7 Minuten Lesezeit 27 April 2021
Verkäufer hinter Tresen

Ein Jahr Corona – was die Konsumgüterbranche daraus lernen kann

Von Ev Bangemann

Managing Partner Markets & CCaSS Leader EY Germany | DE&I Sponsor EY Europe West, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

7 Minuten Lesezeit 27 April 2021

Die Corona-Pandemie hat die Welt verändert. Das betrifft auch den Konsum. Nach der Pandemie wird die Branche sich weiterhin neu ordnen.

Überblick
  • Einkaufen hat seit Beginn der Corona-Pandemie einen anderen Stellenwert bekommen. Für ausgedehnte Shoppingtouren ist die Unsicherheit noch zu groß.
  • Eine Alternative: der Online-Handel. Doch auch hier wird der Verbraucher mitunter vor große Herausforderungen gestellt.
  • Die Hoffnungen für Verbraucher und Handel liegen jetzt auf Tests und Impfungen.

Nach monatelangen Schließungen wegen der pandemiebedingten Lockdowns sehen nun viele Einzelhändler wieder Licht am Ende des Tunnels. Geschäftsbesuche sind wieder möglich, wenn auch mit Einschränkungen und nur mit Termin. Angesichts steigender Zahlen ist allerdings unklar, wie es mit den Öffnungen weitergeht.

Die Deutschen sind momentan bei der Frage, wie sicher sie sich beim Einkauf fühlen, gespalten. Laut dem aktuellen Future Consumer Index von EY fühlt sich ein Drittel sicher, wieder in ein Einkaufszentrum zu gehen, sobald die Beschränkungen gelockert werden. Auf der anderen Seite fühlen sich ebenso viele (rund 37 Prozent) noch nicht sicher. Bei Supermärkten zeigt sich ein anderes Bild: Hier fühlen sich mit 48 Prozent bereits deutlich mehr Menschen sicher, während nur 16 Prozent Unwohlsein ausdrücken. Global sieht es ähnlich aus: 55 Prozent haben kein Problem mit dem Einkauf im Supermarkt, 19 Prozent fühlen sich noch unsicher.

Das führt zu einem Dilemma: Denn Käufer möchten die Ware, für die sie sich interessieren, sehr oft fühlen, riechen und sehen, bevor sie im Warenkorb landet. In Bezug auf Kleidung ist das 61 Prozent der Befragten wichtig, bei Beauty-Produkten immerhin noch 58 Prozent. Das Online-Angebot alleine reicht somit nicht immer aus, um die Kunden von den Produkten zu überzeugen, da das „Ausprobieren“ und Erspüren nach wie vor ein wichtiger Faktor des Einkaufserlebnisses bleibt. Einzelne Händler haben zwar mit künstlicher Intelligenz und anderen Ideen experimentiert, um die Anmutung und Haptik ihrer Produkte so gut wie möglich in den virtuellen Raum zu übertragen. Wirklich gelungen ist das aber nicht. Denn in den Bereichen Technologie, Kleidung und Kosmetik ist den meisten Konsumenten der Dialog mit kompetentem Verkaufspersonal nach wie vor wichtig. Hier zeigt sich, dass die Kunden auf Expertenmeinungen vertrauen, ihnen Informationen im Internet nicht immer genügen und sie sich sicherer bei ihrer Kaufentscheidung fühlen, wenn sie die Ware vor Ort aussuchen und erproben können. 

Fühlen – riechen – sehen

61 %

der Verbraucher finden ein haptisches Erlebnis beim Kauf von Kleidung wichtig.

Online-Shopping gerne, Versandkosten ungern

Dennoch nehmen die Deutschen Online-Shopping als Alternative zum Einkaufen im Geschäft durchaus wahr. Hier lohnt sich allerdings ein genauer Blick auf die Schwierigkeiten bzw. Hürden, die es für erfolgreichen E-Commerce zu überwinden gilt. So sorgen in erster Linie hohe Versandkosten für Produkte aus Online-Shops für Frustration: 37 Prozent der Befragten in Deutschland sehen dies als Problem an. Und 26 Prozent, also rund ein Viertel, shoppen nicht gerne online, da sie Bedenken bezüglich der Sicherheit ihrer persönlichen Daten haben. Ebenso viele beschweren sich über zu lange Lieferzeiten, und ein Fünftel der Befragten beklagt, dass es schwierig sei, den Kaufpreis erstattet zu bekommen, wenn man Ware zurückschicke. Auf diese „Pain Points“ zu reagieren, indem man z.B. „Same Day Delivery“ anbietet, die Sicherheit des Webshops transparent vermittelt oder einfache Rückerstattung ermöglicht, sorgt hier für zufriedenere Kunden und somit für gesteigerte Umsätze. 

