Kein Zufluss von Arbeitslohn – unter bestimmten Voraussetzungen
In einem neu veröffentlichten Urteil hatte der Bundesfinanzhof (BFH) zu entscheiden, ob die sozialversicherungsrechtlich unwirksame Übertragung eines Wertguthabens auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) zum Zufluss von Arbeitslohn führt (Urteil vom 03.05.2023, IX R 25/21). Im Streitfall waren Abfindungen verspätet auf die DRV Bund übertragen worden, doch alle Beteiligten haben das wirtschaftliche Ergebnis eintreten und bestehen lassen. Insbesondere hat die DRV Bund die Übernahme der Guthaben bestätigt. Für diese Konstellation hat der BFH entschieden, dass kein Arbeitslohn zufließt (Anschluss an BFH-Urteile vom 22.06.2018, VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl. II 2019, 496 und vom 04.09.2019, VI R 39/17, BFH/NV 2020, 85).
Langzeitkonten
Im Streitfall hatten die Beschäftigten die Möglichkeit, beispielsweise durch die Entgeltumwandlung von Urlaubstagen ein Guthaben auf Langzeitkonten aufzubauen. Die betreffenden Beträge zahlte die Klägerin in eine Rentenversicherung (Gruppenversicherung) ein. Bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses sollte das Guthaben entweder in einem Betrag ausgezahlt oder ohne Abzug von Lohnsteuer auf den neuen Arbeitgeber bzw. die DRV Bund übertragen werden (§ 7f des Vierten Buches Sozialgesetzbuch [SGB IV], sog. Mannheimer Modell).
Umstrukturierung und Sozialplan
Im Rahmen von Umstrukturierungen bot die Klägerin Außendienstmitarbeitern, die aus dem Unternehmen ausschieden, Abfindungen an. Der hierfür maßgebliche Sozialplan ermöglichte es den Mitarbeitern, die Abfindung in das Langzeitkonto einzubringen. Vier der betroffenen Mitarbeiter beantragten vor der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse, die Abfindungszahlung ihrem Langzeitguthaben zuzuführen und die Langzeitguthaben nach dem Ende ihrer Beschäftigung auf die DRV Bund zu übertragen.
Überweisung an die DRV Bund
Diese Beträge von insgesamt rund 880.000 Euro überwies die Klägerin mit zeitlicher Verzögerung direkt an die DRV Bund, ohne sie zunächst in die Gruppenversicherung einzuzahlen. Lohnsteuer wurde insoweit keine abgeführt. Die DRV Bund bestätigte den Arbeitnehmern die Übernahme der Langzeitguthaben im Jahr 2013.
Übertragung auf die DRV Bund laut Finanzbehörde unwirksam
Der Lohnsteueraußenprüfer hielt eine steuerfreie Übertragung auf die DRV Bund für ausgeschlossen. Die Klägerin habe die Abfindungen nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr wirksam dem Langzeitkonto zuführen und somit auch nicht steuerfrei auf die DRV Bund übertragen können. Das Finanzamt folgte dieser Sichtweise und erließ einen Haftungsbescheid. Einspruch und Klage vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg blieben ohne Erfolg.
Gutschrift auf Wertguthabenkonto kein Zufluss
Der BFH gab der Klage statt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH fließt durch die Gutschrift auf einem Wertguthabenkonto kein Arbeitslohn zu, sondern der Arbeitnehmer erwirbt einen noch nicht fälligen Anspruch auf Lohnzahlung. Erst wenn das Wertguthaben an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird, fließt Arbeitslohn zu. Dies gilt entsprechend, wenn das Wertguthaben gemäß § 7f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV auf die DRV Bund übertragen wird.
Wirtschaftliches Ergebnis maßgeblich
Es spielt keine Rolle, ob die fraglichen Abfindungen den Langzeitkonten wirksam zugeführt werden konnten, erläutert das Gericht in seiner Urteilsbegründung. Entscheidend ist laut BFH, dass die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts eintreten und bestehen lassen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung). Im Streitfall seien alle Beteiligten von der Zulässigkeit und Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarungen ausgegangen und hätten sich entsprechend verhalten. Somit konnten die Arbeitnehmer nicht auf die nicht an sie ausgezahlten Abfindungen zugreifen.
Dass die Abfindungen nicht zuerst dem Gruppenversicherungskonto zugeführt, sondern direkt an die DRV Bund überweisen wurden, wertet der BFH lediglich als eine Abkürzung des Zahlungsweges, daher spiele dies für die steuerliche Beurteilung keine Rolle.
Davon abgesehen müsste die DRV Bund ein zu Unrecht übertragenes Wertguthaben auch nicht an den Arbeitnehmer herausgeben, führt der BFH weiter aus. Es bleibe bis zum Zufluss beim Arbeitnehmer Vermögen des Arbeitgebers.
Kein Zufluss im Streitzeitraum
Soweit die Abfindungen den Langzeitkonten zugeführt werden sollten, sind sie laut Urteilsbegründung im Streitzeitraum nicht zugeflossen. Die Lohnsteuer darauf sei nicht entstanden, sodass eine Haftung der Klägerin nicht infrage komme.