Nicht für alle ist die IBOR-Umstellung gleich dringend und so überlassen Versicherungsunternehmen naturgemäß eher der Käuferseite die aktive Rolle. Eine allzu entspannte Haltung kann sich jedoch nachteilig auswirken.
Eine allzu entspannte Haltung kann sich für Versicherungsunternehmen jedoch nachteilig auswirken. Aufgrund des potenziell hohen Value at Risk sollten sie grundsätzlich darauf achten, nicht auf der benachteiligten Position eines Werttransfers zu stehen – insbesondere wenn es zu Verschiebungen der Marktliquidität kommt. Es empfiehlt sich, die Entwicklungen genau zu beobachten und gegebenenfalls Einfluss auf die Tagesordnung zu nehmen.
Die Auswirkungen auf Versicherungen verstehen
Im Bankensektor ist die IBOR-Überleitung ein tiefgreifendes Thema und somit ein wichtiger Punkt auf der Agenda von Vorständen. Auch wenn Ausmaß und Komplexität der Übergangsproblematik für Versicherer nicht so umfangreich sind, drohen auch ihnen einige Fallstricke. Diese liegen insbesondere im Bereich der Kapitalanlagen, dem derivativen Geschäft und der Verbindlichkeiten. Das Portfolio der Versicherer besteht zwar in der Regel aus festverzinslichen Vermögenswerten, doch auch variabel verzinsliche Anlagen sind keine Seltenheit mehr.
In Bezug auf die Verbindlichkeiten dürfte der künftig aufsichtsrechtlich geltende Diskontsatz einen wesentlichen Einfluss auf die Bilanzbewertung und Solvenzpositionen haben. Insbesondere Lebensversicherer mit langfristigen Verbindlichkeiten könnten kleine Änderungen des Diskontsatzes empfindlich spüren. Darüber hinaus führen die meisten Versicherer umfangreiche Derivatgeschäfte, die der Steuerung von Zinsrisiken und anderen Sicherungspositionen dienen, wodurch auch diese Komponenten potenzielle Auswirkungen mit sich führen.
Sowohl Bewertungen als auch die aufsichtsrechtlichen Kapitalpositionen und Anlagemodelle sind in gleichem Maße betroffen. Aus diesem Grund sind Banken, aber auch Versicherer, gefordert, die jeweiligen Positionen zu überwachen. Die Anlagemodelle könnten nicht nur durch die Abkehr vom IBOR selbst beeinflusst werden, sondern auch durch die begrenzte Verfügbarkeit historischer Daten über die neuen alternativen Referenzsätze (ARR, Alternative Reference Rates).
Es besteht ein erhebliches Risiko, dass Verträge, Produkte und Investitionen, die sich auf aktuell geltende IBORs beziehen, identifiziert und neu bewertet werden müssen.
Versicherer sollten sich auch über die operativen Auswirkungen der IBOR-Übergangsphase Gedanken machen. Es besteht ein erhebliches Risiko, dass Verträge, Produkte und Investitionen, die sich auf aktuell geltende IBORs beziehen, identifiziert und neu bewertet werden müssen. Rückversicherer hingegen müssen Verträge neu verhandeln oder anderweitig umzuschreiben, sofern die Besicherungen an einen IBOR gebunden sind.
Vorausschauend auf die Herausforderungen vorbereiten, trotz knapper Ressourcen
In der Versicherungsbranche ist das Bewusstsein für die weitreichenden Auswirkungen des IBOR-Übergangs in den Front-Office-Funktionen und im Vorstand bereits stark ausgeprägt. Die verbleibende Zeit kann und sollte dahingehend genutzt werden, die erwarteten Auswirkungen auf das Unternehmen genauer zu untersuchen und entsprechend zu quantifizieren. Denn nur eine hinreichend genaue Betrachtung der finanziellen Folgen für das jeweilige Versicherungsgeschäft kann die tatsächliche Bedeutung des IBOR-Übergangs auf das eigene Unternehmen hervorheben. Daraus lassen sich konkrete Ansätze zum Umgang mit den bevorstehenden Herausforderungen und entsprechende Steuerungsprojekte ableiten. Hierbei sind insbesondere die einhergehenden Abhängigkeiten von Dritten sowie besondere geschäftsspezifische Aspekte zu berücksichtigen.
