IFRS 17: Was ist ihr Anspruch: Compliance oder Transformation?

Von Thomas Kagermeier

Leiter Insurance, Financial Accounting Advisory Services, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Versteht die Bedürfnisse seiner Versicherungskunden. Mag Bayern und seine Traditionen, reist aber gern beruflich und privat, um Neues zu entdecken.

3 Minuten Lesezeit 12 Dezember 2019

Die Programme zur Implementierung von IFRS 17 sind angelaufen – für Versicherer auch eine Chance, ihre Finanzfunktion zu transformieren.

Rund um den Globus arbeiten wir eng mit Versicherern bei der Umsetzung von IFRS 17 zusammen.

Fest steht: Für die meisten Versicherer wird die Umstellung auf IFRS 17 eine nicht zu unterschätzende Herausforderung sein. Der Standard ist komplex und einige Elemente sind noch nicht finalisiert. Die neuen Vorschriften bedeuten aber auch erhebliche Investitionen – finanziell wie personell.

Viele Versicherer setzten anfangs auf einen Minimalansatz, der sich darauf beschränkte, lediglich die Compliance mit IFRS 17 sicherzustellen. Mit Fortschreiten ihrer Programme realisierten jedoch nicht wenige, dass das Ausmaß der Änderungen und die erforderlichen Investitionen zur Einhaltung der Vorgaben des Standards deutlich größer sind als angenommen. Viele betroffene Unternehmen überdenken inzwischen ihren Ansatz und suchen nach neuen Chancen. Es geht nunmehr darum, nicht nur die Compliance mit IFRS 17 sicherzustellen, sondern gleichzeitig die erforderlichen Investitionen für eine Optimierung und Transformation der Finanzfunktion nutzen, um so greif- und zählbare Geschäftsvorteile zu erzielen. 

Bei einem Gesamtblick auf die Branche wird deutlich, dass sich die meisten Versicherer mit ihren IFRS-17-Programmen bereits an einem Punkt befinden, an dem sie ihren Blick auf die Beurteilung der finanziellen Auswirkungen sowie auf genaue Planungs- und Entwicklungsfragen richten. 

Umsetzungsprogramme und Umsetzungsstand

Während der finale Standard noch nicht veröffentlicht und der Zeitpunkt des Inkrafttretens von IFRS 17 noch nicht bestätigt ist, treiben die Versicherer ihre Umsetzungsprojekte unter der Annahme voran, dass der neue Standard erstmals für am oder nach dem 1. Januar 2022 beginnende Berichtsperioden verbindlich anzuwenden sein wird.

Angeführt wird die Versicherungsbranche dabei von einem kleinen Kreis internationaler Unternehmen, die ihre Lösungen bereits weitgehend implementiert haben und sich zumeist schon im zweiten oder dritten Probelauf befinden. Diese Unternehmen sind gut positioniert, um die verbleibende Zeit chancenorientiert zu nutzen: Sie können die Zeit bis zur Erstanwendung von IFRS 17 darauf verwenden, Prozesse zu optimieren und ihre Investor-Story sowie ihre Parameter für die Geschäftssteuerung an IFRS 17 anzupassen, um aus der Umstellung auf den neuen Standard wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen und so ihre Geschäftsentwicklung voranzutreiben.

Bei einem Gesamtblick auf die Branche wird deutlich, dass sich die meisten Versicherer mit ihren IFRS-17-Programmen bereits an einem Punkt befinden, an dem sie ihren Blick auf die Beurteilung der finanziellen Auswirkungen sowie auf genaue Planungs- und Entwicklungsfragen richten.

Für eine Auswahl von weltweit 70 Versicherern verfügen wir zum 3. Quartal 2019 über Daten zum Umsetzungsstand in Bezug auf IFRS 17. Dabei ist festzustellen, dass mehr als die Hälfte von ihnen noch nicht entschieden hat, wie genau ihre Systemumgebung für IFRS 17 aussehen soll. Zwar gibt es bereits IFRS-17-Softwarelösungen, deren Ausgereiftheit mit jeder neuen Version zunimmt; doch Lösungen, die alle Anforderungen und Bedürfnisse aus einer Hand abdecken, sind immer noch sehr selten. Viele Unternehmen, die sich schon in der Phase der Systemimplementierung befinden, stellen fest, dass der Arbeitsaufwand, um Daten auf der richtigen Granularitätsstufe vorzubereiten, Datenmodelle abzustimmen und Tools und Berichte individuell anzupassen, größer ist als ursprünglich erwartet.

