Versicherer nehmen eine Vorreiterrolle beim Thema Nachhaltigkeit ein
Der Imperativ nachhaltigeren Handelns und einer dahingehenden Transformation betrifft alle Industriezweige und Branchen: Neben Unternehmen der Lebensmittel-, Mode oder Automobilindustrie, die aufgrund ihrer Geschäftsmodelle unmittelbar betroffen sind, rücken auch für andere Marktteilnehmer wie Versicherungsunternehmen Nachhaltigkeitsziele zunehmend in den Mittelpunkt ihrer strategischen Unternehmenssteuerung. Und auch die Politik sieht die Versicherer in der Verantwortung, eine Vorreiterrolle beim Thema Nachhaltigkeit zu spielen und sich nicht auf dem bereits Erreichten auszuruhen. Denn Versicherungsunternehmen stehen ganz besonders im Nukleus der Nachhaltigkeit, und zwar in dreifacher Hinsicht:
- als große Kapitalanleger,
- als Risikoträger für alle anderen Branchen,
- als Betriebsstätten mit eigenem Fußabdruck.
Neben einem äußeren Druck zu Veränderungen, der unter anderem durch regulatorische Vorgaben entsteht, sind Versicherer auch mit den Auswirkungen der Klimakrise konfrontiert. Die Folgen der globalen Erderwärmung wie zum Beispiel Temperaturschwankungen, Dürren oder Starkregenereignisse halten der (Versicherungs-)Wirtschaft und der Gesellschaft die Bedeutung nachhaltigen Handelns immer wieder auf dramatische Weise vor Augen. Doch nicht nur aufgrund externer Faktoren, sondern auch aus eigenem Antrieb heraus möchte die Versicherungsbranche die nachhaltige Transformation hin zu einer „grünen“ Versicherungswirtschaft vorantreiben. Bis Ende 2020 haben weltweit bereits 23 der 30 größten Versicherungsunternehmen ihre Geschäfte mit der Kohleindustrie eingeschränkt oder sogar beendet.
Durch die Wahl der entsprechenden Anlageoptionen haben die Versicherer die Möglichkeit, die ökologische und soziale Entwicklung aktiv zugunsten nachfolgender Generationen zu beeinflussen.
Die regulatorischen Anforderungen betreffen die Versicherungswirtschaft insbesondere aufgrund ihrer Funktion als Kapitalsammelstelle. Die Branche muss nicht nur die ESG-Faktoren in den strategischen Investitionsentscheidungen berücksichtigen, um das eigene Anlageportfolio und somit das Unternehmen nachhaltig aufzustellen, sondern sie hat darüber hinaus aufgrund eines Kapitalanlagevolumens von rund 1.762 Milliarden Euro eine gesamtwirtschaftliche Lenkungsfunktion.
Durch die Wahl der entsprechenden Anlageoptionen haben die Versicherer die Möglichkeit, die ökologische und soziale Entwicklung aktiv zugunsten nachfolgender Generationen zu beeinflussen: sowohl durch die proaktive Lenkung der Kapitalströme hin zu nachhaltigen Investments als auch durch den Abzug der Gelder aus nicht nachhaltigen Branchen.
Zudem können die Versicherer ihren Einfluss nutzen und auf die Investitionsunternehmen einwirken, ihr Geschäft nachhaltig auszurichten (Engagement). Einen ähnlichen Einfluss können Versicherer auch durch ihre Rolle als Risikoträger anderer Branchen geltend machen, beispielsweise durch die bewusste Risikozeichnung zur Bestandsförderung nachhaltig agierender Unternehmen beziehungsweise durch das bewusste Ablehnen umwelt- und sozialunverträglicher Risiken wie im Fall des Kohlegeschäfts.
Wie nachhaltig ist die Versicherungswirtschaft?
Die in der Studie Befragten zeigen sich im Hinblick auf den bisherigen Fortschritt der Nachhaltigkeitsaktivitäten der Branche und der einzelnen Unternehmen zurückhaltend. Während sich das Thema in der Vergangenheit weniger dynamisch entwickelte, sind viele Versicherer heute deutlich aktiver und unternehmen viel, um die nachhaltige Transformation in ihrem Geschäftsfeld voranzutreiben. So wurden in vielen Häusern bereits Nachhaltigkeitsstrategien verabschiedet oder aber sie sind in der Ausarbeitung oder zumindest in konkreter Planung.
Mit einer großen Mehrheit stimmen die Befragten der These zu, dass das Thema Nachhaltigkeit nicht nur eine rein regulatorische Übung oder gar ein Hype ist. Vielmehr haben die Versicherungsunternehmen erkannt, dass es jetzt Zeit ist zu handeln, um die Nachhaltigkeitstransformation anzugehen und die Weichenstellungen für die Zukunftsfähigkeit ihres Geschäftsbetriebs zu legen.
Nachhaltigkeitsstrategie
87 %der Versicherer haben bereits eine Nachhaltigkeitsstrategie definiert oder sind dabei, diese zu erstellen.
