In einem aktuellen Urteil hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm mit der Frage befasst, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer die zu vergütenden Überstunden nachzuweisen hat, wenn die Arbeitszeit elektronisch erfasst wird. Laut LAG muss auch in diesem Fall der Arbeitnehmer die zusätzlich geforderten Überstunden nachweisen (LAG Hamm, Urteil vom 24.05.2023, 9 Sa 1231/22). Dennoch sollten Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass sie ihren Beschäftigten ein verlässliches System zur Arbeitszeiterfassung zur Verfügung stellen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche eines Klägers aus einem beendeten Arbeitsverhältnis. Der Kläger war als Lagermitarbeiter und Servicetechniker in der Zeit vom 18.09.2020 bis zum Ablauf des 31.03.2022 bei der Beklagten angestellt. Die Bruttomonatsvergütung betrug bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden zuletzt 2.500,00 Euro.
Der Kläger nahm an der im Betrieb der Beklagten eingerichteten elektronischen Arbeitszeiterfassung teil. Im Rahmen der Zeiterfassung wurden unter anderem Anfang und Ende der täglichen Arbeitszeit, Pausen, Ist- und Sollwerte sowie tage- und monatsbezogen die bestehenden Salden festgehalten. Die konkrete Zeiterfassung erfolgte über eine Zeitkarte, die die Beschäftigten an die in der Lagerhalle angebrachte technische Vorrichtung („Stempeluhr“) halten.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnete die Beklagte 299,50 Überstunden mit einem Stundenlohn in Höhe von 10,00 Euro brutto ab und zahlte den entsprechenden Nettobetrag aus. Der Kläger forderte jedoch eine Vergütung in Höhe von 14,42 Euro brutto pro Stunde sowie die Auszahlung des sich daraus ergebenden Differenzbetrags in Höhe von insgesamt 1.323,79 Euro. Er war der Ansicht, der erhöhte Stundenlohn ergebe sich aus der Bruttomonatsvergütung in Höhe von zuletzt 2.500,00 Euro und der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden, und klagte vor dem Arbeitsgericht, das die Klage jedoch abwies.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Kläger sei der ihm obliegenden Darlegungslast nicht nachgekommen. Er habe nicht ausreichend zu konkret geleisteten, über die Normalarbeitszeit und die von der Beklagten bereits vergütete Arbeitszeit hinausgehenden, weiteren Arbeitsstunden vorgetragen.
Rechtliche Ausgangslage
Grundsätzlich gilt bei der Geltendmachung von Überstundenforderungen eine sog. abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Zunächst muss der Arbeitnehmer konkret darlegen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat. Dabei muss er zudem angeben, welche Tätigkeit er ausgeübt hat und dass die Ableistung der Überstunden von der Arbeitgeberin angeordnet wurde oder zumindest dieser bekannt war und von ihr gebilligt wurde.
Hierauf muss die Arbeitgeberin sodann erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten sie dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen nachgekommen oder nicht nachgekommen ist. Trägt sie nichts vor oder lässt sie sich nicht substanziiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden. Trägt die Arbeitgeberin hingegen substanziiert vor, obliegt dem Arbeitnehmer die abschließende Darlegung und der Beweis (BAG, Urteil vom 04.05.2022, 5 AZR 359/219).
Rechtliche Würdigung
Im vorliegenden Fall war die Beklagte der Klageforderung substanziiert entgegengetreten, indem sie die Monatsjournale aus der elektronischen Zeiterfassung vorgelegt hat. Diese ergaben, dass der Kläger insgesamt lediglich 165,25 Überstunden und nicht die von ihm behaupteten 299,50 Überstunden geleistet hat.
Nicht entscheidungserheblich sei der Vortrag der Beklagten, es sei auf ihrer Seite insbesondere durch eine zuständige Mitarbeiterin zu einem Versehen dahingehend gekommen, dass fehlerhaft ein Überstundensaldo im Umfang von 299,50 Stunden in eine Excel-Tabelle übertragen und dieser dann ebenfalls fehlerhaft mit 10,00 Euro brutto je Stunde abgerechnet wurde. Die Widersprüchlichkeit zwischen den erteilten Abrechnungen einerseits und den erst im Prozess vorgelegten Auszügen aus dem Zeiterfassungssystem andererseits seien nicht zulasten der Beklagten auszulegen. Die Beklagte sei nicht an die im Rahmen der Abrechnungen von ihr zunächst selbst zugrunde gelegten Stundenzahlen gebunden.
Grundlage eines Vergütungsanspruchs seien immer nur die tatsächlich durch den Kläger geleisteten Stunden, sodass vorherige Versehen bei der Überstundenberechnung und -auszahlung keinen entscheidungserheblichen Aspekt betreffen. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, dem Vortrag der Beklagten wiederum seinerseits entgegenzutreten und konkret vorzutragen, an welchen Tagen er über den in den Monatsjournalen der elektronischen Zeiterfassung ausgewiesenen Umfang hinaus gearbeitet hat. Dies habe er jedoch nicht getan und sich stattdessen darauf beschränkt, der Beklagten ohne für das Gericht erkennbaren Anhaltspunkt eine „Manipulation“ der Monatsjournale zu unterstellen.
Aufgrund der 165,25 Überstunden ergab sich bei einem Stundenlohn in Höhe von 14,42 Euro brutto eine Vergütung in Höhe von 2.382,91 Euro brutto, während die Beklagte bereits 2.995,00 Euro brutto gezahlt hatte. Daher habe der Kläger keinen Anspruch auf eine höhere Überstundenvergütung.