6 Minuten Lesezeit 29 August 2019
Offene Fassade mit Wärmedämmung

„Innovation ist kein Zufall, sondern ein genau definierter Prozess“

Ideenreichtum, Kundenorientierung und Nachhaltigkeit – Jochen und Gerd Stotmeister sprechen über den Erfolg des Familienunternehmens Sto.

Das Familienunternehmen Sto aus Stühlingen im Schwarzwald hat sich innerhalb von 60 Jahren zum internationalen Marktführer innovativer Baustoffe entwickelt. Weltweit beschäftigt die Sto-Gruppe etwa 4.500 Mitarbeiter. Im Interview sprechen die Brüder Jochen und Gerd Stotmeister über starke Familienbande und ihr Verhältnis zueinander, über Wüstenkäfer als Inspirationsquelle und Konflikte, die im Hinterzimmer ausgetragen werden.

Warum sind die Eimer von Sto gelb?

Jochen Stotmeister: Die Frage ist nicht allein, warum die Sto-Eimer gelb, sondern auch, weshalb sie oval sind. Das hat zwei ganz einfache Gründe: Gelb sind die Eimer, weil dies von Anfang an unsere Firmenfarbe war. Oval sind sie, weil der Handwerker so die Farbe einfacher aus dem Eimer entnehmen kann.

Übrigens hat unser Vater 1962 zusammen mit einem Freund die Idee gehabt, den verkürzten Familiennamen als Firmennamen zu verwenden. Das war die Geburt der Marke Sto.

Sie sind beide schon sehr jung ins Ausland gegangen – der eine in die Vereinigten Staaten, der andere nach Australien. Was waren die wichtigsten Erfahrungen, die Sie zurück nach Stühlingen gebracht haben?

Jochen Stotmeister: Ich bin 1979 in die Staaten gegangen und habe mir bei einem internationalen Mineralölkonzern die ersten Sporen verdient. Ich war gerade 25 Jahre alt und noch relativ ahnungslos. Doch schon kurze Zeit darauf bat mich mein Vater, die angeschlagene amerikanische Sto-Tochter wieder auf Kurs zu bringen – was mir dann auch wirklich gelungen ist.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich die Fifth Avenue in New York rauf und runter gelaufen bin und den Architekten und Bauherren unsere Produkte empfohlen habe.
Jochen Stotmeister
Aufsichtsratsvorsitzender Sto Management SE

Als ich 1988 zurück in Stühlingen war, brachte ich drei große Erfahrungen mit: Menschenkenntnis und Durchsetzungsvermögen, Einblick in die verschiedensten Unternehmensbereiche und die Erkenntnis, dass ein starker Vertrieb und eine konsequente Kundenorientierung das A und O für den Erfolg sind.

Gerd Stotmeister: Ich war 30, als ich 1986 direkt nach meinem Studium für zwei Jahre nach Melbourne gegangen bin. Ich habe kein sinkendes Schiff wie mein Bruder gerettet, sondern bei einem deutschen Chemiekonzern im anwendungstechnischen Labor Beschichtungen, Dämmsysteme und Klebstoffe entwickelt sowie im Vertrieb gearbeitet.

Obwohl ich nur zwei Jahre fort war, habe ich doch Entscheidendes mitgebracht: neue technische Verfahrensweisen, Englisch und Teamplay. Vor allen Dingen habe ich aber gelernt, auf meinen eigenen Beinen zu stehen und ein Gespür für andere Länder, Kulturen und Menschen zu bekommen – was für unsere internationale Expansion von unschätzbarem Wert war.

Jeder von Ihnen hatte eine Führungsposition inne: Der eine war Vorstandsvorsitzender, der andere Technik-Vorstand. Wie haben Sie sich arrangiert? Zwischen Brüdern ist es nicht immer ganz einfach.

Gerd Stotmeister: Das stimmt. Aber Schwierigkeiten sind dazu da, sie auszubalancieren. Und das hat uns unser Elternhaus mitgegeben. Ich glaube sagen zu können, dass wir eine intakte Familienlandschaft hatten und auch dazu angehalten worden sind, Verbindungen zu halten – auch dann, wenn es einmal nicht ganz einfach ist.

Wenn wir zwei uns einmal nicht einigen konnten, haben wir die Kontroverse nicht vor versammelter Mannschaft, sondern hinter den Kulissen geklärt.
Gerd Stotmeister
bis 2017 Sto Vorstand Technik

Im Beruf hatten wir die geniale Lösung, dass wir immer andere Personen als Puffer zwischen uns hatten. Und wenn wir zwei uns einmal nicht einigen konnten, haben wir die Kontroverse nicht vor versammelter Mannschaft, sondern hinter den Kulissen geklärt – um dann eine gemeinsame Lösung zu präsentieren. Es war uns immer ganz wichtig, dass die Beziehung, die wir als Geschwister und als Manager haben, über allen Einzelinteressen steht.

Jochen Stotmeister: 1997 hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Im Gespräch mit einem anderen Geschäftsführer ist mir plötzlich bewusst geworden, dass jeder Mensch seine unveränderliche DNA hat, dass also mein Bruder und ich ganz eigene Persönlichkeiten sind. Persönlichkeiten zu verändern, ist nicht ganz einfach. Aber wir können es so anstellen, dass wir uns ergänzen. Und das haben wir dann auch bis heute getan – und ich finde, dass wir es ganz gut gemacht haben.

