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Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Erleichterungen für EU-Bürger und Drittstaatsangehörige geplant

Eine Vielzahl von Branchen leidet unter Fachkräftemangel und die Zahl der offenen Stellen in Deutschland war im vierten Quartal 2022 so hoch wie noch nie in Deutschland. Das Bundeskabinett hat daher am 29.03.2023 einen Entwurf für das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen. Mit dem Gesetz sollen mehr geeignete Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt gewonnen werden. Laut Regierungsentwurf dient es damit der Stärkung des deutschen Arbeitsmarktes und des Wirtschaftsstandortes Deutschland und leistet so einen Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlstand und zur Sicherung der Sozialsysteme. Wesentliche Kernpunkte sind die Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Menschen aus dem Ausland mit Berufsausbildung, die Lockerung der Voraussetzungen für den Erhalt der Blauen Karte (EU) und mehr Mobilität innerhalb von Europa.

Ausländer sind für die deutsche Wirtschaft unentbehrlich.
Hans Peter Stihl
deutscher Unternehmer (*1932)

Regierungsentwurf

Die Bundesregierung hat zu diesem Zweck bereits am 30.11.2022 Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten beschlossen, die konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung des Rechtsrahmens enthalten. Danach wird die Erwerbseinwanderung künftig auf drei Säulen beruhen: der Fachkräftesäule (Blaue Karte EU), der Erfahrungssäule (Berufserfahrung und Arbeitsvertrag in einem nicht reglementierten Beruf) und der Potenzialsäule (Chancenkarte).

Der Regierungsentwurf greift diese Eckpunkte auf. Ein grundlegender Systemwechsel, beispielsweise zu einem Punktesystem, ist laut Entwurf keine Alternative. Es gebe keinen Nachweis dafür, dass ein Systemwechsel zu besseren Ergebnissen in Deutschland führen würde. Zudem würde er die unter anderem durch den Krieg in der Ukraine stark beanspruchten Behörden überlasten.

Chancenkarte für ausländische Personen mit Berufsausbildung

Derzeit zu hohe Hürden

Die Hürden für die Anerkennung einer ausländischen Qualifikation sind hoch: Strenge Anforderungen und ein langes Anerkennungsverfahren schrecken mögliche Jobkandidatinnen und ­-kandidaten aus dem Ausland ab. Aber auch zu hohe Gehaltsgrenzen können geeignete ausländische Arbeitskräfte daran hindern, eine Stelle in Deutschland anzutreten. Das neue Gesetz soll hier mit Vereinfachungen und zusätzlichen Alternativen Abhilfe schaffen.

Die neu ausgestaltete Chancenkarte soll dazu berechtigen, neben der Arbeitsplatzsuche eine Beschäftigung von durchschnittlich insgesamt bis zu 20 Stunden pro Woche und eine Probebeschäftigung für jeweils höchstens zwei Wochen auszuüben, sofern diese Probebeschäftigung bestimmte weitere Bedingungen erfüllt. Die Chancenkarte wird für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr erteilt.

Chancenkarte erleichtert Arbeitsplatzsuche

Wer einen anerkannten oder vergleichbaren ausländischen, mindestens zweijährigen Berufsabschluss oder einen anerkannten oder vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss hat (Fachkraft), konnte bisher auch schon einen Aufenthalt zur Arbeitsplatzsuche erhalten – allerdings nur für maximal sechs Monate, und eine Beschäftigung war grundsätzlich nicht erlaubt. Neben den Fachkräften mit in Deutschland vollumfänglich anerkannten Abschlüssen soll die Chancenkarte als zusätzliche Alternative die Möglichkeit eines Aufenthalts zur Arbeitsplatzsuche eröffnen, ohne dass es einer bereits in Deutschland anerkannten Berufsausbildung oder eines Universitätsabschlusses bedarf.

