft den Vorteil, das Risiko- und Compliance-Management nicht länger als nötiges Übel sondern als geschäftsfördernde Instanzen wahrgenommen werden.

Rechts- und Compliance-Abteilung schafft neue Werte

Die Bereiche Recht und Compliance werden häufig als Einheit betrachtet, wenn die Auswirkungen der Digitalisierung analysiert werden. Tatsächlich bilden sie jedoch in zahlreichen Unternehmen zwei eigenständige Abteilungen. Dabei verlagert sich der Aufgabenschwerpunkt zunehmend vom bloßen Erkennen von Risiken oder Hindernissen auf die Generierung von Werten. Das Unternehmen wird unterstützt, Chancen zu identifizieren und Lösungen für Herausforderungen und Risiken zu entwickeln. 

Die Digitalisierung ist in Rechts- und Compliance-Teams relativ weit fortgeschritten, sei es beim Einsatz der Compliance-Plattform eDiscovery, in der Schriftgutverwaltung, beim E-Billing, IP-Management und Contract Life Cycle Management. KI übernimmt bereits Arbeitsschritte wie Berichterstattung, Anwendungen aus der Regulierungstechnologie (RegTech) ersetzen bestimmte Compliance-Aufgaben.

Für die Abteilungen wird es wichtig, ihren Beitrag zur Wertschöpfung sichtbar zu machen und klar zu kommunizieren. Die traditionelle Rolle der Einhaltung von Vorschriften und Regularien wird ergänzt: Zunehmend spielt auch Compliance eine Rolle, Chancen zu identifizieren und zu erschließen. Dank des Technologie-Einsatzes sollte auch Zeit für diese strategischen Aufgaben freigesetzt werden.

(Chapter breaker)
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Kapitel 6

Finanzwelt der Zukunft: Enterprise Transformation Platform

Eine Plattform erleichtert Steuerung und Innovation, der Konzern wird zukunftsfähig.

Plattform-Strukturen sind als Unternehmensmodell in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Die zentrale Idee: Geschäftsmodelle, Dienstleistungen und Produkte lassen sich rasch global skalieren, ohne dass die Grenzkosten deutlich steigen. Gegenüber kapital- und ressourcenintensiven Geschäftsmodellen macht der Ansatz eine Diversifizierung mit geringem Aufwand möglich. 

Über den reinen digitalen Marktplatz geht der hier skizzierte Ansatz einer Enterprise Platform deutlich hinaus. Ersterer verbindet zwei Gruppen – beispielsweise Kunden und Produzenten – über eine digitale Schnittstelle. Die Lösung lässt sich auch bei niedrigem Kapitaleinsatz global ausbauen.

Die Enterprise Transformation Platform hingegen befähigt ein Unternehmen, auf veränderte Marktgegebenheiten durch Innovation, neue Geschäftsmodelle, globale Skalierung und kulturellen Wandel durch Veränderung zu reagieren. Apple oder Facebook sind Beispiele dafür. Apple gelingt es, auf der bestehenden Plattform neue Produkte in kurzer Zeit zu platzieren und systematisch um zusätzliche Angebote wie TV, Gesundheitsdienste und ähnliches zu erweitern. Facebook ist der Wandel vom privaten sozialen Netzwerk zu einem Marketing- und Analysekonzern inklusive Verifizierung und eigener Währung gelungen.

Rasche Reaktion auf neue Marktgegebenheiten

Die Plattform ist dabei nicht nur intermediär, sie hat interne Strukturen geschaffen, die eine kontinuierliche Übersetzung von Innovationen in profitable Geschäftsmodelle ermöglicht. Gerade im VUKA-Umfeld sind diese Optionen entscheidend.

Je nach „Lebensabschnitt“ des Unternehmens ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die Finanzfunktion. Die Grafik gibt einen vereinfachten Überblick über die Phasen Start-up, Unicorn, Global Player und die Zeit, in der ein Unternehmen seinem Ende entgegensteuert, sofern es sich nicht radikal neu erfindet.

