6 Minuten Lesezeit 21 April 2021
Vogelperspektive auf eine Kuhherde auf einem Feld

Wie der Handel zum Mitgestalter des Klimaschutzes wird

Von Marie-Theres Hosp

Senior Manager, Konsumgüter und Handel, EY Consulting GmbH | Deutschland

Berät Kunden dabei, nachhaltige Konzepte in der Unternehmens-DNA zu verankern. War selbst fünf Jahre Unternehmerin im Online-Handel für fair fashion.

6 Minuten Lesezeit 21 April 2021

Konsumgüterbranche und Einzelhandel sind ein Schlüssel zum Klimaschutz. Unternehmen sollten die wichtigsten Handlungsfelder kennen.

Überblick
  • Wie kann der Handel Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit unter einen Hut bringen?
  • Innovationstreiber Nachhaltigkeit: Welche Chancen ergeben sich aus Regulatorik und Kundenwünschen?
  • Wie lassen sich Kunden für Nachhaltigkeit begeistern?

Begriffe wie Regionalität, Plastikvermeidung und biologischer Anbau stehen für eine Transformation, in der sich die Konsumgüter- und Handelsbranche befindet. Getrieben wird diese Transformation durch die Regulatorik, den Verbraucher, Investoren und nicht zuletzt die Mitarbeiter. Die Branche ist gefordert, Nachhaltigkeitsziele zu definieren, zu veröffentlichen und umzusetzen. Ein Aspekt ist das Erreichen der im Green Deal verankerten Klimaschutzziele, wie sie die Europäische Union (EU) und die Bundesregierung vorgeben. Handel und Hersteller sollten den Bogen jedoch weiter spannen. Die Anforderungen von Konsumenten, Investoren, Mitarbeitern und Politik zu erfüllen, erfordert einen ganzheitlichen Ansatz. Transparente Lieferketten hinsichtlich der Produktionsbedingungen und des Ressourceneinsatzes, Kreislaufwirtschaft, Tierwohl, Reduktion von Plastikverpackungen und CO2-Fußabdruck sind wesentliche Parameter. Zusammen tragen sie letztendlich alle mehr oder weniger zur Dekarbonisierung und damit zu den Klimaschutzzielen bei. Zugleich stehen Handel und Hersteller vor der Herausforderung, die Balance zwischen Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Machbarkeit zu finden. Doch daraus können auch neue Geschäftsmodelle entstehen.

Endkunden gehören zu den Treibern der Dekarbonisierung

Endkunden sind neben der Regulatorik einer der Dekarbonsierungstreiber im Konsumgüter- und Handelssektor. Umfragen wie der EY Consumer Index weisen darauf hin, dass 60 Prozent der Konsumenten bei ihrer Kaufentscheidung auf umwelt- und gesellschaftlich relevante Kriterien achten. Vor allem jüngere Kunden interessiert, wie Produkte hergestellt werden. Die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln aus regionaler und/oder biologischer Erzeugung ist ein Beispiel dafür. Stehen preisgleiche Produkte zur Auswahl, entscheiden sich Verbraucher immer häufiger für ökologisch erzeugte Waren. Diese Tendenz steigt mit dem Online-Handel. Das Netz macht Produkte vergleichbarer und für Kunden bequemer zugänglich: In einigen Jahren werden schätzungsweise bereits 70 Prozent der Einkäufe bestellt und ins Haus geliefert.

Verbraucher beeinflussen mit ihrem Verhalten die Nachhaltigkeitsstrategie und damit das Geschäft des Konsumgüter- und Handelssektors. Das unterscheidet Letztere von nicht konsumgetriebenen Wirtschaftszweigen. Um dauerhaft am Markt zu bestehen, sollten Einzelhandel und Konsumgüterindustrie den umfassenden Wünschen ihrer Kunden Rechnung tragen – auch wenn dies über das gesetzliche Geforderte hinausgeht. 

Käuferverhalten

60 %

der Käufer achten bei der Produktauswahl auf umweltrelevante und gesellschaftliche Kriterien.