Punktesystem

Voraussetzung ist, dass die betreffende Person eine ausreichende Anzahl von Punkten (mindestens 6 Punkte) nach bestimmten Kriterien erzielt und über entsprechende Sprachkenntnisse verfügt (Deutsch A2 oder Englisch B2). Zu den Auswahlkriterien sollen die folgenden zählen:

  • berufliche Qualifikation (z. B. im Ausstellungsstaat anerkannte Berufsausbildung oder Hochschulabschluss, 4 Punkte)
  • Sprachkenntnisse   
    • Deutsch (mindestens Niveau B1: 2 Punkte) bzw.
    • Englisch (mindestens Niveau C1: 1 Punkt)
  • Berufserfahrung von
    • fünf Jahren in den letzten sieben Jahren (3 Punkte) oder
    • zwei Jahren in den letzten fünf Jahren nach Erwerb der Qualifikation (2 Punkte)
  • Alter höchstens
    • 35 (2 Punkte) oder
    • 40 Jahre (1 Punkt)
  • Deutschlandbezug (rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in Deutschland von mindestens sechs Monaten in den letzten fünf Jahren, 1 Punkt)
  • Potenzial des mitziehenden Ehe- oder Lebenspartners (1 Punkt)

Eine gute berufliche Qualifikation und einschlägige Berufserfahrung wiegen demnach besonders schwer. Das Kriterium der Berufsqualifikation im Rahmen des Punktesystems der Chancenkarte weist eine Besonderheit auf: Es reicht aus, dass der entsprechende Abschluss in dem Staat anerkannt ist, in dem er erworben wurde.

Schließlich muss der Lebensunterhalt gesichert sein. Die Aufenthaltserlaubnis unter einer Chancenkarte kann in einen Aufenthaltstitel zu Erwerbs- oder Bildungszwecken umgewandelt werden.

Blaue Karte EU

Reform des europäischen Rechts wird umgesetzt

Die Blaue Karte EU ermöglicht insbesondere akademischen Fachkräften aus Drittstaaten den Aufenthalt in der EU zur Ausübung einer hoch qualifizierten Beschäftigung. Die Regelungen zur Blauen Karte wurden auf europäischer Ebene umfassend modernisiert. Mit dem Gesetzentwurf sollen diese Neuerungen umgesetzt werden. Dabei will die Regierung vorhandene Spielräume nutzen, um die Zuwanderung hoch qualifizierter Fachkräfte zu fördern.

Hoch qualifizierte Fachkräfte

So soll eine Blaue Karte EU unter bestimmten Voraussetzungen auch Fachkräften ausgestellt werden, die ein tertiäres Bildungsprogramm erfolgreich abgeschlossen haben, das mit einem Hochschulabschluss gleichwertig ist. Das betreffende Bildungsprogramm muss

  • mindestens drei Jahre Ausbildungsdauer erfordern und
  • einem Ausbildungsniveau entsprechen, das mindestens
    • der Stufe 6 der Internationalen Standardklassifikation im Bildungswesen (ISCED 2011) in der Bundesrepublik Deutschland oder
    • der Stufe 6 des Europäischen Qualifikationsrahmens

zugeordnet ist.

Gehaltsschwellen

Außerdem senken die vorgeschlagenen Neuregelungen die Mindestgehaltsschwelle für Regel- und Engpassberufe auf 56,6 Prozent (derzeit 66,6 Prozent) bzw. 45,3 Prozent (derzeit 52 Prozent) der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung. Das entspricht 49.582 Euro (derzeit 58.400 Euro) bzw. 39.683 Euro im Jahr 2023.

Zudem wird die (vergleichsweise geringe) Mindestgehaltsschwelle, die für Engpassberufe gilt, künftig auch für Berufsanfänger (in einem Regelberuf) mit akademischem Abschluss gelten, was diesen den Berufseinstieg in Deutschland erleichtert. Der Hochschulabschluss darf hier höchstens drei Jahre zurückliegen und muss mit einem deutschen Abschluss vergleichbar sein. Darüber hinaus wird die Liste der Engpassberufe über die aktuelle Regelung für MINT-Berufe auch auf andere Berufsbilder erweitert.

International Schutzberechtigte und IT-Spezialisten ohne Hochschulabschluss

International Schutzberechtigte, die ihren Schutzstatus in einem EU-Mitgliedstaat erhalten haben, sollen künftig ebenfalls eine Blaue Karte EU erhalten können. Auch IT-Spezialistinnen und ­Spezialisten ohne Hochschulabschluss, die bestimmte Qualifikationen nachweisen können, können laut Regierungsentwurf künftig eine Blaue Karte EU beantragen. Die erforderliche Berufserfahrung von drei Jahren muss in den letzten sieben Jahren erworben sein, die daraus gewonnenen Kenntnisse und Fähigkeiten Hochschulniveau haben und für die angestrebte Beschäftigung erforderlich sein.

