Neue Studie zu einem neuen Ordnungsrahmen für Erdgasverteilnetze

Der Thinktank Agora Energiewende hat am 18.04.2023 eine neue Studie zu einem neuen Ordnungsrahmen für Erdgasverteilnetze veröffentlicht. In der Studie unterstellt Agora Energiewende, dass der Umstieg auf klimaneutrale Energien einen Großteil des Gasverteilnetzes überflüssig machen werde. Ohne eine geordnete Stilllegung beziehungsweise eine bedarfsorientierte Umrüstung der Netze auf Wasserstoff würden bis 2044 gestrandete Vermögenswerte von bis zu zehn Milliarden Euro und eine Versechzehnfachung der Netzentgelte drohen. Agora Energiewende schlägt daher eine Neugestaltung des Ordnungsrahmens vor, um eine kostengünstige und sozial ausgewogene Stilllegung zu gewährleisten.

 

Unzulänglichkeiten im aktuellen Ordnungsrahmen

Agora Energiewende ist der Auffassung, dass der aktuelle Ordnungsrahmen für Erdgasnetze nicht geeignet sei, die Klimaziele zu erreichen. Dies führe schon heute dazu, dass sich beispielsweise nach dem Auslaufen bestehender Erdgaskonzessionen nur sehr wenige oder gar keine Unternehmen auf eine Neuausschreibung der ausgelaufenen Konzession bewerben würden. Grund sei die nicht sichergestellte Refinanzierbarkeit des Netzbetriebs.

Für den absehbaren Kostenanstieg bei einer sinkenden Zahl von Netznutzern existiere im heutigen Ordnungsrahmen keine Absicherung. Außerdem kämen allgemeine gesetzliche Vorgaben bezüglich der Pflichten der Geschäftsführung hinzu, die im Konflikt mit den für die Energiewende notwendigen Entscheidungen zur Erreichung effizienter Transformationspfade stünden.

Hervorzuheben ist, dass Agora Energiewende insbesondere zu dem Ergebnis kommt, dass die Eigenkapitalverzinsung das Risiko des Erdgasnetzbetriebs gegenwärtig nicht angemessen abbildet. Zudem basiert der heutige Effizienzvergleich auf einem Benchmark-Vergleich, der nach Auffassung von Agora Energiewende bei unterschiedlich schnell und stark verlaufender Stilllegung nicht mehr passt. Hinzu kommt, dass Einsparungen bei den Betriebskosten aufgrund von Stilllegungen durch die aktuelle Regulierungssystematik erst verzögert an die Netzkunden weitergegeben werden.

Bei der möglichen Umstellung auf Wasserstoff weist Agora Energiewende darauf hin, dass bei Ersatzinvestitionen in das Erdgasnetz eine vorausschauende Umrüstbarkeit auf Wasserstoff erschwert ist, weil Komponenten und Betriebsmittel, die alle Eigenschaften mitbringen, um auch für Wasserstoff eingesetzt zu werden, nur anerkannt werden, sofern diese Komponenten und Betriebsmittel gegenüber dem reinen Erdgasbetrieb keine Zusatzkosten verursachen. Kosten für (reine) Wasserstoffnetze werden hingegen nur anerkannt, wenn sich der Betreiber unwiderrufbar für die Teilnahme am ausschließlichen Regulierungssystem für Wasserstoff entschieden hat.

Außerdem erschwere eine zu strikte Entflechtung von Wasserstoffnetzbetreibern die Umstellung von Erdgasleitungen.

Empfehlungen für die Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens

Agora Energiewende fordert eine Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens, der Vorgaben und Anreize setzen soll, damit die beteiligten Akteure auf das Erreichen der Klimaziele hinwirken, selbst wenn damit ein Rückgang eines Geschäftsfeldes, die Umstellung der Heizgeräte oder die Veränderung in der Herstellung von Prozesswärme einhergeht.

Mit Blick auf die Netzbetreiber meint Agora, es sollen verbindliche Vorgaben gemacht werden, damit die Umsetzung der Transformation nicht in Widerspruch zu unternehmerischen Verpflichtungen des Gasnetzbetreibers gerate. Außerdem müssten Änderungen vorgenommen werden, damit Netzbetreiber in Zukunft einen tragfähigen Rahmen erhalten, um auch bei rückläufigen Kundenzahlen einen zuverlässigen Netzbetrieb gewährleisten zu können beziehungsweise eine Refinanzierung der getätigten Investitionen sicherzustellen.

Nach Auffassung von Agora Energiewende muss es Gasnetzbetreibern einfacher ermöglicht werden, Netzabschnitte stillzulegen. Hierfür solle ein Kipppunkt durch die Kommune definiert werden, bei dessen Erreichen es dem Netzbetreiber ermöglicht wird, verbleibende Netzkunden unter Wahrung von Verbraucherschutzinteressen zu kündigen. Mögliche Kennzahlen könnten zum Beispiel die Anzahl der Kunden je Kilometer Leitungslänge, die Anschlussleistung oder der Absatz pro Kilometer Leitungslänge oder entsprechende Dichtekennziffern wie Absatz je versorgter Fläche sein. Darüber hinaus können jedoch auch qualitative Kriterien (zum Beispiel Versorgung ausgewählter Industrie- beziehungsweise Gewerbekunden, Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen) entscheidend sein.

