7 Minuten Lesezeit 9 April 2018
Brüder stehen unter einem Regenschirm

"Wirtschaftlicher Erfolg und Gemeinwohl bedingen einander"

Von EY Deutschland

Building a better working world

7 Minuten Lesezeit 9 April 2018

Prof. Dr. Timo Meynhardt erläutert im Interview, warum es für Unternehmen immer wichtiger wird, für sich einen Public Value zu definieren.

Für Unternehmen wird es immer wichtiger, sich sinnvoll in der Gesellschaft zu positionieren und eine Daseinsberichtigung zu definieren, die über pure Profitabilität hinausgeht. Dem Gemeinwohl-Ansatz nach wird der Wert eines Unternehmens wesentlich vom Umfeld und der Bevölkerung bestimmt, resümiert Prof. Dr. Timo Meynhardt, einer der bedeutendsten Wissenschaftler in der Public Value-Forschung, im EY-Interview.

1. Was bedeutet Public Value für Unternehmen?

Beim Public Value Ansatz geht es um einfache Grundfragen: Welche Daseinsberechtigung hat ein Unternehmen und wie trägt es zum Gemeinwohl bei? Das führt viel tiefer als die Diskussion um Corporate Social Responsibility (CSR) und Nachhaltigkeit und geht weiter als die Fragen nach Leitbild, Vision und Mission. Unternehmen haben einen Social Purpose und müssen sich der Herausforderung stellen, diesen herauszuarbeiten.

Public Value ist dabei nicht als Volksbeglückung zu verstehen, sondern als Versuch, die gesellschaftliche Relevanz eines Unternehmens zu messen – und zwar ohne vorzugeben, was richtig ist. Das ist der feine Unterschied zwischen ‚dem Volk aufs Maul schauen‘ oder ihm ‚nach dem Mund zu reden‘.

professor dr. timo meynhardt

2. Warum ist das Thema derzeit relevant?

Wir wissen aus unserer Forschung, dass sich 8 von 10 Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland Sorgen ums Gemeinwohl machen. Im heutigen Zeitgeist kommen mehrere Faktoren zusammen. Konsumenten und Kunden üben Druck aus, denn sie sind gut informiert und hinterfragen Unternehmen immer mehr. Auch seitens der Politik entsteht Druck, zum Beispiel in Form einer EU-weiten Berichtspflicht für Unternehmen über ihre CSR-Aktivitäten. Hinzu kommen auch ernsthafte Überlegungen in den Unternehmen selbst, wo eine neue Führungsgeneration heranwächst, die Public Value von sich aus fördern will. Bei unserem Start-up Wettbewerb sehen wir sehr deutlich, wie die junge Generation beginnt, ihre Geschäftsmodelle von Anfang vom gesellschaftlichen Nutzen her zu denken. Es entsteht ein neuer Blickwinkel.

3. Welcher Nutzen ergibt sich für Unternehmen, wenn sie das Gemeinwohl in ihrem unternehmerischen Handeln berücksichtigen?

Ich sehe da einen Mehrfachnutzen. Zunächst sind Bemühungen um Public Value eine Art Risikomanagement, indem man hinhört, was die Gesellschaft und die Politik möchten. Im Dialog mit den Stakeholdern können Unternehmen ihre Akzeptanz und dadurch die eigene „Licence to operate“ prüfen. Der Blick auf die Gesellschaft ist darüber hinaus auch Vorwärtsstrategie und zeigt, wo neue Geschäftsideen und Innovationen gefragt sind. Der dritte Nutzen liegt im Thema Employer Branding. Die Arbeitgeberattraktivität wird heute mehr denn je darüber vermittelt, dass es einem Unternehmen gelingt, den eigenen Gemeinwohlbeitrag gegenüber den Mitarbeitern glaubhaft zu vermitteln. Die Sinnfrage spielt für viele Arbeitnehmer eine große Rolle bei der Jobwahl und Arbeitsmotivation. Zu guter Letzt besteht inzwischen auch am Kapitalmarkt Interesse am Public Value. 

4. Dennoch wirken wirtschaftlicher Erfolg und Bemühungen um das Gemeinwohl für viele wie ein Gegensatz. 

Wirtschaftlicher Erfolg und Gemeinwohl sind keine Gegensätze, sondern bedingen sich gegenseitig. Profitabilität ist die Basis, um Geschäfte zu machen, Angestellte zu bezahlen und zu investieren. In diesem Sinne sind Steuerzahlungen oder gute Gehälter für die Mitarbeiter heutzutage auch ein Gemeinwohlbeitrag. Aber Profitabilität ist nicht die alleinige Daseinsberechtigung. Dafür müssen Unternehmen etwas bieten, das die Gesellschaft braucht; ein Problem lösen. Um das erreichen zu können, braucht es eben gewisse Profitabilität. Die nächsten Generationen von Führungskräften müssen versuchen, das in Einklang zu bringen und erhalten damit auch die Grundstrukturen der sozialen Marktwirtschaft. Die Gemeinwohlfrage wird zur Überlebensfrage des Kapitalismus.

5. Setzen Unternehmen in Deutschland den Public Value Gedanken schon um?

Das Bewusstsein für Public Value wächst. Deutsche Großkonzerne beginnen schon, das Thema aufzunehmen und zu experimentieren. Sie merken, dass der nächste Schritt gefragt ist und sie Public Value verantwortungsvoll und trotzdem positiv besetzen können. Dabei geht es nicht darum, unsere Wirtschaft einfach schön zu reden, sondern stattdessen Wertschöpfung neu zu definieren und in einer Post-Wachstums-Gesellschaft auch Wachstum positiv zu besetzen. Wirtschaft ist auch die Grundlage unseres Wohlstandes und da müssen wir uns in Deutschland nicht verstecken. 

