6 Minuten Lesezeit 24 Mai 2019
Fahrendes Auto Mobilität der Zukunft

Kann man Risiken ausbremsen, ohne sie zu sehen?

Von Tobias Schumacher

EY Deutschland Forensic & Integrity Services Leader; EY Global Forensics Sector Leader Advanced Manufacturing & Mobility; Partner, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Passionierter forensischer Ermittler. Compliance-Berater seit über 20 Jahren. Setzt sich mit seinem Team für Integrität im Geschäftsleben ein. Lebt mit seiner Familie in Heidelberg.

6 Minuten Lesezeit 24 Mai 2019

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  • Kann man Risiken ausbremsen, ohne sie zu sehen?

Autonomes, vernetztes und emissionsfreies Fahren stellt die Automobilbranche vor neue Risiken – vom Datenverlust bis zu Hackerangriffen. 

Auf dem Weg in die Zukunft der Mobilität mit selbstfahrenden und vernetzten Autos dreht sich viel um Technologie und Digitalisierung. Bei aller Euphorie über die technischen Möglichkeiten: Fährt der Roboter, bringt das ganz neue Risiken mit sich. Ein Überblick über die acht kritischsten und wie sie sich ausbremsen lassen.

Automobilbranche unter Druck

Obgleich die Automobilindustrie noch immer Rekordzahlen mit dem Verkauf konventioneller Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselantrieb einfährt: Kein­e Branche ist derzeit von so vielen verschiedenen Seiten unter Druck wie die Autohersteller und ihre Zulieferer. Die Skandale um Abgasmanipulationen und Kartellabsprachen haben viel Vertrauen zerstört. Gesetzgeber und Behörden sowie Verbraucher und Verbände haben inzwischen ein wachsames Auge auf die Industrie. Gleichzeitig drängen Technologieunternehmen in die Domäne der etablierten Hersteller.

In der neuen Mobilitätswelt wird das klassische Geschäft der Hersteller mit dem Verkauf von Autos an Endkunden nicht annähernd mehr dieselbe Rolle spielen. Hersteller und Zulieferer werden sich zu Mobilitätsdienstleistern wandeln. Erste Ansätze sind bereits sichtbar: Car sharing gehört in vielen Städten und Ballungszentren bereits zum Alltag, im Lkw-Verkehr wird mit dem Platooning teilautonomes Fahren auf der Autobahn getestet, Kooperationen für die Batterie- und Brennstoffzellen-Fertigung entstehen.

Acht Risiken der Automobilindustrie

Doch durch den Schleier der Euphorie geraten die Risiken leicht aus dem Blickfeld.

1. Andere Länder, andere Gesetze: Fahrzeug- und Produkt-Compliance

Eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Produkten und Services für die Mobilität von morgen sind die unterschiedlichen Gesetze. Sei es bei den Produkten, Dienstleistungen oder der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern: Länder in Asien etwa legen Wert auf völlig andere Aspekte wie jene in Europa, wiederum andere Prioritäten werden in den USA gesetzt. Teilweise ist in einem Land üblich, was anderswo strafbar ist. Bei der Entwicklung der Produkte und in der Produktion muss sichergestellt werden, dass die genutzte Hard- und Software den jeweiligen Regeln und Standards zu Technik, Sicherheit, Fehleranfälligkeit, Schutz vor Betrug oder Umweltschutz entsprechen. Das reicht von Fehlfunktionen oder der Falschdarstellung von Emissionswerten über Weichmacher in der Innenausstattung und umweltschädliche Stoffe in Klimaanlagen bis zur Geräuschemission.

2. Riesige Datenmengen und Hackerangriffe stellen den Datenschutz vor neue Herausforderungen

Autos sind längst rollende Computer mit komplexen digitalen Schnittstellen. Je nach Modell werden 100 Steuergeräte und mehr verbaut, die unzählige Daten generieren und auswerten. Hinzu kommen online abrufbare Informationen zur Position und zum Fahrverhalten. Mit Blick auf den Datenschutz müssen sich Hersteller damit auseinandersetzen, welche Daten in welchem Umfang, wie und zu welchem Zweck gesammelt, ausgewertet und sicher aufbewahrt bzw. gelöscht werden.

Hackerangriffe auf autonome Fahrzeuge sind hochriskant. Hier geht es um Menschenleben.

3. Cyber Security: Eingriffe in autonomes Fahren bedrohen Menschenleben

Hersteller und Zulieferer berichten zunehmend über Angriffe auf IT-Systeme und Fahrzeugsteuerungen. Das ist nicht trivial: Im Vergleich zum Verlust von Datensätzen geht es beim Eingriff in das autonome Fahren um Menschenleben. Die Nutzer müssen darauf vertrauen können, dass ihre rollenden Roboter vor Hackerangriffen geschützt sind. Ohne dieses Vertrauen werden Menschen die Kontrolle über ihre Fahrzeuge nicht an Roboter übergeben.

4. Forensische Auswertung der Fahrzeugdaten

Künftig wird die Auswertung der vielen in Fahrzeugen gesammelten Daten eine zentrale Rolle spielen. Ob bei der Echtzeitüberwachung des Verkehrsflusses, einem Unfall, Hackerangriff oder Datenmanipulation: Die Fragen, aus welchen Quellen die Informationen stammen oder wer darauf Zugriff hat, müssen schon heute beantwortet werden. Nur so werden in Zukunft kriminaltechnische und gerichtsverwertbare Auswertungen überhaupt möglich, die zugleich dem Datenschutz Rechnung tragen.

