5 Minuten Lesezeit 3 Dezember 2021

Familienunternehmen stehen für Beschäftigung und Wohlstand. Jetzt kommt es darauf an, dass sie sich fit für die Zukunft machen. 

Porträt eines Vaters und eines Sohnes in ihrem Familien-Textilgeschäft

„Familienunternehmen haben einen Vertrauensvorschuss“

Von Wolfgang Glauner

Leiter Marktaktivitäten Familienunternehmen, EY Corporate Solutions GmbH & Co KG | Deutschland

Wolfgang Glauner weiß, was Familienunternehmen bewegt, welche Herausforderungen sie haben und was ihre Erfolgsfaktoren sind. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.

5 Minuten Lesezeit 3 Dezember 2021

Familienunternehmen stehen für Beschäftigung und Wohlstand. Jetzt kommt es darauf an, dass sie sich fit für die Zukunft machen.

Überblick

  • Familienunternehmen haben starke Beziehungen zu ihren Mitarbeitern, ihren Kunden und ihrem Standort und sie übernehmen hohe gesellschaftliche Verantwortung. 
  • Eine geglückte Nachfolge, das Denken in Ökosystemen, um die Innovationskraft zu stärken, und die digitale Transformation gehören zu den wichtigsten Aufgaben. 
  • Familienunternehmen haben einen großen Vertrauensvorschuss, den immer mehr Unternehmen auch für ihr Marketing einsetzen.

Familienunternehmen sind das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Doch wie gehen sie mit der oft schwierigen Nachfolge um? Wie sichern sie ihre Innovationsstärke? Und wie schaffen sie den Spagat zwischen Tradition und Disruption? Prof. Dr. Reinhard Prügl vom Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen gibt Antwort auf diese Fragen. Und er verrät, warum Familienunternehmen bei den Menschen einen Vertrauensvorschuss haben.

EY: Was macht Familienunternehmen aus Ihrer Sicht so besonders?

Prof. Reinhard Prügl: Das sind ganz verschiedene Dinge. Da sind zunächst ihre Weitsicht und ihre langfristige Orientierung, die ein für mich faszinierendes Gegengewicht zu unserer sonst so kurzlebigen Zeit darstellen. Das drückt sich auch in den gewachsenen Beziehungen zu ihren Mitarbeitern, zu ihren Kunden und auch zu ihrem Standort aus, was ein anderer ganz wesentlicher Punkt ist: Familienunternehmen stehen zu ihrer Lokalität. Wenn die Rahmenbedingungen nicht mehr hundertprozentig stimmen, gehen die Unternehmen nicht einfach weg, sondern ändern diese Rahmenbedingungen und bleiben. Familienunternehmen sind keine Schwalben, was leider für viele andere Unternehmen gilt. Und zu guter Letzt faszinieren mich die Menschen, die diese Unternehmen führen: Es sind Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten, die neben ihrer unternehmerischen Vision immer auch ein sehr großes Stück gesellschaftliche und soziale Verantwortung übernehmen.

  • Prof. Dr. Reinhard Prügl

    Prof. Dr. Reinhard Prügl ist Inhaber des Lehrstuhls für Innovation, Technologie & Entrepreneurship am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen (FIF) der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, wo er sich insbesondere auf die Nachfolge in Familienunternehmen konzentriert. Im berufsbegleitenden „Executive Master for Family Entrepreneurship“ der Zeppelin Universität haben die zukünftigen Unternehmenslenker die Möglichkeit, sich auf ihre spätere Rolle als generalistische Familienunternehmer und unternehmerische Persönlichkeiten vorzubereiten. Darüber hinaus spielen der intensive Austausch und das Netzwerken mit anderen Familienunternehmern eine entscheidende Rolle.

Deutschland ist das Land der Familienunternehmen: 16 Prozent der Top-500-Familienunternehmen sind hier zu Hause. Prägt das unser Land?

Prügl: Auf alle Fälle. Das zeigt sich schon allein an der großen Zahl von Stiftungen, über die Familienunternehmen viele medizinische, kulturelle oder wissenschaftliche Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser, Museen und Hochschulen finanzieren. In Deutschland gibt es daher ein sehr hohes gesellschaftliches Bewusstsein dafür, welch große Bedeutung diese Unternehmen für unser funktionierendes gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben haben. Darüber hinaus wissen die Menschen, dass Familienunternehmen sichere Arbeitgeber sind, die nicht nach der „Hire and Fire“-Mentalität agieren und auch in Krisenzeiten zu ihrer Belegschaft stehen. Das ist umgekehrt aber auch ein Vorteil für die Unternehmen: Wenn die Krise vorbei ist, können sie direkt wieder loslegen, ohne sich mit Neueinstellungen und Anlaufprogrammen zu quälen. Allerdings kann sich diese Treue auch ins Gegenteil wenden: Wenn die Unternehmen zu lange an etwas festhalten, kann dies notwendige Neuorientierungen verhindern. Dann stehen sich die Unternehmen selbst im Weg.