6. Heißt das, deutsche Unternehmen sind zu bescheiden?

Vieles in Deutschland, ob nun öffentliche Infrastruktur, Rechtssicherheit oder auch Produkte und Dienstleistungen, ist im internationalen Vergleich auf sehr hohem Niveau. Aber es ist auch selbstverständlich geworden. Mobilität, Versicherungen, öffentlicher Dienst – all das ist eine Riesenleistung. Gäbe es das alles nicht, hätten wir weniger Lebensqualität in Deutschland, weniger Wohlstand und damit noch ganz andere Probleme. Und das wieder sichtbar zu machen, ist sicherlich eine Facette der Gemeinwohldiskussion. Sie dient also auch dazu, dass Unternehmen sich vergewissern, was sie leisten, beziehungsweise wofür sie sich in den letzten Jahren kommunikativ zu wenig eingesetzt haben. Eine gute Möglichkeit dafür bietet der Gemeinwohl Atlas Deutschland, in dem mehr als 130 Unternehmen, Vereine und Verbände, aber auch öffentlichen Verwaltungen eine Rückmeldung von der Bevölkerung erhalten. Dort kann man sehr differenziert sehen, wie die Deutschen zu den tragenden Institutionen im Land stehen.

Public Value ist der Versuch, über die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft eines Unternehmens miteinander zu verbinden.

7. Besteht dabei nicht schnell die Gefahr, nicht glaubhaft zu wirken?

Die authentische Kommunikation ist ein absoluter Balanceakt. Da können Unternehmen sich auf ihre Historie und ihre Wurzeln besinnen. Es heißt ja, es gibt keine Zukunft ohne Herkunft. Und der Gemeinwohlgedanke ist keiner, den man sich aussuchen kann, wie man sich morgens ein T-Shirt auswählt, sondern einer, der auch in der Geschichte mit verankert ist. Public Value ist der Versuch, über die Gegenwart Vergangenheit und Zukunft zu verbinden.

8. Wo besteht, abgesehen von der Kommunikation, noch Handlungsbedarf?

Den sehe ich beim Thema messen. Es gibt schon viele Initiativen und Tools, die nach alternativen oder ergänzenden Messgrößen für den Public Value suchen. Die sprießen aus dem Boden und das finde ich begrüßenswert, denn sie sind wichtig als Information für die Unternehmensleitung, aber auch als Indikator für die Kapitalmärkte. Was sich als Standard durchsetzen wird, weiß man heute noch nicht. Auf dem Public Value-Gedanken aufbauend haben wir eine Scorecard entwickelt, die von einer Reihe von Organisationen eingesetzt wird, um sich ein Bild zu machen, wo sie stehen in der Gesellschaft. Die Ergebnisse helfen dem Management sehr, ein besseres Gespür zu bekommen, was gut läuft, was auf dem Spiel steht und wo es hakt.

Der Ansatz ist komplex und bietet keine simplen Antworten. Public Value setzt auf Dialog und das ist anstrengend.

9. Auf welche Schwierigkeiten müssen sich Unternehmen bei der Implementierung von Public Value Ansätzen einstellen?

Zunächst muss man sich bewusst machen, dass der Ansatz komplex ist und keine simplen Antworten bietet. Public Value setzt auf Dialog und das ist anstrengend. Man muss zuhören, was draußen vor sich geht und in Erwägung ziehen, dass Außenstehende recht haben könnten.

Eine weitere Herausforderung ist, Public Value ins Unternehmen zu integrieren. Er kann in Geschäftsberichte, in Lageberichte, ins Recruiting, in Investitionsentscheidungen oder auch ins Risiko-Management eingebaut werden. Unternehmen können sich dahingehend beraten oder ihre Mitarbeiter weiterbilden lassen. Es gibt aber keine Public Value-Beauftragten, weil es eher eine Querschnittsfunktion darstellt. 

10. Welche Rolle spielen die Mitarbeiter? 

Mitarbeiter möchten gern beitragen. Ihnen geht es besser bei der Arbeit, wenn sie sich gebraucht fühlen, etwas Sinnvolles machen und dadurch Zufriedenheit entwickeln. Das kann man an den Gemeinwohlbeitrag koppeln, indem man Menschen fördert, die das leben. Und wenn man entsprechende Auswahlprozesse hat, in denen das betont wird. Es hilft auch, wenn die Geschäftsführung den Gemeinwohlgedanken vorlebt, ihn glaubhaft von oben vermittelt und auch Initiativen belohnt, in denen er zum Tragen kommt. Es gibt viele Ansätze, um Mitarbeitern zu signalisieren: Du wirst hier gebraucht, leistest einen Beitrag und es wird auch belohnt.

  • Über Prof. Dr. Timo Meynhardt

    Timo Meynhardt ist Inhaber des Dr. Arend Oetker-Lehrstuhls für Wirtschaftspsychologie und Führung an der Leipzig Graduate School of Management (HHL). Zu seinen Hauptthemen in Forschung Lehre zählen das Public Value Management, Leadership & Management und Kompetenzdiagnostik. Meynhardt ist außerdem Managing Director des Center for Leadership and Values in Society an der Universität St. Gallen. Der Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes studierte in Jena, Oxford und Peking Psychologie und promovierte im Anschluss an der Universität St. Gallen. Timo Meynhardt ist Mitautor des Leipziger Führungsmodells und gehört zur Jury des jährlich von der HHL in Kooperation mit EY verliehenen „Public Value Award for Start-ups“.

Fazit

Die gesellschaftliche Wertschöpfung einer Organisation wird für die Wirtschaft ein immer wichtigeres Thema. Der Wissenschaftler Timo Meynhardt untersucht, warum und wie Unternehmen einen Public Value für sich definieren sollten.

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