Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge

Uneinigkeit beim BFH

In einem am 24.11.2022 vom Bundesfinanzhof veröffentlichten Streitfall hatte die Antragstellerin, eine GmbH, die Lohnsteuer und die Umsatzteuer für den Zeitraum Juli 2021 verspätet entrichtet. Das Finanzamt setzte daraufhin Säumniszuschläge fest und erließ einen Abrechnungsbescheid, wogegen die GmbH Einspruch einlegte. Das Finanzgericht Münster setzte die Vollziehung des Abrechnungsbescheids aus. Doch damit gab sich das Finanzamt nicht zufrieden und legte Revision ein – mit Erfolg. Zumindest bisher ist der im Streitfall zuständige 6. Senat mit seiner Auffassung allerdings in der Minderheit.

6. Senat: keine Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge

Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ist insbesondere dann ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Doch anders als der 5. und der 7. Senat (Beschlüsse vom 31.08.2021, VII B 69/21 [AdV] und vom 23.05.2022, V B 4/22 [AdV]) hat der 6. Senat des BFH nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Höhe der Säumniszuschläge (Beschluss vom 28.10.2022, VI B 15/22 [AdV]).

  • Wird eine Steuer nicht fristgerecht entrichtet, fällt für jeden angefangenen Monat ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Betrags an (§ 240 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung). Der Säumniszuschlag dient mehreren Zwecken, nämlich

    • als Druckmittel, damit Steuerpflichtige ihre Steuerschulden rechtzeitig begleichen,
    • als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und
    • als Ausgleich der Verwaltungsaufwendungen, die durch die spätere Zahlung entstehen.

Unterschiede zwischen der Verzinsung von Steuernachzahlungen und Säumniszuschlägen

Steuerpflichtige haben die Höhe der Nachzahlungszinsen nicht in der Hand, da diese unter anderem davon abhängt, wann die Veranlagung erfolgt. Die Höhe der Säumniszuschläge können sie hingegen beeinflussen, denn sie haben die Wahl, ob sie ihre Steuerschulden pünktlich zahlen oder nicht, erläutert das Gericht.

Daher könne eine Verfassungswidrigkeit insbesondere nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.07.2021 abgeleitet werden – auch nicht im Hinblick auf den (nicht quantifizierbaren) enthaltenen Zinsanteil. 

Andere Bedenken greifen ebenfalls nicht

Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung konnte das Gericht ebenfalls nicht erkennen. Wie der 5. Senat sieht auch der 6. Senat zudem keine Verletzung unionsrechtlicher Grundsätze. Beide Senate lehnen darüber hinaus eine teilweise Verfassungswidrigkeit bzw. Aussetzung der Vollziehung ab (Beschluss vom 23.05.2022, V B 4/22). Denn die Säumniszuschläge können nur insgesamt verfassungswidrig oder verfassungskonform sein.

8. Senat bestätigt Zweifel an Verfassungsmäßigkeit

Am 01.12.2022 hat der BFH eine weitere Entscheidung veröffentlicht, in der ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge geäußert wurden (Beschluss vom 11.11.2022, VIII B 64/22). Damit schließt sich der 8. Senat der Auffassung des 5. und des 7. Senats an. Der Senat erwähnt die Entscheidung des 2. Senats des BFH (NV) vom 20.09.2022, II B 3/22 (AdV), der keinen Grund für einen Gleichlauf der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Höhe von Zinsen nach § 233a AO und von Säumniszuschlägen sieht, und weist darauf hin, dass eine Anrufung des Großen Senats nicht in Betracht kommt.

Handlungsempfehlung

Der 6. Senat hat in fünf weiteren Verfahren weitgehend inhaltsgleich entschieden. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Sämtliche Entscheidungen der verschiedenen Senate des BFH zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge betreffen bisher nur Verfahren der Aussetzung der Vollziehung, in denen die Rechtsfrage nicht abschließend zu beantworten ist. Eine Anrufung des Großen Senats des BFH zur abschließenden Klärung dieser Rechtsfrage kommt daher (noch) nicht in Betracht (BFH-Beschluss vom 15.04.2010, IV B 105/09). 

Betroffene sollten in Erwägung ziehen, gegen die Festsetzung der Säumniszuschläge Rechtsbehelf einzulegen. Der 6. Senat des BFH hat in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, ggf. alternativ den (teilweisen) Erlass (§ 227 AO) der Säumniszuschläge zu beantragen. Bei Bagatellbeträgen ist jedenfalls von der Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung allein schon im Hinblick auf die anfallenden (Verwaltungs-)Kosten regelmäßig abzuraten.