Zur Vermeidung von Klagen sollen die Kipppunkte transparent und diskriminierungsfrei bestimmt und ex ante definiert werden. Dabei soll ein Anreizmechanismus installiert werden, der sicherstellen soll, dass Netzgebiete mit immer weniger Kunden möglichst schnell außer Betrieb genommen werden.

Agora Energiewende schlägt außerdem vor, dass die Abschreibungsdauern für Bestandsanlagen verkürzt werden sollen. Generell sollte hierbei eine Abschreibung bis 2045 vorgesehen werden. Wird das Asset im Zeitraum vor 2045 stillgelegt, soll der Restwert als Sonderabschreibung geltend gemacht werden. Die Verkürzung der Abschreibungsdauern und die Durchführung von Sonderabschreibungen sollen auch nach der Aktivierung der Anlagen ermöglicht werden. Darüber hinaus solle die Abschreibungsmethodik aller Bestands- und Neuanlagen von linear auf degressiv geändert werden.

Nach Auffassung von Agora Energiewende müsse zudem das Risikoprofil des Erdgasverteilnetzbetriebs vor dem Hintergrund des bevorstehenden Wegfalls des Geschäftsfeldes sowie der gegenwärtigen Regelungen zur Refinanzierung neu bewertet werden. Dies mache eine Erhöhung des Wagniszuschlages als Komponente zur Abbildung des unternehmerischen Risikos bei dem Eigenkapitalzinssatz für Gasnetzbetreiber erforderlich. In Betracht käme erforderlichenfalls auch ein angemessener Zuschlag, der Sondereffekte abbildet, die nicht im CAPM-Modell abgebildet sind. Dieser Wert könnte wie der jährlich vorzunehmende Kapitalkostenabgleich in die Erlösobergrenze einfließen.

Agora Energiewende empfiehlt außerdem eine Verkürzung der Dauer der Regulierungsperioden. Da Investitionsentscheidungen weitgehend über eine kommunale Energie-Verteil-Strategie definiert werden sollen, sei der unternehmerische Freiraum, gegebenenfalls ineffiziente Strukturen zu schaffen, eingeschränkt. Des Weiteren sei zu beachten, dass viele der mit der Transformation verbundenen Aspekte auch Auswirkungen auf die Betriebskosten haben werden. Eine Verkürzung der Regulierungsperioden auf maximal zwei oder drei Jahre hätte nach Auffassung von Agora Energiewende den Vorteil, dass entsprechende zeitnahe Nachjustierungen der Kostenbasis in beide Richtungen möglich seien. Alternativ hätte der Umstieg auf eine Cost-Plus-Regulierung den gleichen Effekt und würde eine jährliche Weitergabe der Einsparungen bei Stilllegungen ermöglichen.

Im Zusammenhang mit der Verkürzung der Regulierungsperioden und der damit zusammenhängenden Stärkung der Kostenprüfung nach GasNEV schlägt Agora Energiewende eine Abschaffung des Effizienzvergleichs in der ARegV vor.

Agora Energiewende schlägt auch eine Weiterentwicklung des Rechtsrahmens zu Konzessionsverträgen vor. Wenn die Durchführung eines Konzessionsverfahrens offensichtlich zwecklos sei, etwa weil kein einziger Netzbetreiber ein Interesse an der Konzession bekundet hat, soll die Gemeinde von der weiteren Ausschreibungspflicht zu entbinden sein. Ist der Bestandskonzessionär nicht an der Fortführung des Betriebs des Erdgasnetzes interessiert, solle er für eine Übergangsphase von fünf bis zehn Jahren verpflichtet werden können, das Netz weiter zu betreiben. In dieser Zeit soll die Kommune die Entscheidung treffen können, den Erdgasnetzbetrieb zu übernehmen oder aber vorzeitig zu beenden.

Zur Umstellung auf Wasserstoff schlägt Agora Energiewende vor, dass den Netzbetreibern ermöglicht werden solle, die Wasserstoffinfrastruktur unter Verwendung der vorhandenen Erdgasnetzinfrastruktur sowie der vorhandenen personellen und materiellen Mittel aufzubauen. Dabei solle anstatt einer rechtlichen allein eine buchhalterische Entflechtung auf horizontaler Ebene in Erwägung gezogen werden. Zudem solle die Erstreckung des Anwendungsbereichs der Wasserstoffnetzentgeltverordnung auch innerhalb eines Unternehmens auf einzelne Leitungen beziehungsweise Teilnetze möglich sein.

Fazit

Agora Energiewende zeugt in der Studie deutlich die offensichtlichen Defizite des aktuellen Ordnungsrahmens auf. Die durch die Entscheidung des EuGH vom 02.10.2021 (C-718/18) notwendige Neuordnung des energierechtlichen Rahmens gibt Politik und Behörden die Gelegenheit, einen neuen Ordnungsrahmen festzulegen. Die Studie von Agora Energiewende gibt hierfür hilfreiche Anregungen.

Autoren: RA Christoph Fabritius, RA Tobias Teschner