10 Minuten Lesezeit 13 März 2020
Arzt hält Vortrag im Krankenhaus

„Eine moderne Führungskraft ist Vorbild und Motivator“

Von EY Deutschland

Building a better working world

10 Minuten Lesezeit 13 März 2020

Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Patientenwohl: Wie Führungskräfte Kliniken lenken, erzählen Rebekka Reckel und Dr. Thomas Wolfram.

Mündet Fehlsteuerung gar in einem Sanierungsfall und wird erst dann versucht, das Ruder herumzureißen, so wird dies noch viel schwerer fallen und viele Führungskräfte gar überfordern: Zeitgleich Sanierer, Ideengeber und Motivator zu sein und dabei das langfristige Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, das muss man erst einmal schaffen.

Raus aus dem Verwaltungstrakt, rein in den „wirklichen“ Klinikalltag

Lange Zeit war es en vogue, ein Krankenhaus vom sogenannten Verwaltungstrakt aus zu führen. Dabei handelte es sich entweder um eine separate Etage, weitab vom wirklichen Klinikalltag, oder aber gar um ein separates Gebäude, gerne mit Teppichboden ausgelegt und schmucken Konferenzräumen und schönen, hellen Büros. Hier wurden Zahlen von links nach rechts gedreht, das Berichtswesen erstellt und in die Runde geschickt. Es galt, Kontakt mit Leistungserbringern, den Mitarbeitern des operativen Geschäfts, nur nach Terminvereinbarung und abgestuft nach Dienstgrad zu gewähren. Das Führen erfolgte vom runden Tisch aus, anhand retrospektiver Zahlen, weitab von der Klinikrealität und frei von Emotionen, ohne die medizinische Versorgung eigentlich nicht möglich ist.

Man löst keine Probleme, indem man sie auf Eis legt.
Winston Churchill

Zunehmend übernimmt in deutschen Krankenhäusern jedoch ein moderner Führungstypus das Steuer: Neben der Fähigkeit, Kennzahlen zu lesen, sie zu bewerten und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen, ist dieser Managertypus eher „hands-on“ und mittendrin im Klinikalltag. In seiner Idealform kennt er seine Mitarbeiter und sein Haus, ist präsent, erscheint auch mal unangekündigt auf Stationen und im OP, hat eine offene Tür und hört jedem zu. Die Rede ist von einer Art „Alleskönner“ mit Verständnis und Gefühl für alle im Krankenhaus relevanten Themen, der die jeweiligen medizinischen und kaufmännischen Experten zu orchestrieren versteht. Die Emotionen des Klinikalltags treffen hier auf betriebswirtschaftlichen Sachverstand – eine wahre Herausforderung.

Aber wie führt man richtig? Setzt ein Krankenhaus wirklich andere Leitplanken als Wirtschaftsunternehmen? Sind die Themen Führung und Führungskräfteentwicklung in den Managementetagen deutscher Krankenhäuser ausreichend präsent?

Wir haben mit einem der erfahrensten und erfolgreichsten Manager des deutschen Gesundheitswesens, Dr. Thomas Wolfram, und der EY-Senior-Managerin Rebekka Reckel diskutiert. Gemeinsam haben die beiden ein Coaching-Programm für Führungskräfte im Krankenhausmanagement entwickelt.

EY: Es ist bekannt, dass Ihnen die Themen Führung und Führungskräfteentwicklung sehr am Herzen liegen. Warum sind Ihnen diese Themen so wichtig und warum sollten sie viel mehr im Fokus stehen?

Rebekka Reckel: Zum einen habe ich in meiner Karriere von starken Führungskräften profitiert, sie waren für mich immer Vorbild und ein Trigger, mich zu entwickeln. Das hat mich geprägt und das gebe ich gerne weiter. Zum anderen merke ich in meinen Projekten immer wieder, dass die mangelnde Fokussierung auf dieses Thema immer auch Krisenursache im Krankenhaus ist. Abgesehen davon macht es mir einfach sehr viel Spaß, junge Kollegen zu entwickeln, sie auf ihrem Weg zu begleiten und zu sehen, was sie mit einer entsprechenden Führung alles leisten können. Gerade im Krankenhausumfeld ist das für mich eines der spannendsten Themen, weil ich häufig erfahren habe, wie viel man hier bewirken kann.