Daher gehen wir davon aus, dass zahlreichen Unternehmen eine herausfordernde Zeit bevorsteht und in einigen Fällen der erforderliche Arbeitsaufwand unterschätzt wird. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass für viele Versicherer die Kosten für IFRS 17 voraussichtlich deutlich höher als ursprünglich geschätzt ausfallen dürften – das erhöht den Druck, das Programm nicht nur richtig umzusetzen, sondern auch den Nutzen aus dieser Investition zu maximieren.

Wesentliche Faktoren bei der Implementierung

Wenn Versicherer die Umstellung auf IFRS 17 planen, gilt ihr Hauptaugenmerk den Daten und Systemen. Deshalb mag es überraschen, dass in der Regel nicht die Berechnungstools die größte Herausforderung darstellen. Die meisten Unternehmen haben in der ein oder anderen Form ein Tool für die versicherungsmathematische Modellierung, auf dem sie aufsetzen können. Beispielsweise gibt es verschiedene Softwarelösungen für die Berechnung der vertraglichen Servicemarge (contractual service margin [CSM]), die den künftigen, noch nicht verdienten Gewinn darstellt, den ein Versicherer während des Zeitraums der Versicherungsdeckung im Zuge der Leistungserbringung erfasst. Die größere technologische Herausforderung besteht darin, die in hohem Maße komplexe und vernetzte Systemumgebung und das steigende Datenvolumen korrekt zu managen. Wesentliche Herausforderungen für die betroffenen Unternehmen sind die Abstimmung von Datenmodellen, das Management des Datenflusses zwischen den unterschiedlichen Systemen, die Implementierung von neuen accounting engines bzw. Nebenbüchern und die Ableitung der korrekten externen und internen Berichterstattung.

Schon jetzt ist klar, dass es nicht alle Versicherer bis zur gesetzten Frist schaffen werden, die erforderlichen Systeme und Prozesse einzurichten. Dafür gibt es durchaus gute Gründe: Die Entscheidung für die richtige IFRS-17-Lösung ist zweifelsohne von entscheidender Bedeutung. Versicherer sollten die nötige Zeit investieren, um ihre individuellen Bedürfnisse insbesondere in Bezug auf CSM-Berechnungen und accounting engines zu erkennen. Darauf aufbauend müssen sie noch entscheiden, ob sie diese Lösung intern entwickeln oder aber einen externen Anbieter beauftragen, um schließlich den Implementierungs- und Erprobungsprozess einzuleiten.

All dies braucht Zeit und ist komplex. Wie bei jedem technischen Implementierungsprogramm ist davon auszugehen, dass entsprechend qualifizierte Mitarbeiter nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen werden. Daher ist es unbedingt erforderlich, dass Unternehmen vorausplanen – entweder durch eine Weiterqualifizierung ihrer Mitarbeiter oder durch Beauftragung externer Anbieter. Bei EY greifen wir auf unser Wissen und unsere Erfahrung aus unterschiedlichen Implementierungsprogrammen zurück, um unsere Kunden von Beginn an zu unterstützen.

Personalbezogene Herausforderungen werden zuweilen auch übersehen, wenn IFRS 17 erst einmal zur neuen Norm und somit Alltag geworden ist. Versicherungsmathematiker und Buchhalter bekommen künftig andere Rollen im Abschlussprozess. Daher besteht ein akuter Bedarf an Fortbildung und Weiterqualifizierung.

Erkenntnisse aus erfolgreichen Implementierungsprogrammen

Auf der Grundlage unserer Beobachtungen und von Rückmeldungen aus der Branche sehen wir vier Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Implementierung:

  1. Zusammenarbeit: Angesichts der Komplexität von IFRS 17 ist ein von Zusammenarbeit geprägter Ansatz unerlässlich. In erfolgreichen Programmen arbeiten Datenteams, IT, externe Anbieter, Buchhalter, Versicherungsmathematiker und Führungsteams Hand in Hand und werden dabei durch die entsprechenden Strukturen unterstützt. Eine optimale Implementierung erfordert, dass alle Beteiligten verstehen, wie policenbezogene Entscheidungen durch die versicherungsmathematischen und buchhalterischen Systeme fließen und in der externen Finanzberichterstattung zum Ausdruck kommen, einschließlich der damit zusammenhängenden Datenimplikationen.

