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Bestimmung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit

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BMF-Schreiben zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den DBA

Welcher Staat als Ansässigkeitsstaat im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) gilt, hat ganz wesentliche Auswirkungen auf die Zuweisung des Besteuerungsrechts für die Vergütung der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. In seinem überarbeiteten Schreiben zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den DBA vom 12.12.2023 vertritt das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hierzu einen stark fiskalisch geprägten Standpunkt. Zudem ist – wie auch in manch anderen Bereichen – eine Tendenz zu mehr Verwaltungsaufwand statt zum Bürokratieabbau erkennbar. Damit nicht genug, weicht das BMF von der in anderen Staaten gängigen Vorgehensweise ab und kreiert so Potenzial für eine teilweise doppelte Besteuerung. Eine andere Sichtweise vertreten hier beispielsweise Belgien, Frankreich und Österreich. Die betroffenen Akteure (im Wesentlichen Arbeitgeber und Steuerberater) sollten zeitnah abwägen, wie sie mit den neuen Vorgaben umgehen.

Über das Ziel hinauszuschießen ist ebenso schlimm, wie nicht ans Ziel zu kommen.
Konfuzius (vermutlich 551 v. Chr. bis 479 v. Chr.)
chinesischer Philosoph

Neu eingefügte Grundsätze

Die Ausführungen zur Bestimmung der Ansässigkeit wurden deutlich erweitert. Besondere Bedeutung kommt hier der Bestimmung des Mittelpunktes der Lebensinteressen zu. So hat das BMF hierzu nicht nur zusätzliche Beispiele, sondern auch neue Hinweise eingefügt. Zu erwähnen wären hier insbesondere die folgenden Grundsätze:

  • Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten im Zusammenhang mit der Abwägung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Interessen in den jeweils betroffenen Vertragsstaaten, geht dies zu seinen Lasten.
  • Wird die bisherige Wohnung beibehalten, ist dies ein Indiz dafür, dass weiterhin gewichtige persönliche Beziehungen im Heimatland bestehen. 
  • Für das Kriterium der Ansässigkeit ist stets auf den Zeitpunkt des Zuflusses nach § 11 EStG abzustellen. 
Verletzung der Mitwirkungspflichten

Laut Finanzverwaltung sind die für den Steuerpflichtigen nachteiligen Konsequenzen zu ziehen, wenn die steuerpflichtige Person im Rahmen der erhöhten Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2 AO) die für die Bestimmung des Mittelpunktes der Lebensinteressen notwendigen Informationen nicht vorlegt (Rn. 14). Dabei bezieht sich das BMF auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15.02.1989, X R 16/86.

Unseres Erachtens ergibt sich diese Schlussfolgerung aus dem BFH-Urteil nicht in dieser Schärfe. Zu berücksichtigen sind laut Urteilsbegründung

  • der Grad der Pflichtverletzung,
  • der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,
  • die Zumutbarkeit (der Anfrage),
  • eine gesteigerte Mitverantwortung aus vorangegangenem Tun (ungewöhnliche Verhältnisse wie etwa Verkauf einer rentablen Unterbeteiligung mit Verlust) und
  • die Beweisnähe des Steuerpflichtigen, das heißt: Je mehr Tatsachen/Beweismittel aus der vom Steuerpflichtigen beherrschten Sphäre stammen, desto größer ist seine Verantwortung.

Daher formuliert der BFH deutlich nachsichtiger als das BMF: „Die Verletzung abgabenrechtlicher Mitwirkungspflichten kann dann, wenn sie Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen betrifft, sogar dazu führen, dass aus seinem Verhalten für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden.“

Die nachsichtigere Wertung des BFH ist unseres Erachtens auch sachgerecht, denn je nach betroffenem Land sind manche Belege nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand beschaffbar. So stellen etwa die USA keine Bestätigung aus, dass der Ehegatte keine Einkünfte hatte.