Sto ist heute in der ganzen Welt unterwegs – und versteht sich trotzdem als Familienunternehmen. Worin spiegelt sich das wider? Und hat dieses Familiengefühl auch etwas mit Ihrem Erfolg zu tun?

Jochen Stotmeister: Für mich gehören Familie und Erfolg nicht notwendigerweise zusammen. Es geht eher darum, eine klare und verbindliche Strategie und ein ebenso glaubwürdiges Profil zu haben, das durch alle Hierarchien hindurchgeht und von allen gelebt wird.

Viele Führungskräfte kommen zu uns, weil sie an langfristigen Strategien mitarbeiten wollen – und dabei kurze Wege lieben.
Gerd Stotmeister
bis 2017 Sto Vorstand Technik

Dies ist uns Ende der 1980er Jahre bewusst geworden, weshalb wir als eines der ersten Unternehmen der Branche soziale und ökologische Kriterien in unser Leitbild „Bewusst bauen“ aufgenommen haben. Unser strategischer Anspruch, den Wert von Gebäuden unter Beachtung der Belange von Mensch und Natur zu erhalten, gilt nach wie vor – weltweit. Und wenn man genau hinhört, sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch genau darauf stolz: bei einem Unternehmen zu arbeiten, das nachhaltig und verantwortungsvoll produziert.

Gerd Stotmeister: Und diese Verantwortung spiegelt sich auch in den Beschäftigungsverhältnissen wider. Viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbringen bei uns ihr ganzes Arbeitsleben. Und viele Führungskräfte kommen zu uns, weil sie an langfristigen Strategien mitarbeiten wollen – und dabei kurze Wege lieben.

Sto hat eine ausgeprägte Family Governance. Obwohl aktuell kein Familienmitglied in der Führungsetage ist, haben Sie sich den Einfluss gesichert. Wollen oder sollen irgendwann die Kinder Ihre Nachfolge antreten?

Jochen Stotmeister: Wir sind vier Geschwister und haben insgesamt zehn Kinder – wobei einige von ihnen voraussichtlich in unsere Fußstapfen treten werden. Meine älteste Tochter ist beispielsweise festes Mitglied in unserem Family Office.

Da unsere Kinder durch unsere Konstruktion indirekt am Unternehmen beteiligt sind, haben wir seit etwa zehn Jahren eine eigene Sto-Next-Gen-Academy eingeführt, in der unsere Kinder unter anderem mit den unternehmerischen Rechten und Pflichten vertraut gemacht werden, die sie als Gesellschafter von Sto haben. Darüber hinaus haben wir eine verbindliche Familiencharta, die von allen unterschrieben ist und gelebt wird.

Die Baubranche gilt eher als konservativ. Wie sichern Sie die Innovationskraft im Unternehmen?

Gerd Stotmeister: Innovation ist bei uns kein Zufall, sondern ein genau definierter Prozess – man könnte es auch ein erweitertes Produktmanagement nennen. Wir beginnen damit, ein neues Produkt und das dazugehörige Anforderungsprofil zu definieren. Dann stimmen wir dieses Anforderungsprofil mit den Kunden- und Marktbedürfnissen, mit den Entwicklungs- und Produktionskosten und den Margen ab. Wenn sich alles rechnet, gehen wir an die Entwicklung.

An Ideen und Anregungen dafür mangelt es uns nie. Die bekommen wir von unseren Kunden, unseren Mitarbeitern und aus der Natur: Unsere neue Außenfarbe verhält sich beispielsweise wie der Panzer eines Wüstenkäfers, an dem die Flüssigkeit abperlt.

Ich möchte durch mein Tun das, was unsere Großeltern und Eltern geschaffen haben, erhalten.
Jochen Stotmeister
Aufsichtsratsvorsitzender Sto Management SE

Die größere Herausforderung, als innovative Ideen zu haben, besteht darin, die Innovation an den Mann beziehungsweise an das Objekt zu bringen. Viele Bauherren vertrauen lieber dem Altbekannten und sind innovativen Produkten gegenüber skeptisch eingestellt.

Was treibt Sie jeden Tag aufs Neue an? Was ist Ihre Vision?

Gerd Stotmeister: Mit unseren Produkten schützen und erhalten wir Werte. Dieser Nachhaltigkeitsgedanke ist nicht allein in unserer Strategie verankert, sondern er treibt mich auch immer wieder an. Ich bin stolz darauf, etwas zum Werterhalt von Bauwerken beizutragen. Eine Welt, in der nachhaltig und sozial verträglich gewirtschaftet wird, ist meine Vision.

Jochen Stotmeister: Dieser Nachhaltigkeitsgedanke meines Bruders treibt auch mich an: Ich möchte durch mein Tun das, was unsere Großeltern und Eltern geschaffen haben, erhalten und die anderen, die jetzt unsere Aufgaben übernehmen, dabei unterstützen, das Unternehmen verantwortungsvoll und erfolgreich weiter zu gestalten.

Jochen und Gerd Stotmeister

Fazit

Die Brüder Jochen und Gerd Stotmeister, ehemalige Geschäftsführer von Sto, wurden beim „EY Entrepreneur Of The Year 2018“ mit dem Ehrenpreis für Familienunternehmen ausgezeichnet. Dank einer nachhaltigen und innovationsfreudigen Kultur wurde ihr Unternehmen zum globalen Marktführer bei Dämmstoffen.

Über diesen Artikel

Von EY Deutschland

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