  2. Agiler Ansatz: Versicherer können nicht warten, bis alle Fragen rund um die Ungewissheit und unbekannten Bestandteile von IFRS 17 geklärt sind. Wichtig ist deshalb ein agiler Ansatz, der die Flexibilität ermöglicht, die sich jeweils ergebenden Entwicklungen und Änderungen zu berücksichtigen. Ganz wesentlich ist ein Verständnis der potenziellen Risiken und der voraussichtlichen Antworten auf diese Risiken.

  3. Realistische Erwartungen: Lösungen externer Anbieter sind zwangsläufig nie vollständig auf die spezifischen Umstände des jeweiligen Unternehmens zugeschnitten. Deshalb ist es wichtig, realistische Erwartungen an diese Lösungen zu stellen und bereit zu sein, die Lösung gemeinsam mit dem jeweiligen Anbieter weiterzuentwickeln und genau auf das eigene Unternehmen zuzuschneiden. Das ist in der Regel nicht leicht und bedarf einer sorgfältigen Begleitung und Überprüfung.

  4. Fokus auf finalen Ergebnissen: Was möchten Sie im Zuge der Umstellung auf IFRS 17 erreichen? Wollen Sie sich auf Compliance beschränken? Oder möchten Sie die Umstellungsinvestitionen nutzen, um gleichzeitig Ihre versicherungsmathematische und Ihre Finanzfunktion zu transformieren? Indem Sie über den auf Compliance beschränkten Minimalansatz hinausblicken und stattdessen in Richtung Transformation denken, könnten Sie Ihre Rendite aus Ihrer Investition von Managementzeit und finanziellen Ressourcen maximieren. Es ist besser, sich diese Fragen jetzt zu stellen, solange noch genug Zeit ist, diese Vorteile auszuschöpfen.

Transformationschancen aus IFRS 17

Wir arbeiten mit ausgewählten Firmen zusammen, die sich verstärkt darauf fokussieren, transformative Ergebnisse zu erzielen. Dabei rücken beispielsweise folgende Aspekte in den Mittelpunkt:

  • Modernisierung von Versicherungsmodellen und IT: Die bislang genutzten Systeme sind teilweise jahrzehntealt und Geschwindigkeit und Flexibilität im IT-Bereich haben inzwischen ganz andere Dimensionen erreicht.
  • Optimierung von Abschluss- und Offenlegungsprozessen, auch angesichts des Marktdrucks auf börsennotierte Unternehmen, ihre Finanzberichte noch zeitiger vorzulegen
  • Integration finanztechnischer und versicherungsmathematischer Tätigkeiten – einschließlich Integration der den versicherungsmathematischen und den Finanzprozessen zugrunde liegenden Daten
  • Optimierung von Performance-Parametern und Einsatz neuer Techniken für Datenanalyse und Visualisierung, um die wesentlichen Faktoren in Verbindung mit IFRS 17 zu verstehen und neue Erkenntnisse für die Geschäftsentwicklung zu gewinnen

IFRS 17 für mehr Erfolg durch Transformation nutzen

Während viele Versicherer ihre Implementierungsprogramme mit dem 1. Januar 2022 als voraussichtlichem Stichtag für die Anwendungspflicht von IFRS 17 vorantreiben, hat die bloße Implementierung bei den meisten betroffenen Unternehmen immer noch Priorität.

Angesichts der mit der Umstellung auf IFRS 17 verbundenen Herausforderungen wäre es zwar verständlich, wenn Versicherer ihre Konzentration nur auf die operative Komplexität richteten, doch sie sollten unbedingt auch im Blick behalten, welche Transformationschancen sich aus dem neuen Standard ergeben. 

Fazit

Die erstmalige Anwendung von IFRS 17 wird sich fundamental darauf auswirken, wie Versicherer ihr Geschäft managen. Wenn die betroffenen Unternehmen den Eindruck haben, ihre damit verbundenen Rechnungslegungs- und Umsetzungsentscheidungen könnten nicht die gewünschten Ergebnisse bringen, bleibt ihnen noch genug Zeit gegenzusteuern. 

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