Beibehaltung der Wohnung im Heimatland

Laut Rn. 15 des Schreibens soll die Beibehaltung der Wohnung als Indiz für gewichtige persönliche Beziehungen im Heimatland gelten. Unseres Erachtens lässt sich aus der Beibehaltung der Wohnung regelmäßig lediglich schließen, dass eine Rückkehrabsicht besteht. Wer seine Wohnung beibehält, erspart sich eine aufwendige Wohnungssuche, eventuelle höhere Mietaufwendungen und einen zeitraubenden Umzug. Zumindest als alleiniges Indiz für gewichtige persönliche Beziehungen im Heimatland dürfte dieses Kriterium daher ungeeignet sein.

Bestimmung der Ansässigkeit bei vergangenheitsbezogenen Vergütungen

Der Bundesfinanzhof hat sich in seinem Urteil vom 21.12.2022 (I R 11/20) mit der steuerlichen Behandlung von Stock Options bei Ansässigkeitswechsel befasst. Er hat insbesondere entschieden, dass für die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-USA allein die Ansässigkeit zum Zeitpunkt des Zuflusses der Einkünfte maßgeblich ist. Die Finanzverwaltung hat diesen Grundsatz in ihr Schreiben übernommen und führt aus, dass für das Kriterium der Ansässigkeit nach Art. 4 des betreffenden DBA (Rn. 7 ff.) stets auf den Zeitpunkt des Zuflusses (§ 11 EStG) abzustellen ist (Rn. 223). Es ist daher davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung auch Boni, Jubiläumszahlungen, Abfindungen etc. entsprechend behandeln will. Da diese Handhabung international nicht üblich ist, wird es in vielen Fällen zwangsläufig zu einer teilweise doppelten Besteuerung kommen. Betroffen sind beispielsweise Entsendungen nach Frankreich, Österreich oder China.

Anrechnung der ausländischen Steuer

Zur Beseitigung einer eventuellen Doppelbesteuerung hat sich der BFH in seiner Urteilsbegründung nicht geäußert, da im Urteilsfall die USA die Einkünfte nicht besteuert hatten. Dies ist allerdings nicht der Regelfall. Daher wären Ausführungen dazu seitens des BFH oder zumindest der Finanzverwaltung wünschenswert gewesen. Der BFH hat seine Entscheidung insbesondere auch auf Tz. 37 ff. des Reports der OECD vom 23.08.2004 zu „Cross-border Income Tax Issues Arising from Employee Stock-Option Plans“ gestützt.

In den Textziffern 38 ff. erläutert die OECD anhand eines Beispiels, dass es regelmäßig zu einer doppelten Besteuerung der anteiligen Vergütung von Aktienoptionen für Arbeitstage in Drittstaaten kommt, wenn ein Ansässigkeitswechsel stattfindet und der Ansässigkeitsstaat im Erdienungszeitraum (Staat A) die Einkünfte bei Gewährung der Stock Options und der spätere Ansässigkeitsstaat (Staat D) – sie bei deren Ausübung besteuert. Als Lösung schlägt die OECD vor, dass sich die beiden Staaten (etwa im Rahmen eines Verständigungsverfahrens) darauf einigen, dass der Ansässigkeitsstaat im Zeitpunkt der Ausübung der Option die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der im Staat A gezahlten Steuern bzw. durch Freistellung der betreffenden Einkünfte beseitigt (Tz. 45 und 46).

Unseres Erachtens sind Fälle, in denen zwar beide Vertragsstaaten die Einkünfte im gleichen Zeitpunkt besteuern, für die Bestimmung der Ansässigkeit jedoch unterschiedliche Zeitpunkte zugrunde legen und die Einkünfte jeweils als Ansässigkeitsstaat besteuern, analog zu werten. Allerdings sollte nicht der umständliche und langwierige Weg einer bilateralen Einigung notwendig sein. Da die von der OECD bevorzugte Lösung bereits bekannt ist, sollte die deutsche Finanzverwaltung in den betreffenden Fällen unilateral die Doppelbesteuerung beseitigen. Diese Vorgehensweise wäre der Steuergerechtigkeit dienlich und würde den Verwaltungsaufwand für alle Betroffenen erheblich reduzieren. Alternativ könnten auch die Rechtsprechung bzw. der Gesetzgeber einschreiten.