Dr. Thomas Wolfram: Stimmt, aber man lernt in seiner Karriere natürlich auch von Negativbeispielen, die man einfach nicht kopieren oder sich zu eigen machen sollte. Führungskräfte im Krankenhaus, wie in jedem anderen Unternehmen auch, sind Ideengeber, Stütze des Unternehmens und „Leitwolf“ in der Unternehmenskultur. Die Mitarbeiter schauen kritisch, manchmal ehrfürchtig, aber immer sehr aufmerksam auf alles, was eine Führungskraft sagt oder tut. Dessen müssen sich Führungskräfte bewusst sein.

EY: Ist das Krankenhaus wirklich ein besonderes Führungsumfeld und wenn ja, warum?

Rebekka Reckel: Ja, das denke ich schon. Jedes Krankenhaus ist auch ein Wirtschaftsunternehmen oder sollte es zumindest sein. Aber es ist eben keine Hutfabrik, hier geht es um Medizin, um Patientenversorgung. Das ist immer mit vielen Emotionen verbunden, zu Recht natürlich. Das Führungsumfeld ist also ein Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Medizin, zwischen Zahlen und Emotionen, die man nicht einfach ausblenden kann und auch nicht sollte.

Dr. Thomas Wolfram: Es ist schon etwas Besonderes. Einerseits ist das Unternehmen Krankenhaus sehr personalintensiv und das Tätigkeitsfeld dazu noch extrem anspruchsvoll – immerhin geht es um die Gesundheit und das Leben von Menschen; andererseits kommen die Kunden/ Patienten mit einem medial geprägten Anspruch auf 100 Prozent Erfolg der Behandlung. Jedes Abweichen davon wird als Makel betrachtet. Der Patient erwartet, dass das „Räderwerk Krankenhaus“ für ihn zu 100 Prozent funktioniert. Ein weiterer Aspekt ist aber auch ein grundsätzlicher Interessenkonflikt, der sich daraus ergibt, dass die Führungskräfte/Kaufleute im Krankenhaus am wirtschaftlichen Erfolg gemessen werden, die Abteilungsleiter/Chefärzte aber nicht an konkreten Leistungszahlen gemessen werden dürfen. Das ist eine echte Herausforderung in der Führung eines Krankenhauses.

EY: Ist der Krankenhausgeschäftsführer heute immer noch ein „Alleskönner“?

Rebekka Reckel: Nein, das glaube ich nicht. Die Themenvielfalt ist einfach zu groß und viele Themen haben an Komplexität stark zugenommen, das kann einer allein gar nicht können.

Dr. Thomas Wolfram: Da stimme ich Rebekka voll zu. Die Zeiten sind einfach vorbei, in denen der Geschäftsführer eines Krankenhauses omnipotent alles weiß und kann.

EY: Welche Führungsqualitäten muss ein Krankenhausgeschäftsführer heute haben und was unterscheidet diese Anforderungen von denen anderer Branchen?

Dr. Thomas Wolfram: Es gibt nicht die Führungsqualität. Natürlich ist es für eine Führungspersönlichkeit unerlässlich, absolut fachlich kompetent in bestimmten Themen zu sein. Das gilt aber branchenunabhängig, ebenso wie die persönliche Größe, hoch qualifizierte Mitarbeiter an seiner Seite oder unter sich zu dulden und sie sich entfalten zu lassen. Fachliche Expertise, Branchenkenntnis, Erfahrung in der Führung von Mitarbeitern und Empathie sind sicher grundsätzliche Voraussetzungen. Dazu kommt aber noch die Bereitschaft, sich stets selbst weiterzuentwickeln, auf dem aktuellen Stand zu halten und nie den Kontakt in das Unternehmen zu verlieren. Das gilt aber wohl für jeden Geschäftsführer. 

Führungskräfte im Krankenhaus, wie in jedem anderen Unternehmen auch, sind Ideengeber, Stütze des Unternehmens und „Leitwolf“ in der Unternehmenskultur.
Dr. Thomas Wolfram

Speziell für das Krankenhaus gilt, dass man sich auch regional und politisch vernetzen muss, da es sich um eine Branche handelt, die maßgeblich von der Politik mit beeinflusst wird und auf die gute Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringern in der Branche angewiesen ist. Man ist also gleichzeitig „Außenminister“ der Klinik. Eine letzte Besonderheit des Krankenhauses ist das schon beschriebene Spannungsfeld zwischen dem ethisch-moralischen Anspruch an die medizinische Leistungserbringung und der wirtschaftlichen Unternehmensführung in einem stark regulierten Umfeld. Hier ist der Geschäftsführer viel mehr als in anderen Branchen als Kommunikator, Überzeuger und Ideengeber nach innen gefordert.