Die Operationalisierung als Plattform ermöglicht es in allen Phasen, neue Märkte, Produkte und Dienstleistungen mit geringem Aufwand zu testen und zu skalieren. Wichtig sind jeweils klare Strukturen, etwa der Aufbau von Länderorganisationen und Klarheit darüber, wann Entscheidungen zentral oder dezentral fallen oder welche Systeme das künftige Wachstum unterstützen. Ohne diese Vorgaben entstehen Kosten und Abstimmungsbedarf, es mangelt an Transparenz. Die Strukturen sind auch maßgeblich dafür, wie eine Finanzfunktion aufgebaut werden soll – es gilt „Finance follows Business”.

Folgende fünf Elemente definieren die Enterprise Transformation Platform.

Customer Intimacy: Dank digitaler Schnittstellen zu Kunden, etwa über Apps und Wearable Technology aber auch Umfragen, lassen sich Kundenprofile immer besser mit Daten füllen. Unternehmen, die ihre Zielgruppe gut verstehen, entwickeln aus diesen Daten neue Dienstleistungen und Produktideen. Für das Controlling stellt sich die Frage, ob Produktprofitabilität oder der Customer Lifetime Value die wichtigere Steuerungsdimension wird.

Zusätzliches Wissen über die Kunden ermöglicht ein Umdenken bei der Marge, weg von einzelnen Produkten und Services, hin zu einer Portfolio-Marge der gesamten Kundenbeziehung. Customer Intimacy ist ein Schlüsselfaktor für alle Branchen, doch die relevanten Daten liegen mangels direkten Kontakten zu den Endkunden oft nicht vor. Dieser Zugang sollte Priorität haben. Beispielsweise halten im Automobilsektor häufig die Händler den Kundenkontakt und besitzen die entscheidenden Daten. Hersteller können sich aber über Autoportale, Daten aus Navigations- und Fahrzeugsystemen ergänzt um externe Daten einen guten Zugang zu Informationen verschaffen. Ein Anbieter wie Tesla, der von Anfang den Customer Lifetime Value durch Updates oder zuschaltbare Funktionen im Fokus hatte, hat hier mit eigenem Online-Vertrieb und eigener Auto-Software einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber einem Anbieter, der die Daten- und Softwarekomponenten bisher lediglich als Steuerungseinheit des Produkts „Auto“ gesehen hat. Für die Finanzfunktion ist es daher von zentraler Bedeutung, erfolgskritische Kundendaten dem Performance Management verfügbar zu machen.

Innovation Engine: Sie hilft bei der Übersetzung der Kundendaten in relevante Innovationen. In größeren Unternehmen mit gewachsenen Strukturen fallen Neuerungen oft nicht leicht. Das Plattform-Prinzip ermöglicht agile Strukturen – eigenverantwortliche Teams, Carve-outs von Forschern in verbundene Unternehmen, Kooperation mit Forschungseinrichtungen, eigene Bereiche mit Verantwortung für Transformation –, mit denen Innovation besser gelingt. Hierdurch steigt allerdings auch die Komplexität des Forschungs- und Entwicklungscontrollings, da künftig der Mehrwert des Ökosystems gesteigert werden muss, statt lediglich die Kosten zu managen.

Klare Strukturen helfen, aus Daten Innovationen zu entwickeln

Multidisziplinäre Teams versuchen, in kurzer Zeit aus einer Innovation ein Minimum Viable Product (MVP) zu entwickeln. Konzepte wie „trial and error“ und „fail early“ sind dabei ausdrücklich erwünscht. Steuerliche, geografische und wirtschaftliche Regulierungen gelten aber weiter. Eine enge Abstimmung mit Customer Analytics hilft, Marktpotenzial zu definieren und Investitionsmittel festzulegen. Die Expertise von Steuer, Treasury, Accounting, Controlling und Personalwesen ist jedoch zentral, da ein MVP sonst Gefahr läuft, ungewollt arbeitsrechtliche (etwa Scheinselbständigkeit), steuerliche oder regulatorische (beispielsweise fehlende Lizenzen) Probleme zu verursachen.

Data Driven Enterprise: Zahlreiche Studien belegen, dass Unternehmen mit erfolgreicher Datenanalyse Innovationen effektiver umsetzen als andere Unternehmen.