Abzug der ausländischen Steuer

Unseres Erachtens ist jedenfalls alternativ die vom anderen Vertragsstaat erhobene Steuer, die auf die Tätigkeit in Drittstaaten entfällt, nach § 34c Abs. 3 i. V. m. § 34c Abs. 6 Satz 6 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen. Die betreffenden Einkünfte stammen nicht aus diesem Staat, sondern aus dem Drittstaat (§ 34d EStG, BFH-Urteil vom 24.03.1998, I R 38/97). Darüber hinaus gestattet aus deutscher Sicht das Abkommen nicht die Besteuerung durch den anderen Vertragsstaat. Damit sind die Voraussetzungen für den Abzug erfüllt. Allerdings wäre der Anrechnung der Vorzug zu geben, da in den meisten Fällen nur sie eine doppelte Besteuerung vollständig beseitigt. Zudem ist die Regelung nicht auf die in den entsprechenden Szenarien gegebenenfalls doppelt besteuerte anteilige Vergütung für Arbeitstage in Deutschland anwendbar.

Detaillierte Einzelfallprüfung

Die Finanzverwaltung weist darauf hin, dass stets das Gesamtbild der Verhältnisse zu würdigen ist (Rn. 18). Wie schon bisher geht sie bei einem Auslandseinsatz von bis zu einem Jahr regelmäßig davon aus, dass die Ansässigkeit im Heimatland verbleibt, bei einem Einsatz von fünf oder mehr Jahren nimmt sie eine Verlagerung der Ansässigkeit in das Gastland an. Grundsätzlich fordert das BMF jedoch eine umfangreiche und detaillierte Einzelfallprüfung.

Mittelpunkt der persönlichen Interessen

Als wesentliche Kriterien für die Bestimmung des Mittelpunktes der persönlichen Interessen nennt das BMF-Schreiben (Rn. 15) die folgenden:

  • familiäre und gesellschaftliche Beziehungen
  • politische, kulturelle und sonstige Verwurzelung
  • Ausstattung und Größe der Wohnung
  • private Aktivitäten
  • Mitgliedschaften in Parteien und Vereinen

In diesem Zusammenhang sollen die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten der Vertragsstaaten berücksichtigt werden. Wie die Finanzverwaltung diesen Hinweis praktisch umsetzt, bleibt abzuwarten.

Neu sind in der Liste der Kriterien im Vergleich zum Schreiben vom 03.05.2018 zwar die letzten drei Punkte, doch die Aufzählung entspricht der von einigen Finanzämtern bereits praktizierten Vorgehensweise. Dort wird unter anderem sogar abgefragt, an welche Anschrift Zeitschriftenabonnements oder andere wiederkehrende Lieferungen und Leistungen erfolgen und wo medizinische Behandlungen in Krankheitsfällen (ohne Notfälle) stattfanden.

Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen

Für die Beurteilung, wo der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen liegt, will die Finanzverwaltung die folgenden Punkte berücksichtigen (Rn. 16):

  • Einnahmequellen und deren Herkunft (bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit: Ort der Tätigkeitsausübung, zivilrechtliches Arbeitsverhältnis, Rückkehrabsicht)
  • Dauer der befristeten Tätigkeit im anderen Staat
  • Dauer der zuvor im Heimatland ausgeübten Tätigkeit
  • Vermögen (Belegenheitsort und ggf. Ort der Vermögensverwaltung)

Hier soll eine befristete Entsendung mit ruhendem Vertrag im Heimatland und Rückkehrzusage (also der Standardfall) für eine Rückkehrabsicht und damit auch für wirtschaftliche Interessen im Heimatland sprechen. 

