Arbeitsrechtliche Konsequenzen der Scheinselbständigkeit
Kündigungsschutz, Anspruch auf bezahlten Urlaub …
Bei Vorliegen einer Scheinselbständigkeit besteht ein vollumfängliches Arbeitsverhältnis mit allen arbeitgeberseitigen Rechten und Pflichten beim beauftragenden Unternehmen. Es gelten zugunsten des Beschäftigten sämtliche Arbeitnehmerschutzgesetze. Besonders wichtig sind hier vor allem
- das Recht auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß dem Entgeltfortzahlungsgesetz,
- das Recht auf bezahlten Erholungsurlaub von mindestens vier Wochen pro Jahr gemäß dem Bundesurlaubsgesetz und
- der Kündigungsschutz gemäß dem Kündigungsschutzgesetz sowie möglicherweise gemäß anderen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, die zugunsten von Schwangeren und schwerbehinderten Menschen gelten.
Häufig wird die Selbständigkeit auf Veranlassung der Beschäftigten selbst überprüft, wenn diese in den Genuss von Arbeitnehmerschutzrechten kommen wollen. Daher sind Feststellungsverfahren und Streitigkeiten häufig programmiert, wenn es um bezahlten Urlaub, Krankheit oder die Beendigung der Zusammenarbeit geht.
Ein weiteres Risiko besteht bei Arbeitsunfällen. In diesem Fall kann die Berufsgenossenschaft den Auftraggeber für sämtliche Kosten in Regress nehmen.
Risiken für verantwortliche Geschäftsführer
Dem Geschäftsführer drohen bei Unzuverlässigkeit (§ 35 GewO) infolge Steuerstraftaten und Beitragsdelikten neben Strafen oder Bußgeldern Berufsverbote, ein Entzug der gewerblichen Erlaubnis (Stichwort: gewerbebezogene Unzuverlässigkeit) und ggf. der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge.
Freelancer im Ausland
Befindet sich der Freelancer im Ausland, ist nach lokalem Recht zu beurteilen, ob eine Scheinselbständigkeit vorliegt. Auch eventuelle arbeitsrechtliche Konsequenzen richten sich nach dem ausländischen Recht.
Immigration – Arbeitserlaubnis
Ausländische Freelancer im Inland
Sollen Drittstaatsangehörige in Deutschland als Freelancer beschäftigt werden, ist unbedingt darauf zu achten, dass eine gültige Aufenthaltsgenehmigung für die selbständige Tätigkeit vorliegt. Aufgrund der aktuellen Sondersituation sind die zuständigen Behörden allerdings stark überlastet und es ist mit langen Bearbeitungszeiten zu rechnen.
Im Rahmen der Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung muss der Freiberufler nachweisen, dass er über genügend finanzielle Mittel und insbesondere über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügt.
Stellt sich heraus, dass ein vermeintlicher Freelancer tatsächlich abhängig beschäftigt ist und handelt es sich dabei um einen Drittstaatsangehörigen, verfügt er regelmäßig nicht über die erforderliche Arbeitsgenehmigung. Dem Arbeitgeber droht in diesem Fall ein saftiges Bußgeld.
Freelancer im Ausland
Auch hier kann es grundsätzlich nach den nationalen Vorschriften erforderlich sein, einen entsprechenden Aufenthaltstitel einzuholen, falls die betreffende Person nicht die Staatsangehörigkeit ihres Aufenthaltsstaates hat. Eine Ausnahme bildet die Tätigkeit eines EU-Bürgers in einem anderen EU-Mitgliedstaat. Eine eventuelle Scheinselbständigkeit kann – wie bei Inlandssachverhalten – erhebliche Risiken für den Auftraggeber mit sich bringen.
Sozialversicherungsrechtliche Folgen der Scheinselbständigkeit
Nachzahlung von Beiträgen
Im Fall einer Scheinselbständigkeit hat das beauftragende Unternehmen für bis zu vier Jahre rückwirkend die Sozialversicherungsbeiträge für die in Deutschland lebenden (und tätigen) Beschäftigten zu entrichten, und zwar sowohl den Arbeitgeberanteil als auch den Arbeitnehmeranteil (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Bei Vorsatz verlängert sich die Frist auf 30 Jahre (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Zusätzlich fallen Säumniszuschläge an.
Grundsätzlich ist nach deutschem Recht davon auszugehen, dass die bisher gezahlten Vergütungen netto gezahlt wurden und daher hochzurechnen sind. Die Beiträge zur Sozialversicherung (einschließlich Arbeitnehmeranteil) fallen also zusätzlich an. Der Arbeitnehmeranteil kann grundsätzlich lediglich für die letzten drei Monate zurückgefordert werden, allerdings nur, wenn der Freelancer noch für den Arbeitgeber tätig ist. Daneben sind zusätzlich Säumniszuschläge zu entrichten.
Bei der Beschäftigung von Rentnerinnen oder Rentnern, die bereits die Regelaltersgrenze erreicht haben – etwa im Rahmen eines Beratervertrags –, gelten einige Besonderheiten. Beispielsweise entfällt hier grundsätzlich der Arbeitnehmerbeitrag zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung. Allerdings kann ein Rentner, der eine Vollrente wegen Alters bezieht und sein Regelalter überschritten hat, auf die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung verzichten – jedoch nur mit Wirkung für die Zukunft und dann bindend für die gesamte Dauer der Beschäftigung.
Straf- und ordnungsrechtliche Konsequenzen
Darüber hinaus hat der Auftraggeber sogar straf- und ordnungsrechtliche Konsequenzen zu befürchten (insbesondere §§ 111 SGB IV, 209 SGB VII). Wenn beispielsweise die scheinselbständige Person vorher in der gleichen Funktion im Unternehmen angestellt war, droht der Vorwurf des Vorsatzes. In diesem Fall kann gegen den Arbeitgeber eine Geldstrafe verhängt werden. Auch die betreffenden verantwortlichen Personen müssen dann mit einer Geldstrafe oder sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen (§ 266a StGB).
Die Anzahl der jährlich in diesem Zusammenhang eingeleiteten Strafverfahren liegt im fünfstelligen Bereich (Polizeiliche Kriminalstatistik zu § 266a StGB). Einen Lichtblick liefert die neuere Rechtsprechung des BGH. War die Auffassung des Arbeitgebers, dass eine selbständige Tätigkeit vorliegt, zumindest vertretbar, liegt danach kein Straftatbestand nach § 266a StGB mehr vor (Urteil vom 24.09.2019, 1 StR 331/17). Ein Vorsatz ist laut Gericht nur noch dann anzunehmen, wenn die betreffende Person
- es zumindest für möglich gehalten hat, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt,
- deshalb zur Abführung von Beiträgen zur Sozialversicherung verpflichtet ist und
- die Verletzung dieser Pflichten billigend in Kauf genommen hat.