Eine erhebliche Menge an Daten muss dabei gezielt nutzbar gemacht werden. Saubere Datenstrukturen, eine ausgereifte KI und klare Zielsetzungen sind entscheidend. Neben der technischen Analyse (Data to Insights) bedarf es der Übersetzung in operative Maßnahmen (Insights to Value), um Mehrwert zu generieren.

Rolle der Finanzabteilung wird weitreichender definiert

Die Finanzabteilung spielt bei der Konzeption des Steuerungs- und Datenmodells und beim Aufbau der Analyse-Plattform eine wichtige Rolle. Zudem unterstützt sie das Tagesgeschäft mit komplexen Analysen und Simulationen dabei, basierend auf Daten optimale operative Entscheidungen zu treffen. Die Rolle ist weitreichender als in der Vergangenheit definiert, sie setzt ein umfangreiches Verständnis für operative Geschäftsprozesse, Datenstrukturen, KI und Analytics voraus. 

Sustainable Global Operations: Datenanalyse hilft bei internen Entscheidungen, die Auswirkungen auf Nachhaltigkeit transparent zu machen. Aber auch Kunden verfügen über immer mehr Informationen, die die Wahrnehmung einer Marke und ihre Kaufentscheidung beeinflussen. Nachhaltigem Wirtschaften kommt eine immer größere Bedeutung zu. Unternehmen müssen darauf achten, dass die Botschaften, die sie am Markt positionieren, durch Daten gestützt werden und nicht gegenteilige Informationen (zum Beispiel sogenanntes „Greenwashing“) in ihrem globalen Datenfußabdruck existieren.

Die Enterprise Transformation Platform bietet die Möglichkeit, die Interessen unterschiedlicher Stakeholder zu identifizieren und wesentliche Parameter im Blick zu behalten. In Kapitel 3 „Finanzwelt der Zukunft: Trusted Accounting “ wurden die Vorteile des Long Term Value Reporting erläutert. Für ein solches Berichtswesen ist ein zeitnaher Zugang zu globalen Daten nötig. Plattform-Unternehmen erreichen dies durch harmonisierte Datenstrukturen, Konvertierung analoger in digitale Daten und die Simulation unterschiedlicher Geschäftsszenarien. Auch vor- und nachgelagerte Bereiche sollten berücksichtigt werden, etwa Daten aus Logistik, Produktion und Lieferkette, um Transparenz sicherzustellen. 

Konzepte, um Neuerungen rasch und konsequent umzusetzen

Rapid Global Deployment: Schließlich kommt es bei der Umstellung auf eine Enterprise Transformation Platform darauf an, Änderungen im Gesamtkonzern schnell und einheitlich umzusetzen. Oft erarbeitet ein kleines Team in der Zentrale ein strategisches Konzept zu Ressourcenplanung, Vertriebsorganisation oder Steuerungsmodell. Doch in einzelnen Divisionen und Ländern wird es unterschiedlich – oder gar nicht – umgesetzt.

Zentrale Plattformorganisationen wie Shared Service Center (SSC) können Transformationen mit ihrer oft globalen Struktur und großen Mitarbeiterzahl operativ unterstützen, zumal sich die ehemals überwiegend transaktionalen SSC zu Global Business Services (GBS) weiterentwickelt haben. GBS verantworten neben transaktionalen und administrativen auch wertschöpfende Aktivitäten, die sie für die Geschäftsbereiche und Landesorganisationen bereitstellen.

Ein weiteres wesentliches Transformationselement der SSC sind ihre lokalen Teams in unterschiedlichen Ländern, die es ihnen ermöglichen, zentral aufgesetzte Projekte über die SSC-Platform in landesspezifische Blaupausen zu übersetzen und umzusetzen. Diese Kompetenz ist besonders wichtig, da Landesgesellschaften und funktionale Einheiten häufig nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, um neben dem Tagesgeschäft auch Transformationsaufgaben zu bewältigen. 

Doch allein diese Verbindungen machen aus GBS noch keinen Treiber für rasche Veränderungen. Dafür ist das ausdrückliche Mandat für die Umsetzung notwendig. GBS müssen ihre Rolle im Konzern klar positionieren, um gegenüber den oftmals mächtigen Geschäftsbereichen, Landesgesellschaften und Funktionen die Konzernstrategie unterstützend zu operationalisieren. 