Als Teil der Strategie gegen die Ausbreitung des Corona-Virus sind bereits seit einigen Monaten sogenannte Schnelltests verbreitet. Sie sollen nun auch dazu beitragen, dass Menschen trotz hohen Infektionsgeschehens wieder Geschäfte und Einkaufszentren besuchen können.

Über die Hälfte der Deutschen hat sich bereits einmal einem Test (inkl. der PCR-Tests) auf das Corona-Virus unterzogen und ein negatives Ergebnis erhalten (59 Prozent), 8 Prozent wurden positiv getestet. Lediglich ein Drittel (29 Prozent) hat noch gar keinen Corona-Test gemacht. Die grundsätzliche Bereitschaft, sich testen zu lassen, zeigt: Die Deutschen sind mehrheitlich bereit, Schnelltests als ein Puzzleteil hin zu mehr Normalität und zur Öffnung des Einzelhandels zu akzeptieren.

Die größte Hoffnung liegt dennoch auf den Impfungen. 52 Prozent der Deutschen gaben an, sich sofort impfen zu lassen, sobald es möglich ist, 18 Prozent wollen zunächst abwarten und die Folgen bei anderen beobachten, bevor sie sich impfen lassen, und 12 Prozent gaben an, zunächst denjenigen den Vortritt zu lassen, die es nötiger haben. Lediglich 11 Prozent lehnen die Impfung vollständig ab und 6 Prozent haben sich noch nicht entschieden.

Was bedeutet das für die Konsumgüterindustrie, insbesondere für den Handel? Klar ist, dass die Corona-Pandemie die Branche auf den Kopf gestellt hat. Innerhalb eines Jahres war der Markt zweimal gezwungen, komplett herunterzufahren. Auch die Erlöse aus Online-Verkäufen können den Umsatzverlust nicht komplett kompensieren – das liegt auch am fehlenden Erlebnis für die Kundinnen und Kunden. Sie schätzen nach wie vor die Einkaufs-Experience im Geschäft, die Möglichkeit, die Ware begutachten zu können, und eine fundierte Beratung von Verkäufern. Leider herrscht daher nach wie vor überwiegend Shopping-Frust statt Shopping-Lust. 

Online-Shopping

37 %

der Verbraucher lassen den Warenkorb leer, weil die Versandkosten zu hoch sind.

Neuaufleben des Shoppens vor Ort?

Doch durch flächendeckende Schnelltests und eine sich beschleunigende Impfkampagne besteht die Hoffnung, dass sich bei den Verbrauchern ein neues Gefühl von Sicherheit einstellt und dass die Gesellschaft dem Leben vor der Pandemie wieder etwas näher rücken könnte. Dennoch wird auch immer klarer, dass die Welt so schnell nicht mehr in die Verhaltensmuster von 2019 zurückkehren wird.

Führungskräfte könnten die Krise dafür nutzen, das Unternehmen so umzugestalten, dass es sich am gesamten „Alltag“ der Kunden orientiert. Viele Unternehmen überschätzen, wie sehr sie bereits auf die Kundenbedürfnisse eingehen. Tatsächlich gelingt dies bisher erst wenigen Unternehmen. Die Gründe sind vielfältig: Die dafür notwendigen Daten gaben die Kunden bisher nur ungern her, doch selbst wenn die Daten zur Verfügung standen, wussten viele Firmen sie nicht richtig zu nutzen. Die Pandemie hat hier für einen Shift gesorgt: Inzwischen sind 62 Prozent der Befragten bereit, mehr Daten von sich preiszugeben, wenn ihnen dafür gesündere Produkte empfohlen würden. Hinzu kommen allgemeine Einkaufstrends, die sich vor allem im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 formiert haben: Haus-, Wohnungs- und Garteneinrichtung lagen zusammen mit DIY („Do it yourself“) im Trend: Viele Menschen haben im Sinne der Nachhaltigkeit Möbel, Kleidung und Nahrungsmittel selbst hergestellt. Hier liegen Potenziale für die Kundenansprache, z. B. durch Communities (wie Pinterest), durch den Austausch zu Produkten und Gestaltungsideen.

Digitale Analyse als wichtiges Puzzleteil

Konsumgüterunternehmen können die technischen Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI) und leistungsstarken Analysen zum Kundenverhalten daher noch stärker nutzen, um einen höheren Mehrwert aus den verfügbaren Kundendaten zu ziehen. So werden sie zu „listening organisations“ – Unternehmen, die in der Lage sind, aus den Äußerungen der Kunden Erkenntnisse zu generieren und flexibel auf die sich schnell ändernden Kundenwünsche und -bedürfnisse einzugehen. Gelingt es den Firmen, ihre Produkte und Dienstleistungen kurzfristig entsprechend anzupassen, werden sie für die Konsumenten attraktiver.