Die in der EU-Richtlinie eröffnete Möglichkeit, allgemein auf fünf Jahre relevante Berufserfahrung abzustellen, um eine Blaue Karte EU zu erteilen, hat der deutsche Gesetzgeber weiterhin nicht vorgesehen.

Stellenwechsel

Die Blaue Karte EU soll zukünftig nur noch ein Jahr auf einen Arbeitgeber bzw. eine Position beschränkt sein (derzeit zwei Jahre). Arbeitgeber- bzw. Positionswechsel innerhalb des ersten Jahres sollen vereinfacht werden: Die Entscheidungsfrist für die Behörde in Deutschland soll 30 Tage ab Einreichung des vollständigen Antrags betragen. Entscheidet die Behörde nicht innerhalb dieser Frist, darf die Tätigkeit bereits aufgenommen werden.

Niederlassungserlaubnis

Wer als Inhaber einer Blauen Karte für mindestens 27 Monate beschäftigt war und entsprechende Versicherungsbeiträge in Deutschland erbracht hat, soll eine Niederlassungserlaubnis erhalten können, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. Derzeit gilt eine Mindestdauer von 33 Monaten. Für sonstige Fachkräfte soll diese Frist von vier auf drei Jahre verkürzt werden.

Ehegatten von Arbeitnehmern, die eine Niederlassungserlaubnis nach einer Blauen Karte erhalten, sollen nach drei Jahren ebenfalls eine Niederlassungserlaubnis erhalten können (bisher fünf Jahre), wenn zusätzlich zu den sonstigen Voraussetzungen eine Erwerbstätigkeit von mindestens 20 Wochenstunden ausgeübt wird.

Mehr Mobilität innerhalb von Europa

Kurzfristige Mobilität

Inhaber einer Blauen Karte EU aus einem anderen EU-Mitgliedstaat dürfen wie bisher für bis zu 90 Tage innerhalb von 180 Tagen visumsfrei nach Deutschland einreisen, um hier eine geschäftliche Tätigkeit auszuüben. Die Tätigkeit muss im direkten Zusammenhang mit den Geschäftsinteressen des Arbeitgebers und den arbeitsvertraglichen Berufspflichten des Arbeitnehmers stehen. Erstmals wird jedoch aufgrund der EU-Vorgaben definiert, was hierbei erlaubt ist. Größtenteils deckt sich das mit den Geschäftsreisetätigkeiten, die in Deutschland auch jetzt allgemein schon erlaubt sind.

Langfristige Einwanderung

Auch die langfristige Einwanderung nach Deutschland unter einer Blauen Karte EU aus einem anderen EU-Mitgliedstaat soll leichter werden. So sieht der Entwurf vor, dass die langfristige Mobilität bereits nach zwölf bzw. (wenn es bereits eine Blaue Karte EU in zwei anderen EU-Mitgliedstaaten gab) nach sechs Monaten möglich ist.

Zudem ist geplant, in diesen Fällen den Umfang der Prüfung für die Erteilung einer (weiteren) Blauen Karte EU zu reduzieren – insbesondere soll die Gleichwertigkeitsprüfung des Hochschulabschlusses dann entfallen, wenn die Blaue Karte EU im anderen Mitgliedstaat erteilt wurde, weil der Abschluss dort anerkannt war und der Aufenthalt mit der Blauen Karte EU mindestens zwei Jahre betragen hat.

Schnelle Entscheidung durch die Behörde

Auch hier soll die Entscheidungsfrist für die Behörde in Deutschland 30 Tage ab Einreichung des vollständigen Antrags betragen. Wenn die Behörde nicht innerhalb dieser Frist entscheidet, darf die Tätigkeit bereits aufgenommen werden.

Auch die Hürden für den Familiennachzug von Angehörigen sollen gesenkt werden: Bestimmte Nachweise, dass der Lebensunterhalt gesichert ist, sollen entfallen.

Zusätzliche Maßnahmen

Die Regierung plant zudem, das Angebot von Deutschkursen und Vorintegrationsmaßnahmen in den Herkunftsländern auszuweiten. So sollen Fachkräfte bereits vor der Einreise auf ihr Leben in Deutschland vorbereitet werden.

Der Umfang der erlaubten Beschäftigung für in Deutschland eingeschriebene Studierende soll sich von derzeit 120 ganzen bzw. 240 halben Tagen auf 140 ganze bzw. 280 halbe Tage erhöhen.