Tatsächlich betrifft der IBOR-Übergang nahezu alle Funktionen innerhalb eines Versicherungsunternehmens: Neben Finance und Treasury werden auch Risikomanagement, IT, Compliance und Rechtsabteilung beteiligt sein. Auch wenn eine direkte Umsetzung derzeit vielleicht noch nicht notwendig ist, sollte zumindest ein klarer Plan für die erforderlichen Maßnahmen unter Berücksichtigung der Ressourcenbindung erstellt werden. Das wirkt Engpässen im operativen Tagesgeschäft und somit vermeidbaren Verzögerungen entgegen. Natürlich erfordert die aktuelle Marktlage die Aufmerksamkeit aller Ressorts, dennoch sollte ein entsprechendes Programm frühzeitig, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, klar umrissen und organisiert werden, um letztlich nicht unter Zeitdruck zu geraten.
Auch wenn eine direkte Umsetzung der Vorbereitungen auf den IBOR-Übergang derzeit vielleicht noch nicht notwendig ist, sollte zumindest ein klarer Plan für die erforderlichen Maßnahmen unter Berücksichtigung der Ressourcenbindung erstellt werden.
Die Erkenntnisse aus den beiden vorangegangenen Schritten – dem Verständnis der zu erwartenden Auswirkungen sowie der Entwicklung eines klaren Programmplans – ermöglichen es, die Entwicklungen klar im Blick zu behalten und zu gegebener Zeit selbst Einfluss auszuüben. Dahinter stecken zwei mögliche Ziele: potenziellen Risiken vorbeugen oder neue Geschäftsmöglichkeiten erschließen. Obwohl es sinnvoll ist, Banken und Buy-Side-Organisationen die Führung der IBOR-Übergangsphase zu überlassen, könnten Versicherer diese aktiv mitgestalten, wenn sie ein fundiertes Verständnis der Auswirkungen auf ihre eigene Branche entwickeln.
Wechselwirkung zu IFRS 17
Die IBOR-Übergangsphase ist nicht das einzige Thema, das Versicherer derzeit beschäftigt. Für viele europäische Unternehmen hat die Implementierung des neuen Rechnungslegungsstandards IFRS 17 (International Financial Reporting Standard 17) eine weitaus höhere Priorität. Viele Versicherungsunternehmen haben bereits tiefgreifende Programme für eine ordnungsgemäße Umsetzung des IFRS 17 initiiert, die sowohl personelle als auch monetäre Ressourcen beanspruchen.
IFRS-17-Programme sind bereits in vollem Gange, während die Planungen des IBOR-Übergangs noch nicht überall begonnen haben – ein zeitnaher Blick auf mögliche Synergien könnte lohnenswert und ressourcensparend sein.
Darauf aufbauend könnte eine vorgelagerte Maßnahme darin bestehen, die Gemeinsamkeiten zwischen dem IFRS 17 und dem IBOR-Übergang herauszuarbeiten und mögliche Synergien zu nutzen. Wie der Referenzzinssatz IBOR stellt auch IFRS 17 eine marktkonsistente Bewertung dar. Daher ist von ähnlichen Auswirkungen auf die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung auszugehen. Insbesondere die Verbindlichkeiten werden betroffen sein. IFRS-17-Programme sind bereits in vollem Gange, während die Planungen des IBOR-Übergangs noch nicht überall begonnen haben – ein zeitnaher Blick auf mögliche Synergien könnte lohnenswert und ressourcensparend sein.
Den Wandel aktiv gestalten – auf Basis valider Schätzungen
Obgleich der IBOR-Übergang einige Möglichkeiten der Wertschöpfung für Versicherungsunternehmen bietet, so ist es letztlich doch eher eine Frage des unvermeidlichen Change Managements. Daher ist wichtig, dass sich Versicherungsunternehmen von High-Level-Hypothesen hin zu quantifizierten Folgeabschätzungen und dokumentierten Plänen bewegen. Dadurch tragen sie den bevorstehenden Auswirkungen angemessen Rechnung und ermöglichen einen glatten Übergang zu einem neuen alternativen Referenzsatz.
Fazit
Auch wenn der Zeitrahmen für die schrittweise Abschaffung des IBOR nicht festgelegt ist, ist es für Versicherer dennoch wichtig, das Ausmaß der Herausforderung und die Auswirkungen auf die eigene Branche zu verstehen. Institutionen auf der Sell Side stehen stärker unter Zugzwang und besetzen die Führungsrolle beim IBOR-Übergang. Doch auch Versicherer können den Wandel mitgestalten – und schon jetzt mit den Vorbereitungen beginnen.