Der Konsumentenwille und die Anforderungen der Regulatorik gehen vielfach in die gleiche Richtung. Ein Beispiel ist das jüngst verabschiedete Lieferkettengesetz. Es verlangt ab 2023 von großen Handelsunternehmen und der Konsumgüterindustrie ein hohes Maß an Transparenz über ihre gesamte Wertschöpfungskette hinweg: Es geht nicht allein um CO2-Emissionen und Umweltstandards, sondern darüber hinaus um Arbeitsbedingungen und fairen Handel. Indem der Konsumgüter- und Handelssektor den regulatorischen Anforderungen des Lieferkettengesetzes nachkommt, kann er zugleich den Wunsch von Verbrauchern erfüllen zu erfahren, wie und wo der Fisch auf ihrem Teller gefangen wurde und welcher Bauer unter welchen Bedingungen den Kakao für ihre Schokolade anpflanzte.

Social Responsibility und Dekarbonisierung gehen ebenfalls Hand in Hand. Das verdeutlicht das Thema Tierwohl. Kaum ein anderes Einzelhandelsthema steht ähnlich stark im öffentlichen Fokus. Die Sensibilität der Kunden ist hoch, gesunde Ernährung ist für viele eng mit gesunden Tieren verbunden. Gleichzeitig ist die Fleischproduktion mit einem Anteil von 70 Prozent der größte CO2-Emittent im Handelsbereich. Hier können die Unternehmen ansetzen. Eine dem Tierwohl dienende Aufzucht trägt zum einen sowohl zur CO2-Reduktion als auch zur Dekarbonisierung bei. Auch das Anbieten von emissionsärmeren pflanzlichen Produkten ist heute wesentlich mehr als nur ein Trend. So kann der Fußabdruck des Gesamtportfolios eines Händlers verringert werden.

Blockchain-Technologie verhindert Datenmanipulation in der Lieferkette

Um Informationen zu jedem einzelnen Produkt liefern zu können, braucht der Konsumgüter- und Handelssektor die Unterstützung seiner Lieferanten. Diese sollten die notwendigen Daten bereitstellen. Die erforderlichen Angaben und Prozesse sollten Handel und Hersteller zusammen mit ihren Lieferanten definieren und aufsetzen. Dabei werden auch Angaben zu den entlang der Wertschöpfungskette entstehenden Emissionen (Scope 3) einbezogen. Diese können dann in die Berichterstattung zum CO2-Fußabdruck des jeweiligen Unternehmens entsprechend dem Green Deal der EU einfließen. 

Über QR-Codes auf den Produkten können Informationen zu Herkunft, Anbaumethoden und Emissionen auch Verbrauchern zugänglich gemacht werden. Das schafft Transparenz.
Marie-Theres Hosp
Senior Manager, Konsumgüter und Handel, EY Consulting GmbH | Deutschland

Bis spätestens 2050 müssen die Prozesse zur Erfassung der Scope-3-Emissionen entlang den Lieferketten stehen. So will es die Regulatorik. Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen; deshalb sollten die Unternehmen das Thema jetzt angehen. Sämtliche Daten müssen bereits von ihren Wurzeln her validierbar sein und manipulationssicher erfasst und verfügbar gemacht werden. Als Instrument eignet sich beispielsweise die Blockchain-Technologie, die auch zur Nachverfolgung von Kühlketten einsetzbar ist. Über QR-Codes auf den Produkten, wie sie im Einzelhandel etabliert sind, können Informationen zu Herkunft, Anbaumethoden und Emissionen auch Verbrauchern zugänglich gemacht werden. Das schafft Transparenz, Vertrauen und Kundenbindung werden gestärkt. Auf diese Weise können Vorreiter Wettbewerbsvorteile generieren, ein neues Kauferlebnis erzeugen, Wissen vermitteln.

Einstieg in die Circular Economy

Über die Klimaziele hinaus treibt die Regulatorik den Verzicht auf Plastikverpackungen voran. Einwegartikel wie Plastikstrohhalme und Wattestäbchen sind bereits seit diesem Jahr verboten. Zudem gelten von 2025 an strengere Richtlinien bei der Verwendung von Recyclingkunststoffen. Dies betrifft vor allem Plastikflaschen. Sie müssen künftig zu mindestens 25 Prozent aus wiederverwendetem Kunststoff bestehen, bis 2030 steigt die Quote auf 30 Prozent, außerdem müssen 90 Prozent der Plastikflaschen bis 2029 getrennt gesammelt werden.