Prof. Dr. Reinhard Prügl, Inhaber des Lehrstuhls für Innovation, Technologie & Entrepreneurship am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen 

Familienunternehmen haben häufig Schwierigkeiten, innerhalb der eigenen Familie Nachfolger zu finden. Woran liegt das? Und wie können die Unternehmen erfolgreich gegensteuern?

Prügl: Ich glaube, dass dies ein Vorurteil ist, das so nicht stimmt. Was stimmt, ist die Tatsache, dass sich in den letzten Jahren die klassische Unternehmensnachfolge geändert hat, die oft so aussah, dass der Vater das Unternehmen geführt und an seinen womöglich noch ältesten Sohn weitergegeben hat. Diese starre Regelung hat sich aufgeweicht. Heute ist es nicht ungewöhnlich, wenn eine Tochter das Unternehmen übernimmt, wenn Geschwister die Führung antreten und dabei von einem externen Dritten unterstützt werden oder wenn es sogar echte Mischkonstruktionen für die Nachfolge gibt, in der Familienangehörige und Externe zusammenarbeiten. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass sich die nachfolgende Generation etwa auf der Vermögensseite engagiert oder ein eigenes Unternehmen gründet. Entscheidend ist, dass die Nachfolge so früh wie möglich thematisiert wird und die „Now Generation“ der „Next Generation“ die Möglichkeit gibt zu wählen, sich vorzubereiten und eigene Ideen umzusetzen.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Eigenschaften, die die „Next Gen“ für die Unternehmensnachfolge mitbringen muss – und was sind die wichtigsten Eigenschaften der „Now Gen“, die die Führung abgibt?

Prügl: Die Next Gen muss aus meiner Sicht vor allem zwei Dinge mitbringen: Können und Wollen. Das Können setzt voraus, dass die Next Gen eine fundierte Ausbildung hat und nicht nur im eigenen, sondern optimal auch in einem anderen, beispielsweise auch branchenfremden Unternehmen Erfahrungen gesammelt hat. Das Wollen beinhaltet, dass die Next Gen nicht nur bereit ist, die Verantwortung für das Unternehmen zu übernehmen, sondern dies auch wirklich will. Das Können und das Wollen hängen eng miteinander zusammen, weshalb wir bei uns an der Uni auch einen berufsbegleitenden Studiengang für die zukünftigen Unternehmenslenker anbieten, in dem sie sich auf die Führungsaufgaben vorbereiten können. Die wichtigste Aufgabe der älteren Generation besteht meiner Ansicht nach darin, dass sie die nachfolgende dazu ermuntert, nach der Führung zu greifen. Sie muss das Können und das Wollen der Next Gen fördern und Freiräume geben. Dann kommt zum Können und Wollen auch das Dürfen dazu.

„Entscheidend ist, dass die Nachfolge so früh wie möglich thematisiert wird und die Now Generation der Next Generation die Möglichkeit gibt zu wählen, sich vorzubereiten und eigene Ideen umzusetzen.“

Gibt es einen besonders schwierigen Knackpunkt beim Generationswechsel? Und wie lässt er sich lösen?

Prügl: Der Generationswechsel ist immer ein schwieriger Balanceakt: Die Now Gen muss loslassen und abgeben können, die Next Gen will übernehmen und eigene Ideen einbringen, die nicht unbedingt auf der Linie der älteren Generation liegen. Hinzu kommt, dass die jüngere Generation ihre Freiräume braucht und selbst steuern will, sich aber gleichzeitig wünscht, dass die ältere Generation ihr Ratgeber ist. Es hat sich hier als hilfreich erwiesen, wenn die jüngere Generation zunächst eigene Bereiche übernimmt, in denen sie sich beispielsweise um die digitale Transformation oder disruptive Geschäftsmodelle kümmert, und diese dann ins Unternehmen einbringt. Darüber hinaus halte ich ein externes Coaching, das den Übergang begleitet, für wichtig und richtig. Das haben auch viele Unternehmerfamilien bereits erkannt. 

Welche Rolle spielt die Family Governance bei der Nachfolgeregelung? 

Prügl: Eine große und wichtige. Wenn die Familie frühzeitig ein festes Regelwerk aufstellt, in dem sie ihre Werte, Ziele und die Rollen der einzelnen Angehörigen klar formuliert, schafft sie einen Rahmen, an dem sich jedes Familienmitglied orientieren kann. Das beugt unnötigen Konflikten vor, weil jeder weiß, „was Sache ist“. Ich empfehle jeder Familie, eine Family Governance aufzustellen. Sie hilft, Entscheidungen auf einer vorab ausgehandelten Basis zu treffen, und erleichtert damit den Generationswechsel. Ich begrüße es, dass es für viele Familien heute eine Selbstverständlichkeit geworden ist, sich beim Aufsetzen ihres Regelwerks externe Hilfe zu holen.

„Der Generationswechsel ist immer ein schwieriger Balanceakt: Die Now Generation muss loslassen und abgeben können, die Next Generation will übernehmen und eigene Ideen einbringen, die nicht unbedingt auf der Linie der älteren Generation liegen.“

Wenn es um die Zukunftsfähigkeit der Familienunternehmen geht, spielt ihre Innovationskraft und -fähigkeit eine entscheidende Rolle. Wie können die Unternehmen ihre Innovationsstärke sichern?