Transformation benötigt Rückhalt auf C-Level

Transaktionale Shared Services berichten meist an den zuständigen Funktionsverantwortlichen (etwa CFO oder CIO). Eine globale Transformationseinheit verlangt dagegen ein funktionsübergreifendes Mandat. Dies kann bereits in der Rolle des CFO verankert sein, sofern diese neben Finanzen auch weitere Funktionen (zum Beispiel IT) umfasst. In Konzernen mit starkem C-Level für jede Funktion benötigt GBS jedoch ein CEO-Mandat, um der Rolle als integrative Transformationsplattform gerecht zu werden und funktionale oder regionale Silos aufzubrechen.

Die Stärkung des GBS kann rasch die Frage nach Verantwortlichkeiten aufwerfen. Das Konzept ist klar definiert: Konzern-, Geschäfts- und Fachbereiche behalten weiterhin die Governance-, Konzeptions- und Deutungshoheit über ihren Aufgabenbereich. Sie sind unverändert in der Pflicht, die Strategie zu entwickeln. GBS übernimmt die Aufgabe, strategische und operative Konzepte in den betroffenen Bereichen umzusetzen. Damit bündelt GBS die Transformationskompetenz des Konzerns. Die verschlankten Funktions- und Geschäftsbereiche können sich besser auf die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens und seine operativen Performance fokussieren.

(Chapter breaker)
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Kapitel 7

Vom CFO zum Value Partner: Grundsätze für die Transformation

Werden stringente Voraussetzungen geschaffen, wird der Umbau zum Erfolg.

Das primäre Ziel der neuen Finanzfunktion ist es, neben Kosteneffizienz vor allem einen noch signifikanteren Beitrag zur Performance und zum Wert des Unternehmens zu leisten als in der Vergangenheit. Der CFO wird zum „Co-Driver“ und „Value Partner“ der Geschäftsführung. Er trägt wesentlich zum Unternehmenserfolg bei. Im Ergebnis stellt sich weniger die Frage nach der günstigsten als vielmehr nach der am wertschöpfendsten Finanzfunktion.

Entscheidende Voraussetzungen, Konzepte und Strukturen für diesen Wandel wurden in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben. Neben konzeptionellen Herausforderungen stellt sich dabei auch die Frage, welche Rahmenbedingungen den Erfolg des Transformationsvorhabens bestimmen. 

Unternehmenskultur integrieren und als Chance sehen

„Culture eats strategy for breakfast“, sagte seinerzeit Managementlegende Peter F. Drucker. Die besten Ideen, Strategien, Ziele sind zum Scheitern verurteilt, wenn die Unternehmenskultur nicht dafür vorbereitet ist und Management sowie Mitarbeiter den Nutzen nicht sehen. Anders gesagt: Es liegt an den Verantwortlichen, die Grundlagen zu schaffen für eine erfolgreiche Anpassung der Finanzfunktion. Neben den fachlichen Elementen des Umbaus sollte dabei besonderes Augenmerk auf der Transformationskultur im Unternehmen liegen und – wenn nötig – darauf Einfluss genommen werden.

Culture eats strategy for breakfast.
Peter F. Drucker
Ökonom, Professor und Berater

Sinnvoll ist, sich frühzeitig mit betroffenen Stakeholdern zusammenzusetzen, um gemeinsam Erwartungen, Prinzipien und Mehrwert der Transformation zu diskutieren. So lässt sich der Umbau in einem frühen Stadium erläutern und begründen. Gleichzeitig haben Betroffene Gelegenheit, Sorgen und Ängste auszudrücken, die im Umbaukonzept berücksichtigt werden können.

Frühzeitige Einbindung der operativen Einheiten schafft zusätzliche Möglichkeiten 

Das Transformationsprojekt profitiert von dieser Auseinandersetzung mit den Stakeholdern auch, um Überschneidungen mit anderen Bereichen zu erkennen, Projektmitglieder zu identifizieren und die internen Abläufe und Werttreiber in den verschiedenen operativen Sparten noch besser zu verstehen. Schließlich bietet der Austausch auch Gelegenheit, von Anfang an Rückhalt für den Umbau auf Vorstands- und Managementebene zu gewinnen.

