10 Minuten Lesezeit 6 August 2020
Das Photo des Chamäleon

Fünf Verbrauchertypen, auf die sich der Handel jetzt einstellen sollte

Von Ev Bangemann

Managing Partner Markets & CCaSS Leader EY Germany | DE&I Sponsor EY Europe West, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

10 Minuten Lesezeit 6 August 2020

COVID-19 hat das Konsumverhalten weltweit stark beeinflusst. Das hat nachhaltige Auswirkungen, wie der EY Future Consumer Index zeigt.

Überblick
  • Von „Health first“ bis „Experience first“: In der Corona-Krise sind neue Gruppen von Konsumenten entstanden.
  • Unternehmen sollten frühzeitig reagieren und die verschiedenen Kundentypen gezielt ansprechen.

Insgesamt 62 Prozent der Verbraucher weltweit sagen, dass sich ihre Lebensweise in den vergangenen Monaten infolge der COVID-19-Pandemie deutlich verändert hat. Zwar sind 60 Prozent der Meinung, dass sie mit den Auswirkungen der Corona-Krise gut zurechtkommen – dennoch erwartet die Hälfte der Konsumenten, dass sich ihr Leben und ihre Werte langfristig deutlich verändern werden.

Das sind zentrale Ergebnisse des EY Future Consumer Index. Die Studie zeigt, wie sich das Konsumverhalten und die Verbraucherstimmungen weltweit entwickeln. Außerdem gibt sie Handlungsempfehlungen für Unternehmen ab.

  • Future Consumer Index

    Der Future Consumer Index bildet in einem regelmäßigen Turnus das Konsumentenverhalten von mehr als 12.000 befragten Personen in 13 Ländern über den Globus verteilt ab: ganz akut, auf kurze und auch auf die lange Sicht. So lässt sich einordnen, welche Verhaltensweisen als vorübergehende Reaktion auf veränderte Umstände betrachtet werden und welche auf grundlegendere Veränderungen hindeuten. Die erste Befragung fand zu Beginn des Shutdowns Anfang April statt; die zweite Befragung Anfang Mai. Die Ergebnisse stellen sowohl das aktuelle Konsumentenverhalten als auch die mittel- bis langfristige Einschätzung nach der Corona-Krise dar.

Wir teilen die Fragen und Antworten des Future Consumer Index in drei Zeithorizonte ein: Now, Next und Beyond. Für jeden dieser Zeithorizonte haben wir eine Kundensegmentierung in mehrere Gruppen durchgeführt.

Die Zeithorizonte des Future Consumer Index im Überblick

  • Zeithorizont „Now”

    Der Zeithorizont Now blickt auf die aktuelle Situation und Gefühlswelt der befragten Konsumenten: Wie meistern sie ihren Alltag und die Herausforderungen der Corona-Krise? Welche Maßnahmen ergreifen sie? Welche direkte Veränderung spüren sie? Die Segmente des Now-Horizonts wurden im Artikel „Wie COVID-19 das Konsumentenverhalten in Deutschland verändert“ bereits genauer betrachtet.

  • Zeithorizont „Next”

    Dieser Zeithorizont betrachtet die nahe Zukunft und beleuchtet, wie die Verbraucher ihr Konsumverhalten in den nächsten Monaten sehen. Wie viel Geld wollen sie für welche Konsumgüter ausgeben? Welche Faktoren werden ihr Konsumverhalten beeinflussen?

  • Zeithorizont „Beyond”

    Der letzte Zeithorizont beschäftigt sich mit der ferneren Zukunft und untersucht die langfristigen Veränderungen im Konsumverhalten. Wie planen die Verbraucher in ein bis zwei Jahren und darüber hinaus einzukaufen, zu essen oder zu reisen? Welche langfristigen Auswirkungen hat COVID-19 auf die Konsumenten? Wofür sind sie bereit in Zukunft Premiumpreise zu bezahlen?

Konsum weltweit: Zurück zur Normalität – aber wie?

In der ersten Datenerhebung zu Beginn des Shutdowns im April wurden die Verbraucher nach ihrem aktuellen Konsumverhalten und ihren mittel- bis langfristigen Zukunftsprognosen befragt. Zu diesem Zeitpunkt prägten die Konsumentensegmente „Hibernate and spend“, „Stay calm, carry on“, „Save and stockpile“ sowie „Cut deep“ die Stimmungslandschaft, die wir als Now-Segmente bezeichnen.