Personen mit ausgeprägter Berufserfahrung

Die Änderung der Beschäftigungsverordnung soll die bisher auf IT-Fachkräfte beschränkte Möglichkeit zur Erteilung eines Aufenthaltstitels für Personen mit ausgeprägter Berufserfahrung für nicht reglementierte Berufe auf alle Berufsgruppen erweitern.

Erforderliche Qualifikation

Ausreichend sollen dann zwei Jahre einschlägige Berufserfahrung innerhalb der letzten fünf Jahre sein (derzeit drei Jahre innerhalb von sieben Jahren). Voraussetzung für Berufe außerhalb der IT-Branche ist dabei, dass diese Personen entweder einen Berufsabschluss mit mindestens zweijähriger Ausbildung oder einen Hochschulabschluss auf dem betreffenden Gebiet besitzen, der jeweils in dem Land, in dem er erworben wurde, staatlich anerkannt ist.

Gehaltsschwelle

Das Gehalt laut (erforderlichem) Jobangebot muss sich auf mindestens 45 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung belaufen. Ein geringeres Gehalt ist bei Tarifbindung des Arbeitgebers möglich. Sprachkenntnisse sind nicht mehr nachzuweisen.

Kontingentierte kurzzeitige Beschäftigung

Mit der kontingentierten kurzzeitigen Beschäftigung wird ein Arbeitsmarktzugang eingeführt, der nicht von der Qualifikation der Beschäftigten abhängt. Sie lässt eine Beschäftigung von acht Monaten in einem Zeitraum von zwölf Monaten zu. Der Arbeitgeber muss tarifgebunden sein bzw. einer Branche angehören, in der ein allgemein verbindlicher Tarifvertrag gilt. Eine kontingentierte kurzzeitige Beschäftigung ist grundsätzlich sozialversicherungspflichtig. Darüber hinaus sollen Arbeitgeber die erforderlichen Reisekosten tragen müssen.

Laut Verordnungsbegründung soll die Regelung Arbeitgebern insbesondere die Möglichkeit eröffnen, Engpässe in Spitzenzeiten, z. B. im Hotel- und Gaststättengewerbe oder in der Landwirtschaft, durch die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte abzufangen. Die Regelung ist dabei nicht auf Beschäftigungssektoren beschränkt, die nur saisonabhängige Tätigkeiten umfassen.

Verstöße gegen Arbeitgeberpflichten

Außerdem ermöglicht die Verordnung der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitgeber, die in schwerwiegender Weise gegen ihre sozialversicherungsrechtlichen, steuerlichen oder arbeitsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen oder verstoßen haben, für bis zu fünf Jahre von der Erteilung einer Zustimmung oder einer Arbeitserlaubnis für die Beschäftigung einer Ausländerin oder eines Ausländers auszuschließen (§ 36 Abs. 4). 

Handlungsempfehlung

Die geplanten Änderungen würden die bereits bestehenden sehr guten Regeln für Fachkräfte erweitern, indem insbesondere Erleichterungen geschaffen und Möglichkeiten für Arbeitskräfte mit nicht formalen Qualifikationen (vor allem Berufserfahrung) ausgebaut werden. Die Rekrutierung geeigneter Fachkräfte aus dem Ausland dürfte sich daher in absehbarer Zukunft inhaltlich deutlich einfacher gestalten.

Im Gesetzgebungsverfahren muss nach der Zustimmung durch den Bundestag bei den meisten der geplanten Neuerungen auch der Bundesrat zustimmen. Ein Inkrafttreten ist für die meisten Änderungen frühestens am 01.12.2023 vorgesehen, kann sich jedoch auch noch deutlich verschieben. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens kann es noch zu signifikanten Änderungen kommen. Deutsche Arbeitgeber sollten daher die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen. Eine Analyse, welche offenen Positionen möglicherweise durch ausländische Fachkräfte besetzt werden können, könnte dennoch schon jetzt sinnvoll sein.

Wichtig für eine wirklich starke Verbesserung der Lage wäre aber auch ein Ausbau der personellen Kapazitäten bei den zuständigen Behörden, um die teilweise extrem langen Prozesszeiten zu verkürzen und den Standort Deutschland dadurch noch attraktiver zu machen.

Kontaktpersonen: Florian Brandl, Jan Werner, Martina Unrau

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