Lohnsteuerabzug

Mit der Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls liegt die Finanzverwaltung zwar auf einer Linie mit dem BFH, doch liegen die meisten geforderten Informationen dem Arbeitgeber allein schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht vor (etwa Art und Höhe des Vermögens, Höhe privater Einkünfte, Wohnort von Freunden und Verwandten). Für zum Lohnsteuereinbehalt verpflichtete Arbeitgeber stellt sich daher die Frage, wie sie die Ansässigkeit bestimmen sollen. Doch darauf gibt das BMF-Schreiben leider (immer noch) keine Antwort. So dauern die meisten Entsendungen etwa drei Jahre und bewegen sich daher in der „Grauzone“ (Einsätze von mehr als einem und weniger als fünf Jahren).

Letztlich kann sich der Arbeitgeber nur an der geplanten Länge des Auslandseinsatzes orientieren und daran, ob Ehepartner und Kind(er) im Heimatland bleiben oder den Mitarbeiter begleiten. Als Alternative kommt lediglich die Beauftragung etwa einer Steuerberaterin bzw. eines Steuerberaters mit der Beurteilung der Ansässigkeit in Betracht.

Veranlagung

Aus den oben genannten Gründen muss die endgültige Beurteilung der Ansässigkeit in der Regel im Veranlagungsverfahren stattfinden. Bei vielen Sachverhalten kann sich je nach Interpretation und Gewichtung der einzelnen Kriterien der eine oder der andere Vertragsstaat als Ansässigkeitsstaat ergeben. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass in bestimmten Fällen die Finanzverwaltung im Rahmen der Veranlagung von der Beurteilung der Ansässigkeit beim Lohnsteuerverfahren abweichen wird. Dies gilt selbst dann, wenn ein Steuerberater die lohnsteuerliche Behandlung beurteilt hat. Ein erhöhter Verwaltungsaufwand ist die Folge.

Beispiele im BMF-Schreiben

Wenig praxisnah

Schon bisher waren die Beispiele zur Ansässigkeitsprüfung wenig praxisnah. Während tatsächlich die meisten Entsendungen auf zwei bis drei Jahre befristet sind, betrafen die Beispiele Auslandseinsätze von einem bzw. von fünf oder mehr Jahren. Auch die neuen Beispiele erläutern im Wesentlichen Fälle, die eher selten vorkommen oder relativ eindeutig sind. Wer auf pragmatische Lösungsansätze für die gängigen Sachverhalte gehofft hat, wird enttäuscht. Hilfreicher für Betroffene und Berater wäre die Diskussion häufig auftretender Grenzfälle gewesen. 

So bringen drei der sechs Beispiele zur Bestimmung der Ansässigkeit (Abschnitt 1.2.1) keine neuen Erkenntnisse:

  • Beispiel 1 (Rn. 17 ff.): Entsendung ohne Familienbegleitung
  • Beispiel 2 (Rn. 19, bisher Beispiel 3, Rn 14): Entsendung von einem Jahr
  • Beispiel 5 (Rn. 22): Entsendung für fünf oder mehr Jahre mit Familienbegleitung (bisher Beispiel 4, Rn. 15) 
Verlängerung der Entsendung

Beispiel 3 (Rn. 20) betrifft eine Entsendung für zwei Jahre, die im zweiten Jahr auf sechs Jahre verlängert wird. Hier verlagert sich die Ansässigkeit, wenn objektiv feststeht, dass der Auslandsaufenthalt verlängert wird. Dies soll das Datum der schriftlichen Verlängerung sein – grundsätzlich kein überraschendes Ergebnis, da schon bisher eine Ex-ante-Betrachtung anzustellen war.

