Die Zahl der Quarantänefälle ist besonders bedeutend, da sich aus ihr die Zahl der Infizierten mit einem schweren medizinischen Verlauf ableiten lässt.
Mir kam dadurch ziemlich schnell die Idee, eine App zu kreieren, die die Dunkelziffer der COVID-19-Infizierten reduzieren sollte, um eine belastbare Datenbasis und Prognosen zur weiteren Planung für die Behörden, Institute bis hin zu regionalen Krankenhäusern bereitzustellen.
Wie ging es dann weiter?
Paul Staiger: Noch am selben Abend habe ich einen Kollegen bei etventure/EY angesprochen und wir hatten bereits nachts um eins die erste, um acht Uhr morgens dann die zweite Version dieser Web-App gebaut. Der inhaltliche Teil, der Fragebogen selbst, wurde mit Medizinern und Personen aus dem Krisenstab einer Klinik entworfen worden. Er ist so gestaltet, dass der Nutzer in nur 60 Sekunden alle für die entsprechenden Stellen relevante Informationen eingeben kann. Nach weniger als drei Tagen sind wir über das Wochenende live gegangen.
Wir haben den Link zu COVIDPulse über Social Media mit unseren Freundeskreisen und Familien geteilt. Gleichzeitig machten wir das lokale Gesundheitsamt und ca. 600 Ärzte auf die App aufmerksam. Allein durch diesen kleinen Anstoß beim Livegang haben wir in den ersten 24 Stunden über 5.000 Einträge generiert. Dadurch wurde die App in ganz Deutschland bekannt. Es gab bereits Presseartikel und Kontaktaufnahme sowohl zu Gesundheitsämtern und Kliniken als auch zu Universitäten und Landkreisen.
Wer steht hinter der App?
Christian Reichmann: Hinter der App steht eine Non-Profit-Initiative der etventure GmbH – von EY unterstützt, initiiert und umgesetzt durch ein kleines Team von knapp 20 Freiwilligen, darunter Entwickler, Statistiker und Marketingkollegen, begleitet durch das Management. Die gesamte Arbeit findet „pro bono“ neben der Arbeitszeit statt.
Wer liefert die Daten?
Paul Staiger: Die Nutzer, ganz klar. Dabei haben wir die App mittlerweile auch weiterentwickelt: Es sind ausdrücklich alle Einträge wichtig, nicht nur die Auskünfte von Menschen, die sich aktuell in Quarantäne befinden. Somit verbessert sich unsere Datengrundlage stetig, woraus wir statistische Muster erkennen können. Diese unterstützen die Kapazitätsplanung und ermöglichen sogar Prognosen.
Die Daten werden nicht verkauft, sondern vollkommen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Unsere Entwicklung ist auch keine „Tracking App“, sondern appelliert rein an die Solidarität des Einzelnen.
Wie steht es um den Datenschutz?
Christian Reichmann: Die App dient einzig der statistischen Erhebung von Daten für die Stellen in Krankenhäusern und Instituten, sowie Ministerien und Ämtern, die relevant für die Vorbereitung und Kapazitätsplanung sind. Die Informationen, welche sich aus den Abfragen ergeben, helfen Experten und Medizinern bei der Vorhersage erwartbarer Infektionen und lassen dadurch rechtzeitige Rückschlüsse auf benötigte Krankenbetten und insbesondere auch notwendige intensivmedizinische Maßnahmen zu. So werden frühestmöglich alle Vorkehrungen getroffen, einen geregelten Krankenhausalltag aufrecht zu erhalten.
Die Daten werden nicht an Krankenhäuser und andere Institutionen verkauft, sondern kostenfrei zur Verfügung gestellt. Unsere Entwicklung ist auch keine „Tracking App“, sondern appelliert rein an die Solidarität des Einzelnen. Das bedeutet, dass jeder seine Angaben freiwillig tätigt und diese komplett anonym bleiben.
Was unterscheidet die App von anderen Apps?
Paul Staiger: Wir setzen voll auf persönliche Anonymität der Nutzer und waren die Ersten, die mithilfe der Bevölkerung eine Datenbasis aufgebaut haben. Es geht aber nicht darum, mit anderen Apps zu konkurrieren, sondern sich sinnvoll zu ergänzen. Der Sinn von Big Data ist ja gerade, durch hohe Nutzerzahlen verlässlichere und differenzierte Prognosen erstellen zu können. Toll wäre, wenn wir innerhalb kürzester Zeit 70.000 bis 80.000 Nutzer generieren könnten.
Der Sinn von Big Data ist ja gerade, durch hohe Nutzerzahlen verlässlichere und differenzierte Prognosen erstellen zu können.
Das Schöne an der App ist meines Erachtens auch, dass wir durch die zielgerichtete Sammlung und Verarbeitung von Daten helfen können, die Wirkungsweise der Alltagsbeschränkungen zu verstehen und messbar zu machen, wodurch wir auch die schrittweise Lockerung unterstützen können.
Was sind die nächsten Schritte?
Christian Reichmann: Im Dialog mit Medizinern verfeinern wir die Fragen, was durch steigende Nutzerzahlen immer besser möglich sein wird. Entscheidend sind für uns dabei medizinische Relevanz, Transparenz über Infektionsherde sowie statistische Aussagekraft.
Eine spannende Perspektive ist, mit der App auch anderen Ländern solidarisch unter die Arme greifen zu können. Wir haben zudem den Eindruck, dass es erste Nachahmer im Ausland gibt, was wir eher als Auszeichnung denn als Ärgernis verstehen.
Fazit
Die App COVIDPulse will Krankenhäuser, Behörden und Institutionen dabei unterstützen, ihre Kapazitäten in der Corona-Krise besser zu planen. Dazu sammelt sie bundesweit und anonym Daten, die Aufschluss über die Quarantänefälle in Deutschland geben. Auf dieser Basis lassen sich die voraussichtlichen schweren Verläufe der Krankheit COVID-19 besser abschätzen.