Weiterhin lohnt es sich, bei jeder Entscheidung den Digitalisierungsgrad der direkten Wettbewerber zu betrachten. Zwar geben 77 Prozent der Befragten an, ihr Konsumverhalten bereits geändert zu haben, die meisten Unternehmen kommen jedoch bei der Digitalisierung derzeit kaum hinterher: Erst 36 Prozent haben in die Digitalisierung ihrer Customer Journeys investiert. Dabei liegt gerade hier eine Chance, sich gegen Wettbewerber durchzusetzen: Wer jetzt nicht den richtigen Weg in Richtung Digitalisierung des Kundenerlebnisses geht, riskiert es, Wettbewerbern zu unterliegen.

Nach einem disruptiven Jahr: Lieferketten überprüfen

Die Hälfte der befragten Unternehmen erwartet, dass die Lieferkette der Teil des Geschäfts sein wird, der sich im kommenden Jahr am meisten verändert. Diese Unternehmen stehen vor der Entscheidung: Was ist global, was ist lokal? Und was lässt sich auf einer regionalen Zwischenebene organisieren? Die Aufstockung der Lager, Ladenschließungen, aber auch Einschränkungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr haben Konsumgüterunternehmen vor Schwierigkeiten gestellt. Die Lieferkette der Zukunft kann allerdings ein Wachstumsmotor und ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb sein. Dafür muss sie jedoch flexibel, effizient und widerstandsfähig sein. Eine digitale Vernetzung ist genauso wichtig wie die Transparenz, die damit einhergeht. Es bietet sich Unternehmen jetzt an, das Betriebsmodell ihrer Lieferkette neu zu konzipieren. Zielführende Fragen hierfür sind die folgenden:

  • Wie fügen sich Lager und Produktionsstätten am besten in die Kette ein?
  • Wie gelingt eine durchgängige Echtzeitüberwachung für die notwendige Transparenz?
  • Wie können Stock Keeping Units rationalisiert werden und wie reduziert man am effizientesten Umweltbelastungen und Abfall?

In Zeiten steigenden Umweltbewusstseins großer Teile der Gesellschaft ist es auch aus PR-Sicht entscheidend, sich klar für ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu positionieren.

Viele CEOs von Konsumgüterunternehmen haben während der Pandemie begonnen, mit Outsourcing und Partnering zu arbeiten. Diese Experimentierfreude sollten sie beibehalten, denn so kann es gelingen, die sehr volatilen Verbrauchererwartungen effizient zu erfüllen – ohne ein zu großes Risiko einzugehen. Wichtig ist eine klare Vision, die festlegt, welche Fähigkeiten dem Unternehmen einen Wert verschaffen und welche Teile ausgelagert werden können – hier besteht noch Verbesserungsbedarf. 72 Prozent der Unternehmen investieren zwar in die Entwicklung und das Management ihrer Geschäftspartner, doch 82 Prozent haben ihre eigene Rolle in zukünftigen Ökosystemen noch nicht eindeutig definiert.

Abschließend ist es sinnvoll, den Gewinn des Unternehmens übergreifend zu betrachten. Denn bereits bekannte Mischformen des Konsums wie „Research online, pay offline“ (ROPO – der Trend, online nach interessanten Produkten zu suchen und sie vor Ort nach kurzem Test zu bezahlen) machen deutlich, dass Kanäle und Anlässe eines Kaufs nicht immer eindeutig zugeordnet werden können und isolierte Gewinnmessungen je Kanal ihre Bedeutung verlieren. Omni-Channel-Marketing betrachtet die Kanäle ganzheitlich und nutzt die Wechselwirkungen geschickt aus, um den Kunden bedarfsgerecht und von überall aus mit Informationen zu versorgen und jederzeit einen Kauf zuzulassen.

Angesichts der aktuellen Ruptur des Einkaufsverhaltens im Internet und des rasanten Wachstums des E-Commerce ist es wichtig, das eigene Modell zu hinterfragen und insbesondere zu überprüfen, wo sich die Kanäle und Kontaktpunkte mit dem Kunden sinnvoll ergänzen. Mit einem Blick über alle Bereiche und einem systemischen Ansatz für die Rentabilität verspricht die Analyse in der Zukunft Erfolg für das Unternehmen. 

Fazit

Fakt ist: Corona hat die Welt verändert. Verbraucher denken in vielen Bereichen des Lebens bereits jetzt anders als vor einem Jahr – und das Umdenken schreitet weiter voran. Das zeigt auch der EY Future Consumer Index. Zukunftsfähige Unternehmen passen sich daher den Verbrauchern an, um den neuen Ansprüchen gerecht zu werden. 

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