Kettenentsendung

Beispiel 4 (Rn. 21) betrifft eine Kettenentsendung von je einem Jahr in vier verschiedene Staaten. Die Dauer ist jeweils zu kurz für eine Ansässigkeitsverlagerung. Das Beispiel ist für die Praxis wenig hilfreich, da dieser Fall extrem selten sein dürfte. Interessanter wäre ein Beispiel zu einer Kettenentsendungen mit einer Dauer von jeweils zwei bis drei Jahren im jeweiligen Land. Dass weiterhin der Lebensmittelpunkt im Inland bleibt, wird mit jedem Jahr zweifelhafter. Spätestens bei der dritten Entsendung in Folge (bzw. einer Gesamtlänge von vier Jahren) dürfte normalerweise klar sein, dass sich der Lebensmittelpunkt nicht mehr eindeutig in Deutschland befinden kann. Unseres Erachtens sollte dann auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt werden. 

Dreijährige Entsendung mit Familienbegleitung

Die meisten neuen Erkenntnisse liefert unseres Erachtens das neue Beispiel 6 (Rn. 23). Der Arbeitnehmer ist in Deutschland aufgewachsen. Er ist dort Eigentümer eines selbst genutzten Einfamilienhauses und vermietet eine weitere Immobilie. Sein deutscher Arbeitgeber entsendet ihn für drei Jahre ins Ausland. Rund 30 Arbeitstage im Jahr übt er seine Tätigkeit in Deutschland aus. Die Familie begleitet ihn ins Ausland. Sprache, Kultur und Gesellschaft des aufnehmenden Staates sollen ihm fremd sein. Weihnachten verbringt er in Deutschland.

Hier stellt die Finanzverwaltung bei den persönlichen Interessen unter anderem darauf ab, dass die gewichtigen Interessen im Ausland nicht auf Dauer angelegt sind (Rückkehrabsicht). Dabei wird beispielsweise nicht angesprochen, wie wesentlich die Beziehungen zu den in Deutschland verbliebenen Eltern, Geschwistern und Freunden im Vergleich zu denen zur Kernfamilie (Ehefrau und Kinder) sind. 

Auch bei den wirtschaftlichen Interessen argumentiert die Finanzverwaltung damit, dass die Einnahmen im Ausland nur vorübergehender Natur sind – ein Umstand, den alle befristeten Auslandseinsätze gemeinsam haben. Außerdem führt sie an, dass die während der Entsendung erzielten ausländischen Einkünfte geringer sind als die gesamten inländischen Einkünfte (offensichtlich auch außerhalb des Entsendezeitraums, denn andernfalls wären die ausländischen Einkünfte bei inländischen Mieteinnahmen von 12.000 Euro jährlich und einem Bruttojahresgehalt von 100.000 Euro höher). 

Die Finanzverwaltung scheint also dazu übergehen zu wollen, bei den wirtschaftlichen Interessen eine Gesamtbetrachtung über die gesamte (bisherige) Lebenszeit vorzunehmen. Diese Entwicklung überrascht, da sich eine solche Gesamtbetrachtung unseres Erachtens nicht aus dem Wortlaut des OECD-MA ergibt. Das BFH-Urteil vom 31.10.1990, I R 24/89, das in Rn. 16 erwähnt wird, könnte zwar für diese Sichtweise sprechen, doch auch hier lohnt sich der Blick in den Sachverhalt und die Urteilsbegründung. Schon der Leitsatz lässt erkennen, dass der BFH eine differenziertere Betrachtung angestellt hat: 

„Bestehen zu einem Vertragsstaat die deutlich engeren persönlichen Beziehungen und außerdem noch ins Gewicht fallende wirtschaftliche Beziehungen und zu dem anderen Vertragsstaat nur gegenwartsbezogene wirtschaftliche Beziehungen, die sich voraussichtlich in der Zukunft abbauen werden, so liegt der Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem erstgenannten Vertragsstaat.“ Liest man weiter, stellt sich heraus, dass der aus Großbritannien stammende Vorstandsvorsitzende einer deutschen Aktiengesellschaft in seiner Heimat über ein selbst genutztes Haus verfügte, in dem seine Familie lebte. Zudem hatte er in Deutschland lediglich ein Hotelzimmer angemietet. Im Streitjahr war er an 60 Tagen in Großbritannien und an 137 Tagen in Deutschland tätig, die restlichen Arbeitstage in Drittländern. 