Nach einer Übergangsphase, in der sich weitere Segmente bilden, zeigen die jüngsten Ergebnisse des Future Consumer Index, dass sich fünf stabile Segmente herausbilden, die unterschiedliche Bedürfnisse in den Vordergrund stellen:

Beyond-Segmente in Deutschland: Fünf neue Verbrauchertypen

Diagramm zeigt Aufteilung der Konsumentensegmente in der Beyond-Phase
  1. Affordability first: Brauche ich das Produkt wirklich?

    Für 32 Prozent der Konsumenten in Deutschland kommt es bei einer Kaufentscheidung vor allem darauf an, ob ein Produkt erschwinglich ist und ob es seinen Nutzen erfüllt. Dieses Segment bildet in der Beyond-Phase den größten Anteil (32 Prozent).

  2. Health first: Gesundheit ist das A und O

    Gesundheit steht für 23 Prozent der deutschen Verbraucher an erster Stelle bei ihren Kaufentscheidungen. Diese Verbraucher betonen, dass die Pandemie ihre Lebenseinstellung geändert hat und dass Gesundheit als Kaufkriterium an Bedeutung zugenommen hat.

  3. Planet first: Nachhaltigkeit im Fokus

    Für 22 Prozent der Konsumenten in Deutschland steht die Erde an erster Stelle bei ihren Kaufentscheidungen. Neben der Bewältigung der Corona-Krise ist es ihnen besonders wichtig, Abfall zu reduzieren und ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Deshalb kaufen sie unter anderem regionale Produkte in lokalen Geschäften. Im globalen Vergleich ist dieses Segment in Deutschland sogar noch stärker ausgeprägt (17 % weltweit vs. 22 % in Deutschland).

  4. Society first: Gesellschaftliche Faktoren von Bedeutung

    Zwölf Prozent der Verbraucher in Deutschland beziehen vor allem gesellschaftliche und soziale Einflüsse in ihre Kaufentscheidung mit ein. Sie können am besten mit Claims erreicht werden, die das Lokale, die Gesellschaft und Purpose adressieren.

  5. Experience first: Shopping soll ein Erlebnis sein

    Dem fünften Segment ist das Einkaufserlebnis besonders wichtig (elf Prozent). Sie machen sich deutlich weniger Sorgen als die anderen Gruppen und würden zum Beispiel nach wie vor Einkaufszentren besuchen.

Corona-Krise: Wie die Deutschen zurzeit konsumieren

Die COVID-19-Pandemie verändert das Konsum- und Einkaufsverhalten in Deutschland erheblich und vor allem kontinuierlich. Der Shutdown der Wirtschaft, bei dem nur Geschäfte des täglichen Bedarfs öffnen durften, hat die Sichtweise der Konsumenten auf den stationären Handel und insbesondere den Onlinehandel stark verändert. 50 Prozent der Befragten kaufen seltener vor Ort ein; tun sie es doch, achten sie deutlich mehr als früher auf Hygiene (48 Prozent). Onlineshopping erlebt hingegen einen deutlichen Aufschwung: Nicht nur Kleidung wird im Internet bestellt, auch Lebensmittel lassen sich die Befragten zunehmend liefern.

Diagramm zeigt aktuelle Veränderungen im Konsumentenverhalten

Finanzielle Auswirkungen von COVID-19 auf das eigene Leben

Der Future Consumer Index zeigt aber auch: Die Menschen in Deutschland werden infolge der Corona-Krise sparsamer. 45 Prozent der Befragten geben an, momentan weniger Geld auszugeben und mehr sparen zu wollen. Darin spiegeln sich auch die wirtschaftliche Unsicherheit im Land sowie die schwindende Kaufkraft wider – 43 Prozent der Konsumenten haben finanzielle Verluste erlitten, 20 Prozent hatten weniger Einkommen.

Diagramm zeigt finanzielle Auswirkungen von COVID-19 auf die eigene Person

Wie die Deutschen in naher Zukunft konsumieren werden

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass sich am Konsum der Deutschen auch in naher Zukunft nicht viel ändern wird. Die meisten Befragten wollen vor allem bei frischen Lebensmitteln (70 Prozent), Haushaltsprodukten (79 Prozent) und Körperpflegeprodukten im Juli genau so viel ausgeben wie im Juni.

