Innerhalb des Beschaffungswesens der öffentlichen Hand kam der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen für Verteidigungs- und Sicherheitszwecke schon immer eine besondere Bedeutung zu. Insbesondere die äußere Sicherheit lässt sich häufig nur durch einen hohen Einsatz von Material gewährleisten. Der hierfür aktuell vorgelegte Entwurf eines Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetzes (BwBBG-Entwurf) wird politisch mit einer Zeitenwende für Europa begründet, die durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine manifestiert wird. Angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Bedrohungslage müsse die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr gemäß der Begründung zum Gesetzesentwurf (BT-Drs. 20/2353) schnellstmöglich erhöht werden.
Für die Vergaben von Aufträgen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit sah das europäische Vergaberecht zunächst keine besonderen Regeln vor. Erst mit der Schaffung der Richtlinie 2009/81/EG führte der Richtliniengeber besondere Regelungen für die Auftragsvergabe in diesen Bereichen ein. Im innerstaatlichen Recht wurden sie insbesondere durch die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) und den Abschnitt 3 der VOB/A umgesetzt. Die vorige Zurückhaltung der Mitgliedstaaten der EU bei der Öffnung der Beschaffungsmärkte im Bereich der Rüstungsbeschaffung hatte rechtlich seinen Anknüpfungspunkt in Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV zugunsten der mitgliedstaatlichen Souveränität im Falle der Betroffenheit „wesentlicher Sicherheitsinteressen“. Die für die Beschaffung von Militärgütern maßgeblichen innerstaatlichen Vorschriften sind bereits zuletzt durch das „Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ vom 25.3.2020 (BGBl. I, vom 1.4.2020, S. 674) geändert worden.
Nach dem in § 1 des Entwurfs ausdrücklich geregelten Gesetzeszweck dient der nunmehr vorgelegte Entwurf des BwBBG dem zeitnahen Erreichen eines breiten, modernen und innovationsorientierten Fähigkeitsspektrums der Bundeswehr und damit der Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Vergabeverfahren sollen beschleunigt und Sicherheitsinteressen einfacher berücksichtigt werden können. Das Gesetz wird nur für öffentliche Aufträge oberhalb der Schwellenwerte gelten, deren Gegenstand insbesondere die Lieferung von Militärausrüstung zur „unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr“ ist und vom Bundesministerium der Verteidigung oder durch die Behörden in seinem Geschäftsbereich vergeben wird (§ 2 Nr. 1 BwBBG-Entwurf). Das Gesetz soll (zunächst) bis zum 31. Dezember 2025 befristet sein.
Zusammenfassend stellen wir Ihnen nachfolgend die wesentlichen Regelungen dar:
Eine bedeutsame Änderung zum GWB soll im Bereich der Regelungen zur losweisen Vergabe umgesetzt werden. Danach dürfen gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 BwBBG-Entwurf – abweichend von § 97 Abs. 4 S. 3 GWB – mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies rechtfertigen. Damit sollen die Gründe für eine Gesamtvergabe um zeitliche Gründe erweitert und die hohe Hürde, dass die benannten Gründe ein Zusammenfassen von Teil- oder Fachlose „erfordern“ (siehe § 97 Abs. 4 S. 3 GWB), auf ein „Rechtfertigen“ abgesenkt werden.
§ 3 Abs. 4 BwBBG-Entwurf sieht in Abweichung zur zwingenden Unwirksamkeitsfolge bei de-facto-Vergaben gemäß § 135 Abs. 1 GWB vor, dass auch bei Verstößen des Auftraggebers i. S. v. § 135 Abs. 1 GWB auf Antrag des Auftraggebers ein Vertrag nicht als unwirksam erachtet wird. So trifft die Nachprüfungsinstanz eine Abwägungsentscheidung über die Unwirksamkeit oder alternative Sanktionen. Dabei sind in Anbetracht der Eilbedürftigkeit der Vergaben der Zweck von § 1 BwBBG-Entwurf und die besonderen Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen der unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr einzubeziehen.
Die gemeinsame europäische Beschaffung soll vereinfacht durchgeführt werden können (§ 4 BwBBG-Entwurf). So soll es möglich sein, im Rahmen von Kooperationsprogrammen den Teilnehmerkreis an einem Vergabeverfahren auf Bieter zu beschränken, die in einem Mitgliedstaat der EU ansässig sind. In § 4 Abs. 2 BwBBG-Entwurf werden weitere umfangreiche Verfahrenserleichterungen aufgezählt, die ebenfalls bei der Beschaffung im Rahmen von Kooperationsprogrammen gelten sollen. So soll zum Beispiel das deutsche Gebot der losweisen Vergabe nicht anzuwenden sein (Nr. 1).
Die Verfahren vor der Vergabekammer sollen mit den Regelungen des § 5 BwBBG-Entwurf ebenfalls beschleunigt werden. So kann beispielsweise auch dann nach Lage der Akten entschieden werden, wenn es der Beschleunigung dient. Weiter kann die mündliche Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a ZPO durchgeführt werden. In § 6 BwBBG-Entwurf werden weitere entsprechende Regelungen zur sofortigen Beschwerde vor den Vergabesenaten getroffen.
Mit dem BwBBG-Entwurf sollen verstärkt die Sicherheitsinteressen im Vergabeverfahren berücksichtigt werden (§ 7 BwBBG-Entwurf). So sollen Auftraggeber abweichend von § 97 Abs. 2 GWB Bieter von einem Vergabeverfahren ausschließen dürfen, wenn diese in einem Staat außerhalb der EU ansässig sind, der nicht die notwendige Gewähr für die Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland bietet. Entsprechende Vorgaben kann der Auftraggeber auch für die Einbeziehung von Unterauftragnehmern tätigen.
Die Beschleunigungsmaßnahmen für die Beschaffungen der Bundeswehr müssen darauf zielen, die Einsatzfähigkeit schnellstmöglich zu erhöhen. So stellt es die Begründung des Gesetzes ausdrücklich fest. Es wird sich zeigen, ob die Regelungen dieses Gesetzesentwurfs hier den wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten können. Möglicherweise müssen jedenfalls flankierend weitere Maßnahmen und insbesondere auch Auslegungshilfen sowie Handreichungen folgen, um schon allein durch eine zunehmende Rechtssicherheit für die Vergabestellen eine (weitere) Beschleunigung bewirken zu können.
Autoren: RA Patrick Thomas, RA Martin Hupfer