Rebekka Reckel: Da kann ich Thomas in allen Punkten nur Recht geben. Ich denke auch, dass die besonderen Anforderungen der Branche eben zu einem sehr speziellen Führungsanspruch führen.

EY: Was ist entscheidend bei der Entwicklung von Führungskräften?

Rebekka Reckel: Ich glaube, man braucht auf jeden Fall ein gutes Gespür für Menschen, um zu einem sehr frühen Zeitpunkt zu erkennen, welcher Mitarbeiter die Fähigkeiten zum Führen besitzt. Dann muss man erkennen können, welche Schritte die künftigen Führungskräfte benötigen, um sich entsprechend entwickeln zu können. Es braucht den Willen, ihnen die notwendige Zeit zu geben, sich zu entwickeln, und dann die nötige Portion Vertrauen. Am besten läuft es für mich, wenn ich einen Kollegen oder eine Kollegin ausgesucht habe, an den bzw. die vorher niemand auch nur im Ansatz gedacht hat und der bzw. die dann eine erfolgreiche Entwicklung durchläuft und am Ende einen tollen Job macht.

Dr. Thomas Wolfram: Stimmt komplett. Aus diesem Grund habe ich selbst sehr gute Erfahrungen mit der Begleitung von Nachwuchsführungskräfteprogrammen gemacht, wie sie große Klinikträger anbieten. Leider gibt es nicht die Zeit her, seine eigenen Führungserfahrungen erst dann zu machen, wenn man schon Geschäftsführer ist. Das hält kaum ein Unternehmen durch. Ich sage gern spaßig: Geschäftsführer ist kein Azubi-Job, in den man während der Tätigkeit langsam reinwächst. Rechtzeitig die richtigen Personen identifizieren, die das Potenzial haben, Lust auf Weiterentwicklung vermitteln und den „Hunger haben“, mehr zu erreichen, das ist die Kunst. Wenn man es dann schafft, diese Personen langfristig zu motivieren, zu qualifizieren und an „langer Leine“ eigene Erfahrungen machen zu lassen und immer wieder in Reflexionsgesprächen positives und auch kritisches Feedback zu geben, dann bekommt man tolle Führungskräfte entwickelt, die ihren Weg erfolgreich gehen werden.

Für mich ist eine moderne Führungskraft Vorbild und Motivator, hat aber trotz aller Nahbarkeit den Mut und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und einen klaren Kurs zu fahren.
Rebekka Reckel

EY: Was bedeutet für Sie modernes Führen?

Rebekka Reckel: Moderne Führung bedeutet für mich zum einen, nahbar zu sein, gemeinsam mit den Mitarbeitern zu gestalten, ansprechbar zu sein, sein Haus zu kennen, Präsenz und den Mut zur offenen Tür zu haben, zum anderen aber auch, die Fähigkeit zu besitzen, Entscheidungen, auch unangenehme, rechtzeitig zu treffen und die Umsetzung voranzutreiben. Für mich ist eine moderne Führungskraft Vorbild und Motivator, hat aber trotz aller Nahbarkeit den Mut und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und einen klaren Kurs zu fahren. Ehrlichkeit, Transparenz und Verbindlichkeit gehören für mich unbedingt dazu, drei Wörter, die Thomas und ich bei diesem Thema immer wieder hervorheben.

Dr. Thomas Wolfram (lacht): In der Tat gebetsmühlenartig: Ehrlichkeit. Transparenz. Verbindlichkeit.

EY: Was sind die größten Herausforderungen der heutigen Klinikmanager?

Rebekka Reckel: Ich glaube, die Gesamtsituation. Es wird immer schwieriger, die Krankenhäuser in der Balance aus Wirtschaftlichkeit und Qualität zu halten. Vieles, was wir an Strukturen im deutschen Gesundheitswesen vorfinden, ist schon lange nicht mehr zeitgemäß. Neue Ideen und neue Strukturen auch für Krankenhäuser müssen gefunden und umgesetzt werden. Dazu wird es immer schwieriger, gute Mitarbeiter zu finden und sie zu binden.