Ob der BFH auch bei einer mit dem Sachverhalt in Beispiel 6 vergleichbaren Konstellation (Begleitung durch die Familie, Wohnung statt Hotelzimmer im Einsatzstaat, 200 statt 137 Tätigkeitstage im Einsatzstaat) die Verlagerung der Ansässigkeit verneint hätte, darf bezweifelt werden.

Fazit

Die im BMF-Schreiben vom 12.12.2023 dargelegte Auffassung der Finanzverwaltung zur Bestimmung der Ansässigkeit weist einige erhebliche Schwachpunkte auf. Die Argumentation tendiert sehr einseitig zu einer Annahme der Ansässigkeit im Heimatland und ist in verschiedenen Punkten so nicht haltbar. Arbeitgebern bietet das Schreiben wenige verwertbare Anhaltspunkte für die praktische Umsetzung der Vorgaben. 

Zudem bleibt ein großer Interpretationsspielraum, sodass zu befürchten ist, dass der gleiche Sachverhalt je nach zuständigem Steuerberater bzw. Sachbearbeiter bei der Finanzbehörde unterschiedlich beurteilt wird. Daher kann etwa ein Steuerberater selbst dann nicht sicher sein, dass die Finanzverwaltung seinen Überlegungen folgen wird, wenn er die Auffassung der Finanzverwaltung nach bestem Wissen und Gewissen berücksichtigt hat. Gewiss ist dagegen, dass die Prüfung der Ansässigkeit anhand der dargelegten Kriterien für alle Beteiligten äußerst aufwendig sein wird.

Problematisch ist auch das erhöhte Risiko einer doppelten Besteuerung von Einkunftsteilen. Bei Anwendung der im BMF-Schreiben erläuterten Grundsätze werden bei vielen Entsendungen aus Deutschland heraus beide Staaten davon ausgehen, dass der Mitarbeiter in ihrem Hoheitsgebiet ansässig ist. Denn international (insbesondere in Europa) wird üblicherweise ab einer Aufenthaltsdauer von drei Jahren davon ausgegangen, dass sich die Ansässigkeit ins Ausland verlagert. Wenn zudem die Tätigkeit zeitweise in Deutschland oder in Drittstaaten ausgeübt wird (Dienstreisen), ist noch häufiger als bisher eine (teilweise) doppelte Besteuerung der Vergütung zu erwarten.

Im umgekehrten Fall (Entsendung nach Deutschland), besteht zwar das Risiko, dass beide Staaten die Ansässigkeit während des Auslandseinsatzes im jeweils anderen Staat verorten, doch eine Keinmalbesteuerung wird ggf. durch eine entsprechende DBA-Klausel oder durch deutsches Recht (§ 50d Abs. 8 bzw. 9 EStG) verhindert.

Die Problematik der Doppelbesteuerung ergibt sich ebenfalls im Hinblick auf Arbeitstage in Drittstaaten, wenn Deutschland etwa bei Stock Options im Hinblick auf die Beurteilung der Ansässigkeit auf den Zuflusszeitpunkt abstellt und das Ausland auf die Ansässigkeit im Erdienungszeitraum und zwischenzeitlich ein Ansässigkeitswechsel eingetreten ist.

Unseres Erachtens besteht bezüglich der Ausführungen zur Bestimmung der Ansässigkeit ein erheblicher Verbesserungsbedarf. Die Finanzverwaltung sollte den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Steuergerechtigkeit mehr Rechnung tragen. Ihre Vorgaben sollten konkret eine mit vertretbarem Aufwand durchführbare Prüfung der Ansässigkeit (möglichst bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren) ermöglichen und eine doppelte Besteuerung von Einkünften bzw. Teilen davon weitgehend ausschließen. Das ist angesichts der auf den jeweiligen Einzelfall abstellenden höchstrichterlichen Rechtsprechung sicher keine leichte, aber unseres Erachtens äußerst lohnenswerte Aufgabe.

