Ein längerer Studienaufenthalt des Kindes kann unerwünschte Auswirkungen auf den Anspruch auf Kindergeld haben. Eine wesentliche Rolle spielt hier die Frage, ob das Kind seinen Wohnsitz in Deutschland beibehält. Hierzu hatte der Bundesfinanzhof (BFH) schon mehrfach Gelegenheit, sich zu äußern. In seinem aktuellen Urteil vom 21.06.2023 (III R 11/21) stellte er unter anderem klar, dass bei der Berechnung, ob das Kind mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit im Inland verbracht hat, alle Inlandsaufenthalte zu berücksichtigen sind – unabhängig von ihrem Anlass.
Verlängerung des Studienaufenthalts
Die Tochter der Klägerin studierte drei Jahre lang in Australien und erwarb dort auch einen Hochschulabschluss. Sie lebte dort in einer Wohngemeinschaft. Ursprünglich hatte sie nur einen Studienaufenthalt von einem Jahr geplant, aber im Juni des zweiten Jahres entschloss sie sich, ihr Auslandsstudium zu verlängern.
Aufenthalte im Inland
Während des Studiums in Australien hielt sich die Tochter der Klägerin zweimal in Deutschland auf. Ihr erster Aufenthalt dauerte über 60 Tage. Eine Woche davon war sie im Krankenhaus und danach waren noch ambulante Reha-Maßnahmen erforderlich. Der zweite Aufenthalt in Deutschland erstreckte sich über gut zwei Wochen. Er begann im Dezember des vorletzten Studienjahres und endete im Januar des Folgejahres.
Familienkasse hebt Kindergeldfestsetzung auf
Die Familienkasse stellte die Kindergeldzahlungen ein, hörte die Klägerin an, hob schließlich die Kindergeldfestsetzung mit Beginn des Auslandsstudiums auf und forderte das für den betreffenden Zeitraum gezahlte Kindergeld zurück.
Einjähriger Auslandsaufenthalt
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH ist bei einem Auslandsaufenthalt von bis zu einem Jahr zu Ausbildungs- Schul- oder Studienzwecken für die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes kein unterjähriger Aufenthalt in Deutschland erforderlich. Anders sieht es bei einem für einen längeren Zeitraum („mehrjährigen“) geplanten Auslandsaufenthalt aus.
Mehrjähriger Auslandsaufenthalt
Hier behält das Kind den Wohnsitz in der elterlichen Wohnung laut BFH regelmäßig nur dann bei, wenn es sich während der ausbildungsfreien Zeit überwiegend in Deutschland aufhält und die Inlandsaufenthalte Wohncharakter haben. Für die Beurteilung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, kommt es laut BFH in der Regel auf die Verhältnisse im Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahr an.
Erstes Studienjahr
War der Aufenthalt zunächst nur für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr geplant und entscheidet sich das Kind erst später für eine Verlängerung, sind die Kriterien für die Wohnsitzbeibehaltung bei einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt erst ab dem Zeitpunkt dieses Entschlusses anzuwenden. Die fehlenden Inlandsaufenthalte im ersten Studienjahr sind daher im Streitfall unbeachtlich.
Aufenthalte im Inland nach dem ersten Studienjahr
Bei der Feststellung, ob das Kind die ausbildungsfreie Zeit überwiegend in der inländischen Wohnung verbracht hat, zählen nach Auffassung des BFH alle Aufenthaltstage, unabhängig von ihrem Anlass. Fehlende finanzielle Mittel oder Besuche der Eltern im Ausland seien hingegen unbeachtlich. Im zweiten Studienjahr war die Tochter der Klägerin – abgesehen von kurzen Unterbrechungen wie dem Krankenhausaufenthalt – über 60 Tage in der Wohnung ihrer Mutter in Deutschland. Auch die übrigen Umstände wie die sozialen Bindungen der Tochter und die Wohnverhältnisse in Australien und Deutschland sprechen aus Sicht des BFH für eine Beibehaltung des Wohnsitzes im Inland.
Aufgabe des Wohnsitzes
Wenn schon während des laufenden Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahres feststeht, dass das Kind nicht mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit in der Wohnung der Eltern verbringen wird, deutet dies darauf hin, dass schon zu diesem Zeitpunkt der Wohnsitz in Deutschland aufgegeben wird. So der BFH weiter in seiner Urteilsbegründung. Im dritten Studienjahr kam die Tochter erst im Dezember nach Deutschland und damit so spät, dass sie nicht mehr über die Hälfte ihrer ausbildungsfreien Zeit in Deutschland verbringen konnte. Daher habe sie ihren inländischen Wohnsitz noch in diesem Monat aufgegeben. Ab diesem Zeitpunkt bestand demnach kein Anspruch auf Kindergeld mehr.