Folgende Schritte unterstützen die Neuausrichtung der Finanzfunktion: 

  1. Formulieren Sie eine klar definierte Vision. Die Veränderungen betreffen ganz unterschiedliche Stakeholder in sämtlichen Bereichen des Unternehmens. Sie alle müssen eingebunden werden, um oft weniger fachlich als emotional begründeten Widerstand zu vermindern. Die Vision der Transformation sollte das Ergebnis der unterschiedlichen Sichtweisen sein und den Mehrwert für die Stakeholder transparent machen.
  2. Binden Sie die Finanzfunktion in die Geschäftsstrategie ein. Eine reine Optimierung der Finanzfunktion mag zu niedrigeren Kosten oder schnelleren Prozessen führen, ihren eigentlichen Wert kann sie jedoch nur entfalten, wenn die Transformation sich aus der Unternehmensstrategie ableitet. Während der gesamten Projektphase sollten daher Vertreter des operativen Geschäfts in den agilen Teams vertreten sein.
  3. Die neue Finanzfunktion muss Vorteile für die Mehrheit der Betroffenen bieten. Für viele Mitarbeiter wird die Transformation spürbare Änderungen mit sich bringen, eine ablehnende Haltung ist daher nicht ungewöhnlich. Klare Karrierechancen, Schulungen und externe Angebote zur Fortbildung bieten Anreize für Top-Mitarbeiter und sorgen dafür, dass die Belegschaft die neue Agenda mitträgt und künftig operativ ausführen kann.
  4. Denken Sie funktionsübergreifend. Eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Transformation ist der funktionsübergreifende Zugriff auf Daten und Prozesse. Rückhalt durch die oberste Führungsebene ist unerlässlich, damit die für die Maßnahmen Verantwortlichen über die nötige Autorität verfügen, um Ziele umzusetzen. Der frühzeitige Aufbau neuer funktionsübergreifender Einheiten (zum Beispiel Center of Expertise Data, Global Process, etc.) ist hierbei hilfreich.
  5. Beginnen Sie frühzeitig mit der Neuausrichtung der Mitarbeiterprofile. Der Umbau wirkt sich auf zahlreiche Arbeitsabläufe aus, er schafft häufig neue Anforderungsprofile, zum Beispiel Fachleute für Datenmanagement und -analyse. Eine Auswertung vorhandener Fähigkeiten zeigt frühzeitig Schulungs- oder Einstellungsbedarf auf. 

Die heutige Finanzfunktion ist um den Menschen herum gebaut, sie setzt auf unsere (limitierten) Fähigkeiten bei der Erfassung und Verarbeitung von Daten. Die neue Finanzfunktion ist dagegen um digitale Lösungen wie Datenanalyse, Blockchain, KI etc. herum zu gestalten. Eine inkrementelle Optimierung der bestehenden Finanzfunktion konserviert lediglich menschlich gesteuerte Abläufe. Es ist daher zentral, ein Klima zu schaffen, in dem die gesamte Finanzfunktion neu erdacht wird. In diesem Umfeld werden die Mitarbeiter der Finanzabteilung zu Co-Drivern der Geschäftsbereiche und des Managements, unterstützen durch komplexe Datenanalysen, stellen Informationen zur Wirtschaftlichkeit von Innovationen und Produktentwicklungen bereit und leisten noch vieles mehr.

Fazit

Die neue Finanzfunktion ermöglicht Entscheidungen, die die Performance und den Wert des Unternehmens steigern. Die Finanzabteilung der Zukunft ist schlank und agil. Sie kann Weisungs-, Durchsetzungs- und bei Bedarf Leitungsfunktionen übernehmen. Diese Entwicklungen ändern die Rolle des Finanzvorstandes grundlegend. Aus dem Zahlenmenschen wird ein Stratege, eine Führungspersönlichkeit, die sich mit Märkten und Geschäftsmodellen bestens auskennt.

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Von EY Deutschland

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