3 Minuten Lesezeit 12 Juli 2019
Glühbirne

Sind die Konkurrenten von gestern die Partner von morgen?

Von Metin Fidan

Partner, Europe West Green Transformation Leader and Europe West Mining & Metals Leader, EY Consulting GmbH | Deutschland

Sieht in der Dekarbonisierung, Digitalisierung, in der Dezentralisierung sowie in der Konvergenz vor allem Chancen für die Energiewirtschaft. Wandel ist für ihn eine Gestaltungsaufgabe.

3 Minuten Lesezeit 12 Juli 2019

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Der Energiemarkt wird digital und steht ganz im Zeichen der Sektorkonvergenz. Wie können die Stadtwerke davon profitieren?

Das Zusammenwachsen und die Vernetzung unterschiedlicher Branchen stellt die Wirtschaft auf den Kopf: Wertschöpfungsketten verweben sich, Kooperation ist die neue Konkurrenz. Die Energiewirtschaft erreicht dieser Trend der Sektorkonvergenz zeitverzögert. Dennoch ist schon heute absehbar, dass sie auch dort Grundlegendes verändern wird.

Für den Energiemarkt ist Sektorkonvergenz sogar staatlich vorprogrammiert: Spätestens die verpflichtende Einführung des Smart-Meter-Gateways wird dazu führen, dass der Strom-, Gas-, Wasser- und Wärmeverbrauch nicht mehr einzeln abgelesen und abgerechnet wird, sondern gebündelt digital.

Nicht abschotten, sondern öffnen

Dort, wo Dinge digital zusammenwachsen, gibt es keine Alleinanbieter mehr. Die Smart-Home-Zentrale von Firma A steuert das Messgerät von Firma B, das wiederum den Stromfluss überwacht, den Firma C einspeist. Für Stadtwerke und Energieversorger heißt das: Bei Themen wie Elektromobilität, intelligentem Messwesen, Smart Home und Smart City sowie Gebäudeenergieeffizienz spielen immer mehr Marktteilnehmer aus anderen Sektoren eine Rolle.

Beispiele für diese Art der Zusammenarbeit gibt es viele: Im westlichen Ruhrgebiet kooperiert ein Mobilitätsdienstleister beim e-Car sharing mit Kommunen, Energieversorgern, Stadtwerken und Wohnungswirtschaft. Im westfälischen Münster hingegen tun sich die Stadtwerke mit einer Energiegenossenschaft beim Bau von Windenergieanlagen zusammen. Deutschlandweit schließen sich derweil verschiedene Versorger zusammen, um die „Verbandsübergreifende IT-Plattform der Zukunft“ (VÜI) zu schaffen. 

In Ökosystemen bringen unterschiedliche Marktteilnehmer unterschiedliches Wissen zum Vorteil des Verbrauchers ein. 

Bei diesen Zusammenschlüssen bringen unterschiedliche Marktteilnehmer unterschiedliches Wissen zusammen, zum Vorteil des Verbrauchers. So entstehen Ökosysteme, in denen verschiedene Anbieter zusammenarbeiten, häufig über digitale Plattformen. Auf diesen erhält der Endkunde über eine gemeinsame Schnittstelle Zugang zu einer Vielzahl an Produkten und Dienstleistungen. Dabei könnte das Smart-Meter-Gateway (SMGW) – eine sichere, zentrale Informationsschnittstelle zwischen Energieversorger und Verbraucher – zum Türöffner dieser neuen Plattformwirtschaft avancieren.

Vertrauen ist Kapital

Bekannte und erfolgreiche Internetplattformen haben sich vom Vertreiber einzelner Produktgruppen zum weltweiten Marktplatz für alle möglichen Waren entwickelt. Außerdem sind zahlreiche Fremdverkäufer angedockt.

Ähnlich gedachte Ökosysteme könnten auch Stadtwerke und Versorger aufbauen – wenngleich weniger global. Doch gerade die regionale Verwurzelung bietet einen Wettbewerbsvorteil. Dort, wo Vertrauen Voraussetzung für die Geschäftsentwicklung ist, haben Stadtwerke ein Ass im Ärmel.

Im digitalen Zeitalter haben Stadtwerke eine komfortable Marktstellung, denn sie verfügen über den Endkundenzugang und damit über dessen Daten.

Das Umdenken in Richtung Plattformbetreiber ist notwendig, um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Die Plattform, die als erstes Angebot und Nachfrage intelligent und komfortabel zusammenbringt, beherrscht bald das Marktsegment. Im digitalen Zeitalter geht es dabei mehr denn je um Daten. Hier haben Stadtwerke eine komfortable Marktstellung, denn sie verfügen über den Endkundenzugang und damit über dessen Daten.

Diese Daten sind interessant für Gerätehersteller, Wohnungswirtschaft, Effizienzberater, Versicherungen und – nicht zu vergessen – die Verbraucher selbst. Wie die EY Stadtwerkestudie 2019  bestätigt, stehen diese Daten keineswegs zum freien Verkauf: Keines der befragten 172 Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz plant eine Datenvermarktung an Dritte. Vielmehr geht es um kombinierte Lieferung und Messung, Energieautarkie, Bündelablesungen und variable Tarife.

Wachstumschancen nutzen

Das Verweben der Sektoren begreifen die in der EY Stadtwerkestudie 2019 befragten Entscheider vor allem als Chance:

  • Die größten Synergiepotenziale sehen die Unternehmen in der Annäherung an die Wohnungswirtschaft, den Technologie- und den Telekommunikations-Sektor.
  • Chancen bieten vor allem die dezentrale Stromerzeugung, Smart Metering und Elektromobilität.
  • Stadtwerke und Energieversorger sehen sich zukünftig als umfassende Plattformbetreiber im Betrieb von Smart Meter Gateways, der Ladeinfrastruktur oder im Gebäudemanagement.  
  • Sie erkennen weitere Entwicklungspotenziale in Bereichen wie Telekommunikation, Quartierskonzepte sowie in Smart-Home- und Smart-Metering-Ansätzen.
  • Zahlreiche neue Geschäftsmodelle spiegeln die gute Stimmung in der Energiewirtschaft und die Entwicklung zur Wachstumsbranche wieder.

Wer sich nicht bewegt, verliert

Digitalisierung und Sektorkonvergenz bergen jedoch auch Risiken. Die Umbrüche erfolgen enorm schnell. Daher gehen etwa rund drei Viertel der Befragten davon aus, dass Smart-City-Ansätze nur in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern erfolgreich umgesetzt werden können. Gleichzeitig scheut die Mehrheit der Befragten aber noch den Schritt in neue Geschäftsfelder jenseits der Energieversorgung.

Das ist bedenklich, denn das Umfeld steht nicht still: Es ist zu erwarten, dass sich künftig noch mehr Marktakteure aus anderen Branchen in der Energiewirtschaft engagieren und den Druck auf die Etablierten erhöhen. Die erhoffte Chance kann zum Risiko werden, wenn die Energieversorger selbst das Risiko scheuen.

Fazit

Die Stadtwerke sollten nicht die Chancen verpassen, die ihnen der immer schnellere Wandel bietet. Kooperationen und eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur können ihnen helfen, zum agilen und digitalen Plattformunternehmen zu werden.

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Von Metin Fidan

Partner, Europe West Green Transformation Leader and Europe West Mining & Metals Leader, EY Consulting GmbH | Deutschland

Sieht in der Dekarbonisierung, Digitalisierung, in der Dezentralisierung sowie in der Konvergenz vor allem Chancen für die Energiewirtschaft. Wandel ist für ihn eine Gestaltungsaufgabe.

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