In unserer Befragung blicken 100 Stadtwerke wirtschaftlich skeptisch auf die nächsten Monate. Wie schätzen Sie die Situation für die Stadtwerke Bamberg ein?
Ich sehe in der Finanzierbarkeit unseres Geschäftsmodells die größte Herausforderung der Zukunft für Stadtwerke allgemein – und natürlich auch für unser Unternehmen. Die profitablen Sparten werden nicht mehr dauerhaft die Defizite aus der kommunalen Daseinsvorsorge tragen können, weil uns hier die Kosten davonlaufen. Hier in Bamberg erwarten wir allein bei der Betankung unserer Busse Mehrkosten von 1 Millionen Euro im Jahr 2023. Auch bei den Bädern stehen wir vor enormen Kostensteigerungen. Ich fürchte, dass die Finanzierung dieses Querverbunds langfristig auf weiter Flur nicht mehr funktionieren wird – manche Kolleginnen und Kollegen sind schon heute nicht mehr in der Lage dazu.
Mit dieser Herausforderung ist eine grundsätzliche Diskussion in diesem Land verbunden, auch in der aktuellen politischen Debatte fehlt mir die Klarheit. Meine Meinung: Wir können nicht die Mobilitätswende ausrufen, dann aber die Unternehmen der Daseinsvorsorge ausbluten lassen. Es wird darum gehen müssen, von lieb gewonnenen Gewohnheiten und Bequemlichkeiten Abstand zu nehmen, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, sich aus der Krise heraus zu investieren. Preisbremsen beruhigen die Bürger, die Klimawende erreichen wir damit aber nicht.
Welche Eigenschaften der Stadtwerke haben sich in den letzten anspruchsvollen Jahren als besonders stabil und förderlich dargestellt? Wo mussten Sie nachschärfen?
Wir sind Mittelständler mit Schnellboot – und kein Konzern, dessen Tanker sich schwer steuern lässt. Mit dem Boot können wir deutlich agiler durch eine solche Krisenzeit navigieren. Agilität und schlanke Strukturen sind insofern Eigenschaften, die uns gestärkt haben. Beim Nachschärfen geht es darum, dass wir diese Eigenschaften behalten und nicht in alte Muster zurückfallen.
Wie ist das Stimmungsbild unter Ihren Kunden? Was treibt sie um und wie reagieren Sie darauf?
Bamberg lebt von der Automobilindustrie. Bosch ist der größte industrielle Arbeitgeber in unserer Region. Die Branche steht nicht nur vor dem Transformationsdruck, sondern auch vor der Herausforderung hoher Energiepreise. Die Industrieunternehmen haben langfristig beschafft. Das Problem der dauerhaft gestiegenen Gas- und Strompreise wird dort also eher in zwei, drei Jahren stärker ankommen. Und dann stellt sich die Frage: Was ist die neue Realität beim Gas, wo pendelt sich der Preis langfristig ein? Ich denke, die heutigen Multiplikatoren von 3 oder 4 zeigen das bereits ganz gut.
Ich sorge mich aber auch um den Mittelstand, der die Stütze der deutschen Wirtschaft ist. Wir versuchen, mittelständische Kunden in die Tranchenbeschaffung zu bringen, also weg von einer Zeitpunkt-, hin zur Zeitraumbeschaffung, vier- bis sechsmal im Jahr, um die Spitzenbeschaffungspreise abzufedern. Dennoch stellt sich mir die Frage, wie der Mittelstand mit Auslaufen der Preisbremsen wettbewerbsfähig bleiben kann.
Wo sehen Sie sich in Ihrem Leistungsportfolio im Jahr 2030? Wie wird das Produktspektrum aussehen? Werden Sie Infrastrukturbetreiber sein oder Dekarbonisierungsmacher?
Wir wollen unsere Umsätze mit Dekarbonisierungsaktivitäten erheblich steigern. Auch vor dem Hintergrund, dass das Commodity-Geschäft nachlassen wird, wollen wir langfristig in beiden Bereichen ähnlich hohe Umsätze machen. Die Krise hat diesen Transformationsprozess beschleunigt. Für Fernwärmeanschlüsse und Lösungsvarianten, wie wir sie gerade auf dem Lagarde-Campus entwickeln, rennen uns die Kunden die Bude ein. Das Problem ist, dass Tiefbaukapazitäten, Material und auch die eigenen Ressourcen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen.
Die Klimaziele der Bundesregierung aus dem Koalitionsvertrag sind jetzt auch gesetzlich gefestigt. Welche Rolle übernehmen Stadtwerke und Energieversorger vor Ort aus Ihrer Sicht bei der Umsetzung und kann es überhaupt ohne die Stadtwerke funktionieren?
Ich bin davon überzeugt, dass es ohne die Stadtwerke vor Ort gar nicht geht. Uns unterscheidet von Konzernen die Kenntnis der Gebietskulisse, die persönliche Beziehung und die Nähe zu den Stakeholdern. Wer soll die Synchronisierung von Netz- und Infrastrukturausbau mit den Gebäudesanierungen sonst koordinieren? Oder denken Sie an die kommunale Wärmeleitplanung: Wer, wenn nicht wir, die Stadtwerke vor Ort, können die losen Stränge sauber zusammenzubinden? Jede Stadt hat einen Wettbewerbsvorteil, wenn sie ein Stadtwerkeunternehmen an ihrer Seite hat, das solche Themen strukturiert und mit Sachverstand vorantreibt.
Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung äußern könnten, welcher wäre das?
Ich habe sogar zwei Wünsche, die aber zusammenhängen.
Zunächst geht es mir um Anerkennung und Wertschätzung für das, was unsere Branche und ihre Mitarbeitenden in den letzten drei Jahren geleistet haben. Das wird zu häufig als selbstverständlich hingenommen.
Außerdem: Wir brauchen deutlich mehr Pragmatismus in der Gesetzgebung. Wer die Gesetze macht, sollte sich darauf zurückbesinnen, welche Konsequenzen damit verbunden sind. Vergleichen Sie mal das aktuelle Energiewirtschaftsgesetz mit dem aus dem Jahr 2006: In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der Paragrafen explodiert. Die aktuelle Fassung hat mehr als 2.000 Seiten. Eine Organisation hat kaum noch die Möglichkeit, diese Vorgaben des Gesetzgebers zu erfassen, geschweige denn umzusetzen und ihre strategischen Rückschlüsse daraus zu ziehen.
Vielen Dank für das Gespräch!