Das zeigt sich beispielsweise am Thema Nachhaltigkeitsstrategie: Über 87 Prozent der Versicherer haben bereits eine Nachhaltigkeitsstrategie definiert oder sind dabei, diese zu erstellen. Im Fokus stehen insbesondere eine verantwortungsvolle Unternehmensführung, der Schutz der Umwelt und das Ziel der Klimaneutralität, Produkte und Leistungen, Personal und Soziales sowie nachhaltige Kapitalanlagen.
Deutlich wird auch, dass bei den meisten Befragten bereits ein Umdenken und eine Neuausrichtung der Nachhaltigkeitsfunktionen und -verantwortlichkeiten erfolgt sind. Dennoch gaben nur 40 Prozent der Unternehmen an, dass sie verbindliche Ziele für mehr Nachhaltigkeit in ihrem Haus aufgestellt haben.
Zwar besteht mit einer Vielzahl von Ansatzpunkten und Lösungen eine gute Ausgangsbasis, es zeigt sich jedoch, dass häufig noch eine verbindliche Strategie oder Zielsetzung fehlt. Daher besteht hier deutlicher Handlungsbedarf, um die Verbindlichkeit zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie zu erhöhen und eine stärkere Entschlossenheit bei der Verfolgung der Nachhaltigkeitsziele zu zeigen.
Regulatorik und Kapitalanlage sind Hebel für mehr Nachhaltigkeit
„Luft nach oben“ gibt es noch bei den Kernkompetenzen der Branche. Bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette zeigt sich, dass Nachhaltigkeit im Rahmen aller Wertschöpfungsaktivitäten derzeit noch geringer berücksichtigt wird, als es die allgemeine Bedeutung des Themas vermuten ließe.
Die Befragten gehen jedoch davon aus, dass die Bedeutung zukünftig steigen wird. In den Bereichen Kapitalanlage, Unternehmensinfrastruktur, Unternehmenskommunikation, Human Resources/ Leadership und Risikomanagement findet das Thema Nachhaltigkeit bereits heute in den Unternehmen die meiste Berücksichtigung, wenngleich in abweichender Reihenfolge.
Für die befragten (Rück-)Versicherer ist mit Blick auf die Wertschöpfungskette insbesondere die Kapitalanlage der wesentliche Hebel für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen.
Denn die Studie zeigt, dass sich die Versicherungsunternehmen auf dem Weg vom schrittweisen Umbau des eigenen Hauses hin zu einem nachhaltig agierenden Unternehmen nach heutigem Stand vorrangig an den Vorgaben der Regulatorik orientieren. Mit Blick auf die Wertschöpfungskette ist für die befragten (Rück-)Versicherer – neben den schon fortgeschrittenen Nachhaltigkeitsaktivitäten in der Unternehmensinfrastruktur – insbesondere die Kapitalanlage der wesentliche Hebel für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen.
Den Bestimmungen der Taxonomie-Verordnung Rechnung tragend, werden schon heute ESG-Prinzipien im Kapitalanlagebereich berücksichtigt, indem Neuinvestitionen und Kapitalanlagebestand ein Screening hinsichtlich der Einhaltung eigens auferlegter ESG-Kriterien durchlaufen. Zukünftig soll zudem der Anteil der Kapitalanlagen erhöht werden, die nicht nur „nicht schädlich“ sind, sondern Nachhaltigkeit auch faktisch fördern. Das erfordere schon allein der Beitritt zur „Net Zero Asset Owner Alliance“, so einige der Befragten.
Zum Ausbau „echt“ nachhaltiger Kapitalanlagen gilt es jedoch, bisher noch vernachlässigten nachhaltigkeitsorientierten Strategien, wie etwa dem Impact Investing, in der Kapitalanlage mehr Raum zu geben. Das Gleiche gilt für entsprechende Strategien im Underwriting von Versicherungsunternehmen, die in den befragten Häusern – mit Ausnahme von Positivlisten und Ausschlüssen sowie der Einhaltung der Principles for Sustainable Insurance (PSI) – bisher in nur geringem Umfang zum Einsatz kommen. Hier fehle es an klaren Vorgaben bzw. Richtlinien seitens der Regulatorik beziehungsweise von Verbänden, um – unabhängig von eindeutigen Handlungserfordernissen wie dem Beenden der Versicherung von Kohlekraftwerken – einen konkreten Aktionsrahmen festzustecken.
Fazit
Unternehmen haben ihre Rolle verstanden und sind sich der Verantwortung bewusst, ihre Nachhaltigkeitstransformation anzugehen – das zeigt eine aktuelle Studie von V.E.R.S. Leipzig und EY. Die Ergebnisse deuten jedoch auch auf bestehende Diskrepanzen zwischen der Bedeutung von Nachhaltigkeit und den tatsächlichen Nachhaltigkeitsaktivitäten der Versicherungsunternehmen hin. Die bisherigen Bemühungen sind erst der Anfang. Versicherungsunternehmen sollten ihre Transformation jetzt und umfassend angehen.