Diagramm zeigt erwartende Veränderungen der Haushaltsausgaben nach Kategorien im nächsten Monat

Eine Sache ändert sich dann aber doch: Produkteigenschaften wie „gesund“ (41 Prozent), „Preis“ (38 Prozent), aber auch „lokal produziert“ (38 Prozent) gewinnen bei den Verbrauchern hierzulande weiter an Bedeutung.

Diagramm zeigt Prioritätenänderungen beim Einkaufen im Vergleich zum Vormonat

Wie die Deutschen langfristig konsumieren möchten

Die Corona-Pandemie verändert das Konsumverhalten der Deutschen langfristig und nachhaltig. So werden Qualität (54 Prozent), Erschwinglichkeit (40 Prozent), Gesundheit (36 Prozent) und Nachhaltigkeit (36 Prozent) in fünf Jahren eine stärkere Rolle bei der Kaufentscheidung der Konsumenten spielen als heute. 

Diagramm zeigt, was Verbraucher in fünf Jahren wert schätzen werden

Future Consumer Index: Vier Punkte, die Unternehmen langfristig beachten sollten

Die Befragung liefert auch zentrale Erkenntnisse für Unternehmen. Eines ist sicher: Ein „Weiter so“ kann es nicht mehr geben. Unternehmen müssen sich künftig noch stärker als bisher auf ihre Kunden einstellen, ihren Wünschen nachkommen und sie aktiv miteinbeziehen. Die Unterschiede im Kaufverhalten und bei den Bedürfnissen der Now-, Next- und Beyond-Segmente zeigen klar, dass die Verbraucher unterschiedlich angesprochen werden wollen. Unternehmen sollten daher auch überprüfen, ob die eigene Kundensegmentierung erneuert werden sollte.

1. Portfolio so umgestalten, dass es für Konsumenten relevant bleibt. 

Unternehmen sollten ihr Produktportfolio auf lange Sicht so anpassen, dass es für die Verbraucher attraktiv bleibt. Neben den gesteigerten sozialen Bedürfnissen, die zum Beispiel im Segment „Society First“ zum Ausdruck kommen, bleiben Aspekte wie Qualität und Erschwinglichkeit weiterhin relevant.

Konkret geht es auch darum, Mikrotrends, die die Corona-Krise verstärkt hat, für eine zielgerichtete Produktentwicklung zu nutzen. Ein Beispiel dafür ist der Do-it-yourself-Trend: Während des Shutdowns beschäftigten sich viele Menschen mit Heimwerken, aufwendigem Kochen oder der Herstellung von Haushaltsmitteln wie selbstgemachter Seife. Erste Geschäftsmodelle passen sich bereits an und liefern Kunden Materialien und Hilfsmittel mitsamt einer DIY-Anleitung nach Hause. 

2. Digital Customer Journeys anbieten, die das Konsumentenverhalten widerspiegeln

Verbraucher erwarten auch in Zukunft, dass Marken ihnen eine nahtlose Customer Journey bieten. Die bereits begonnene Digitalisierung physischer Touchpoints wird schon aus Hygienegründen immer wichtiger. Die sogenannte „Low Touch Economy“ wird künftig ein Differenzierungsfaktor: 42 Prozent der Konsumenten in Deutschland achten darauf, möglichst wenig anzufassen, wenn sie außer Haus sind oder einkaufen. Im gesundheitsbewussten „Health First“-Segment liegt diese Zahl mit 54 Prozent sogar noch höher.

Diagramm zeigt 42 % der Konsumenten vermeiden es, Gegenstände außerhalb der eigenen Wohnung zu berühren

Allgemein sind alle Industrien nun gefordert, mithilfe von Analysen der Customer Journey Schmerzpunkte zu identifizieren, die aus den neuen Verhaltensweisen, Hygieneregeln oder veränderten Werten resultieren – und darauf zügig (digitale) Antworten zu finden, bevor die Kunden zum Wettbewerber wechseln.