Jeder weiß, dass wir in Deutschland zu viele Krankenhäuser haben, und es fehlt der politische Mut, hier konsequente Standortentscheidungen zu treffen.

Dr. Thomas Wolfram: Die Rahmenbedingungen unseres Gesundheitssystems werden immer schwieriger. Jeder weiß, dass wir in Deutschland zu viele Krankenhäuser haben, und es fehlt der politische Mut, hier konsequente Standortentscheidungen zu treffen. Die Klinikmanager sind dabei ziemlich alleingelassen, den Spagat zwischen steigendem wirtschaftlichen Druck, Struktur- und Personalvorgaben, nicht refinanzierten Tarifentwicklungen und hochwertiger, innovativer Medizin zu bewältigen und das Ganze den Mitarbeitern und Patienten gegenüber auch noch allein erklären zu müssen. Wenn dann noch eine Krankenhausabteilung oder ein ganzes Krankenhaus aus den vorgenannten Gründen in eine komplette wirtschaftliche Schieflage gerät, ist der Geschäftsführer auch noch im Innen- und Außenverhältnis der „Buhmann“, der es nicht gepackt hat. Hier sind schon seit einigen Jahren, nicht erst seit heute, kreative und innovative Geschäftsführer gefragt, die sich mit Prozessoptimierungen, neuen Geschäftsfeldern und innovativen Organisationsformen beschäftigen und sie mutig auf den Weg bringen.

EY: Was war Ihnen bei der Entwicklung Ihres Coaching-Programms wichtig und wie kam es überhaupt dazu?

Rebekka Reckel: Wir steckten mitten in einem gemeinsamen Sanierungsprojekt und erlebten eine völlige Abwesenheit von Führungskultur und an vielen Stellen auch das fehlende Verständnis der Notwendigkeit von Führung. Gleichzeitig trafen wir aber auch auf Kollegen mit viel Potenzial, nur schien es ihnen nicht möglich zu sein, dieses Potenzial abzurufen oder erfolgreich in ihren Häusern einzusetzen. Es war aber auch ganz offensichtlich, dass ein Teil der wirtschaftlichen Schieflage, wie so häufig, an der fehlenden Führung der Häuser lag. Das wollten wir ändern, um zum einen den Grundstein für eine neue Führungskultur zu legen und zum anderen natürlich die wirtschaftlichen Potenziale der Häuser zu heben.

Wichtig war uns dabei, dass das Coaching „hands-on“ passiert: vor Ort, in den Kliniken, bei der täglichen Arbeit und so individuell zugeschnitten, dass jeder Kollege das an Unterstützung und Weiterentwicklung bekommt, was ihm bisher gefehlt hat und ihn wirklich in der täglichen Arbeit weiterbringt. Thomas und ich haben direkt festgestellt, dass wir sowohl eine gemeinsame Vorliebe als auch ein gemeinsames Verständnis von diesem Thema haben. So waren wir uns auch sehr schnell einig und klar darüber, wie wir das Thema angehen wollen.

Dr. Thomas Wolfram: Stimmt. Rebekkas Idee, parallel zu unserem sehr anspruchsvollen und zeitintensiven Sanierungsprogramm gleichzeitig ein Führungskräftecoaching anzubieten, das uns nicht nur in der Sanierungsphase bei der Umsetzung in den Kliniken helfen und entlasten soll, sondern auch einen Grundpfeiler für die Nachhaltigkeit unserer Maßnahmen darstellen wird, fand ich nicht nur genial, sondern fand auch Zustimmung und Begeisterung bei unserem Auftraggeber. Win-win also, hoffentlich.

Fazit

Die Fallzahlen sinken, der wirtschaftliche Druck steigt und Patienten wollen und sollen bestens versorgt werden. Die Führung von Krankenhäusern wird heute immer schwieriger und komplexer. Geschäftsführer sind Sanierer, Ideengeber und Motivator in einem – und müssen dabei die langfristigen Ziele im Blick halten, aber kurzfristig reagieren können. Im Interview sprechen Rebekka Reckel und Dr. Thomas Wolfram über moderne Führungskräfte und darüber, warum Coaching so wichtig ist.

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