5. Ökologie gewinnt an Bedeutung

Nicht zuletzt „Dieselgate“ hat die Debatte um Fahrzeugabgase und deren Folgen für die Gesundheit und das Klima angeheizt. Die Politik und die Bürger haben hohe Ansprüche an die nachhaltige Umweltverträglichkeit der gesamten Mobilitätskette: Angefangen von der Beschaffung der Rohstoffe über die Produktionsprozesse, die Emissionen der Fahrzeuge bis zum Recycling.

6. Gesetzestreue Geschäftspartner

Die Haftung der Unternehmen hört nicht an ihrem Werkstor auf. Internationale Gesetze wie der UK Bribery Act oder der US-amerikanische Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) nehmen Unternehmen und ihre Führungskräfte auch für die Integrität ihrer Geschäftspartner in Haftung. Auch quasi-gesetzliche Standards der Vereinten Nationen (UN) oder der Weltbank formulieren einen klaren Anspruch an Unternehmen, jedes Glied ihrer mittlerweile digitalen Einkaufs- und Produktionskette frei von Korruption, Betrug und anderen Delikten zu halten. Bei der Zusammenarbeit mit Zulieferern und Dienstleistern in Schwellenländern, die mitunter wiederum Sub-Unternehmen beauftragen, kann die Lage schnell intransparent und heikel werden.

7. Absprachen gefährden den fairen Wettbewerb

Die enge Zusammenarbeit von Herstellern und Zulieferern ist einerseits notwendig, um neue und innovative Produkte auf den Markt bringen zu können. Sie kann aber zum Risiko für die Unternehmen werden – zum Beispiel durch Preis- oder Marktabsprachen, Rabattstrukturen im Vertrieb oder Entwicklungskooperationen. Ermittlungen und Enthüllungen zu Kartellen zeigen die enorme Sprengkraft, die diese Eingriffe in den fairen Wettbewerb entfalten. Neben empfindlichen Bußgeldern für die Unternehmen selbst, Schadenersatzklagen oder dem Ausschluss aus Bieterverfahren ist dies vor allem der massive Image- und Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit, bei Aktionären, Kunden oder der Politik.

Der Kampf gegen Produktpiraterie wird für die Branche zum Kampf für die eigenen Qualitätsstandards.

8. Produkt- und Markenpiraterie

Ein weiteres Problem mit globalen Auswirkungen sind Plagiate, besonders im Markt für Ersatzteile. Nach wie vor gibt es nur bei der Erstausrüstung neuer Fahrzeuge klare Vorschriften, welche Teile verbaut werden dürfen. Jedes einzelne muss offiziell registriert sein. Bei der Reparatur hingegen dürfen auch an sicherheitsrelevanten Stellen beliebige Teile eingebaut werden, die nur selten auf Echtheit und Qualitätsstandards überprüft werden. Das wirkt sich unmittelbar auf die Sicherheit des Fahrzeugs aus – ganz zu schweigen von einer möglichen Gefahr für den Fahrer selbst und andere Verkehrsteilnehmer. Der Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie wird für die Branche zum Kampf gegen billige Plagiate und für die eigenen Qualitätsstandards.

Wie lassen sich die neuen Risiken der Automobilindustrie ausbremsen?

Um die verschiedenen Risiken des autonomen, vernetzten und emissionsfreien Fahrens auszubremsen, braucht es Erfahrung und technisches Know-how. EY hat dazu ein eigenes Car Forensics-Team gebildet und arbeitet eng mit der Technischen Hochschule Karlsruhe zusammen.

Der Schutz der technischen Infrastruktur vor Angriffen aus dem Netz erfordert darüber hinaus Insiderwissen über Angreifer, ihre Methoden und Motive. Angriffe müssen nicht nur erkannt, zurückverfolgt und drohende Gefahren beseitigt werden. Angesichts des rasanten technischen Fortschritts müssen auch bestehende Prozesse und IT-Systeme regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht werden.

Automobilhersteller pflegen meist ein weit gespanntes Netz an Geschäftspartnern, Zulieferern, Dienstleistern und Vertriebseinheiten. Selten halten die dahinterliegenden IT-Systeme mit der Schnelllebigkeit der Branche Schritt. Die Systeme regelmäßig auf Gefahren oder ungewöhnliche Entwicklungen und Vorgänge zu untersuchen, minimiert die Risiken rund um Manipulation, Betrug und Unterschlagung. EY setzt hierfür neueste Technologien ein, zum Beispiel Data Mining und Predictive and Artificial Intelligence ein.

Nur mit einer Vielzahl koordinierter Maßnahmen lässt sich das Versprechen der Branche nach einer emissionsfreien, autonomen, vernetzten und ethisch korrekten Mobilität von morgen einhalten und das Vertrauen der Kunden (zurück-)gewinnen.

Fazit

Die Welt der Automobilindustrie war selten stärker in Bewegung als heute. Autonomes, vernetztes und emissionsfreies Fahren birgt neben Chancen auch neue Risiken für die Branche – von Hackerangriffen über gefälschte Ersatzteile bis zum Schutz der gesammelten Daten.

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Von Tobias Schumacher

EY Deutschland Forensic & Integrity Services Leader; EY Global Forensics Sector Leader Advanced Manufacturing & Mobility; Partner, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Passionierter forensischer Ermittler. Compliance-Berater seit über 20 Jahren. Setzt sich mit seinem Team für Integrität im Geschäftsleben ein. Lebt mit seiner Familie in Heidelberg.