Handlungsempfehlung

Bestimmung der Ansässigkeit für den Lohnsteuereinbehalt

Arbeitgeber können im Lohnsteuerverfahren unseres Erachtens mangels anderer Informationen nur auf die (voraussichtliche) Länge des Auslandseinsatzes und darauf abstellen, ob die Familie den Entsandten oder die Entsandte begleitet. Sie sollten prüfen, ob sie der äußerst profiskalischen Sichtweise des BMF folgen oder bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren eine abweichende Rechtsauffassung vertreten wollen. Letzteres wäre im Rahmen der Lohnsteueranmeldung in Zeile 37 anzugeben und in einer Anlage entsprechend zu begründen. Ein gegebenenfalls daran anschließendes Rechtsbehelfsverfahren (im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens) bindet jedoch regelmäßig das Wohnsitzfinanzamt nicht. Daher sollten unseres Erachtens abweichende Rechtsauffassungen grundsätzlich bei der Veranlagung zur Einkommensteuer vertreten werden.

Risiko einer doppelten bzw. mehrfachen Besteuerung

Insbesondere bei Auslandseinsätzen mit einer Dauer zwischen einem und fünf Jahren ist das Risiko einer (teilweise) doppelten Besteuerung der Vergütung gegeben. Besonders gravierend kann diese Problematik bei einer Nettolohnvereinbarung sein, da es hier je nach Länderkonstellation sogar zu einer dreifachen Besteuerung kommen kann:

Denn die auf Dienstreisen entfallende Vergütung unterliegt im Einsatzland in voller Höhe der Besteuerung. Zusätzlich soll nach dem BMF-Schreiben auch deutsche Steuer auf Tätigkeitstage in Deutschland und Drittstaaten anfallen. China und die USA beispielsweise werden die Zahlung der deutschen Steuer für den Mitarbeiter allerdings auf einen Bruttobetrag hochrechnen, da dieser Vorgang nach nationalem Recht als steuerpflichtiger geldwerter Vorteil betrachtet wird. 

Vermeidung einer doppelten bzw. mehrfachen Besteuerung

Vielen Arbeitgebern wird das Instrument der Verständigungsvereinbarung zu langwierig und zu aufwendig erscheinen. Aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes in Deutschland haben die die meisten Beschäftigten berechtigte Sorgen, nach dem Ende des Auslandseinsatzes keine neue Wohnung zu finden. Daher dürfte auch die Wohnsitzaufgabe als Lösungsansatz eher eine theoretische Alternative bleiben. Das Gleiche gilt für eine generelle Verlängerung der Entsendungen auf fünf Jahre, die zudem in den meisten Fällen auch nicht im Interesse des Unternehmens liegt. So bleibt den Arbeitgebern fast nur noch die Option, Dienstreisen nach Deutschland und in Drittstaaten während der Entsendung möglichst zu unterbinden. Größere Konzerne/Unternehmensgruppen könnten dazu übergehen, bevorzugt geeignete Beschäftigte aus anderen, „unproblematischen“ Staaten für Auslandseinsätze auszuwählen.

Weitere Materialien

  • Flyer BMF Schreiben zum Arbeitslohn in grenzüberschreitenden Fällen

Plastikmüll

Mit uns steuern Sie sicher durch internationales Terrain

Die Finanzverwaltung hat in mehreren wesentlichen Punkten ihre Auffassung zur Besteuerung der Vergütung von international tätigen Beschäftigten verschärft. Die Neuerungen aus dem überarbeiteten Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 12.12.2023 sind auf alle noch offenen Fälle anzuwenden. Nun sind die Steuer- und Personalabteilungen vieler Unternehmen gefordert, den konkreten Handlungsbedarf zu bestimmen und umzusetzen. Wir bieten Ihnen gerne an, Sie dabei zu unterstützen. 

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