Keine Fortsetzung eines inhouse vergebenen Auftrags durch einen neuen Auftragnehmer, der die Inhouse- Kriterien nicht erfüllt

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Oliver Wittig

11 August 2022
Bereich Vergaberecht

Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2022, Rs. C-719/20 – „Comune di Lerici “, dargelegt, dass die Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe und insbes. Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift oder Praxis entgegensteht, nach der die Ausführung eines ursprünglich ohne Ausschreibung inhouse vergebenen öffentlichen Auftrags automatisch von dem Wirtschaftsteilnehmer fortgesetzt wird, der die als Auftragnehmer agierende öffentliche Einrichtung nach einer Ausschreibung übernommen hat, wenn der öffentliche Auftraggeber über diesen Wirtschaftsteilnehmer keine Kontrolle wie über den ursprünglichen Auftragnehmer ausübt und auch nicht an dessen Kapital beteiligt ist. Auch § 108 Abs. 4, 5 GWB ist als nationale Umsetzung im Sinne der Europarechtmäßigkeit auf diese Weise zu interpretieren.

Sachverhalt

Die Kommune Lerici übertrug 2005 durch eine Inhouse-Vergabe die kommunale Abfallbewirtschaftung an die ACAM – eine Aktiengesellschaft, deren damalige Anteilseigner ausschließlich aus Gemeinden einschließlich Lerici bestanden. In der Folgezeit strukturierte sich ACAM mit der IREN, einer in Italien tätigen börsennotierten Gesellschaft unter staatlicher Kontrolle, die ACAM nach öffentlicher Ausschreibung auswählte, um. Dafür übertrugen die Gemeinden ihre ACAM-Anteile auf IREN und erwarben IREN-Anteile. Später gab die Gemeinde Lerici auch ihre Beteiligung an IREN ab. IREN setzte die Dienstleistungen über ihre Tochtergesellschaft ACAM fort. Die für die Bewirtschaftung der kommunalen Abfälle in ihrem Gebiet zuständig gewordene Provinz, in der Lerici liegt, bestellte ACAM 2018 durch Inhouse- Vergabe als Betreiberin der für Lerici zu erbringenden Dienstleistungen.

Die Kommune klagte gegen diese Entscheidung. Der Staatsrat legte als Berufungsinstanz dem EuGH eine Vorabentscheidungsfrage zur Vereinbarkeit der Inhouse-Vergabe mit Art. 12 der Richtlinie 2014/24/EU vor.

EuGH-Entscheidung

Im Zentrum der EuGH-Entscheidung stand die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU (vgl. § 108 Abs. 4, 5 GWB), der Bedingungen enthält, unter denen Inhouse-Vergaben nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. In der Folge müsste das europäische Richtlinien-Vergaberecht nicht beachtet und eine Betrauung der ACAM ohne Wettbewerb könnte gerechtfertigt werden.

Nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU kann ein öffentlicher Auftrag ohne Verfahren nach der Richtlinie vergeben werden, sofern der öffentliche Auftraggeber u. a. gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über den Auftragnehmer eine ähnliche Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt. Eine gemeinsame Kontrolle liegt vor, wenn sich die beschlussfassenden Organe der kontrollierten Einrichtung aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammensetzen, die gemeinsam einen maßgeblichen Einfluss auf die strategischen Ziele und wesentlichen Entscheidungen dieser Einrichtung ausüben können, vgl. Art. 12 Abs. 3 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/24. Allerdings wurden die Bedingungen nicht erfüllt.

Keine Fortsetzung des Auftrags durch IREN

Der ursprünglich inhouse vergebene Auftrag konnte nach der Umstrukturierung nicht ohne Ausschreibung durch IREN fortgesetzt werden, da zwischen der Kommune und IREN die Inhouse-Voraussetzungen nicht erfüllt waren. Lerici war zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht am Kapital von IREN beteiligt und weder in den beschlussfassenden Organen der Gesellschaft vertreten noch in der Lage, gemeinsam mit anderen Gemeinden Einfluss auf Ziele oder Entscheidungen von IREN auszuüben. Dass IREN i. R. der Umstrukturierung von ACAM nach einer öffentlichen Ausschreibung ausgewählt wurde, ändert dieses Ergebnis nicht.

Keine neue Inhouse-Vergabe durch die Provinz

Die Direktvergabe der Abfallbewirtschaftung der Kommune durch die Provinz an die ACAM genüge nicht den Anforderungen der Richtlinie, da die Provinz weder am Kapital von IREN und ACAM beteiligt war noch über Kontroll-Befugnisse verfügte.

Fazit

Die Auslegung des EuGH verhindert eine Umgehung der Inhouse-Kriterien durch spätere Umstrukturierung des Auftragnehmers und ist auf andere Sachbereiche als die Abfallwirtschaft übertragbar. Wichtig ist mithin, die Vergabe-Erfordernisse nach einer Umstrukturierung bei zuvor inhouse vergebenem Auftrag auch für den neuen Auftragnehmer zu prüfen.

Die Entscheidung betrifft die Einhaltung des Kontroll-Kriteriums. Nach unserem Verständnis der Entscheidung sind deren Grundsätze auch anzuwenden, wenn das Wesentlichkeitskriterium nach der Inhouse-Vergabe nicht mehr erfüllt wird und nicht mehr unter 20 % der Umsätze mit Dritten erzielt werden. Insofern sollte auch die Einhaltung des Wesentlichkeits-Kriteriums fortwährend überprüft werden. Bei Bedarf sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung des Wesentlichkeitskriteriums zu gewährleisten. Anderenfalls darf der Inhouse vergebene Vertrag nicht fortgesetzt werden.

Autor:innen: RA Dr. Oliver Wittig, RA Nele Tofaute