Händler reagieren und bieten zum Beispiel neben einem Lieferservice auch zunehmend Pick- & Collect-Dienste an: Die Kunden stellen sich online ihren Einkaufskorb zusammen und können die Bestellung dann bequem im Laden oder an einer Abholstation einsammeln. Dabei vermeiden sie den Gang durch Geschäfte und das Tragen einer unbequemen Maske.

Eine große Rolle für kleine Läden spielt die Begrenzung der Kundenanzahl im Laden: Während beratungsintensive Kunden wertvolle „Slots“ belegen, müssen Kunden, die eigentlich nur kurz etwas bezahlen wollen, lange vor der Tür warten. Geschäfte, die keinen digitalen Kanal oder zumindest einen Reservierungsservice haben, verlieren so wichtige Kunden.

3. Transparenz schaffen, um das Vertrauen der Konsumenten zu sichern

Die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie haben die Konsumenten aufmerksamer gemacht: Sie achten deutlich mehr darauf, was und wie sie kaufen und woher das Produkt kommt. Außerdem denken sie vermehrt über die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Kaufentscheidungen nach und wollen wissen, wo und wie Produkte hergestellt werden. Andere schätzen die Gesundheit mehr denn je oder konzentrieren ihre Kaufentscheidungen noch stärker auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.  

Die Handelstypen helfen Unternehmen dabei, die verschiedenen Kundengruppen gezielter anzusprechen. Kunden aus dem „Health First“-, „Society First“- und „Planet First“-Segment können sie zum Beispiel überzeugen, in dem sie Lieferbedingungen, Produktherkunft oder die Preisgestaltung transparent gestalten. Technologien wie Blockchain und Plattformen mit CO2-Rechnern, um den ökologischen Fußabdruck zu ermitteln, sind nur zwei Werkzeuge, die Unternehmen dabei helfen, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu adressieren und die Markenattraktivität zu steigern. Darüber hinaus sollten Unternehmen in nachhaltige und sozial verträgliche Lieferketten investieren und Transparenz schaffen, sodass die Menschen auf sie vertrauen können.

4. Organisatorische Transformation

Die Corona-Krise zeigt auch, wie wichtig die Transformation der Organisation ist. Unternehmen, die sich schnell auf die veränderten Kundenbedürfnisse einstellen und neben dem Erhalt des Kerngeschäfts auch Experimente für Neues zulassen, werden die Krise erfolgreich meistern. Innovation ist kein Luxusthema, das COVID-19 zum Opfer fallen sollte – ganz im Gegenteil: Innovation wird ein wesentlicher Wachstumstreiber in den Phasen Now, Next und Beyond.

In der akuten Corona-Krise reagierten verschiedene Branchen clever und stellten ihre Produktion auf Masken, Beatmungssysteme oder Desinfektionsmittel um. Mittelfristig wurden neue Geschäftsmodelle oder Lösungen als „Workaround“ etabliert. Künftig wird es darum gehen, durch organisatorische Maßnahmen diesen Innovations-Spirit beizubehalten oder – noch besser – zu verstärken. Hier sind Maßnahmen wie die Einführung von Design Thinking, Lean Start-up, Rapid Prototyping und agiler Entwicklung ebenso wichtig wie ein kultureller Wandel und der Aufbau einer digitalen Führungskultur. Das Zielbild könnte ein echter End-to-End-Innovationsprozess sein, der sowohl langfristige Trends durch Monitoring im Blick behält, als auch kurzfristige „Schocks“ aufnimmt und aus beiden gleichermaßen Produktideen generiert.

  • Methodik

    In der Woche vom 8. Juni 2020 haben wir insgesamt 14.074 Konsumenten – davon 1.006 in Deutschland – in den USA, Kanada, Brasilien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Indien, Indonesien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, China, Japan, Australien und Neuseeland befragt. Der Fragebogen der Umfrage deckte das aktuelle Verhalten in der Krise, die Stimmung und die Absichten nach der Krise ab.

Fazit

Die aktuellen Ergebnisse des Future Consumer Index zeigen: Die Corona-Pandemie beeinflusst das Kaufverhalten der Menschen weltweit nachhaltig. Wenn Unternehmen frühzeitig auf die Veränderungen reagieren und die verschiedenen Kundentypen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen konsequent in den Mittelpunkt stellen, haben sie die Chance, auch in Zukunft eine wichtige Rolle auf dem Markt zu spielen. 

Über diesen Artikel

Von Ev Bangemann

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