Für den Handel bedeutet dies, unter anderem Plastikflaschen noch stärker als wichtigen Rohstoff zu begreifen und die Regulatorik als Anstoß zum Einstieg in die Kreislaufwirtschaft zu nutzen. Einige Handelsunternehmen haben bereits Erfahrung mit der sogenannten Circular Economy. Beispielsweise werden eingesammelte Plastikflaschen aufbereitet und den Lieferanten als Rohstoff zur Verfügung gestellt, die sie in die Neuproduktion integrieren. Als Flaschensammler betätigen sich unternehmenseigene Müllentsorger – so erschließt sich der Einzelhandel ein neues Geschäftsfeld, in diesem Fall das Waste-Management. Am Ende des Prozesses entsteht ein geschlossener Kreislauf, der zugleich im Sinne der Dekarbonisierung CO2-Emissionen verringert. Außerdem können Kosten sinken. Die Plastic-free-Vorgabe der EU zieht sich durch die Lieferkette, der Handel muss jetzt handeln, sonst kann er die Vorgaben nicht erfüllen. 

EYCarbon

Die Dekarbonisierung treibt die nächste große Transformation voran, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit umgestaltet. Um die Herausforderungen der Dekarbonisierung zu meistern und die Chancen zu nutzen, haben wir EYCarbon gegründet.

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Ein weiteres spannendes Feld eröffnet sich speziell für den Elektrohandel. Die neue Ökodesign-Richtlinie der EU verpflichtet Hersteller zur Produktion ressourcenschonender Geräte und zur Bereitstellung von Ersatzteilen, um Elektroschrott zu vermeiden. Das könnte im Einzelhandel ebenfalls neue Geschäftsmodelle entstehen lassen: Muss die Waschmaschine verkauft werden oder könnte man nicht auf den Gedanken kommen, das Gerät stattdessen nur zu vermieten? Dies käme dem Trend von Verbrauchern entgegen, die vermehrt nicht nur Produkte suchen, sondern Lösungen nachfragen, und es wäre ökologisch. Um die von der Regulatorik eingeforderte Wiederverwertung zu gewährleisten, wird der Konsumgüter- und Handelssektor künftig mehr als bislang mit branchenfremden Firmen kooperieren. Daraus dürften spannende Innovationen entstehen, von denen die Branche profitiert. Konsumgüterhersteller, Handel und Verbraucher müssen Produkte und deren Verpackung stärker als Ressourcen begreifen – sie sind endlich und können Wert stiften. 

Der Handel wird zum Gestalter

Einzelhandel und Konsumgüterindustrie brauchen die Konsumenten, um ihre Klimaziele zu erreichen. Sie müssen einerseits die Nachhaltigkeitskonzepte der Branche kennen und verstehen, sonst ziehen sie nicht mit; andererseits können Anregungen aus dem Kundenkreis die Unternehmen unterstützen, sich sowohl nachhaltiger auszurichten als auch Kundenwünsche zu erfüllen. Beide Aspekte setzen eine intensive Kommunikation mit dem Endverbraucher voraus. Workshops, Apps und QR-Codes sind Kommunikationswege, um in den Dialog einzusteigen.

Nur eine umfassende Strategie kann dem großen Ziel der Dekarbonisierung gerecht werden.  Einzelhandel und Konsumgüterindustrie haben die Chance, den Prozess mitzugestalten. Sie können wie kaum eine andere Branche Impulse setzen, indem sie eigene Ideen entwickeln und in ihren eigenen Geschäften beispielhaft umsetzen. Über die Kunden wirkt dies in die Gesellschaft hinein. Im Zusammenspiel mit all ihren Stakeholdern wird der Konsumgüter- und Handelssektor selbst zum Treiber einer nachhaltigen Entwicklung. Für einen nachhaltigen Konsum braucht es sowohl das innovative Wirtschaften als auch den bewussten Konsumenten. Dann kann Zukunft gelingen.

Fazit

Wie andere Branchen auch sollen der Einzelhandel und die Konsumgüterindustrie bis 2050 möglichst klimaneutral werden. Vielen Kunden reicht das nicht: Sie achten beim Einkauf auch auf Kriterien wie Tierwohl und Plastikvermeidung. Der Einzelhandel braucht einen ganzheitlichen Ansatz, um den Anforderungen gerecht zu werden und damit seine Kunden zu binden. Mit ihnen gemeinsam kann die Branche den Kampf gegen den Klimawandel mitgestalten und gleichzeitig Potenziale durch neue Geschäftsmodelle erschließen. Alles zusammen zahlt auf das große Ziel der Dekarbonisierung ein.

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Von Marie-Theres Hosp

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