4 Minuten Lesezeit 20 April 2020
Langzeitbelichtung einer Bergstraße

„Gewaltiger Crashkurs in Technologie“

Von EY Deutschland

Building a better working world

Co-Autoren
4 Minuten Lesezeit 20 April 2020

Die COVID-19-Krise als „transformatorischer Schock“: Falco Weidemeyer zeigt im Interview drei Reaktionsphasen für Unternehmen auf.

EY: Werden wir infolge von COVID-19 einen Trend in Richtung Deglobalisierung sehen?

Falco Weidemeyer: Es gibt dazu nach meiner Einschätzung Antworten aus zwei Perspektiven: einer betrieblichen und einer gesellschaftlichen.

Zunächst die betriebliche: Man muss feststellen, dass Unternehmen mit optimierten, teilweise überoptimierten Supply Chains besonders gelitten haben. Das hat Folgen: Pufferlager müssen vergrößert, die Beschaffung von „single sourcing“ auf „dual“ oder „triple sourcing“ umgestellt und die Geostrategie überdacht werden. Dabei kann es dazu kommen, dass Teile der Supply Chain näher am Heimatmarkt angesiedelt werden.

Die gesellschaftliche Perspektive speist sich zum einen aus der Verunsicherung der Bevölkerung und der Skepsis gegenüber bestimmten Regionen, die mit der COVID-19-Krise einhergeht; zum anderen sehe ich politische Tendenzen, die Versorgungssicherheit, beispielsweise für Medizin und Lebensmittel, im eigenen Land zu verbessern. Beide Trends führen möglicherweise dazu, dass die Globalisierung zunächst ihren Höhepunkt überschritten hat.

Was bedeutet das für die Themen „Profitabilität“ und „Shareholder Value“?

Ich sehe nicht zwangsläufig eine Abkehr von hohen Performance-Zielen, auch wenn Unternehmen von der Politik angehalten sein sollten, Produktion oder Lagerkapazitäten ins Land zurückzubringen. Sie könnten im Gegenzug durchaus Steuererleichterungen oder attraktive Investitionsunterstützung erhalten.

Damit verbunden ist aber eine ganz andere Frage: Wie fundamental ist die COVID-19-Krise eigentlich? Kommen wir nach der Krise zum bisherigen „Höher, schneller, weiter“ zurück? Das ist sicherlich eine Möglichkeit.

Die andere Variante: Die Krise ist so fundamental, dass Investoren, Konsumenten, Mitarbeiter und Entscheider durch das Geschehen derart verunsichert werden, dass man nach einem neuen Bezugsrahmen sucht. Ich tendiere momentan zu Letzterem als wahrscheinlicherem Szenario. Das könnte dazu führen, dass sich der unternehmerische Zielkanon und die Erfolgsmessung verändern.

Was wäre also zukünftig anders?

Es ist sehr gut möglich, dass gesellschaftliche, ökologische und technologische Werte sowie Konsumententrends wichtiger und integraler Bestandteil des unternehmerischen Zielsystems werden, weil Konsumenten, Mitarbeiter und die Rahmenordnung das fordern. Dann würde es nicht mehr reichen, einfach nur die Regeln einzuhalten, sondern Unternehmen gingen mit dem gleichen „Sportsgeist“ wie beim Profit an diese Ziele heran. Die jetzige Phase wirkt in diesem Zusammenhang wie ein „transformatorischer Schock“.

Es klingt vielleicht in der momentanen Situation etwas philosophisch, aber ich denke, dass wir durchaus dahin kommen könnten und so etwas wie einen Trend zu „Complete Value Management“, einer Verbindung von Profit und Purpose in einem Zielsystem, sehen werden.

Roboter sind immun gegen Pandemien, vorausgesetzt sie sind durch Cybersecurity geschützt.

Gibt es einen Trade-off zwischen der jetzigen Krise und den Klimazielen?

Ich sehe eher Ansätze für einen gegenteiligen Trend. Die Bevölkerung ist gegenwärtig gezwungenermaßen viel weniger mobil und digital aktiver. Das wird auch noch Monate andauern. Ein Teil dieses veränderten Verhaltens könnte in „Fleisch und Blut“ übergehen und dazu führen, dass grundsätzlich weniger bzw. weniger weit gereist und noch stärker online gearbeitet, eingekauft etc. wird.

Unternehmen sehen ebenfalls die Möglichkeiten von Homeoffice und virtuellen Meetings. Darüber hinaus ist ein Automatisierungsschub in der Verwaltung zu erwarten. Aus Kosten- und Resilienzüberlegungen werden Verwaltungsabläufe, unter anderem in Finanzen, HR und IT, sowie alle kundenabgewandten, standardisierbaren Abläufe, also der gesamte mittlere administrative Bereich, eine nachhaltige Automatisierung erfahren. Daneben gibt es Implikationen für die Produktion, die künftig noch stärker automatisiert wird, allein schon aus Gründen des Risikomanagements.

Selbst wenn es zynisch klingt: Roboter sind immun gegen Pandemien, vorausgesetzt sie sind durch Cybersecurity geschützt. Die ganze Corona-Krise wirkt somit wie ein gewaltiger Crashkurs in Technologie: Diejenigen, die bislang noch nicht aufgeschlossen waren, sehen jetzt das Potenzial, und diese Erkenntnis wird sich als nachhaltig erweisen. Was bisher optional war, könnte für einige Firmen nun existenziell werden, um für die nächste Krise besser gerüstet zu sein.

Werden wir eine Konsolidierung, das heißt weniger und größere Firmen sehen? Was heiβt das für den Wettbewerb?

Es gibt da eine Gefahr. Die Förderinstrumente kommen den Groβunternehmen zugute, weil sie hohe Aufmerksamkeit haben. Die kleinen Unternehmen kommen unbürokratisch an ihre Hilfen und laufen bald wieder an. Ich sehe die größte Gefahr für die Mitte, die nicht ganz so auffällig und nicht so gut vernetzt ist. Genau in diesem Kontext gibt es den Appell an die Politik, Finanzierungsinstrumente und Unterstützung so zu gestalten, dass der klassische Mittelstand nicht zum Leidtragenden wird.

Welche Schritte stehen für Unternehmen zur Bewältigung der Krise an?

Wir raten zu einem Vorgehen in drei Phasen – „Now“, „Next“ und „Beyond“. Zunächst müssen die Mitarbeiter geschützt, die finanzielle Nachhaltigkeit gewährleistet und der operative Fortbestand gesichert werden. Das ist das „Now“. Dann muss das Unternehmen an eine längerfristige Krisenphase angepasst werden, in der Supply Chain, im Kundenzugang sowie bei den Kosten und Strukturen. Das ist das „Next“. Danach kommt der wichtigste Schritt, denn ein „Weiter so“ ist keine Option: Die Unternehmen müssen durch Digitalisierung, Flexibilisierung von Kostenstrukturen, besseren digitalen Kundenzugang und robustere Supply Chains widerstandsfähiger und anpassungsfähiger werden – und dabei ihre Chancen nutzen. Das ist das „Beyond“.

Fazit

Kommt es infolge der COVID-19-Krise zu einem Deglobalisierungstrend? Wie verändern sich Supply Chains, Arbeitsweisen und die Performance von Unternehmen? Und welche Gefahr droht dem Mittelstand? EY-Partner Falco Weidemeyer empfiehlt den Unternehmen ein Vorgehen in drei Phasen: Now, Next, Beyond.

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