Prügl: Das ist ganz einfach: Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, alles selbst und intern machen zu wollen und zu können. Innovation ist Teamsport. Die Unternehmen müssen sich öffnen und in Wertschöpfungsnetzwerken arbeiten, das heißt mit Startups, mit Hochschulen und Universitäten, mit Think Tanks und auch mit anderen Unternehmen, die vielleicht sogar Mitbewerber sind. Für die Innovationsstärke spielt das Denken in Ökosystemen eine entscheidende Rolle. Dafür muss das Unternehmen allerdings Menschen in den eigenen Reihen haben, die wissen, an welcher Stelle kooperiert werden muss, wo sich das Unternehmen öffnet und wer der richtige Partner für die Zusammenarbeit ist. Das muss genau überlegt sein. Denn wer offen für alles ist, kann auch schnell verlieren. Aber es geht ums gemeinsame Gewinnen!

Welche Rolle spielen die digitale Transformation und disruptive Geschäftsmodelle dabei? Und wie können die Familienunternehmen die damit verbundenen Herausforderungen meistern?

Prügl: Die digitale Transformation und disruptive Geschäftsmodelle sind in der Tat echte Herausforderungen für jedes Familienunternehmen. Ich sehe hier die Next Gen als eine große Chance. Sie kann sich genau um diese Themen kümmern und dabei beispielsweise mit einem Startup zusammenarbeiten oder ein „Beiboot“ gründen, in dem disruptive Innovationen ausprobiert und vorbereitet werden, um sie dann in einem nächsten Schritt ins „Hauptboot“ zu überführen. Diese Ambidextrie ermöglicht es dem Familienunternehmen, auf der einen Seite kontinuierlich weiterzuarbeiten, auf der anderen Seite aber auch notwendige Disruptionen und Transformationen voranzutreiben und diese ab einem bestimmten Zeitpunkt ins Tagesgeschäft zu integrieren.

„Für die Innovationsstärke spielt das Denken in Ökosystemen eine entscheidende Rolle. Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, alles selbst und intern machen zu wollen. Innovation ist Teamsport.“

Die Marke gewinnt für das Image und den Erfolg von Unternehmen immer mehr an Bedeutung. Welche Bedeutung hat die Marke für Familienunternehmen? Und mit welchen Werten können sie punkten?

Prügl: Das ist eine Frage, die uns auch in der Forschung sehr beschäftigt. Dabei haben wir herausgefunden, dass Familienunternehmen einen Vertrauensvorschuss haben. Sie werden von den Kunden als authentisch und individuell wahrgenommen; sie sind nicht anonym, sondern hinter ihnen stehen Menschen, die für ihre Produkte und Leistungen bürgen. Besonders interessant ist, dass die Kunden davon ausgehen, dass die Produkte von Familienunternehmen mit mehr Liebe gemacht sind. Viele Familienunternehmen machen sich das bereits im Marketing zunutze und stellen ihr Alter, ihre Herkunft oder auch ihre Familienangehörigen offensiv vor. Meiner Meinung nach kommt jetzt alles darauf an, dass sie dieses in sie gesetzte Vertrauen erfüllen und gleichzeitig die großen Herausforderungen wie die digitale Transformation, das Denken in Ökosystemen und die Unternehmensnachfolge meistern. Dann bleiben die Familienunternehmen das, was sie sind: das Herzstück der deutschen Wirtschaft, das nicht nur für herausragende Produkte und Leistungen steht, sondern auch für Beschäftigung und Wohlstand.

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Die EY Private Lounge ist eine Plattform zum Erfahrungsaustausch und zur Vernetzung für Vorstände, Inhaber und Geschäftsführer von erfolgreichen mittelständischen und Familienunternehmen. Hier finden Sie Beiträge zu spannenden und aktuellen Themen, die Familienunternehmen heute und in Zukunft bewegen.

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Fazit

Familienunternehmen zeichnen sich durch ihre Kontinuität, Weitsicht und langfristige Orientierung aus, die sich in den Beziehungen zu ihren Mitarbeitern, ihren Kunden und ihrem Standort ausdrücken. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen sie die digitale Transformation, das Denken in Ökosystemen und die Unternehmensnachfolge meistern, wobei hier neue Modelle wie Doppelspitzen oder die Kombination von familiärer und externer Führung an Bedeutung gewinnen. Familienunternehmen besitzen einen hohen Vertrauensvorschuss – was in Deutschland damit zusammenhängen mag, dass sie hier eine große wirtschaftliche Bedeutung haben und von Persönlichkeiten geführt werden, die Verantwortung übernehmen.

Über diesen Artikel

Von Wolfgang Glauner

Leiter Marktaktivitäten Familienunternehmen, EY Corporate Solutions GmbH & Co KG | Deutschland

Wolfgang Glauner weiß, was Familienunternehmen bewegt, welche Herausforderungen sie haben und was ihre Erfolgsfaktoren sind. Er lebt mit seiner Familie in Stuttgart.