Der lange Atem, den Investoren bei Biotechnologie brauchen, ging an der Börse teilweise in Schnappatmung über …
2021 war das stärkste IPO-Jahr weltweit seit 2000. Allein 124 Biotech-Unternehmen wagten den Börsengang, vier davon aus Deutschland. Am größten Kapitalmarkt, in den USA, konnten jedoch einige die Erwartungen nicht erfüllen und bekamen eine deutlich niedrige Bewertung als der Ausgabepreis. Da wurde massiv Geld versenkt. Darum hat sich das IPO-Fenster fürs Erste geschlossen. Vor einer überzogenen Erwartungshaltung haben wir grundsätzlich immer gewarnt. Investoren in Biotech brauchen weiterhin einen langen Atem und starke Nerven. Nun muss sich der Markt erst mal wieder stabilisieren und Erfolge aufweisen.
Gleichzeitig nimmt auch der Appetit auf M&A ab, wohingegen sich Partnering-Modelle als globaler Trend herausbilden und ein Rekordhoch erreichen. Welche Vorteile bieten sie?
Der Kapitalmarkt ist momentan nicht besonders günstig, die Prämien für M&A sind relativ hoch und Unternehmen haben Bedenken, zu viel zu bezahlen. Sie sind daher hinsichtlich M&A vorsichtiger, denn im Trend geht eher Geld verloren. Über Partnerschaften hingegen erhält die Pharma-Industrie das, was sie braucht – ohne Akquisitionsprämien zu zahlen und ohne das Risiko einer missglückten Integration. Sie kauft die Lizenz, ein Produkt im Markt zu vertreiben, und bringt dafür ihre Fähigkeiten in Regulatorik, Marketing und Sales ein.
So beteiligt sich die Industrie an den Kosten, übernimmt aber nicht wie bei M&A den vollen Preis für ein Produkt, das womöglich nie den Markt erreicht. Dies ist eine erheblich bessere Risikostreuung. Dazu sind die Erfolge beim Partnering gegenüber M&A insgesamt größer, der Return höher – und zwar um knapp 30 Prozent. Das analysiert auch unser Firepower-Report in seiner letzten Ausgabe.
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In Deutschland überwogen 2021 die Mergers & Acquisitions, Transaktionen nahmen um 17 Prozent zu, Partnering setzt sich hier noch nicht in dem Maße durch. Woran liegt das?
In der Tat läuft diese deutsche Entwicklung gegen den globalen Trend. Ich betrachte das eher als ein Mikroklima. Über kurz oder lang werden wir die gleiche Richtung einschlagen.
M&A, Partnering und IPO hängen miteinander zusammen. Schließen sich bei einem die Türen, wird das andere attraktiver. Möchte ein Unternehmen einen Exit abschließen, schlägt auch das Pharma-Unternehmen zu, das eigentlich lieber verpartnert. Es ist eine Frage der Dynamik und des Zugangs zum Produkt. Am Ende geht es auch darum, wer am längeren Hebel sitzt.
Der längste Hebel ist bei allen guten Entwicklungen allerdings im Wendehammer stecken geblieben, oder?
Ja, die Bundespolitik hätte die Rahmenbedingungen weiter stärken können, aber das ist nicht passiert. Unsere Rechtsformen wie GmbH oder AG enthalten zum Beispiel Vorgaben, die an der Lebenswirklichkeit von Biotechs vorbeigehen.
Insgesamt sind wir daher in Anbetracht der sich nach 2020 bietenden Chancen unter unserem Potenzial geblieben, Deutschland als Biotech-Standort voranzubringen und den Boom fester als Chance zu ergreifen.
Dies ist der letzte Biotechnologie-Report 2022, den Sie bei EY verantworten. Den Life Sciences bleiben Sie erhalten?
In anderen Branchen wechseln Menschen eher schneller, bei den Life Sciences lebt man viel vom und für den Purpose. Krankheiten besiegen, Menschen zu einem gesünderen Leben verhelfen, Bedingungen für Patienten verbessern – das ist im Grunde eine Mission, an der die meisten, die ich kenne, mit ganzem Herzen und voller Überzeugung arbeiten, ich auch. Insofern: ja.
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Fazit
Die Zeichen standen auf Boom: COVID-19 verlieh der Biotechnologie erhebliche Schubkraft und damit ein Momentum, diese Voraussetzungen zukunftsweisend zu steuern. Die Branche hat dies für sich genutzt und profitiert vom Anstieg an Interesse und Kapital. Das löst jedoch nicht den Knoten, um Deutschland zu einem attraktiveren Biotech-Standort zu machen.